Denkmalarten Wohnhäuser und Siedlungen Öffentliche Bauten Städte und Ensembles Stile und Epochen Nach 1945 Ausgabe Nummer Oktober Jahr 2023 Denkmale A-Z T
Was macht ein Denkmal zu einem Denkmal? Landauf, landab beginnt die Denkmalpflege ausgewählte Architektur der 1980er Jahre unter Schutz zu stellen. Bühne frei für dieses mannigfaltige Jahrzehnt mit seinen jungen Denkmaltalenten.
Die Gegenwärtigkeit der Vergangenheit: Die 1980er Jahre sind uns nah und doch entrückt. Viele haben ganz persönliche Erinnerungen an dieses Jahrzehnt, an epochale Ereignisse wie den Mauerfall oder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, doch auch an die Buntheit und Widersprüchlichkeit dieser Ära mit Aerobic, Punks und dem Traumschiff. Und trotz der gefühlten Nähe: Die Zeit der deutschen Teilung gilt als eine abgeschlossene Epoche und ist damit in den Fokus der Denkmalpflege gerückt.
Postmoderne Tendenzen
Vermehrt liegen den Denkmalfachbehörden Zeugnisse dieser Dekade zur Prüfung auf dem Tisch. Etwa aus Frankfurt am Main, einem wichtigen Zentrum postmoderner Architektur. Dort, in einem Sträßchen reihen sich 16 schmale Häuser munter aneinander. Die Rede ist von der Saalgasse, die „zu den bekanntesten Bauprojekten der Postmoderne zählt“, so Dr. Thomas Steigenberger vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen.
„Prominente und heute kaum mehr bekannte Architekturbüros schufen hier Anfang der 1980er Jahre in bunten Farben und abwechslungsreichen Formen ein kontrastreiches Miteinander von Einzelbauten.“ Das Ensemble ist als denkmalwert erkannt. Derzeit überprüft Steigenberger, ob auch einzelne Häuser als Einzeldenkmäler in das Denkmalverzeichnis aufzunehmen sind. Etwa das in der Saalgasse 16 mit seiner Fassade in knalligem Rot und einem auffälligen Glas-Stahl-Erker.
Wie für postmoderne Architektur typisch, deren Prinzipien in den 1980er Jahren international große Wirkung entfalteten, werden an diesem Gebäude Formen aufgegriffen, verfremdet und ironisch interpretiert. Denn nicht allein das bunt-verspielte Bild zählte. Es ging ebenso um Erzählungen hinter den Motiven, um Metaphern und Doppeldeutigkeiten: Der Erker der Saalgasse beispielsweise spielt mit Assoziationen altstädtischer Fachwerkhäuser. In Mönchengladbach ist das Museum Abteiberg, errichtet nach einem Entwurf von Hans Hollein, voll von Anspielungen auf die Architekturgeschichte – zum Beispiel seine verschmitzt-poppige, auf den antiken Theaterbau verweisende Audiovision.
Doch auch jenseits dieser postmodernen Bauten: Die dezidierte
Auseinandersetzung der Architektur mit ihrer eigenen Geschichte, Logik und
Systematik war sehr typisch für die 1980er Jahre. Aufgeführt sei hier
exemplarisch Oswald Mathias Ungers mit seinen geometrischen und archetypischen
Entwürfen. Oder ins andere Extrem gehend: Günther Behnisch und sein
architektonisches Spiel mit Last und Stütze, mit dem scheinbar Instabilen.
Beziehungsreiche Architekturen
„Man tut dieser Zeit unrecht, ihre Architektur auf die postmoderne Säulenthematik zu reduzieren“, sagt Matthias Noell, Professor für Architekturgeschichte an der Universität der Künste Berlin. „So pluralistisch die Gesellschaft damals war, so vielfältig und widersprüchlich sind ihre baulichen Hinterlassenschaften.“ Mit Begriffen wie Spätmoderne, Postmoderne, Dekonstruktivismus oder Hightech-Architektur gibt es Versuche, die große stilistische Bandbreite der 1980er Jahre zu sortieren.
„Die vielen Kategorien können nur Krücken sein. Sie vereinfachen die Komplexität der Zeit und die Verschränkungen der damaligen Positionen“, sagt Matthias Noell, der im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz das Überblickswerk „Tendenzen der 80er-Jahre“ herausgegeben hat.
Doch wo liegt die Gemeinsamkeit in der Vielfalt dieses Jahrzehnts? Verbindende Merkmale finden sich in der Kritik der Moderne mit ihren als unwirtlich wahrgenommenen Stadträumen. Schmucklosen, auf die Funktion fokussierten Bauten wollten die Bauschaffenden und Planer eine kontextbezogene Architektur entgegensetzen. Der Ort und die Geschichte bekamen wieder einen größeren Stellenwert.
Man besann sich auf regionale Eigenarten und Maßstäblichkeit – besonders da, wo es um das Weiterbauen im städtischen Kontext ging. Siehe Saalgasse oder die vielen Bauprojekte der Internationalen Bauausstellung 1984/87 in Berlin (IBA). Statt Tabula rasa zu machen, wurde die Stadt behutsamer repariert. Dabei half die erstarkende staatliche Denkmalpflege. Kleiner Exkurs: 1985 wurde – als Kind ihrer Zeit – die Deutsche Stiftung Denkmalschutz gegründet.
Auch in der DDR versuchte man, die innerstädtische Neubebauung zunehmend an vorhandene Strukturen anzupassen. Mittel zum Zweck war nach wie vor der Plattenbau. Wie im Westen orientierten sich die Planungen nun vermehrt am vormodernen Stadtgrundriss. Abhängig von den lokalen Gegebenheiten gab es – dem Mangel zum Trotz – Neubauten mit roten Klinkerfassaden, Bauschmuck wie Erker oder Giebel. Besondere Vorzeigeobjekte waren etwa die Neubebauung des Nikolaiviertels oder der Friedrichstadtpalast in Berlin. „Diese Kompositionen können durchaus als postmodern bezeichnet werden“, sagt Dr. des. Kirsten Angermann, die an der Bauhaus-Universität Weimar über die Postmoderne forscht.
Häuser mit Ökolabel
Charakteristisch für die 1980er Jahre waren aber nicht nur diese typischen Stilmerkmale. Neben diesen formbezogenen Fragen trieben manche Architekten ganz andere Problemstellungen um, die bis heute nicht an Aktualität verloren haben. Wie lässt es sich umweltschonender bauen und leben? Ölkrise, Waldsterben und Treibhauseffekte bereiteten den Menschen in den 1980er Jahren große Sorgen – die ökologische Bewegung gewann an Bedeutung. Als Resultat zog 1983 die Partei der Grünen in den Deutschen Bundestag ein und grüne Ideen in Architekturentwürfe.
Besonders im Wohnungsbau gab es Ansätze, umweltfreundlicher zu bauen. Auf der IBA wurden diese Prinzipien im großstädtischen Rahmen erfolgreich erprobt. Aber auch auf dem Land finden sich aus dieser Zeit zahlreiche Häuser, die mit Gründächern, umweltfreundlichen Farben, Holzbau, Mülltrennung oder Photovoltaikanlagen Maßstäbe setzten. Ein Beispiel ist die denkmalgeschützte Siedlung Schafbrühl in Tübingen. Hier wurden ökologische Prinzipien im Mietwohnungsbau angewendet.
Die Architekten legten viel Wert auf
die Verwendung natürlicher Baumaterialien und organische Baustrukturen, auf
viel Grün anstelle von Versiegelung, auf viele Gemeinschaftsgärten mit
heimischen Pflanzen anstelle exotischer Koniferen. Manch einer belächelte diese
ökologischen Initiativen – so wie den Fernsehmoderator Peter Lustig mit seinen
Recycling-Objekten und selbst gezogenen Biotomaten. Heute schätzt man diese
alternativen, innovativen Objekte als Vorreiter ökologischen Bauens.
Einzelne Paradebeispiele stehen heute schon unter Schutz, andere warten noch auf das Rampenlicht. So wie viele andere Denkmaltalente der 1980er Jahre noch im Verborgenen schlummern. Die Denkmalfachämter sind dabei, sie zu finden – und MONUMENTE ist ihnen dabei auf den Fersen.
Amelie Seck
TALENT MONUMENT
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0228 9091-250 oder: www.denkmalschutz.de/talent-monument-bestellen
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