Kleine und große Kirchen 2000 Gotik Interviews und Statements Oktober 2017 T
Seit 2010 leitet Pfarrerin Simone Carstens-Kant das Zentrum Taufe in St. Petri-Pauli in der Lutherstadt Eisleben.
Simone Carstens-Kant wurde 1962 in Stendal (Altmark) geboren. Die verheiratete Pfarrerin hat drei erwachsene Töchter und wirkte schon in Röcken (Geburtshaus Friedrich Nietzsches) und in St. Johannis in Wernigerode (Harz) als Schulpfarrerin. Ihre Tätigkeit in St. Petri-Pauli, Luthers Taufkirche in Eisleben, ist im Rahmen einer Sonderpfarrstelle und hat die Arbeit mit Touristen, Schülern, Konfirmanden, das Angebot von Fortbildungen, die Kulturarbeit in der Kirche und eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit als Schwerpunkte. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hatte die Instandsetzung des gotischen Kirchenbaus 2003, 2007 und 2009 gefördert.
Monumente: Sie sind Pfarrerin in St. Petri-Pauli. Was bedeutet es für Sie, in der Kirche tätig zu sein, die zu Teilen schon in dieser Form bestand, als Martin Luther hier 1483 getauft wurde? Beeinflusst die Authentizität des Ortes Ihr Handeln?
Simone Carstens-Kant: Auf jeden Fall! Zu wissen, dass Martin Luther, dem seine Taufe sehr wichtig war, hier im selben Ritus getauft wurde wie alle Christen vor ihm und alle nach ihm, ist ein schöner Gedanke! Durch die Taufe sind wir alle gleich. Die Taufe verbindet alle Generationen und umschließt wie ein Band die ganze Erde. So ähnlich hat Luther sicherlich auch gedacht.
Monumente: Das Sakrament der Taufe war zu Zeiten der Reformation nicht unumstritten. Welche Position nahm Martin Luther diesbezüglich ein, und wie entwickelte es sich in den evangelisch-lutherischen Kirchen weiter?
Simone Carstens-Kant: Luther wollte, dass Kinder getauft werden. Er wollte, dass niemand in Vorleistung zu Gott gehen muss, sondern die Taufe als Geschenk annehmen kann. Dennoch betont er, dass zum Taufwasser der Glaube kommen muss. Aber eben durchaus erst durch die Taufe oder nach der Taufe.
Im Gegensatz zu heutigen Überlegungen aber war Luther die Absage an den Satan bzw. an das Böse sehr wichtig. Durch seine Taufe fühlte er sich gestärkt im Kampf gegen den Satan. Das benennen wir heute anders, wobei es Diskussionen gibt, ob der Gedanke nicht doch wieder in geeigneter Form aufgenommen werden sollte.
Monumente: In der Taufkirche Martin Luthers wurde 2012 das Zentrum Taufe eröffnet. Was genau muss man sich darunter vorstellen?
Simone Carstens-Kant: Neben der Bedeutung als Gottesdienstkirche der Gemeinde widmet sich die Kirche dem Thema „Taufe“. Dazu ist in den Mittelpunkt der Kirche ein Taufbrunnen eingebaut worden. In ihm ist immer Wasser. Die Besucher werden eingeladen, sich mit der Taufe zu beschäftigen. Sie können der eigenen Taufe gedenken oder sich informieren.
Man kann sich aber auch in dem Taufbrunnen durch Untertauchen taufen lassen.
In meiner Funktion als Pfarrerin für das Zentrum Taufe biete ich Workshops zur Taufe an.
Meine Führungen haben immer auch den Anspruch, die Gäste an die Erinnerung der eigenen Taufe heranzuführen oder die Möglichkeit zu bieten, alle denkbaren Fragen zu stellen. Sie sind Verkündigung.
Monumente: Wird die Ganzkörpertaufe von den Gläubigen angenommen?
Simone Carstens-Kant: Zuerst haben wir immer gesagt: „Auch wenn sich keiner darin taufen lässt, nicht schlimm! Hauptsache, die Besucher fragen nach oder beschäftigen sich mit der eigenen Taufe.“ Inzwischen haben wir in den fünf Jahren über 50 Taufen im Taufbrunnen vollzogen. Das sind vor allem Jugendliche und Erwachsene. Einige kommen extra deswegen aus anderen Landeskirchen zu uns, weil hier diese Form der Taufe in einem klassischen Kirchenraum möglich ist.
Monumente: Regelmäßig wird von Ihnen eine Kinderschlafnacht in der Kirche unter dem Motto „Nachts atmen die Steine“ veranstaltet. Wie erleben die Kinder diese Nächte?
Simone Carstens-Kant: Oh, das ist sehr verschieden. Am spannendsten ist für mich immer, wenn die Kinder ihren Schlafplatz suchen. In den ersten Jahren fanden sich die meisten am Annen-Altar zusammen. Vielleicht weil sie dort so etwas wie Geborgenheit spüren. Zunehmend finden sich aber auch Kinder am Taufbrunnen ein. Strahlenförmig legen sie ihre Isomatten an den Rand. Da achte ich dann schon darauf, dass ich in der Nähe schlafe….
Und vor drei Jahren schliefen wir in der Kirche, als über ganz Deutschland ein schweres Unwetter hinweg zog. An allen umliegenden Häusern zerrte der Sturm. Die Kirchenmauern aber atmeten tief und beruhigend. Das war ein tolles Erlebnis!
Monumente: Das künstlerisch-architektonische Projekt der Umgestaltung von St. Petri-Pauli löste Kontroversen aus. Wie sieht es mit der öffentlichen Akzeptanz sowohl in der Gemeinde als auch bei den Besuchern der Stadt fünf Jahre nach seiner Fertigstellung aus?
Simone Carstens-Kant: Der schönste Satz, den ich gehört habe: „Wissen Sie, wir waren am Anfang ja völlig dagegen. Aber jetzt müssen wir sagen: Es ist gut, dass wir das gewagt haben.“
Nicht alle konnten wir mitnehmen. Das ist traurig. Das hat mit verletzten Erinnerungen zu tun. Oder auch mit dem Gefühl, dass der eigene Einsatz für die Kirche in der schweren Zeit der DDR nicht genügend geachtet wird.
95% der Besucher von außerhalb aber staunen und freuen sich und gratulieren uns zu der gelungenen Gestaltung. Deutlich wird das auch an den regelmäßig steigenden Besucherzahlen.
Monumente: Die Taufkirche Martin Luthers ist Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Mussten Sie vor der Umgestaltung Überzeugungsarbeit leisten?
Simone Carstens-Kant: Zum Glück gab es in der Arbeitsgruppe Menschen, die der Meinung sind, dass eine Kirche immer zuerst als Raum erkennbar sein muss, in dem eine Gemeinde zuhause ist. Dass diese Gemeinde sich natürlich auch ihrer Tradition bewusst ist, darf als zweites in einem Kirchenraum erfahrbar werden. Von daher war es mit den einen leicht und mit anderen schwerer, die Idee umzusetzen. Dabei haben alle auch viel gelernt.
Monumente: Ist die Umwandlung einer „Gemeindekirche“ zu einer „Themenkirche“ ein zukunftsweisender Weg? Sind weitere ähnliche Projekte geplant?
Simone Carstens-Kant: Da die Kirche ja nach wie vor Gottesdienstraum ist, war es keine Umwidmung oder ähnliches. Das Miteinander von Gemeindekirche und multifunktionalem Raum gelingt hervorragend, würde ich aus meiner Erfahrung heraus sagen. Und von daher kann ich nur allen empfehlen: Wenn es etwas Besonderes in Ihrer Kirche gibt, lassen Sie es auch andere wissen! Die Kirchen sind zu schön, um sie nur am Sonntag um zehn zu nutzen.
Hier in Eisleben gibt es derzeit die Überlegungen, in die leerstehende St. Nicolai- Kirche ein Kolumbarium einzubauen. Auch das halte ich für einen richtigen Weg. Fast nichts ist schlimmer als eine langsam zusammenfallende Kirche mitten im Ort.
Monumente: Haben Sie noch weitere Ideen für das Zentrum Taufe in Eisleben?
Simone Carstens-Kant: Thomasmesse, Tauffest, Kunstaktionen, Kino-Nächte, Nachtführungen, Taufseminare für Distanzierte ...
Gut auch, wenn Menschen mit ihren Ideen zu uns kommen und uns anregen. Mal sehen, was daraus dann werden kann!
Monumente: Das Reformationsjubiläum neigt sich dem Ende zu. Sehen Sie einen nachhaltigen Effekt für St. Petri-Pauli?
Simone Carstens-Kant: Taufe gibt es seit etwa 2000 Jahren. Taufe wird es bis zum letzten Tag dieser Erde geben. Damit gehen wir einen wichtigen Schritt weiter als es das Reformationsjubiläum kann. Ich erhoffe mir, dass Gemeinden schon allein wegen der besonderen, schönen und inspirierenden Gestaltung zu uns kommen. Ich erhoffe mir, dass die Freude an der Taufe und am Taufgedächtnis von hier in die Heimatgemeinden mitgenommen wird. Da ist noch viel Platz nach oben.
Die Fragen stellte Beatrice Härig.
Mehr zu St. Petri-Pauli und dem Reformationsjubiläum lesen Sie hier
1. April bis 11. November:
Montag bis Samstag von 10-18 Uhr, Sonntag von 11.30-16 Uhr
12. November bis 31. März:
Montag bis Samstag von 11-15 Uhr, Sonntag von 11.30 bis 13 Uhr
Informationen zum Zentrum Taufe
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
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