Menschen für Monumente Menschen für Denkmale Interviews und Statements Ausgabe Nummer Juni Jahr 2022 Denkmale A-Z D
Wer wissen will, wie man Schüler dazu bringt, sich für die Geschichte ihrer Umgebung starkzumachen, ist bei "denkmal aktiv" an der richtigen Adresse.
Es ist schon eine Weile her, dass das Lichtspieltheater der Jugend ein Treffpunkt für junge Menschen war.
Das Kino von 1955, im Zentrum in Frankfurt an der Oder, stand seit 1998 leer und verkam zur Ruine.
„Ein wunder Punkt, mitten in der Stadt“, findet Dr. Dieter Freudenberg, der 2012, als frisch pensionierter Architekt, in Berlin an einer Tagung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) zum Thema Schule und Denkmal teilnahm. Dort lernte er das Schulprogramm „denkmal aktiv“ der DSD und den Frankfurter Kunstlehrer Winfried Bellgardt (heute 59) kennen. Man sprach über das Kino, wie man es erhalten und wieder mit Leben füllen könne. Bereits im Frühjahr 2013 hatten die beiden Zufallsbekannten die Bewerbung für denkmal aktiv eingereicht und am Karl-Liebknecht-Gymnasium eine Arbeitsgemeinschaft (AG) gegründet.
Tom Berthold (heute 23) war damals in der neunten Klasse. Ihn überzeugten der „gute Mix aus Geschichte, Politik und Kunst“ und das Team mit Bellgardt als Lehrer und Freudenberg als Fachberater. „Das hat sich gut ergänzt, alle fanden die AG und die Arbeit am Lichtspieltheater toll“, sagt Berthold rückblickend. In der Zeit sei für ihn deutlich geworden, wie nachteilig es sei, wenn Denkmale „zu Ware, zu Spekulationsobjekten“ werden. Die durch „denkmal aktiv“ gewonnene Erkenntnis, auch als junger Mensch etwas bewegen zu können, wurde zum Ausgangspunkt für seinen bis heute andauernden ehrenamtlichen Einsatz. Auch Friederike Lehmann (heute 23) machte die interessante Erfahrung, dass Entscheider „jungen Menschen eher kein Nein zum Erhalt historischer Bausubstanz entgegenhalten würden“. Freudenberg bestätigt: „Ich hatte immer im Sinn, dass Schüler das einmal brauchen könnten im Leben: Wenn man etwas will, lohnt es sich, sich dafür zu engagieren.“ Und die Anstrengung war es wirklich wert: Es gibt mittlerweile zahlreiche Mitstreiter, und die Kino-Ruine wird saniert und zum Kunstmuseum umgebaut.
Dies ist nur eines von bislang etwa 1.400 Projekten des Programms „denkmal aktiv – Kulturerbe macht Schule“ der DSD. Vor zwanzig Jahren ging es an den Start, mehr als 25.000 Schüler haben seither daran teilgenommen, um die Welt der Denkmale und den Denkmalschutz kennenzulernen. Dr. Susanne Braun, Programmleiterin von „denkmal aktiv“, sagt im Gespräch (siehe Kasten Seite 45): „Denkmale sind großartige außerschulische Lernorte. Sie bieten unglaublich viele Möglichkeiten.“
Projekte von „denkmal aktiv“ sind vielfältig. Ihr Kern aber ist, dass sich Schüler und Lehrer während eines Schuljahres, zum Beispiel im Rahmen einer AG, intensiv mit einem Denkmal auseinandersetzen. Sie erkunden das Objekt und sammeln Informationen, den Abschluss bildet eine Präsentation. So können die Gruppen beispielsweise Prospekte, Plakate, Hörführer oder Ähnliches entwickeln. Und, besonders wichtig: Schüler lernen verschiedene Berufsfelder kennen.
Das sieht auch Lehrer Bellgardt so, der einen weiteren Aspekt ergänzt: Weder in den Lehrmaterialien noch in den Lehrplänen sei das Thema Denkmal vorgesehen. Umso wichtiger ist das umfangreiche Material, das die DSD, zusätzlich zur finanziellen Förderung, den Teilnehmern zur Verfügung stellt.
Schüler können etwas bewegen
Vom äußersten Osten Deutschlands in den Westen – nach Aachen. Auch hier brachte ein denkmal-aktiv-Projekt Schüler und Lehrer zum Nachdenken über ihre Umgebung. Dass die Aachener nicht bloß in ihrem Wasser gekurt, sondern es auch zur Herstellung von feinem Stoff verwendet haben, das faszinierte den Lehrer für evangelische Religion Jochen Buhren (65), seit er 1992 nach Aachen gezogen war. Seine Vorliebe für Geschichte entwickelte sich zu einem Interesse für die fast schon untergegangene Aachener Tuchindustrie. So wurde mit ihm das Kaiser-Karls-Gymnasium 2002 zu einem der ersten denkmal-aktiv-Teilnehmer überhaupt. Zahlreiche Schüler beschäftigten sich seitdem in den AGs von Buhren mit dem Aachener Kulturerbe.
„Meine Freunde aus dem Unterricht bei Herrn Buhren haben mich damals zur AG-Teilnahme überredet“, erzählt Dr. André Zambanini (heute 37), einer der Schüler aus dem ersten Jahr. „Ich finde vieles interessant, aber vor allem Zusammenhänge haben mich schon immer besonders fasziniert“, erklärt der Physiker Zambanini heute seine damalige Motivation. Dieses Interesse alleine hätte vermutlich nicht ausgereicht, wenn nicht die „persönliche Ebene“ mit Buhren als Lehrer so gut funktioniert hätte. „Seine Leidenschaft, seine Lust auf Entdeckungen, auf Erlebnisse, das hat sich auf uns übertragen.“ Und so blieben Zambanini und seine Freunde der AG weit über das Abitur hinaus treu: Mittlerweile gibt es ein Museum zur Aachener Tuchindustrie. Ohne die Arbeit der denkmal-aktiv-Gruppen, die Buhren 17 Jahre lang geleitet hat, wäre es dazu möglicherweise nicht gekommen.
Engagement und die Rolle der Jugend
Mindestens drei Eigenschaften des Schulprogramms „denkmal aktiv“ kristallisieren sich zwischen Aachen und Frankfurt (Oder) bereits heraus: Engagement lohnt sich, Lernen am Denkmal wirkt nach, und die Rolle der Jugend beim Denkmalschutz ist oft unterschätzt. Nachfrage deshalb bei Susanne Braun. „Ich bin fest überzeugt vom Lernen am Denkmal“, bekräftigt sie. Schüler erlebten, dass sie partizipieren könnten, sie fänden die große Welt an kleinen Orten. Und sie könnten sich austauschen über Unterschiede. „Insofern hat die Arbeit am Denkmal sogar auch integrativen Charakter.“
Weiterreise
durch zwanzig Jahre „denkmal aktiv“, es geht über Porta Westfalica an der Weser
nach Sinsheim im Kraichgau. In beiden Städten kümmerten und kümmern sich
Schüler und Lehrer in AGs und darüber hinaus seit gut 15 Jahren um das jüdische
Erbe ihrer Heimat. Der inzwischen pensionierte Lehrer Karl-Wilfried Pultke
(heute 70) hatte 2007 an der Gesamtschule Porta Westfalica die Schul-AG
„Jüdischer Friedhof Hausberge“ übernommen, für die er sich erfolgreich um
Teilnahme an denkmal aktiv bewarb. Er kannte den Friedhof, die Einzigartigkeit
des dortigen Urnenmausoleums wurde ihm allerdings erst bewusst. Es begann eine
bis heute andauernde Verantwortung für das Gelände mit Grabplatten und dem
Mausoleum, die nicht nur die gärtnerische Pflege, sondern auch die historische Dokumentation
sowie die Vermittlung an Interessierte umfasst. Pultkes Arbeit geht immer noch
weit über die einer AG-Leitung hinaus. Und so organisierte er 2013 eine
Studienfahrt nach Auschwitz, die ohne die AG wohl kaum initiiert worden wäre.
Pascal Conrad (20) ist einer der Schüler, die auch heute noch, 15 Jahre nach dem ersten Efeurückschnitt, aktiv sind. Er engagiert sich, denn „überall sind Spuren von Geschichte, teilweise total unscheinbar. Oft ahnt man gar nicht, was dahintersteckt.“ Darauf möchte er aufmerksam machen und Bewusstsein schaffen dafür, „dass auch hier, in der eigenen Heimat, Verbrechen an Juden stattgefunden haben“. Pascal steht im Abitur, aber er wird sich weiter kümmern, er wird seinem früheren Lehrer Pultke helfen, Schüler anzuleiten, den Friedhof in der Öffentlichkeit präsent zu halten. Dabei kann er sich auch der Unterstützung der DSD sicher sein, die die Sanierung des Mausoleums bereits im Rahmen des Förderprogramms unterstützt hat.
„denk mal und werde aktiv“
Ganz ähnlich ist es in Sinsheim, wo die denkmal-aktiv-AG „Jüdische Kulturdenkmäler“ aus dem Schulleben am Wilhelmi-Gymnasium nicht mehr wegzudenken ist. Die Geschichts- und Religionslehrerin Jutta Stier (63) nahm 2004 erstmals am Schulprogramm denkmal aktiv teil. Karina Slunkaite (heute 25) war seit 2010, als sie in der achten Klasse war, eine der AG-Teilnehmerinnen, die sich bis zum Abitur und darüber hinaus engagierten. Natürlich stehe der Erhalt der Synagoge in Sinsheim-Steinsfurt im Vordergrund, die Durchführung der jährlichen Gedenktage, die Erinnerung an die jüdische Bevölkerung. Vor allem dadurch, sagt sie, sei sie besonders sensibel geworden für Rassismus und Rechtsradikalität. Aber die Gruppenarbeit am Denkmal habe mehr geleistet: „Die denkmal-aktiv-AG hat mich als Menschen gebildet, mir Selbstvertrauen gegeben. Ich habe gelernt, wie ich einstehen kann für Dinge, die mir wichtig sind“, sagt Slunkaite heute.
Wenn sie
so etwas hört, hat Lehrerin Stier ihr Ziel erreicht. Sie erklärt: „Ich gebe den
Impuls, statte die Schüler mit Persönlichkeitsmerkmalen aus, begleite sie und
lass mich auch von ihnen leiten.“ Für sie sei es besonders wichtig, Kompetenzen
bei den Schülern zu aktivieren, die eher im „außerschulischen Bereich liegen,
die im System Schule nicht gefragt sind“. Sie begleite die jungen Menschen, die
in der Gruppe nicht in Konkurrenz zueinander stünden, sondern gemeinsam ein
Vorhaben realisieren möchten. Und das täten sie hier, ungeachtet ihrer Herkunft
und ihrer schulischen Leistungen. „Junge Leute präsentieren sich in einer
erwachsenen Welt. Das geht nur in einer Gruppe, in der man sich wohlfühlt“,
sagt Stier. So füllt sie nicht nur die Synagoge regelmäßig mit Leben, sondern
auch den Namen des DSD-Schulprogramms, den sie so umgeschrieben hat: denk mal
und werde aktiv.
Aktiv
werden müssen alle Lehrkräfte, die denkmal-aktiv-Projekte leiten, vor allem
immer wieder selbst. Denn hat eine Schule bereits einmal am Schulprogramm
teilgenommen, ist jede weitere Teilnahme nur in Zusammenarbeit mit einer
zweiten Schule möglich. Und auch die Stiftung bleibt aktiv, denn was vor
zwanzig Jahren mit der Förderung von Schuljahresprojekten begann, hat sie
weiterentwickelt. So gibt es, sozusagen zum zwanzigsten Geburtstag und zur bestandenen Reifeprüfung, im nächsten
Schuljahr eine zweite Förderlinie, mit der ab dem kommenden Schuljahr einzelne
Projektwochen unterstützt werden.
Die Vielfalt der Angebote wird größer, die Kernidee bleibt erhalten: das Kennenlernen eines Denkmals und die intensive Auseinandersetzung mit dem lokalen Kulturerbe. Begleitet und gefördert von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.
Julia Greipl
Vor zwanzig Jahren ging es an den Start und förderte bislang etwa 1.400 Projekte: das Schulprogramm „denkmal aktiv – Kulturerbe macht Schule“ der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Was hat sich verändert, was wird sich ändern? Ein Gespräch mit Dr. Susanne Braun, DSD.
Frau Dr. Braun, warum sollten Schüler und Lehrer das Klassenzimmer verlassen und sich für alte Steine interessieren?
Weil Denkmale ganz wunderbar dazu geeignet sind, Lerninhalte anschaulich, anwendungsorientiert und spannend zu vermitteln. An ihnen wird unsere Geschichte greifbar, und es wird verständlich, warum wir diese baulichen Zeugnisse erhalten und was gesellschaftliche Verantwortung bedeutet.
Welche Fächer bieten sich dafür an?
Es ist nahezu der gesamte Fächerkanon, der gesellschaftliche oder naturwissenschaftliche Themen
vermitteln kann. Darauf zielt beispielsweise auch die aktuelle Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ab, die die Beschäftigung mit schädlichen Umwelteinflüssen auf Denkmale in den Mittelpunkt stellt.
Wie hat sich denkmal aktiv in den vergangenen zwanzig Jahren entwickelt?
Inhalt und Ziel des Programms sind gleich geblieben, und auch die Deutsche UNESCO-Kommission begleitet uns nun schon von Beginn an als Schirmherrin. Besondere inhaltliche Akzente setzen auch unsere Partner, die das Förderprogramm ideell und finanziell unterstützen. Parallel zur Förderung von Denkmalprojekten hat die DSD viele Materialien herausgegeben, die das Denkmal als Lerngegenstand erschließen und den Lernort Denkmal weiter stärken.
Gibt es ein Geburtstagsgeschenk für denkmal aktiv?
Ja, das gibt es. Die DSD hat ihr Förderangebot ergänzt und unterstützt nun auch zeitlich komprimierte schulische Annäherungen an ein Denkmal im Rahmen einer Projektwoche. Die Projektwochen vermitteln sozusagen zwischen der Förderlinie für Schuljahresprojekte und den Unterrichtsmaterialien zum Lernen am Denkmal.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützt vom Hochwasser betroffene Denkmaleigentümer mit einem umfangreichen Nothilfeprogramm.
Ein knappes Jahr nach der Hochwasserkatastrophe sind die Schäden weiterhin immens. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat darauf reagiert und das Mobile Team Fluthilfe gegründet.
Am Heimersheimer Bahnhof im Ahrtal kommt Hilfe aus vielen Richtungen an, manchmal auch ganz unverhofft.
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