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Vom Grabmal zum Grabdenkmal

Kunst der letzten Worte

Irdisches Leben ist vergänglich. Mit Epitaphien sollten unvergängliche Andachtsbilder geschaffen werden. Jedoch leiden vor allem die an Kirchenfassaden angebrachten Grabdenkmäler und auch im Innenraum ist ihre Restaurierung eine Herausforderung.

Wichmann I. soll ein Mann von starkem Willen und scharfem Verstand gewesen sein. Das Dorf Berge im Havelland mit allem, was dazugehört – Gerichte, Zinsen, Jagden, Äcker, Fischereien, Wiesen, Weiden und Wälder –, hatte er als Lehen erhalten. Wieso sollte uns das heute interessieren? Wichmann I. von Hake auf Berge lebte vor etwa 500 Jahren. Es ist eine Grabplatte aus Sandstein erhalten, ein Relief mit seinem Abbild, heraldischen Symbolen und einer Inschrift, die das Interesse weckt. Sie und noch fünf weitere solcher Platten befinden sich an den äußeren Turmwänden der barocken Dorfkirche St. Peter und Paul im brandenburgischen Berge bei Nauen. 


Von dort blicken dem Besucher noch ein weiterer Mann, zwei Frauen und zwei Kinder entgegen. Die zwei Urenkelinnen von Wichmann I. wurden jeweils nur ein Jahr alt. So tragisch das ist, so hinreißend ist es doch auch, dass Maria und Magdalena Elisabeth, ihre Mutter und ihre Vorfahren bis hin zu eben jenem Wichmann I. nicht in Vergessenheit geraten. Nichts anderes hatten sie ja im Sinn, die Nachkommen wichtiger Persönlichkeiten mit einem gewissen Repräsentationsbedürfnis, indem sie Andachtsbilder zum Gedenken errichten ließen. Epitaphien – Grabdenkmäler, die nicht an die Grabstätten gebunden sind. Sie erzählen Geschichten, für die man sich nicht interessieren muss. Aber denen man sich beim Betrachten kaum entziehen kann, die einem Einblick in die Vergangenheit bieten.

Sechs Epitaphien an der Dorfkirche von Berge (Nauen). Außer Wichmann I. wird hier noch zweier früh verstorbener Kinder gedacht.
© Knut Stritzke Photographie
Sechs Epitaphien an der Dorfkirche von Berge (Nauen). Außer Wichmann I. wird hier noch zweier früh verstorbener Kinder gedacht.

Botschaften aus Stein


In der Geschichte der Epitaphien – von lateinisch „epitaphium“, Grabschrift, Gedenktafel – muss man noch etwas zurückgehen. Denn zunächst lagen die Grabplatten auf Boden- oder Hochgräbern. Erst nachträglich, aus unterschiedlichen Gründen, wurden sie ihrem Kontext entnommen und aufrecht gestellt. Pfeiler und Wände von Kirchen boten genug Platz. Es gibt jedoch viele Bodengrabplatten, bei deren Grad der Zerstörung man sich wünschte, auch sie wären besser geschützt worden. Im Laufe des 14. Jahrhunderts lässt sich beobachten, dass die Steinplatten nun bereits für eine senkrechte Position geschaffen wurden. Gerade die figürlichen Darstellungen belegen durch ihre Standposition, dass ihnen schon die Vertikalität eingeschrieben worden war.


Es gibt noch weitere Indizien: Die Bearbeitung der Plattenränder zeigt, ob eine Grabplatte ursprünglich auf einem Boden oder Hochgrab, einer Tumba also, aufgelegen und es abgeschlossen haben muss. Form und Format der Platte geben ebenfalls Aufschluss, ebenso die dann schon spätgotische Baldachinarchitektur über dem Standbild des Verstorbenen. Gelegentlich finden sich auch zwei Grabplatten für dieselbe Person: im Mainzer Dom zum Beispiel. Eine Platte schloss das Grab des 1504 verstorbenen Berthold von Henneberg, eine weitere befindet sich an einem der Kirchenschiffpfeiler (siehe Seite 68). Diese hatte demnach nie die Funktion einer Grababdeckung. Gleiches lässt sich in Mainz für Grabplatte und Epitaph des 1396 verstorbenen Konrad von Weinsberg nachweisen. So kamen seit dem ausgehenden Mittelalter Wanddenkmale und damit auch die Trennung von Grabdenkmal und Grabmal selbst auf.


Repräsentation und Restaurierung


Waren es zunächst Priester, Äbte oder Bischöfe mit ihrem Anspruch auf ein Totengedenken in ihren Kirchen, wuchs in Renaissance und Barock auch das Bedürfnis derer, die zu Lebzeiten Kirchen stifteten oder sonst von einiger Bedeutung waren, dass man ihrer gedachte. Epitaphien als Andachtsbilder wurden zahlreich – und leider oft in ihrer Bedeutung unterschätzt und vernachlässigt. Die am Kirchenäußeren angebrachten Grabdenkmäler sind naturgemäß bis heute besonders gefährdet.

Hochbarockes Wandepitaph des Wolfgang Christoph Schubarth im Kreuzgang des Freiberger Doms.
© Michael Eilenberger
Hochbarockes Wandepitaph des Wolfgang Christoph Schubarth im Kreuzgang des Freiberger Doms.

Aber auch im Kircheninneren stehen die Restauratoren vor besonderen Herausforderungen. Die Pfarrkirche Maria Magdalena in Vilmnitz auf Rügen war von 1609 bis 1860 Grablege der Fürsten zu Putbus. Eine Gruft mit knapp 30 Sarkophagen sowie vier große Renaissance-Epitaphien aus dem sehr frühen 17. Jahrhundert innen an den Chorwänden zeugen von der Bedeutung der hiesigen Adelsfamilie. An der Chorsüdseite befinden sich die Reliefplatten der beiden Gräfinnen von Hohenstein und Eberstein, Mutter und Tochter, gegenüber die zweier Herren zu Putbus, Vater und Sohn, alle vier zu ihren Lebzeiten in Auftrag gegeben. Dass sie wohl nie als Deckelplatten geplant waren, lässt sich an ihrem komplexen architektonischen Aufbau und ihrer Figurenvielfalt ablesen. Zudem blicken alle vier Hauptpersonen in Richtung des Altars. 


Zwar sind diese Epitaphien nicht den Witterungseinflüssen ausgesetzt, wie dies außen angebrachte Grabdenkmäler sind. Jedoch zeigte sich zu Beginn der jüngsten Sicherungsmaßnahmen etwas, das durchaus häufig zu beobachten ist: Die Eisenverankerungen und -teile, unglücklicherweise auch die unsichtbaren, korrodieren und drücken so auf das Gefüge. 


Deshalb wandte man jüngst, zunächst versuchsweise bei einer der Reliefplatten, ein neueres Verfahren zur elektrogalvanischen Korrosionshemmung an und installierte entsprechende Messgeräte. Stromspannung kann Korrosion reduzieren. Sie wird hier erzeugt durch eingebrachte Zinkplättchen, die durch Drähte mit den Eisenelementen verbunden sind. Diese innovative Maßnahme – eine Koproduktion von Büros in München und Berlin – könnte die Demontage der Epitaphien und damit den aufwendigen Ausbau aus der Wand für die Konservierung und Restaurierung verhindern.

Unverkennbar Hochrenaissance: zwei der vier großen Sandsteinepitaphien in Vilmnitz. Eine aufwendige Demontage zur Restaurierung kann vermieden werden.
© Guido Siebert / DSD
Unverkennbar Hochrenaissance: zwei der vier großen Sandsteinepitaphien in Vilmnitz. Eine aufwendige Demontage zur Restaurierung kann vermieden werden.

Auch im Freiberger Dom fanden sich korrodierte Eisenteile, hinzu kamen zementhaltige Ergänzungen aus früheren Restaurierungsmaßnahmen. Und das bei einem solch herausragenden Beispiel des Hochbarock, datiert auf 1710. Es ist das Epitaph von Wolfgang Christoph Schubarth, ein Werk aus dem Umfeld von Balthasar Permoser, ganz der barocken Lust am Vergänglichen verschrieben. Es befindet sich im spätgotischen Kreuzgang des Domes und zeigt einen Aufbau, der nicht mehr viel gemeinsam hat mit den frühen Grabplatten: Über einem Sarkophag, der hier lediglich als Topos dient, als Sinnbild, befinden sich ein Obelisk sowie ein flammendes Kreuz. Ein Putto hält die sogenannte Krone des Lebens und hielt die verloren gegangene Ruhmestrompete. Seitlich schreibt Saturn auf einer Schriftrolle die Vita von Schubarth nieder. Mehr Repräsentation eines gehobenen Bürgers und Andenken also denn Totengedenken für einen Geistlichen, und damit ein gutes Beispiel dafür, wie sich Epitaphien weiterentwickelt haben.


Die Unvergänglichkeit von Epitaphien im Gegensatz zur Vergänglichkeit des irdischen Lebens ist ein Trugschluss. Vor allem die an Kirchenfassaden angebrachten Grabdenkmäler leiden sehr. Bei der Dachsanierung der Dorfkirche von Fermerswalde bei Herzberg in Brandenburg fiel die starke Verwitterung des barocken Doppelepitaphs aus dem 18. Jahrhundert auf. Dessen Rettung gehört zwar nicht zur Dachsanierung, doch es fand sich vor Ort, im Landesdenkmalamt und bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz genügend Unterstützung, sodass vor der geplanten Anbringung des Gerüsts die Notsicherung durchgeführt und das Sandsteinepitaph mit einem Schutzkasten versehen werden konnte. Inzwischen haben die ersten Arbeiten die Gemeinde so motiviert, dass sie nun die Gesamtsanierung ihrer Dorfkirche angehen wollen – inklusive Epitaph. Unerwartete Erkenntnisse während einer Baumaßnahme machen so manches mal eine Verschiebung der Prioritäten nötig. So wie hier in Fermerswalde die Erkenntnis, dass ein Epitaph ein wichtiges bebildertes Zeugnis der Vergangenheit ist.

An der Dorfkirche von Fermerswalde war dieses barocke Sandstein-Doppelepitaph jahrelang der Witterung ausgesetzt.
© Jorinde Bugenhagen / DSD
An der Dorfkirche von Fermerswalde war dieses barocke Sandstein-Doppelepitaph jahrelang der Witterung ausgesetzt.

Und so wird die Kulturgeschichte der Epitaphien oft zu einer Lokalgeschichte. Damit wieder zurück zu Wichmann I. aus dem Havelland: Sich mit ihm, seiner Familie und seinen Nachfahren zu beschäftigen, käme Besuchern der Berger Dorfkirche wohl kaum in den Sinn, wenn sie nicht die steinernen Bildnisse derer von Hake auf Berge vor Augen hätten. In Fermerswalde werden sie nun das konservierte Epitaph außen genauso zu schätzen wissen wie jenes im Inneren ihrer Kirche.


Pracht und Poesie


Hier sind es einzelne Epitaphien, die den Blick in die Vergangenheit ermöglichen. Anderswo sind es oft große Ansammlungen von Grabdenkmälern – in unterschiedlichen Materialien übrigens –, die Geschichte erzählen. In der Kirche St. Marien zu Lübeck beispielsweise berichten zahlreiche Patrizierepitaphien aus der Zeit von 1552 und 1776 von einer stolzen Gemeinde und ihren Protagonisten, die eine Kirche bauten, die den Dom überragen sollte. Umsäumt ist sie von insgesamt 18 Kapellen, teilweise von Lübecker Familien gestiftet, die sie als Grabkapellen nutzten. Darüber hinaus hingen an den Pfeilern der Kirchenschiffe fast unzählige prächtig gestaltete Epitaphien eben jener führenden Bürger. Doch waren die meisten dieser Denkmäler aus Holz. Beim Bombenangriff 1942 wurde die Kirche schwer beschädigt, es sind nur noch die aus Stein gefertigten Epitaphien geblieben.


Die Universitätskirche St. Pauli in Leipzig hingegen kann wieder Epitaphien in Stein, Holz, Bronze oder Gusseisen aus zwei Jahrhunderten, von 1550 bis 1780, präsentieren und damit den Wandel von rein religiösen zu weltlichen und weiter zu akademischen Darstellungen verdeutlichen. Den Zweiten Weltkrieg hatte die 1240 von Dominikanern erbaute Kirche unbeschadet überstanden, jedoch wurde sie 1968 gesprengt. Zahlreiche Ausstattungsgegenstände, darunter etwa 50 Epitaphien, wurden unter schwierigen Umständen eingelagert und ab 2008 dann restauriert. Sie waren teilweise zerbrochen, korrodiert, von Holzwürmern zerfressen oder von Pilzen und Schimmel befallen.

Das barocke Epitaph des 1692 verstorbenen Hartwich von Stiten in der Lübecker Marienkirche.
© Stefan H. Schenk
Das barocke Epitaph des 1692 verstorbenen Hartwich von Stiten in der Lübecker Marienkirche.
Mehr Denkmal als Grabplatte: Epitaph für den 1504 verstorbenen Berthold von Henneberg im Mainzer Dom.
© Bildarchiv Steffens / Ralph Rainer Steffens / Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz
Mehr Denkmal als Grabplatte: Epitaph für den 1504 verstorbenen Berthold von Henneberg im Mainzer Dom.
 

Zum 600. Geburtstag der Universität im Jahr 2009 konnten sie erstmals wieder, nun im Neubau, gezeigt werden. Juristen, Mediziner, Theologen, aber auch baltische Adelige – es ist das bebilderte Gedächtnis der Universitätsgemeinde und ihrer Angehörigen, künstlerisch und geistgeschichtlich höchst wertvoll. Und ein wenig Heilung für den schmerzhaften Verlust der alten Kirche, auch das können Epitaphien leisten. So ist das Epitaph Andachtsbild und, heutzutage, Gedächtnismal zugleich. Und wie auch immer es um den österlichen Glauben an die Auferstehung bestellt sein mag: Den Verstorbenen sollte zumindest ein ehrendes und unvergängliches Andenken zugesichert werden. Für diese Unvergänglichkeit setzt sich die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ein.


Julia Greipl

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