Wohnhäuser und Siedlungen 1925 Herrscher, Künstler, Architekten Interieur Design Interviews und Statements Dezember 2017 F
Die Vorsitzende der Stuttgarter Gesellschaft für Kunst und Denkmalpflege (SGKD), Astrid Debus-Steinberg, spürt Frankfurter Küchen auf.
Astrid Debus-Steinberg beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frankfurter Küche, jenem ab 1926 von Margarete Schütte-Lihotzky entwickelten Prototyp der serienmäßig gefertigten Einbauküche. Damals Standardausstattung in den Ernst-May-Siedlungen des Neuen Frankfurt, haben die Küchen heute Seltenheitswert.
Monumente: Wie und wann kamen Sie zur Frankfurter Küche?
Astrid Debus-Steinberg: Heute gibt es in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart ein Museum im Doppelhaus von Le Corbusier, und die Innenräume des Hauses sind renoviert und zugänglich. Aber Ende der 1980er-Jahre, als mein Engagement für die Frankfurter Küche begann, war die Situation noch eine ganz andere.
Während ich in der Architekturgalerie am Weißenhof tätig war, erlebte ich den Mangel an Service für die zahlreichen Besucher der Weißenhofsiedlung aus aller Welt. In der berühmten Stuttgarter Werkbund-Siedlung gab es damals nichts: keine Informationen, kein Café, keine Toilette … das war damals unser Aufschrei in einem Presseartikel.
1988 gründete ich zusammen mit dem Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Franz J. Much und einigen Freunden einen Verein, die Stuttgarter Gesellschaft für Kunst und Denkmalpflege. Wir bemühten uns damals um eine Besucherinformation, eine Wohnung der offenen Tür und boten regelmäßige Führungen durch die Weißenhofsiedlung an. Gemeinsam mit dem Verein Freunde der Weißenhofsiedlung wollten wir eine kleine Ausstellung im alten Milchladen im Mies-van-der-Rohe-Haus gestalten und suchten passende Ausstellungsstücke. Eine Frankfurter Küche schien uns dafür am besten geeignet.
Schon 1927 wurde eine Frankfurter Küche auf der Werkbundausstellung DIE WOHNUNG gezeigt. Eine Abbildung fanden wir in der dazugehörigen Werkbund-Publikation „Innenräume“. Wir kannten auch die vier Abbildungen der Musterküche von Margarete Schütte-Lihotzky. Durch Vermittlung der städtischen Denkmalpflege in Frankfurt und der Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen (ABG) gelang es uns 1989, unsere erste Frankfurter Küche in der Siedlung Römerstadt zu finden, auszubauen und nach Stuttgart zu transportieren. Für diese Küche entwickelten wir ein maßgenaues, zerlegbares und transportables Gehäuse in den Maßen des Küchenraumes, das uns später die Teilnahme an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland ermöglichte.
Unbefriedigend war für uns damals, dass unsere erste Frankfurter Küche anders aussah: Sie war nicht blau, sondern elfenbeinfarben und hatte auch keine Schiebetür. Das war uns ein Ansporn, nach der aus der Fachliteratur bekannten blauen Küche zu suchen.
Monumente: Ab wann gab es die Frankfurter Küche auch außerhalb Frankfurts? Wie weit reichte der
Radius?
Astrid Debus-Steinberg: Das Hochbauamt der Stadt Frankfurt warb mit der Frankfurter Küche auf Ausstellungen und Messen für seine Ideen. Die Frankfurter Küche wurde in seiner Zeitschrift Das Neue Frankfurt und in der Presse ihrer Zeit vorgestellt. Bekannt ist die Äußerung von Richard Döcker, Architekt und Bauleiter der Stuttgarter Werkbundausstellung von 1927, dass den Küchen in den Häusern der Stuttgarter Weißenhofsiedlung "der Einfluss der Frankfurter Küche deutlich anzumerken ist." Schnell wurde sie auch überregional wahrgenommen.
Monumente: Wie variantenreich war die typisierte Küche tatsächlich?
Astrid Debus-Steinberg: Ein Charakteristikum der Frankfurter Küche ist ihre enge Beziehung zur Architektur. Die Vielfalt in der architektonischen Planung der May-Siedlungen von 1925-30 spiegelt sich in der Gestaltung der Küchen wider. Die paarweise Anordnung der Einfamilienhäuser in Reihen und die paarweise Anordnung der Etagenwohnungen in den Mehrfamilienhäusern spielte eine besondere Rolle und führte zur Anlage von Küchen rechter und linker Seite.
Wir haben die Anzahl der Varianten auch nach langjähriger Beschäftigung mit diesem Thema nicht genau gezählt. Etwa 300 Wohnungen konnten wir im Laufe der Jahre besuchen und dokumentieren, im Verhältnis zur Gesamtzahl von 10.000-15.000 Wohneinheiten sind das nur sehr wenige. Im Katalog Margarete-Schütte-Lihotzky, "Soziale Architektur", der 1993 in Wien erschien, stellt sie selbst in Zusammenarbeit mit einer Forschungsgruppe, die ihr bei der Erschließung ihres Nachlasses geholfen hat, unterschiedliche Küchentypen aus den frühen Siedlungen des Neuen Frankfurt vor. Es gab auch Varianten, die nur auf Ausstellungen gezeigt wurden und nicht zur Serienreife gelangt sind. Für die verschiedenen Wohnungstypen wurden Varianten der Frankfurter Küche entwickelt: für kleine Einliegerwohnungen Küchennischen, für Etagenwohnungen besondere Typen, für große Einfamilienhäuser großzügiger eingerichtete Küchen mit Durchreiche zum Essplatz und einer Speisekammer.
Aus der Bauzeit sind eine ganze Reihe historischer Aufnahmen vorhanden, auch Filme und Werbeprospekte.
Bei unserer Recherche vor Ort in den Frankfurter Siedlungen entdeckten wir, dass sich schon in frühen Bauphasen auch die bekannte Musterküche weiterentwickelte. Der Schüttenblock, der zu den Unterschränken gehörte, fiel weg. Die Anzahl der Schütten wurde verringert und die Position verändert. Die Schütten wanderten nach oben in den Vorratsschrank, und ein neues Element, ein Schubladenschrank, wurde neben den
Hochschrank gestellt.
In der Siedlung Römerstadt etwa, der ersten
vollelektrifizierten Siedlung in Frankfurt, fanden wir Küchen, die einen
besonderen Herd besaßen, den Siedlerherd, der eine Kombination aus einem Elektroherd und einem Kohleteil war.
Eine Kochkiste gab es hier nicht.
Die Bauart der Küche blieb gleich. Die Korpora der Möbelelemente wurden aus massiven Nadelholzbrettern in einfachen Rahmenkonstruktionen ohne Rückwand gebaut. Die Schranktüren und Frontstücke der Schubladen waren aus Tischlerplatte gefertigt. Die Küchen wurden fest mit Wandeisen im Mauerwerk verankert und nach Einbau und Verputz der Wand einfarbig mit Ölfarbe seidenmatt gestrichen.
Monumente: Inwieweit ist der Urzustand überhaupt dokumentiert?
Astrid Debus-Steinberg: Die Musterküche wurde mit Fotos und mit Plänen in der Presse vorgestellt. Diese Musterküche mit den Vorläufern von Margarete Schütte-Lihotzky, die man von vier historischen Fotos kennt, konnten wir in den Siedlungen nicht finden. Schon der erste uns bekannte Plan dieser Frankfurter Küche zeigt nicht genau diese Musterküche, sondern einen geringfügig abgewandelten Typ. Diesen Typ treffen wir auch in den Etagenwohnungen der Siedlungen an.
Wir kennen noch einen anderen Küchentyp aus dem Buch „Innenräume“. Er hat eine raumhohe Schrankwand und eine Unterzeile ohne Oberschränke auf der gegenüberliegenden Seite. Er wurde auch auf Ausstellungen gezeigt und stattete ein Einfamilienhaus aus, den Plattenhaustyp aus Frankfurt-Praunheim. Wir haben den Eindruck, dass die Variante von Anfang an zur Frankfurter Küche dazu gehörte.
Monumente: Wie verhielt es sich mit der Farbgebung? Dass die Frankfurter Küche immer Mittelblau
war, weil dies Fliegen abhalten sollte, ist wohl ein Mythos?
Astrid Debus-Steinberg: Diese Frage hat uns bei der Erforschung der Frankfurter Küche von Anfang an besonders interessiert. Wir haben wirklich viele Farben gefunden. Die Küchen aus den ersten Siedlungen waren neben blau und grau, oft auch lindgrün oder gelb gestrichen. In der Siedlung Römerstadt ergab sich eine Skala von gedeckten Blau- und Grüntönen, aber auch ein kräftiges Gelb und verschiedene Grautöne. Leuchtende Farben, Blau, Gelb, Rot, treten erst in den Küchen der späten Geschossbauten (1929-30) in der
Siedlung Bornheimer Hang auf.
Monumente: Welche Details wurden von den Nutzern am ehesten verändert bzw. ausgetauscht, und
was bewährte sich? Wird die Frankfurter Küche 90 Jahre später noch oft im Sinne ihrer
Erfinderin genutzt?
Astrid Debus-Steinberg: Die Mieter der Häuser und Wohnungen in den May-Siedlungen waren gehalten, die Küchen pfleglich zu behandeln und nicht zu verändern. Reparaturen wurden von der Wohnungsbaugesellschaft ausgeführt. Das Konzept der reinen Arbeitsküche wurde nicht von allen Bewohnern gerne angenommen. Das Esszimmer nutzte man als ‚gute Stube‘, und trotz der Enge wurde oft lieber in der Küche gegessen. Als später die Anschaffung und Aufstellung eines Kühlschranks oder einer Geschirrspülmaschine zum Problem wurde, wusste man sich zu helfen. Die Kochkiste wanderte in den Keller, die Tür zum Wohnzimmer wurde verschlossen und zugestellt. Seit 1995 werden die Küchen nicht mehr von der Wohnungsbaugesellschaft instandgehalten und dürfen von den Mietern verändert werden. Durch den langen Gebrauch sind viele Küchen abgenutzt. Sie wurden oft gestrichen, umgebaut, mit Folien beklebt oder entsorgt.
Monumente: Wo landen die Stücke, die durch ihre Hände gehen? In einem musealen Kontext oder bei
privaten Liebhabern?
Astrid Debus-Steinberg: Die Ensembles aus unserer Sammlung haben wir überwiegend an große Museen im In- und Ausland abgegeben. Es interessieren sich aber auch private Liebhaber. Geschäftsleute nutzen Einzelteile oder kleine Ensembles zu Ausstellungszwecken.
Monumente: Am Schluss noch eine persönliche Frage: Wie sieht Ihre eigene Küche aus?
Astrid Debus-Steinberg: Ich lebe in Stuttgart in einer Wohnung von 1934. Man merkt der Siedlung noch den Bezug zu den Reformideen der 20er-Jahre an. Meine kleine Küche erinnert stark an die Küche im Plattenhaus auf der Werkbundausstellung. Die Schrankwand hat zwar keine Aluminiumschütten, stattdessen aber eine mit Linoleum belegte Nische für Brotkasten und Obstkorb. Der Fußboden ist, wie in einer Frankfurter Küche, mit Travertin gefliest. Das gefällt mir natürlich gut. Auf der gegenüberliegenden Seite habe ich eine Küchenzeile mit modernen Geräten. Das Konzept der Arbeitsküche überzeugt mich immer noch, an ein Kochen mitten im Wohnraum könnte ich mich nicht mehr gewöhnen.
Das Interview führte Bettina Vaupel
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