Denkmalarten Wohnhäuser und Siedlungen Stile und Epochen Nach 1945 Neues Bauen Ausgabe Nummer April Jahr 2024
Barbara Happe und Martin Fischer haben das erste private Bauhaus von Walter Gropius restauriert wie einen Kunstgegenstand. Aber sie finden nicht, dass sie in einem Museum leben.
Als Barbara Happe und Martin Fischer im Juli 1994 das erste Mal vor diesem Haus in einem Villenviertel im Jenaer Westen standen und hinter Birken und Büschen eine Symphonie aus Grautönen und bröckelndem Putz erspähten, waren sie hellauf begeistert: „Wir haben sofort gesehen, dass das ein einzigartiges Haus ist, anders als alles, was wir bisher gesehen hatten“, sagt Martin Fischer. Der Zoologe hatte ein Jahr zuvor einen Ruf an die Universität Jena erhalten. „Wir sind so freudig hierhergekommen. Bis heute!“, sagt er. Und seine Frau ergänzt: „Wir wollten hier mit aufbauen. Da waren wir fast missionarisch unterwegs.“
Weil sanierter Wohnraum knapp war, bewohnten der Zoologieprofessor und die Kulturwissenschaftlerin anderthalb Jahre ein winziges Zimmer in einem Lehrlingswohnheim. „Platte pur. Mein Lieblingsbeispiel: Vom Bett aus konnte man den Herd anschalten“, erzählt der 69-Jährige und greift mit dem Arm über seinen Kopf. Dann erreichte sie über die Universitätsleitung eine Zeitungsannonce: „Original-Gropius-Haus gegen Gebot“. Barbara Happe und Martin Fischer waren wie elektrisiert: „Wir wussten sehr gut, wer Gropius ist. Wir haben damals schon Bauhausbücher besessen und Vorlesungen über Architektur gehört. Wir waren mental vorbereitet.“
Schlicht, aber glamourös
Martin Fischer umrundet in langen, schnellen Schritten das Gebäude. „Gropius sagt: ‚Sie müssen um meine Häuser herumgehen wie um eine Skulptur, sonst verstehen Sie sie nicht.‘“ An der Seite bleibt er stehen. „In dem dreigeschossigen Quader zur Straße zu, da gibt es keinen Wohnraum.“ Dort sind Flure, Küche und Bad untergebracht. Zum Garten hin, wo die großen Glasfronten sind, Wohn-, Arbeits- und Schlafzimmer. „Im Inneren gehen die Kuben ineinander über. Die Wohnräume ragen in den dreigeschossigen Quader hinein. Außen ist nicht innen!“, betont Martin Fischer. In der Frühlingssonne funkelt das Weiß der Schneeglöckchen auf der Wiese mit dem hellen Glimmerputz an der Hauswand um die Wette. Bei aller Nüchternheit, die dem Bauhaus immer unterstellt wird, dieses Haus hat Glamour.
1923 stellte Bauhausgründer Walter Gropius auf der Internationalen Architekturausstellung in Weimar den „Baukasten im Großen“ vor. Dieses System beruhte darauf, dass standardisierte Einzelteile nach Bedarf frei kombiniert werden können. Haltbar, preiswert und schön sollten Häuser sein. Gemeint war keine Fließbandarchitektur, sondern kosteneffizientes, ästhetisches Bauen für jedermann. Im selben Jahr geriet das Bauhaus in Weimar durch rechte Kräfte unter Druck, woraufhin die Schule nach Dessau auswich. War es moralische Unterstützung, die das Ehepaar Felix und Anna Auerbach – er Physikprofessor, sie Kämpferin für das Frauenstimmrecht – im hohen Alter dazu bewegte, Gropius und seinem Partner Adolf Meyer den ersten Auftrag für ein privates Wohnhaus im Baukastensystem zu erteilen?
„Nein, das war kein politischer Akt“, sagt Barbara Happe bestimmt. „Die Auerbachs waren einfach modern durch und durch.“ Fakt ist: Das Ehepaar hatte ein Faible für zeitgenössische Kunst. So etwa ließ sich der Physiker 1906 vom skandalumwitterten Edvard Munch porträtieren. Nach nur sechs Monaten Bauzeit konnten die Auerbachs 1924 das Haus in der Schaefferstraße beziehen, das noch heute zwischen den Jugendstil- und Gründerzeitvillen am Jenaer Südhang heraussticht.
Martin Fischer und Barbara Happe sitzen im Speisezimmer am Tisch und trinken schwarzen Tee aus weißen Tassen auf schwarzen Untertassen. Sie blicken hinaus in den Wintergarten. Airedale-Terrier-Hündin Irma hat sich auf der Chaiselongue von Le Corbusier und Charlotte Perriand ausgestreckt. Walter Gropius hat die Villa für ein kinderloses Ehepaar mit Hund konzipiert. „Wir benutzen die Räume immer noch so, wie es Gropius vorgesehen hat, und auch nach 30 Jahren können wir nicht sagen, dass irgendetwas unpraktisch ist“, sind sie sich einig.
Bis Anfang der 1990er Jahre sei das Haus Auerbach kaum bekannt und auch in der Fachliteratur wenig gewürdigt worden, erzählen Happe und Fischer. Es ist den neuen Bewohnern des Hauses Auerbach zu verdanken, dass es inzwischen mehrere Bücher und Buchbeiträge über „W 33“ gibt, das erste Bauhaus von Walter Gropius und eines von sechs Privathäusern des Architekten in ganz Deutschland. Sie haben Archive durchforstet und jeden noch so kleinen Schnipsel aufgespürt. „Das Haus hat von uns Besitz ergriffen wie wir vom Haus.“
Barbara Happe und Martin Fischer haben das Haus Auerbach nicht nur bekannt gemacht, sie haben es auch originalgetreu saniert mit einer Beharrlichkeit, die sogar die Denkmalbehörden stöhnen ließ: „Die haben uns gelobt: ‚Ihr seid schlimmer als wir!‘ Als wir sahen, was hier entsteht, wurden wir immer strenger.“ Man kann den beiden eine gewisse Besessenheit unterstellen, aber immerhin ist es das Gropius-Haus mit dem größten Originalbestand in Deutschland. Seien es die zahlreichen Einbauregale, die Horngriffe der Fenster, die Doppeltür mit dem verzwickten Schließmechanismus.
Für Aufsehen sorgte die Wiederentdeckung der ursprünglichen Ausmalung. Das Farbkonzept hat Bauhausschüler Alfred Arndt entworfen und persönlich umgesetzt. Die gängige Lehrmeinung bis Anfang der 1990er Jahre hieß: „Der Entwurf wurde nicht ausgeführt“ und das Bauhaus ist weiß. Doch als Wissenschaftler sind Barbara Happe und ihr Mann von Berufs wegen skeptisch: „Warum hätten die Auerbachs ausgerechnet das Farbkonzept nicht realisieren sollen?“, fragt sie. Und jede entfernte Fußleiste, jeder abgeschraubte Heizkörper sollte Barbara Happe recht geben. Die farbpsychologischen Vorstellungen und die Farbenlehre des Bauhauses waren keine bloße Theorie. 37 verschiedene Pastelltöne fanden die Restauratoren im Haus Auerbach.
Martin Fischer öffnet einen Schrank im Herrenzimmer. In 13 prall gefüllten Ordnern ist ihre Geschichte mit dem Haus abgeheftet. Er tippt auf einen maschinengeschriebenen Förderbescheid der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD). „Wir haben 1995 die erste Förderung von der DSD bekommen.“ Die DSD habe dem Ehepaar bei ihren ambitionierten Sanierungsplänen immer den Rücken gestärkt. „Deshalb ist draußen vor dem Eingang aus tiefer Überzeugung die Plakette dran, weil wir wissen, was wir der Stiftung zu verdanken haben.“ Auch in Dessau stieß man später auf farbige Fassungen. Aber das Haus Auerbach war das erste farbige Bauhaus. „Als das bekannt wurde, kamen die Leute von sonst woher“, sagt Martin Fischer.
Architekten, Denkmalpfleger, Kunstinteressierte, aber auch Studentengruppen und Stadtführungen kommen zu Besuch – bis heute. „Wir haben mit diesem Haus tatsächlich die Geschichte mitgekauft und das ist herrlich!“, freut sich der Seniorprofessor. Allein im Jahr 2019 zum 100. Bauhausjubiläum seien knapp 1.000 Menschen in ihrem Haus gewesen. „Wir zählen nur die, die tatsächlich reinkommen“, sagt er und seine Frau fügt hinzu: „Und das wollten wir auch so. Aber 2019 wurde es mir dann doch etwas zu viel.“ Über die Jahre hätten die beiden einen Blick für Bauhausfans entwickelt. Martin Fischer zeigt zur Straßenecke: „Wenn dort vorn einer kommt und immer nervöser auf und ab geht, dann denke ich: Wir müssen dich befreien aus deiner Notlage.“ Gegen die Bezeichnung „Museum“ wehren sie sich, denn Barbara Happe und Martin Fischer lieben die Begegnung. Jeder Gast hat das Potenzial, ein Puzzleteil mitzubringen, das noch fehlt.
Gropius ist der Chef
Es ist das Spiel mit dem Licht und den Farben, das dem Haus Auerbach einen edlen Glanz verleiht. Jedes Detail zeugt von einer gewissen Raffinesse. Schwingflügelfenster, Wendeflügelfenster und Schiebefenster sind nach einem geheimen Rezept in Zweier- und Dreiergruppen angeordnet, sodass die Sonne je nach Tageszeit immer andere Schlaglichter wirft und Stimmungen erzeugt. Die Bewohner fasziniert das bis heute: „Das ist nicht ein bisschen schön. Das ist umwerfend“, schwärmt Martin Fischer.
Wenn er am Schreibtisch sitzt oder auf Le Corbusiers Chaiselongue liegt, dann schaut er nicht etwa in den großen Garten, er lässt die Augen durch den Raum schweifen, sucht nach Details, die noch nicht perfekt sind. Alles soll so sein, wie Walter Gropius es einst ersonnen hat. Martin Fischer springt auf, lässt die hölzernen Rollläden herunterrattern. „Diese beiden Plastikteile machen mich wahnsinnig! Die müssen weg“, sagt er und deutet auf die Anstoßdämpfer. Sieht man nicht? Er schon. Auch dass die Türschlösser während der Restaurierung mit Farbe überstrichen wurden, konnten Gropius’ Erben nur schwer aushalten. Deshalb ließen sie an allen der 40 Türen im Haus die Farbe vom Metall kratzen. „Welche Erleichterung!“, sagt er.
Sie sind Jäger auf der Pirsch nach dem unverstellten Gropius. „Wir unterwerfen uns Gropius. Er ist der Chef“, erklärt Barbara Happe schulterzuckend, „warum sollten wir es anders wollen? Der wird schon wissen und es ist ein Kulturdenkmal. Wenn man eines hat, muss man sich auch so verhalten.“ Zurzeit finden nicht nur sie Mängel. In wenigen Tagen kommen wieder Handwerker ins Haus. Die Eingangsterrasse ist brüchig. Außerdem werden die Fenster überholt. Frischekur fürs Jubiläum – in diesem Jahr wird das Haus Auerbach 100 Jahre alt.
Das Haus braucht die Leere
Beim Gang durch das Haus fällt auf, dass in jedem Zimmer nur wenige Möbelstücke stehen. „Gropius lehnte frei stehende Schränke ab.“ Martin Fischer stellt sich in einen Türrahmen und misst ab: 60 Zentimeter breit. Dann geht er den Flur ab und öffnet eine Tür nach der anderen. Hinter jeder verbergen sich Schränke. „Das ist Gropius pur. Insgesamt sind fünf Schränke in dieser Wand.“ Die Einbauschränke sind der Grund, warum das Gebäude für Besucher leer wirkt. Alles Hab und Gut ist in den Wänden verstaut. „Wenn etwas herumliegt, sagt das Haus: ‚Räum mal weg.‘ Das Haus braucht die Leere.“ In jedem Zimmer befindet sich nur das Nötigste: ein Stuhl, ein Tisch oder ein Bett, eine Leuchte. „Wagenfeld“, sagt Fischer. „Wir erwerben nicht viel, aber wenn, dann wissen wir, was wir erwerben.“ Lampen von Poul Henningsen, die vier Barcelona-Sessel von Mies van der Rohe, den Monogold-Tisch von Yves Klein und jede Menge Kunst.
Eine Abweichung haben sie sich dann doch erlaubt: Statt des überall präsenten Linoleums wurde im Schlafzimmer Teppich verlegt. Zum 75. Bauhausjubiläum wurden Designs von Weberinnen aufgelegt, darunter eines der Künstlerin Gertrud Hantschk, der späteren Frau von Alfred Arndt. „Dieses Muster hing als Wandteppich in Gropius’ Büro in Weimar“, erklärt Fischer, wie die Spur doch wieder zum Stararchitekten führt.
Anna und Felix Auerbach verbrachten neun Jahre in Gropius’ Musterhaus. 1933 wählten die beiden in ihrem Schlafzimmer den Freitod. Auch das war kein politischer Akt. Felix Auerbach hatte kurz zuvor einen Schlaganfall erlitten. „Sie hatten sich geschworen: Wenn einer mal nicht mehr aus dem Schlafzimmer gehen kann, dann ist es vorbei. Mit diesem Wissen bekommt das Ganze so eine Leichtigkeit und man liegt da und denkt: Eigentlich schön, wenn die sich aus Liebe hier umgebracht haben“, sagt er und lässt den Blick durch das Zimmer schweifen.
Iris Milde
www.denkmalschutz.de/haus-auerbach-jena
Haus Auerbach
Schaefferstraße 9
07743 Jena
Das Haus Auerbach befindet sich in einem Villenviertel im Westen der Thüringer Universitätsstadt Jena.
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