Denkmale in Gefahr April 2017
Im südbrandenburgischen Lieske hat sich ein Schrotholzhaus, jahrhundertelang typisch für die Bauweise der Sorben in der Lausitz, erhalten – aber sein Zustand ist bedenklich.
Seestrand Lieske – das klingt verlockend. Nach Sommer, Sonne und Sand. Nach Laissez-faire und Seele baumeln lassen. Nach Sorglosigkeit. Und damit nach allem, wofür Lieske in Südbrandenburg zurzeit nicht steht. Noch nicht. Denn viel soll sich ändern in diesem Dorf in der Lausitz. Einen See gibt es erst seit kurzem hier, einen Strand immer noch nicht. Momentan ist der Sedlitzer See am Dorfrand in Flutung. Er gehört zum großen Renaturierungsprojekt des Braunkohlereviers. Eine ganze Seenplatte entsteht in dem Gebiet zwischen Senftenberg, Großräschen und Hoyerswerda. Und mit dem Wasser sollen die Touristen kommen, Ferienhausanlagen sind geplant – auch in Lieske.
Cornelia Schnippa ist in Lieske aufgewachsen, weit entfernt von Gedanken an Ferienhäuser. Das Dröhnen der riesigen Abraumbagger und Kohlestaub bestimmten das Leben in der Gegend – wie in so vielen Familien auf einschneidende Weise. Großvater und Großmutter hatten aus ihren Dörfern ausziehen müssen, denn die gab es kurze Zeit später nicht mehr. Sie trafen sich in Lieske. Sind es andernorts Modernisierungen, Verfall und Kriege, die die Orte um ihre alten Häuser gebracht haben, so ist es in dieser Gegend zusätzlich der Tagebau, der nicht nur Familiengeschichten beherrschte, sondern auch die Schicksale ganzer Dörfer. Und es noch tut: Das Nachbardorf von Lieske wird Teil des nächsten geplanten Tagebaus sein, der in den kommenden Jahren die Region verändern wird.
Vor diesem Hintergrund ist das Straßenangerdorf Lieske mit seinen
rund 80 Einwohnern ein Ort, der im doppelten Sinn bewahrt und gepflegt
werden soll. Nahtlos reihen sich die backsteinverkleideten Höfe auf
beiden Seiten entlang der Straße bis zur hübschen Dorfkirche. Was man an
den steinernen Fassaden nicht erkennen kann: Holzbauten prägten in der
Lausitz lange Zeit die Ortschaften. Nur ein einziges Haus in Lieske
zeigt sich heute noch im ursprünglichen hölzernen Zustand, das in der
Dorfstraße 30. Die meisten anderen sind nach diversen Bränden in Stein
wieder aufgebaut, andere zumindest durch Steinmauern verkleidet worden.
Cornelia Schnippa öffnet das Tor zum Grundstück. Es liegt neben dem ihrer Großmutter, und das ist auch der Grund, warum es in die Obhut ihrer Familie gelangt ist: Die befreundete, später auch umsorgte Nachbarin hat es ihr vermacht. Seit dem Tod der alten Dame 1983 ist das kleine Gehöft mehr oder weniger ungenutzt, steht das Wohnhaus leer. Das sieht man ihm an. Es wirkt wie kurz vor dem Verfall. Die Treppe im Wohnhaus zum Dachboden mit der Räucherkammer steigt nur noch hoch, wer mutig ist.
Und doch hat dieser Hof hinter der Tormauer eine einnehmende Wirkung. Ein einfaches und karges Leben wurde hier geführt, das spürt man. Aber zugleich ein behütetes. Selbst wenn der Ofen in der Großen Stube schon lange nicht mehr wärmt, wenn es durch die Ritzen der Holzbohlen ungemütlich zieht, ist der Ort präsent. Eine Zeitlang befand sich hier die Schule von Lieske. Alles auf dem Hof steht am rechten Platz: die Scheune, das Stallgebäude und das kleine Backhaus. Wohnhaus und Scheune zeigen als Schrotholzbauten authentisch die traditionell-sorbischen dörflichen Bauformen der Region. Stall und Einfriedung sind in Ziegelbauweise ausgeführt und von etwa 1870.
So unscheinbar das in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
errichtete Wohngebäude des Hofes zurzeit wirken mag, für Forscher hält
es nicht zu überschätzende Informationen bereit. Schon drei
Diplom-Arbeiten von Studierenden der Fachhochschule Potsdam wurden über
das Schrotholzhaus verfasst. Sie untersuchten die Holzbohlen und die
Standsicherheit, entwickelten Erhaltungsmaßnahmen und erörterten
mögliche Nutzungen.
Das eingeschossige Wohnhaus wurde zum Teil nachträglich mit Lehm versehen, um die Holzbalken, die als Zeichen von Armut galten, zu verdecken. Aus denselben Gründen wurde der straßenseitige Südgiebel verklinkert: Man wollte sich den mittlerweile üblichen Ziegelbauten im Dorf anpassen. Ursprünglich war das Satteldach mit Stroh gedeckt. Nur kleine Fenster beleuchten das Innere, das in einen Wohnteil mit Stube und Kammer und einen Wirtschaftsteil mit ehemaliger Küche, Speicher und Keller aufgeteilt ist. Es ist die typische Quergliederung eines sorbischen Holzhauses aus dem 18./19. Jahrhundert.
Cornelia Schnippa ist tief verwurzelt in der Lausitz. Seit Jahren arbeitet sie als Gästeführerin im Lausitzer Seenland und in Hoyerswerda. Es ist einer von mehreren Jobs, denn davon allein kann man in dieser Gegend – noch – nicht leben. Bei ihren Führungen schlüpft sie manchmal in das Gewand und die Rolle der Reichsfürstin von Teschen, die von August dem Starken als Geliebte die Herrschaft über Hoyerswerda erhielt und viel zu erzählen hat. Gerne würde sie, weg vom schillernden barocken Hofgeschehen, auch das Leben der einfachen Leute in der sorbischen Lausitz darstellen. Ihre Idee ist, den Hof in Lieske als kulturelles Zentrum, als eine Art kleines Freilichtmuseum, herzurichten. Im Unterschied zum klassischen Freilichtmuseum müsste der Hof nicht transloziert werden, sondern könnte an Ort und Stelle seines Entstehens bleiben, eingebettet in sein Dorf. Das zeichnet ihn aus, denn die wenigen geretteten Holzhäuser der Lausitz sind fast nur noch in Museen zu finden. Vorträge über die Sorben, auch Wenden genannt, und zur Geschichte des Lausitzer Seenlands würden den Ort exzellent ergänzen.
Vor Schnippas Augen entsteht ein kleiner Hofladen mit Produkten aus der Region. Ein Café bewirtet im Sommer die Gäste im Innenhof mit Lausitzer Spezialitäten. An einem kalten Wintertag mag dies wie eine Vision aus einer anderen Welt erscheinen, aber: In Lieske hat die Zukunft gerade erst begonnen. Dem See fehlen einige Meter bis zum endgültigen Wasserstand, der Strand ist noch in Planung. Die Ferienhäuser existieren erst auf dem Papier und vom Radwanderweg nur ein paar Kilometer. Aber die Baufahrzeuge sind quasi schon unterwegs, und wenn dann noch die Kleinbahn Seeschlange und das neue solarbetriebene Fahrgastschiff regelmäßig in Lieske stoppen, sollte ein stetes Interesse für den Hof in der Dorfstraße 30 sicher sein.
Die Finanzierung für den Bau der touristischen Infrastruktur in Lieske
steht, die für die Rettung des Holzhauses als größtes Sorgenkind des
Hof-Ensembles leider nicht. Cornelia Schnippa nimmt den Wandel der
Lausitz von der Bergbau- zur Wasserlandschaft an und möchte ihn für das
Gehöft nutzen. Mit ihrer Begeisterung für die Geschichte der Region hat
sie schon viele angesteckt, allen voran ihren Sohn Titus, der in den
Startlöchern steht, um bei der Rettung des Schrotholzhauses mit
anzupacken. Denn es gibt viel zu tun: Feuchtigkeit ist in das Holz
gekrochen, die Grundschwelle an vielen Stellen verwittert, das Haus
teilweise abgerutscht. Die Dachdeckung durch Betonsteine ist zu schwer
für das ursprüngliche Dachwerk. „Zwei Kriege“, sagt Schnippa – und man
möchte hinzufügen, dazu noch Mangelwirtschaft und Tagebau – „hat das
Haus überlebt, dann können wir es jetzt doch nicht in sich einfallen
lassen. Unverzeihlich, diesem Zeitzeugen keine Chance zu geben.“ Es ist
ein Zeitzeuge für eine Landschaft, die sich in einem beinahe
beispiellosen Wandel befindet. Ein Zeitzeuge für Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft gleichermaßen. Helfen Sie uns, dieses wichtige
Stück Lausitzer Geschichte zu retten!
Beatrice Härig
Sich mit
Kultur in der Lausitz zu beschäftigen, bedeutet, sorbische
beziehungsweise wendische Kultur kennenzulernen. Auch im 1474 erstmals
urkundlich erwähnten Dorf Lieske wurde bis ins 19. Jahrhundert sorbisch
gesprochen. Die slawischen Sorben, auch Wenden genannt, sind seit dem 6.
Jahrhundert in der Lausitz im heutigen Südbrandenburg und Sachsen
heimisch. Die Sorben/Wenden zählen heute zu den vier anerkannten
Minderheiten in Deutschland. Ihre Kultur erfährt in den letzten Jahren
wieder vermehrt Aufmerksamkeit und – auch von staatlicher Seite –
Unterstützung. Es gibt mehrere Grund- und Oberschulen, in denen auf
sorbisch/wendisch unterrichtet wird. Einige der christlichen Feiertage,
allen voran das Osterfest, werden mit traditionellen Bräuchen in den
typischen Trachten begangen und gelten mittlerweile als touristische
Attraktion.
Bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts wurden in der Lausitz Gebäude üblicherweise in Holz errichtet. Der Blockbau, hier in Form des Schrotholzbaus, prägte das Bild der sorbischen Dörfer vor allem in der nördlichen Oberlausitz. Als Schrotholz bezeichnet man vierkantig grob behauene Balken. Im Vergleich zum Blockbohlenbau sind durch die abgeflachte Oberfläche des Schrotholzes fugenlose Wände möglich. Auch Kirchen wurden aus Schrotholz errichtet. Eine besondere Form des Holzbohlenbaus ist das Umgebindehaus, bei dem eine die Blockstube umschließende Holzkonstruktion das Obergeschoss trägt. Man kann sich auch beim Holzhaus in Lieske hinter der nördlichen Ziegelwand ein Umgebindegerüst vorstellen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts verwendete man in den sorbischen Dörfern die brandsicheren und „modernen“ Ziegel zum Bauen. Nur wenige, als rückständig empfundene Holzhäuser haben die letzten 150 Jahre überstanden. Ein erhaltenes Schrotholzhauses wie das in Lieske gilt unter Hausforschern als großer Glücksfall.
Informationen
Lieske liegt am Sedlitzer See in 03103 Neu-Seeland, OT Bahnsdorf, etwa 14 Kilometer von Senftenberg entfernt.
Cornelia Schnippa bietet Führungen zur Geschichte der Lausitz an: Elsterstraße 16, 02979 Elsterheide-Tätzschwitz. Tel. 035722 37401. www.lausitzleben.de
Wer sich über die Kultur des Schrotholzbaus in der Lausitz informieren möchte, sollte zum Museumsdorf Erlichthof fahren. Schrotholzhäuser, die dem Tagebau zum Opfer gefallen wären, sind hierhin transloziert worden:
https://erlichthofsiedlung.de/
Sorbische Kultur
Beim Verein Sorbischer Kulturtourismus e. V./Zwjazk za serbski kulturny turizm z.t. gibt es auch Informationen zu Veranstaltungen und Adressen zur sorbischen Kultur in der Lausitz, insbesondere auch zu den Ostereiermärkten und zum Osterreiten.
www.sorben-tourismus.de
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Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
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