Städte und Ensembles Nach 1945 Design Juni 2017
1957 von Theo Pabst erbaut, ist die Darmstädter Kunsthalle ein wichtiges Beispiel der Nachkriegsmoderne, das mit dem Geist der vorausgegangenen Jahrzehnte bricht.
Hier hört außen erst innen auf und innen reicht bis nach außen: Die Architektur der Darmstädter Kunsthalle trennt nicht zwischen der Welt der Kunst und dem Alltag auf der Straße. Große Glasflächen entfalten eine Sogwirkung, ziehen wie Schaufenster die Blicke der Passanten in den Raum, während die Besucher sich scheinbar im Freien bewegen.
Nach den Plänen von Theo Pabst 1956/57 errichtet, gehört die Darmstädter Kunsthalle zu den ersten Ausstellungsgebäuden, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland entstanden. Zuvor hatte als erstes komplett neues Ausstellungshaus der Nachkriegszeit das von Rudolf Schwarz entworfene Wallraf-Richartz-Museum in Köln – heute Museum für Angewandte Kunst – Furore gemacht. So wie Schwarz die Kreuzgang-Ruine des Minoritenklosters in seine Architektur integrierte, stellte sich Theo Pabst der Herausforderung, den verbliebenen Rest der alten kriegszerstörten Kunsthalle in seinen Bau mit einzubeziehen und außerdem einen markanten Platz zu gestalten. Er besetzt eine Stelle, die seit dem 19. Jahrhundert als Eingang zur Stadt fungiert und nach wie vor Gegenstand städtebaulicher Planungen ist, bei denen sich aktuell der Kunstverein besonders engagiert.
Entstanden ist der Stadtraum unter Großherzog Ludewig I. (1753–1830), der seine zu klein gewordene Residenz durch Hofbaudirektor Georg Moller nach Westen erweitern ließ. In großzügigem Raster und mit einheitlichen klassizistischen Fassaden gestaltete dieser den Stadtteil, der immer noch seinen Namen – Mollerstadt – trägt. Schnell verlagerte sich das gesellschaftliche Leben in das 1817 fertiggestellte Areal. Eine Hauptachse bildet die Rheinstraße, die als Prachtboulevard angelegt vom Schloss und dem Luisenplatz in der Mitte der Stadt bis zum Rheintor im Westen führte. Jeder, der in die Stadt gelangen wollte, musste das in einen begrünten Promenadengürtel gebettete Entrée mit seinen zwei Wächterhäusern passieren.
Als Relikt des nördlichen Wächterhauses hat eine
Dreierarkade mit zwei roten Sandsteinsäulen die Zeiten überdauert. Sie ist von
Beginn an ein Bestandteil und Erkennungszeichen des Darmstädter Kunstvereins.
Damals noch Kunstverein für das Großherzogtum Hessen genannt, wählte er 1887
den Standort an der Rheinstraße. Das erhaltene klassizistische Wächterhaus, das
die Stadt dem Verein zur Verfügung stellte, ließ er zum repräsentativen
Portikus umbauen, an dessen Rückseite die Ausstellungshalle in Formen der
Neorenaissance entstand.
Gegründet wurde der Verein schon einige Jahrzehnte zuvor, um Malerei und Skulptur jedem Interessierten zugänglich zu machen und das private Sammeln zu fördern. In seinen Anfangsjahren war er progressiv, stellte die Impressionisten aus und zeigte Jugendstil. Außerdem veranstaltete er eine Kunstgewerbeschau, die als Vorläufer der Darmstädter Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe umfassende Raumausstattungen vorstellte. Kaum ins Leben gerufen, lief die Künstlerkolonie, die zukunftsweisende Bau- und Wohnformen entwickelte, wenig später dem Kunstverein den Rang ab, der nun eher die traditionelle Kunstauffassung vertrat. Wenig später hat er sogar „Entartete Kunst“ gezeigt.
Der Zweite Weltkrieg bedeutete die nächste bittere Zäsur:
Nach Bombenangriffen im September 1944 lag die Mollerstadt in Trümmern. Von der
Kunsthalle blieben nur die Außenmauern und der Rheintorportikus. Noch bevor der
Wiederaufbau der Stadt richtig angelaufen war, taten sich Künstler und
Kunstfreunde ein Jahr nach Kriegsende zusammen, um einen neuen Kunstverein zu
gründen. Mit Unterstützung der Stadt, die dem Verein das alte Gelände wieder
zur Verfügung stellte, nahm die Idee eines neuen Ausstellungshauses Formen an.
Räume für die passende Inszenierung von Malerei mit blendfreiem Oberlicht und
für Skulpturen mit Seitenlicht sowie eine Empfangshalle sollte das neue Gebäude
bieten. Unter den knapp 100 Teilnehmern des ausgeschriebenen Wettbewerbs
erhielt Theo Pabst den Zuschlag.
Der aus Passau stammende Architekt, seit 1948 Professor an der TU Darmstadt, kam mit nur wenigen Materialien aus: Glas, Stahl, Beton, Keramik, Holz und Muschelkalk. Sein offener, klar gegliederter Entwurf ist typisch für die zurückgenommene Formensprache, die er Zeit seines Lebens vertrat. Pabsts Biographie ist, wie die vieler Fachkollegen dieser Jahre, ambivalent. Während der NS-Zeit arbeitete er unbehelligt und erfolgreich. Im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer eingestuft, realisierte Pabst in den 1950er-Jahren vielbeachtete Werke, darunter den ersten Kaufhausneubau nach dem Krieg am Münchener Stachus. Eng arbeitete er mit seinem ehemaligen Studienkollegen Sep Ruf, dem Architekten des Kanzlerbungalows und der ehemaligen Bayerischen Landesvertretung – heute Geschäftsstelle der Deutschen Stiftung Denkmalschutz – in Bonn zusammen. Die Architektursprache der Kunsthalle in Darmstadt verrät Pabsts Nähe zu Sep Ruf. Sie erinnert ebenso an den Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe – den Inbegriff einer internationalen, vom Bauhaus der 1920er-Jahre geprägten Moderne.
Schlicht und transparent gebaut, verzichtet die Kunsthalle auf die erhabenen Ausdrucksformen früherer Museen. Lediglich an den Seiten schließen Keramikfliesen ihr gläsernes Äußeres, das einen geschlossenen Gebäudekern im Inneren umgibt. Dort befindet sich der zentrale, von einem Plexiglasdach überfangene Ausstellungsraum. Die zur Straße gelegene Fensterseite zeigt ein subtiles Wechselspiel vertikaler und horizontaler Linien: Stahlstützen, einst mit Muschelkalk verkleidet, unterbrechen sie in sechs Achsen, während das nach innen weitergeführte Lamellenvordach für Lichteffekte sorgt. Am Boden des Vorplatzes führen Terrazzoplatten das Achsraster der Fensterfront fort und lassen den Raum in Richtung des Rheintorportikus fließen. Diesen letzten Rest der alten Kunsthalle verband Pabst durch einen Gehweg mit seinem Bau, hielt so Vergangenheit und Gegenwart zusammen.
Nur fünf Jahre später fehlte Platz für Ausstellungen und die Verwaltung des gewachsenen Kunstvereins, sodass die Halle nach Pabsts Entwürfen an der Nordseite um einen Vortragssaal und Büroräume erweitert wurde. Wesentlich war ebenso der Eingriff im Süden, wo der Rheintorportikus verschwand. Zuvor hatte bereits die Eingangstür einen Windfang erhalten. Zum 150-jährigen Bestehen des Kunstvereins gewann die Kunsthalle 1987 noch einmal Raum hinzu. Die beiden Pabst-Schüler Hans-Henning Heinz und Edgar Eilingsfeld realisierten einen Erweiterungsbau nach Norden. Ganz im Stil der Zeit wird mit ihm die Kubatur und die Materialität des Ursprungsbaus aufgegriffen, von dem er durch einen gerundeten Lichthof getrennt ist. Auch der Rheintorportikus kam, allerdings in reduzierter Form, wieder zurück, und der einst offene, jetzt als Skulpturengarten genutzte Vorplatz erhielt einen Zaun.
2017 ist die Kunsthalle 60 Jahre alt. Weil sie auch in Zukunft für Menschen und Kunst die richtige Atmosphäre bieten soll, war eine Restaurierung der in die Jahre gekommenen Bausubstanz unumgänglich. Denn Türen und Fensterelemente waren korrodiert, Glasflächen teilweise gesprungen, Muschelkalkverkleidungen verwittert und Keramikfliesen geschädigt. Es drang sogar Wasser durch das undichte Dach ein. In enger Abstimmung mit dem Denkmalamt wurde das Gebäude nach den aktuellen Anforderungen energetisch ertüchtigt, dabei aber sein Charakter bewahrt. 2015 unterstützte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz den Kunstverein mit 150.000 Euro bei der schon ein Jahr zuvor begonnenen Sanierung.
Dass die Kunsthalle jetzt wieder Gäste empfängt, ist vor allem einem Trio zu verdanken: Ruth Wagner, der Vorsitzenden des Kunstvereins und Staatsministerin a. D., Architekt Hans-Henning Heinz, heute ebenfalls Mitglied im Vorstand, und Kunsthallen-Direktor Dr. León Krempel. Sie schätzen den Wert des Denkmals, das sie für nachfolgende Generationen bewahren und mit Leben füllen – durch sehenswerte Ausstellungen zeitgenössischer junger Kunst und vielseitige Kulturveranstaltungen. Und sie haben bereits das nächste große Projekt im Blick: Der Eingang zur Stadt, das Areal rund um die Kunsthalle, soll wieder ein grüner Anziehungspunkt werden.
Heute nimmt man die Rheinstraße vor allem als autogerechte Verkehrsschneise wahr, die den öffentlichen Raum durchtrennt und ihn wenig einladend macht. Das Potenzial des Ortes soll nun ausgeschöpft werden, indem der Pabst-Bau einen würdigen Übergang zum Stadtraum erhält, der optisch wieder zu einem Platz zusammengefasst wird – so wie es in den 1950er-Jahren geplant war. Dazu hatte der Kunstverein Anfang dieses Jahres Anwohner eingeladen, um gemeinsam mit der Stadt, dem Denkmalamt und Architekturbüros Ideen auszutauschen. Die Veranstaltung mündete in einen von der Stadt ausgeschriebenen Wettbewerb im Rahmen des Masterplans 2030. Dieser ist inzwischen entschieden: Der die Kunsthalle umgebende Zaun wird bald verschwinden. Hier und vor dem DGB-Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite werden wassergebundene Kiesflächen, Bäume und Rundbänke aus Muschelkalk eine optische Verbindung schaffen.
Städtebauliche Qualität, die auf Klarheit und Reduktion setzt – ganz im Sinne von Theo Pabst, der gerne Mies van der Rohe zitierte: „Der größte Aufwand der Phantasie ist nötig, um das Einfachste zu erreichen.“
Julia
Ricker
Kunsthalle
Steubenplatz 1, 64293 Darmstadt, Tel. 06151 891184,
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 11–18 Uhr, Do 11–21 Uhr, Sa, So, Feiertage 11–17 Uhr. Ausstellungen, Veranstaltungen und Führungen finden Sie
unter www.kunsthalle-darmstadt.de.
Herausforderung energetische Sanierung
Auf den ersten Blick ist nichts zu sehen: Wo sonst dicke
Dämmpakete energetisch ertüchtigte Fassaden verdecken, hat die Darmstädter
Kunsthalle ihr Gesicht bewahrt. Wärmedämmung fand im Inneren und durch
ausgeklügelte Lösungen an der gläsernen Südfassade statt. Über die
Herausforderungen dieser energetischen Sanierung und seinen Kunsthallen-Anbau
der 1980er-Jahre lesen Sie ein Monumente-Interview mit dem Architekten Hans-Henning Heinz
hier
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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