Wie die 1960 erbaute Kirche Zum Guten Hirten in Friedrichshafen zu ihrer ungewöhnlichen Form kam, verdankt sie auch ihrer kurzen, aber bewegten Geschichte.
Es sei ein „mutiger Schritt“ gewesen, meinte rückblickend der Stuttgarter Architekt Wilfried Beck-Erlang, als sich die katholischen Entscheidungsträger der Bodenseestadt Friedrichshafen, Stadtpfarrer und Kirchenstiftungsrat, auf seinen „neuartigen Kuppelvorschlag“ eingelassen hätten: „Ich konnte mit dem Argument überzeugen, dass der Schalenbau wie zwei behütende Hände übereinander Geborgenheit und Zuflucht im hektischen Leben bieten würde.“
Zwei Komponenten aus Beton bilden die Kirche Zum Guten Hirten. Eine gigantische Muschel, einem riesigen Schildkrötenpanzer gleich, wölbt sich über den Gebetsraum auf achteckig asymmetrischem Grundriss. Hinter dem Hochaltar ragt die zweite, am oberen Ende wie ein Hirtenstab gekrümmte Mauerschale über den Kuppelbau hinaus und bildet den „Turm“ mit freiliegendem Glockenstuhl. Als die Kirche 2006 unter Denkmalschutz gestellt wurde, geschah dies, um ein „herausragendes Beispiel für die zu neuen Raumschöpfungen aufbrechende Sakralkunst der frühen sechziger Jahre“ zu würdigen.
Überliefert ist neben der Selbstauskunft des Erbauers noch eine weitere, weniger poetisch anmutende Deutung der Architektur. Diese sieht darin keine beschützenden Hände, sondern einen Luftschiffhangar und verweist damit auf Friedrichshafens Tradition als Geburtsort der Zeppeline.
Die Stadt erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Zustrom von Vertriebenen ein rasantes Wachstum. Neubauquartiere entstanden, so auch in den 1950er-Jahren die Siedlung Löwental unweit des Flugplatzes am nordöstlichen Stadtrand. Dass die hier lebenden Katholiken eine eigene Kirche benötigten, war von Anfang an im Gespräch.
Bei der Einweihung eines Altenwohnheims im nahegelegenen Kressbronn saß der Vorsitzende des Friedrichshafener Kirchenstiftungsrats 1959 zufällig neben Beck-Erlang, dem verantwortlichen Architekten. Dieser, damals ein Mittdreißiger, hatte schon zwei andere Gotteshäuser entworfen, als erstes 1953 St. Bonifatius in Metzingen. Er würde gerne wieder einmal eine Kirche bauen, soll Beck-Erlang geäußert haben. Man wurde sich einig. Im Mai 1960 wurden die Fundamente gelegt, zwei Jahre später weihte der Bischof von Rottenburg die neue Kirche.
In ihrer Ursprungsgestalt leuchtete sie in blendendem Weiß. Die Farbe war auf den nackten Beton aufgetragen, doch dem schönen Bild war keine Dauer beschieden. Baumängel traten bald zutage, Risse bildeten sich in der Kuppel, und schon zwei Jahre nach der Weihe war die Kirche Zum Guten Hirten ein Sanierungsfall. Zwischen 1964 und 1968 wurde unter anderem die Betonkuppel mit der lamellenartig strukturierten, schützenden Kupferhülle verkleidet, die bis heute das Erscheinungsbild prägt.
Als Schauplatz eines spektakulären Unglücks geriet die Kirche vier Jahre später in die Schlagzeilen. Im Anflug auf die nahegelegene Landebahn stürzte am 15. Juli 1972 eine Kleinmaschine ab, bohrte sich in die Kuppel und explodierte. Alle drei Insassen starben. Fünf Monate dauerte die Wiederherstellung des angeschlagenen Gebäudes.
Im Jahr 2010 wurde der Innenraum umgestaltet und der Fußboden aus Stirnholzparkett komplett erneuert. Die bislang jüngste, von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz geförderte Sanierung, betraf die Fassaden aus Buntglas, Stahl und furniertem Pressholz, die sich an vier Seiten in die Krümmung des Betongewölbes schmiegen. Sie bestehen aus lamellenartig angeordneten, zwischen vier und elf Meter hohen Fensterbahnen. Von September bis Januar wurden die an vielen Stellen schadhaften Metall- und Holzteile der Rahmenkonstruktion ausgebaut und restauriert, brüchiges Glas erneuert. Auch wenn sich die Idee des Architekten von den Händen optisch zum Schildkrötenpanzer gewandelt hat – die Menschen in der wiederhergestellten Kirche befinden sich unter einem schützenden Dach.
Winfried Dolderer
Zum Guten Hirten, Lilienstraße 5, 88046 Friedrichshafen
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