Denkmalarten Kleine und große Kirchen Stile und Epochen Romanik Denkmale in Gefahr Ausgabe Nummer April Jahr 2024 Denkmale A-Z D P S

Denkmal in Not

Klimarisse im Kirchturm

Der Boden unter der Seehauser Kirche St. Paul bewegt sich. Tiefe Risse ziehen sich durch den romanischen Bau. Noch wird analysiert, was geschehen ist. Doch das Bauwerk benötigt sofort eine Notsicherung. Verhelfen Sie dem Gebäude zu neuer Stabilität, bevor es zu spät ist, und retten Sie ein Stück Ortsgeschichte.

Im Turm der romanischen Kirche St. Paul in Seehausen zeichnet seit fast einem Jahr ein kleines, elektronisches Gerät jede Veränderung am Mauerwerk auf. Insgesamt drei längliche Sensoren hängen waagerecht vor jeweils einem der senkrechten Risse, die sich innen wie außen über die gesamte Länge des knapp 17 Meter hohen Turms ziehen. Die elektronischen Messstationen dokumentieren auch kleinste Rissbewegungen. Täglich bekommt Bauingenieur Carsten Sußmann eine automatische E-Mail des Rissmonitors. Nach seinen vorläufigen Berechnungen sei es „nicht fünf, sondern bereits eins vor zwölf“, erklärt er und fügt hinzu: „Es kann immer auch ein plötzliches Versagen geben.“ Dann könne der Turm schon am nächsten Morgen eingestürzt sein.

Frank Münchmeyer und Thomas Leitel vom Förderverein Seehäuser Kirchen, Kirchenbaureferentin Susann Bähre und Pfarrer Lutz Brillinger sowie unser Autor Stephan Kroener (von links) vor der Kirche St. Paul in Seehausen.
© Jens Schulze
Frank Münchmeyer und Thomas Leitel vom Förderverein Seehäuser Kirchen, Kirchenbaureferentin Susann Bähre und Pfarrer Lutz Brillinger sowie unser Autor Stephan Kroener (von links) vor der Kirche St. Paul in Seehausen.

Aus Sicherheitsgründen gesperrt


Noch hört man kein alarmierendes Knacken im Turm der Kirche St. Paul. Idyllisch liegt sie auf einem Hügel im Ortsteil Seehausen der Stadt Wanzleben-Börde bei Magdeburg. Doch ein Aushang in einer Plastikfolie erklärt das Kirchengelände „aus Sicherheitsgründen“ für gesperrt. „Wenn man hier hochkommt, sieht es jedes Mal noch bedrohlicher aus“, sagt Kirchenbaureferentin Susann Bähre, die zusammen mit Pfarrer Lutz Brillinger und zwei Mitgliedern des Fördervereins den grasbewachsenen Weg den Hügel hinaufgeht. „Es gab mal die Tradition, dass jede Konfirmandengruppe einen Baum pflanzen durfte“, sagt Pfarrer Brillinger und deutet auf mehrere Bäume, in deren Erde Schilder mit Namen stecken. 


„Das ist ein Stück Ortsgeschichte“, erklärt Bähre, „denn gerade zu DDR-Zeiten fand hier das kirchliche Leben statt.“ Doch seit 2020 kann die Kirche nicht mehr genutzt werden. Erst beim Näherkommen sind die ein bis zwei Zentimeter breiten Risse erkennbar, die sich an der Ostseite des Turms durch die Biforienfenster bis zum Kirchendach ziehen. „Das ist noch harmlos“, sagt Bähre und führt die Gruppe zur Westseite des massiven Turms. Hier sieht man zwei der Risse von mehreren Zentimetern Breite, an denen Sußmann im Turm das Rissmonitoring installieren ließ.


Die Kirche St. Paul wurde 1148 erstmals urkundlich erwähnt und ist als vollständige Anlage, mit Apsis, Chor, einschiffigem Langhaus und schiffsbreitem Westquerturm, ein Musterbeispiel einer romanischen Dorfkirche. Ein großes, rotes Schild vor dem Kirchhof weist sie als Teil der Straße der Romanik aus, einer quer durch Sachsen-Anhalt verlaufenden Tourismusroute. Sie ist die älteste Kirche in der Magdeburger Börde, einer fruchtbaren, leicht hügeligen Region westlich der Landeshauptstadt. Doch es ist heute eine der trockensten Gegenden Deutschlands. 

Architektonisch ist die Kirche St. Paul als sogenannte vollständige Anlage ein Musterbeispiel einer romanischen Dorfkirche.
© Jens Schulze
Architektonisch ist die Kirche St. Paul als sogenannte vollständige Anlage ein Musterbeispiel einer romanischen Dorfkirche.

Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) und dem Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt war der Fünfjahreszeitraum von 2018 bis 2022 der trockenste in Sachsen-Anhalt seit Beginn der Aufzeichnungen 1881. Der DWD nimmt an, dass die Wahrscheinlichkeit solcher längeren, trockenen Abschnitte größer wird. Von der Klimakrise ist auch der Denkmalschutz betroffen. So musste 2018 die evangelische Kirche im sächsischen Leubnitz-Neuostra geschlossen werden. Die heißen Sommer hatten den Untergrund unter der drittältesten Kirche Dresdens austrocknen und schrumpfen lassen. Das von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) geförderte Gebäude konnte nur mit enormer finanzieller Unterstützung gerettet werden. Ein 13 Meter tiefes Pfahlsystem im Baugrund stabilisiert heute den ebenfalls romanischen Bau.


Rapide Verschlechterung bekannter Risse


Auch unter der neoromanischen Kirche von Druxberge, nur sechs Kilometer Luftlinie von Seehausen entfernt, hat sich seit 2018 der Boden verändert und es ist zu Rissen gekommen. Zumindest mitverantwortlich für dieses Problem der Rissbildung in der Region ist wohl die aktuelle Klimakrise. Bauingenieur Sußmann will sich bei der Ursachenforschung in Seehausen allerdings noch nicht festlegen. „Ich bin da noch im Anamneseprozess“, erklärt er, fügt aber hinzu: „Es hat augenscheinlich mit dem Boden zu tun, aber was die Ursache dafür ist, dass sich der Boden verändert, da bin ich noch vorsichtig.“ Wie ein Mediziner versucht er, anhand eines „Potpourris an Messwerten“ die Diagnose zu stellen. Dafür hat er zusätzlich zum Rissmonitoring eine Feuchtesonde im Boden installiert. Parallel wertet er die Klimamessungen zu Temperatur und Luftfeuchtigkeit aus, um Korrelationen mit dem Fortschreiten der Risse zu erkennen.


„Das Traurige ist ja“, sagt Pfarrer Brillinger vor seiner gesperrten Kirche, „dass sie in den 1990er Jahren wirklich schick und schön zurechtgemacht worden war.“ Anfang der 2000er Jahre machten der Kirche Feuchtigkeitsschäden und wiederkehrende kleinere Risse zu schaffen. Die 2003 errichtete treuhänderische Dr. Hans Rudolf Frank und Ursula Heller-Stiftung stellt Mittel für die regelmäßigen Pflege- und Wartungsarbeiten am Kleinod zur Verfügung. Doch die aktuellen Kosten für die Reparatur der enormen Schäden übersteigt die Fördermöglichkeit der Treuhandstiftung. Sußmann geht davon aus, dass mehrere Faktoren die seit den Dürrejahren einsetzende rapide Verschlechterung der schon früher bekannten Rissbilder begünstigt haben.

BRUCHSTEIN IN GEFAHR: Um die bedeutenden Risse deutlich zu machen, wurde ihr Verlauf per Bildbearbeitung weiß markiert. Die Risse sind im inneren und äußeren Mauerwerk des Turms sowie an mehreren Gebäudeteilen zu erkennen. Besonders gravierend sind die beiden großen Risse an der Westseite, die sich links und rechts von der Dachtraufe bis zum Mauersockel des Turms ziehen. Während sich die Mitte des Turms nicht bewegt, driften die beiden markierten Turmteile nach links und rechts ab.
© Jens Schulze
BRUCHSTEIN IN GEFAHR: Um die bedeutenden Risse deutlich zu machen, wurde ihr Verlauf per Bildbearbeitung weiß markiert. Die Risse sind im inneren und äußeren Mauerwerk des Turms sowie an mehreren Gebäudeteilen zu erkennen. Besonders gravierend sind die beiden großen Risse an der Westseite, die sich links und rechts von der Dachtraufe bis zum Mauersockel des Turms ziehen. Während sich die Mitte des Turms nicht bewegt, driften die beiden markierten Turmteile nach links und rechts ab.

Was ihre Spende bewirken kann


  • Sicherungsfestigung pro Quadratmeter 15 €
  • Maueranker pro Stück inkl. Einbau 25 €
  • Zuganker pro Stück 60 €

(beispielhafte Nettokosten)

Mit ähnlichen temporären Mauerankern möchte Sußmann die Bewegung des Turms stoppen und ihn notsichern.
© Jens Schulze
Mit ähnlichen temporären Mauerankern möchte Sußmann die Bewegung des Turms stoppen und ihn notsichern.
 


Korsett gegen den Kollaps


Direkt nach der Wende hatten die Seehäuser nicht nur begonnen, die Kirche St. Paul zu sanieren, sondern auch die nahe gelegene Ruine der St. Laurentiuskirche, die im Kern aus dem 14. Jahrhundert stammt. Die Restaurierungsmaßnahmen an beiden Baudenkmalen wurden umfassend von der DSD gefördert. „Die Laurentiuskirche hatte man zu DDR-Zeiten verfallen lassen“, erklärt Thomas Leitel. „Das Dach war komplett eingestürzt.“ Deswegen verlagerte sich das kirchliche Leben in die Kirche St. Paul. Leitel ist Vorsitzender des Fördervereins Seehäuser Kirchen. Dessen bürgerschaftlichem Engagement ist es zu verdanken, dass die Laurentiuskirche 2012 nach 40 Jahren wieder ein modernes Flachdach erhielt.


Dass man nun erneut mit der Rettung der Kirche St. Paul vor einer Mammutaufgabe zu stehen scheint, schreckt die Seehäuser nicht ab. Sie planen bereits Ausstellungen und Symposien, um beide Kirchen zu öffnen und wiederzubeleben. „Es ist an der Zeit, etwas zu machen“, sagt Bauingenieur Sußmann mit Blick auf den Turm der Kirche St. Paul, „denn sonst führt das irgendwann definitiv zum Kollaps.“ Die erste Maßnahme wird die Notsicherung mit einer temporären Verspannung sein. Dabei sollen dem Turm korsettähnlich mehrere stützende Zuganker eingebaut werden. Erst danach, so Sußmann, könne man sich an die Stabilisierung des Untergrunds machen. Welches Verfahren dabei angewendet werde, entscheide sich in den kommenden Wochen.


Zwar wird sich mit der Herimanus Strabo-Stiftung eine weitere DSD-Treuhandstiftung der Förderung der Kirche St. Paul an der Rettung beteiligen, doch sprengt dies alle finanziellen Möglichkeiten. Helfen Sie deswegen mit Ihrer Spende, die Kirche wieder zu stabilisieren – damit die Zuganker im Turm zu einem Ankerpunkt für die engagierte Gemeinde werden.


Stephan Kroener


www.denkmalschutz.de/denkmal-in-not


Evangelische Kirche St. Paul

August-Bebel-Straße

39164 Stadt Wanzleben-Börde OT Seehausen


Seehausen liegt etwa 30 Kilometer westlich von Magdeburg.

Denkmal in Not

Bitte retten Sie mit uns die Dorfkirche

St. Paul in Wanzleben-Seehausen

Bauingenieur Carsten Sußmann zeigt die großen Schäden an der Westseite des Turms der Kirche St. Paul. Teilweise ist bereits Mauerwerk herausgebrochen.
© Jens Schulze
Bauingenieur Carsten Sußmann zeigt die großen Schäden an der Westseite des Turms der Kirche St. Paul. Teilweise ist bereits Mauerwerk herausgebrochen.
 

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Service

Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


 
 
Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


1
Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland
2
Monumente Abo



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


3

Newsletter

Lassen Sie sich per E-Mail informieren,

wenn eine neue Ausgabe von Monumente

Online erscheint.

Spenden für Denkmale

Auch kleinste Beträge zählen!

 
 
 
 
0 Kommentare

0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar!

Antwort auf:  Direkt auf das Thema antworten

 
 

© 2023 Deutsche Stiftung Denkmalschutz • Monumente Online • Schlegelstraße 1 • 53113 Bonn