Denkmalarten Wohnhäuser und Siedlungen Menschen für Monumente Restaurierungstechniken Ausgabe Nummer April Jahr 2023 Denkmale A-Z U

Leben im Denkmal

In jedem Zimmer Poesie

In unserer neuen Reihe erzählen wir von Beziehungen, die Menschen zu ihren Häusern haben. Den Anfang machen Elisabeth Howey und Kay Zimmermann mit ihrem Umgebindehaus in Kriebitzsch.

Es gibt Tage, die dem Leben eine ganz neue Richtung geben. Für Elisabeth Howey und Kay Zimmermann war das jener Tag im Mai 2016, an dem sie die E-Mail einer Freundin aus dem thüringischen Kriebitzsch erhielten. Der Betreff lautete: „Traumhaus?“ Zimmermann muss schmunzeln, wenn er sich da­ran erinnert: „Wir kannten das Haus schon von unseren Besuchen bei dieser Freundin. Ich hatte mir gedacht: Na, wenn es das Haus ist, werden wir das wahrscheinlich nehmen. Und dann war es das Haus!“


Sieben Jahre später macht sich MONUMENTE auf nach Kriebitzsch. Das thüringische Dorf liegt eine Dreiviertelstunde von Leipzig entfernt. Vom Dorfanger mit Ententeich biegt man in die winzige Kirchgasse ein, an deren Ende auf einem Hügel die kleine romanische Kirche steht. Davor befindet sich ein Vierseithof, der in Kriebitzsch nur die alte Schmiede genannt wird. „Zuletzt haben hier noch drei alte Damen gelebt“, erzählt Howey. „Das waren die Töchter des Schmieds. Deren Kinder wollten die Schmiede möglichst an Leute abgeben, die dafür Sinn haben.“

Während der Vierseithof von der Kirchgasse aus nicht einsehbar ist, kann man von der Hauptstraße den Fachwerkgiebel mit Blockstube und den Bauerngarten bewundern.
Jens Schulze
Während der Vierseithof von der Kirchgasse aus nicht einsehbar ist, kann man von der Hauptstraße den Fachwerkgiebel mit Blockstube und den Bauerngarten bewundern.

Traumhaus? Ausrufezeichen!


Das Haupthaus, erbaut vermutlich 1713, steht giebelständig zur Straße. Gleich daneben schließt sich die Scheune an. Durch ein Holztor zwischen beiden Gebäuden gelangt man auf den Hof. „Es sah traumhaft aus“, sagt Zimmermann, wenn er an die erste Besichtigung im Mai 2016 zurückdenkt. „Es war alles bewachsen und hier war Wein vor den Fenstern. Der Garten hat geblüht, es war ja im Frühsommer. Die ganzen schadhaften Stellen, da haben wir gar nicht so genau hingeschaut.“


Die bildende Künstlerin und der Fotograf, sie gebürtig aus Bremen, er aus Leipzig, hatten schon länger nach einem Ort gesucht, der Freiraum für ihre künstlerische Arbeit bieten würde. Nach zwei weiteren Besuchen war klar, es musste heißen: „Traumhaus? Ausrufezeichen!“ Im August erhielten sie die Schlüssel, Anfang Oktober zogen sie ein. Kay Zimmermann: „Wir dachten, wenn drei alte Damen hier gelebt haben, die alle weit über 90 Jahre alt geworden sind, dann schaffen wir das auch.“ Küche, Schlafzimmer und Arbeitszimmer haben sie innerhalb eines Monats mit sparsamen Mitteln hergerichtet. „So, wie wir Kunst machen, so bauen wir auch. Wir fangen erst einmal an und irgendwie wissen wir, dass es klappen wird“, sagt Elisabeth Howey. Als freie Künstler haben sie keine Ersparnisse. Ein Kredit kam nicht infrage.

Die meiste Zeit verbringen die beiden Künstler in der etwa zehn Quadratmeter großen, gemütlichen Küche.
Jens Schulze
Die meiste Zeit verbringen die beiden Künstler in der etwa zehn Quadratmeter großen, gemütlichen Küche.

Ein Gesamtkunstwerk


An diesem Samstagmorgen sitzen sie in der winzigen Küche. Howey träufelt sich Öl auf ihr Ciabatta­brötchen. Dazu gibt es Tomatenspalten und Rucola. Tee trinken sie aus Teeschalen. Es duftet nach indischem Curry. „Den Küchentisch haben wir von den drei Damen übernommen. Wir haben die Platte aufgearbeitet.“ Elisabeth Howey fährt mit der flachen Hand über das Holz. „Diese Würmerlandschaft, das muss man einfach mögen.“ Auch die Küchenanrichte stammt noch von den früheren Bewohnerinnen und ein barocker Einbauschrank. „Die Untere Denkmalbehörde hat uns gesagt, dass das wahrscheinlich der älteste Einbauschrank im Altenburger Land ist“, sagt die zierliche Frau mit lockerem Haarknoten auf dem Kopf. Neu sind in der Küche eigentlich nur ein Spülbecken, ein kleiner Boiler und das mobile Kochfeld. Die Raufasertapete haben sie abgezogen. Darunter fanden sie Reste von Anstrichen aus mehreren Jahrhunderten. „Unsere Wände sind voller Gemälde“, freut sich die Künstlerin und verharrt mit den Augen an einer Stelle. „Ich erfreue mich immer an dem Farbspiel. Wenn man da eine Weile draufschaut, sieht man die schönen Muster.“ Die beiden lieben es, den Spuren der Jahrhunderte nachzugehen, die immer wieder Rätsel aufgeben. Vieles im Haus soll genau so bleiben, wie es ist. „Wenn man zu viel verändert, kann es kippen, dann hat man das Gefühl, sich nicht mehr in diesem alten Haus zu befinden“, sagt die Künstlerin bestimmt.


Während es in der Küche mollig warm ist, zieht vom Erdboden die Kälte herauf. Howeys Füße stecken in kniehohen gefilzten Stiefeln. Das sind ihre Hausschuhe. „Seitdem sie die Stiefel hat, konnten wir die Heizung um zwei Grad herunterdrehen“, scherzt ihr Mann.

Besonders kostbar ist die Bohlenstube, weil sie nie verändert wurde. Doch im Deckenbalken klafft ein Riss.
Jens Schulze
Besonders kostbar ist die Bohlenstube, weil sie nie verändert wurde. Doch im Deckenbalken klafft ein Riss.

Gleich neben der Küche liegt die Bohlenstube, das Herzstück des Hauses. Das Wohnhaus ist in seiner ursprünglichen Anlage ein Umgebindehaus. Vor etwa 300 Jahren waren Umgebindehäuser weit verbreitet. Inzwischen gibt es sie in großer Zahl nur noch im Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und Tschechien. Das Umgebindehaus besteht im Erdgeschoss aus einer Blockstube aus Holz und einem steinernen Teil, in dem Ställe oder Werkstätten untergebracht waren. In Kriebitzsch befand sich dort die Schmiede. Das Obergeschoss ist im Umgebindehaus von der Blockstube entkoppelt, weil es auf Holzständern ruht, die durch Bögen miteinander verbunden sind, das namensgebende Umgebinde. Als die Volksbauweise aus der Mode kam, wurden vielerorts die Umgebindeständer entfernt und die Blockstuben von außen ummauert. So auch vor etwa 150 Jahren im Wohnhaus der alten Schmiede in Kriebitzsch. Innen ist die Bohlenstube in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Das Paar nutzt sie als gute Stube, denn der vollständig aus Holz bestehende Raum wird schnell warm und strahlt eine urige Gemütlichkeit aus. „Bei den drei alten Damen standen in der Bohlenstube drei Tische, drei Sofas und drei Wohnzimmerlampen“, erzählt Howey. Kay Zimmermann deutet auf den Boden mit den breiten Dielen: „Auf dem Fußboden lagen mehrere Schichten Teppich. Heute wissen wir warum. Wenn es drei Tage durchgeregnet hat, dann kam das Wasser hier aus den Astlöchern raus.“ Im vergangenen Jahr haben die beiden das Haus trockenlegen lassen und ihm ein Fundament gegeben.

Im restaurierten Dachstuhl der Scheune werden Dielen verlegt. Der eingestürzte ehemalige Schweinestall ist bereits erneuert. Im Gebäude links daneben standen Pferde.
Jens Schulze
Im restaurierten Dachstuhl der Scheune werden Dielen verlegt. Der eingestürzte ehemalige Schweinestall ist bereits erneuert. Im Gebäude links daneben standen Pferde.

Derzeit räumen sie das Obergeschoss leer, damit dort die Fachwerkwände erneuert werden können. Denn das Haus ist in Bewegung. So sehr, dass einzelne Gefache herausfallen, erzählt Howey. „Wir hätten uns nicht vorstellen können, wie gravierend die Schäden sind.“

Vieles machen die beiden Mittfünfziger selbst. Stück für Stück. Und nehmen dafür auch weniger Luxus in Kauf. So hatten sie zwei Jahre lang weder Dusche noch Wanne. Kay Zimmermann zuckt mit den Schultern: „Wir haben einen der schönsten Seen in der Gegend, da waren wir halt jeden Tag im See.“ Und seine Frau fügt hinzu: „Kunst an sich ist unbequem. Weil wir Künstler sind, sind wir vielleicht auch ein bisschen abenteuerlustig.“ Aber weil Bauen ohne Dusche keine optimale Kombination ist, gibt es inzwischen eine Duschkabine der Marke Eigenbau. Das Leben im Denkmal habe sie aber schon vor der Energiekrise dazu gebracht, ihre Standards zu überdenken. „In unserem Schlafzimmer sind zwei Grad. Dank einem mit Schafwolle gefüllten Bett und Wärmflaschen geht das.“


Inseln der Ästhetik

Überall im Haus gibt es diese Inseln der Ästhetik. Und seien es nur ein paar Stücke Goldrandgeschirr und alte Weckgläser, die in einer Mauernische hübsch drapiert sind. Elisabeth Howey nennt diese Orte in ihrem Haus Oasen.


Ein Leben ohne Kunst können sich die beiden nicht vorstellen, inzwischen aber auch nicht mehr ohne ihr Haus. Elisabeth Howey ist gelernte Steinbildhauerin. Später hat sie bildende Kunst studiert. Ihre Werke sind raumgreifend, immer auf der Suche nach Balance. In Kriebitzsch hat die Künstlerin zwei Arbeitszimmer. Ein großes, aber kaltes für den Sommer und ein klitzekleines, aber schnell heizbares für den Winter. Neben dem Schreibtisch hängen auf einer Schnur Zitronenmelisse und Pfefferminze zum Trocknen. Sie nimmt ein Schächtelchen aus dem Regal, in dem Lehmklumpen liegen. „Wir haben ja Wildbienen hier in der Scheune. Beim Rückbau der Gefache haben wir diese Behausungen der Bienen gefunden. Das sind so organische Formen, die mich sehr inspirieren.“

Wildbienennester in den Lehmgefachen inspirieren die Künstlerin.
Jens Schulze
Wildbienennester in den Lehmgefachen inspirieren die Künstlerin.

Als das Paar einzog, musste es sich zunächst um die einsturzgefährdete Scheune kümmern. Deren Dachstuhl ist nun denkmalgerecht wiederhergestellt. In der Scheune sollen Ausstellungsräume entstehen. Elisabeth Howey und Kay Zimmermann wollen dem Dorf etwas zurückgeben, das sie so freundlich empfangen hat. „Ohne die offene Haltung der Kriebitzscher wäre uns das nicht so leicht gefallen“, ist sich Kay Zimmermann sicher. Gerade die älteren Leute verbinden Kindheitserinnerungen mit der Schmiede. „Die Kinder saßen alle in der Schmiede und haben zugeguckt. Und vor dem Haus wurden die Pferde und Ochsen beschlagen.“


Irgendwann möchte Elisabeth Howey auch ihr Atelier in der Scheune einrichten. Zurzeit fährt sie zum Arbeiten noch nach Leipzig. Und das sei gut so: „Muse fällt mir auf der Baustelle schwer. Hier habe ich eher die praktischen Dinge im Kopf. Wenn das Wohnhaus fertig ist, wird das anders. Dann fällt mir ein Stein vom Herzen und darauf freue ich mich total.“


Iris Milde


Vierseithof

Kirchgasse 7,

04617 Kriebitzsch, Thüringen


Das 1.000-Einwohner-Dorf Kriebitzsch liegt in der Nähe von Altenburg.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Service

Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


 
 
Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


1
Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland
2
Monumente Abo



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


3

Newsletter

Lassen Sie sich per E-Mail informieren,

wenn eine neue Ausgabe von Monumente

Online erscheint.

Spenden für Denkmale

Auch kleinste Beträge zählen!

 
 
 
 
0 Kommentare

0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar!

Antwort auf:  Direkt auf das Thema antworten

 
 

© 2023 Deutsche Stiftung Denkmalschutz • Monumente Online • Schlegelstraße 1 • 53113 Bonn