Öffentliche Bauten Städte und Ensembles Nach 1945 Material Dezember 2016 K
Das 1960er-Jahre-Ambiente des inszenierten Sozialismus an der Karl-Marx-Allee steht zur Berlinale wieder im Zentrum des Interesses.
Zuschauer, Journalisten, Blitzlicht und laute Zurufe – die Aufmerksamkeit gilt Filmstars und -sternchen, die auf dem roten Teppich posieren. Ihre Bühne für den großen Auftritt: das Kino International in Berlin-Mitte.
Nicht nur an den Tagen der Berlinale, dem internationalen Filmfest, sondern täglich in den Abendstunden scheint der Kubus wie ein Ufo über dem Platz zu schweben. Warmes Lüsterlicht aus der Panoramabar verleiht der übergroßen Fensterfront eine festliche Aura. In altbekannter Weise wird der Hauptfilm noch immer über ein handgemaltes Großplakat angepriesen. Auch die Leuchttafel mit den schwarzen Steckbuchstaben über dem zurückversetzten Eingang fehlt nicht. Ein Flair, wie es Cineasten lieben, und die Berliner Filmbegeisterten ohnehin. Das Kino International an der Karl-Marx-Allee 33 ist eine Institution. Und das schon seit seiner Eröffnung am 15. November 1963.
An der geschätzt ein halbes Fußballfeld breiten Straße in Ostberlin war dem Kinogebäude eine städtebauliche Hauptrolle als Gesellschafts- und Kulturhaus zugedacht. Umgeben von Geschäften und Gastronomie sollte es das Zentrum für die Bevölkerung aus dem umliegenden Wohngebiet und ein attraktiver Treffpunkt sein.
Seit Beginn der 1950er-Jahre betrieb die SED-Staatsführung das Großprojekt, den über drei Kilometer langen, schwer kriegsbeschädigten Straßenzug zwischen Alexanderplatz und Frankfurter Tor zur Prachtstraße der DDR-Hauptstadt auszubauen. Das Kino gehörte zum zweiten Bauabschnitt dieses prestigeträchtigen Unternehmens der jungen Republik.
Den ersten Bauabschnitt der damals noch als Stalinallee bezeichneten Paradestraße vom Frankfurter Tor bis zum Strausberger Platz bestimmten monumentale „Arbeiterpaläste“ in der Formensprache des sogenannten Sozialistischen Klassizismus. Er lehnte sich eng an den von Moskau vorgegebenen „Zuckerbäckerstil“ des Sozialistischen Realismus an, dessen repräsentative Architektur sich durch Verzierungen, Säulen und Turmaufbauten auszeichnete.
Doch die Wohnkomplexe Stein für Stein zu errichten, war teuer und schröpfte die Staatskasse. Zudem mündeten die in nur zwei Jahren unter enormer Anstrengung fertiggestellten Gebäude in den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 mit seinen weitreichenden Folgen. Ein Baustopp mit Planungsänderung war vonnöten.
Im Sommer 1958 wurde vom Groß-Berliner Magistrat der zweite Bauabschnitt auf der Stalinallee zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz beschlossen, und zwar in moderner, sachlicher Plattenbauweise. Diese industrielle Bauweise hatte mehrere Vorteile: Mit ihr konnte die internationale moderne Architektursprache aufgegriffen und gleichzeitig wirtschaftlich-effektiv viel mehr des dringend benötigten Wohnraums geschaffen werden. Außerdem waren die modernen Formen ein klares Bekenntnis gegen die nicht mehr erwünschte stalinistische Bautradition.
Den Zuschlag für ihren Entwurf erhielten unter den sieben konkurrierenden Architektengruppen die Stadtplaner Werner Dutschke und Josef Kaiser. Zum einen, weil sie hinter den achtstöckigen Plattenbauten an der Prachtstraße ein aufgelockertes, zwischen großzügigen Grünflächen eingebettetes Wohngebiet planten. Zum anderen, weil sie für die 1961 in Karl-Marx-Allee umbenannte Hauptachse an der Einmündung Schillingstraße ein städtebauliches Zentrum vorsahen: ein Kino mit Bibliothek und Klub, hinterfangen von dem zehngeschossigen Hotel Berolina, begleitet vom Restaurant Cafe Moskau und der Mokka-Milch-Eisbar und gut zu erreichen durch den U-Bahn-Haltepunkt von 1930. Im Nachgang wurde die Infrastruktur des zwischen 1959 und 1964 unter der Bauleitung von Heinrich Aust ausgeführten Plans mit Ladenpavillons des Stadtplaners Edmund Collein verbessert.
Noch heute ist die solitäre, in sich ruhende Architektur des Kinos ein Blickfang: Freistehend und vor dem Hintergrund des einstigen Hotels Berolina in Szene gesetzt, erregt es in seiner Bauform, seinem Material und dem lebhaften Farbspiel aus Hell und Dunkel Aufmerksamkeit. Eindeutig weist die Bauform seine Funktion als Kino aus und verrät kaum, welche weiteren Elemente der 15 Meter hohe Stahlskelettbau in seinem Inneren vereinte: die 12.000 Bände fassende Bibliothek des Stadtbezirks sowie Klub-, Vortrags- und Sporträume. Sie waren um den Nukleus Kino an der Rück- und an den Längsseiten angeordnet und zum Teil durch Oberlichter erhellt. Vollunterkellert gab es im Gebäude zudem Platz für das Archiv, für Technik- und Sanitärbereiche sowie für einen Luftschutzraum.
Über dem Eingangssockel kragt kühn der eigentliche Kinotrakt mit seiner verglasten Hauptfassade rund neun Meter vor. Die 35 Meter breite Glasfront mit den in Leuchtbuchstaben angebrachten Namen „Kino International“ und der großen, in den goldenen Schnitt gesetzten Filmreklame wirkt anziehend. Den Besuchern bietet sie über dem zurückgesetzten Eingang zugleich ein Schutzdach, unter dem sie mit Muße die sechs Schaukästen betrachten und sich auf ihren Kinobesuch einstimmen können.
Einer Choreografie gleich lenken die einladend breiten Glastüren die Menschen ins Gebäude. Dort passieren sie zunächst die Kassenhalle, dann den Garderobenbereich, der in das in warmen Goldbraun-Tönen gehaltene, sanft schimmernde Foyer übergeht. Nur eine runde Polsterbank steht dort mittig für eine kurze Pause bereit, denn die zwei Treppenaufgänge ziehen den Kinogänger weiter nach oben in die Panoramabar. Der hohe, lichte Raum mit Glasperlenlüstern nimmt die breite Glasfront ein, an der Sitzgruppen stehen. Die Bar ist vor der Rückwand der großen Schautafel platziert, die innen farbig-leuchtende Quadrate schmücken. In diesem Vestibül kann sich der Kinobesucher mit Getränken erfrischen, um dann erwartungsvoll durch zwei Türen in den Kinosaal zu gelangen.
Blaugepolsterte Sitzreihen für 600 Gäste – heute sind es knapp 50 Plätze weniger – sind hinunter zur Bühne mit der breiten und damals hochmodernen Filmleinwand gestaffelt. Verstärkt wird die optische Ausrichtung zur Leinwand, die hinter einem hellen, paillettenglitzernden Vorhang verborgen ist, durch die Akustikdecke. In Wellen schwingt sie sich einem fliegenden Teppich gleich zum „Filmhimmel“ auf.
Ein wahrlich passendes Ambiente für die Uraufführung von Kinofilmen. Denn dies war das erklärte Ziel der SED-Führung, die mit dem Kino nicht nur über den Namen „international“ mithalten wollte. Karten für die Aufführungen waren heißbegehrt und schwer zu bekommen. Die ersten Reihen waren reserviert, und vor allem Reihe 8 bot mit mehr Beinfreiheit Parteispitze und hohen Gästen ein bequemes Kintopp-Erlebnis. Hier feierten auch Filme Premiere, die dann zügig, wie der Film „Die Spur der Steine“, wieder abgesetzt wurden. Es galt, das junge Pflänzchen Sozialismus vor „schädigenden“ Einflüssen zu bewahren.
Bei aller weltoffenen Geste war Sinn und Zweck der gesamten Karl-Marx-Allee, dieser Ideologie Ausdruck zu verleihen. Es versteht sich von selbst, dass sie an ihrem Zentrum, am Kino International, optisch-künstlerisch umgesetzt wurde: Die 47 Meter langen, fensterlosen Seiten und die Rückseite des oberen Bauteils sind vollflächig als Relief gestaltet. In seiner Kontur zeichnet es dynamisch den Kinosaal nach und nimmt damit dem Baukörper seine Schwere. Die Bildhauer Waldemar Grzimek, Hubert Schiefelbein und Karl-Heinz Schamal kreierten aus Betongussplatten das Werk, das explizit als Kunst im öffentlichen Raum angelegt war, wie sie in der DDR-Didaktik der Fünfziger und Sechziger Jahre eine große Rolle spielte. Mit weiß gehaltenen, rautenförmig gesetzten Strukturplatten verliehen die Künstler dem strengen Kubus Lebendigkeit. In die Strukturfläche verteilten sie 14 figürliche Reliefplatten. Unter dem Titel „Aus dem Leben der heutigen Menschen“ erzählen sie mit Optimismus und Lebensfreude vom sozialistischen Alltag. Szenen aus Arbeit und Freizeit, Sport und Kultur künden von einem Dasein, das lebenswerter sein sollte als im Kapitalismus, frei von Drangsal und Ausbeutung.
Das Kino International war ein kulturelles Mehrzweckgebäude, in dem Bankette gegeben und Literaturvorträge gehalten wurden. Für die Jugend war der dort gegründete Oktoberklub ein wichtiger Treffpunkt in Sachen Musik.
Filme wurden bis 1989 uraufgeführt und viele Wochen gezeigt. Sie waren kritisch und unterhaltsam und standen unter dem Argusauge der SED-Kulturfunktionäre, denn bei aller Kunst sollten erzieherische Aspekte nicht verlorengehen. Vorwiegend die Produktionen der DEFA, der DDR-Filmfabrik in Potsdam-Babelsberg, hatten die Auseinandersetzung von Individuum und Gesellschaft im Sozialismus zum Thema. Ihr erfolgreichster Film war „Solo Sunny“ von 1980, in der eine Barsängerin ihr selbstbestimmtes Leben als Rockmusikerin in der DDR sucht. Podiumsdiskussionen mit den Filmschaffenden waren ein fester Bestandteil des Programms. Aber das Kino trug seinen Namen zu Recht: Es wurden Produktionen aus den osteuropäischen Bruderstaaten gezeigt und, weil sich das Haus rentieren musste, auch westliche Filmhits wie etwa Volker Schlöndorffs „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von 1975 oder der 1985 erschienene US-Kassenschlager „Jenseits von Afrika“.
Die neue Zeit kündigte sich 1989 im Kino International mit einem Paukenschlag an: Am Tag, als die Mauer fiel, wurde der Film „Coming out“ vom Vizepräsidenten der Akademie der Künste, Heiner Carow, uraufgeführt – so wie er hatte noch niemand in der DDR das Thema Homosexualität filmisch behandelt.
Dass dem Kino International – 1990 unter Denkmalschutz gestellt – eine Umwidmung oder gar ein Abriss erspart blieb, ist wesentlich der Yorck Kinogruppe zu verdanken, die es 1992 erwarb und mit Feingefühl für die Authentizität des Hauses seither weiter als Premieren- und Programmkino betreibt. Und so stehen nach wie vor die Besucher vor dem verglasten Kassenraum geduldig Schlange. Sie nennen ihre Kartenwünsche und schieben ihr Geld durch den Schlitz. Oder auch die EC-Karte – denn hinter seinem Sechziger-Jahre-Charme ist das Kino International am Puls der Zeit und während der jährlichen Berlinale im Blickpunkt der ganzen Welt.
Christiane Rossner
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