Technische Denkmale Städte und Ensembles Februar 2011 F
Aus der Vogelperspektive betrachtet, sind sie oft sternförmige Gebilde, die uns ihre gesamte baukünstlerische Perfektion offenbaren. Ihre Konstruktion geht auf eine ausgeklügelte und über Jahrhunderte entwickelte Ingenieurstechnik zurück. Dennoch wurden die Festungsanlagen in Deutschland lange Zeit nicht als Kulturdenkmale wahrgenommen und im Gegensatz zu Burgen und Schlössern eher gering geschätzt. Die Festung Ehrenbreitstein ist einer von drei Ausstellungsorten der diesjährigen Bundesgartenschau (BUGA) in Koblenz.
Kälte und Schnee begleiten uns, als wir die Festung Ehrenbreitstein über den Felsenweg erreichen. Es ist die Perspektive des Angreifers, weshalb sich die auf verschiedenen Ebenen am Fels gebaute Anlage mit ihren dicken Mauern und bedrohlichen Geschützscharten wie ein uneinnehmbares Bollwerk präsentiert. Erreicht man das Innere der Festung, so wandelt sich das Bild: Gelb verputzte, klassizistisch anmutende Fassaden mit sparsam eingesetzten Schmuckelementen rahmen den sogenannten Schlosshof. An dieser Stelle zeigt sich der preußische Staat von seiner zivilen, ja eleganten Seite. Denn für die diensthabenden Soldaten sollte die Stätte wohnlich und ansprechend gestaltet sein.
Von hier oben hat man einen herrlichen Blick auf Koblenz mit dem Deutschen Eck sowie auf das Rhein- und Moseltal, für den Touristen schon seit dem 19. Jahrhundert den Felsen hinaufsteigen. Die 1817 bis 1828 auf den Ruinen eines barocken kurtrierischen Vorläufers errichtete Festung Ehrenbreitstein ist heute im Besitz des Landes Rheinland-Pfalz. Sie gehört zu einem ganzen System von Anlagen, das zur Sicherung des Mittelrheintals sowie der Verkehrswege bei Koblenz erbaut wurde. Die preußische Festung besteht auch aus der Stadtumwallung sowie den Forts Konstantin und Asterstein, der Feste Franz und der zerstörten Festung Alexander. Oberhalb der Stadt gelegen, bildeten sie mit ihren kleinen vorgelagerten Verteidigungswerken einen abschirmenden Gürtel. Als eines der größten Bollwerke am Rhein war die bis heute nahezu vollständig erhaltene Festung auf alle damals bekannten Waffenarten ausgelegt. Bis 1918 insgesamt acht Mal verteidigungsbereit gemacht, wurde die preußische Festung jedoch nie angegriffen, erklärt Thomas Metz, Generaldirektor des kulturellen Erbes Rheinland-Pfalz.
Vermutlich ist es die Verflechtung mit unserer militärischen Vergangenheit, weshalb Festungen als Schutz- und Wehrbauten seit der Nachkriegszeit gesellschaftlich kaum akzeptiert, vernachlässigt oder gar beseitigt wurden. Man empfand sie als funktionslos, ihr kunsthistorischer Wert wurde oft nicht gesehen. Als Kasernen, Depots oder Verwaltungsgebäude genutzt, lagen sie noch dazu außerhalb des Blickfeldes einer breiten Öffentlichkeit. Festungen kennen wir heute oftmals nur als von der Natur überwucherte, mehr oder weniger gut erhaltene Bauten oder Fundamente, die nach den Schleifungen in der Vergangenheit - zum Beispiel unter Friedrich dem Großen nach der Mitte des 18. Jahrhunderts, während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags nach 1918 - übriggeblieben sind. Nun werden sie langsam aus ihrem Dornröschenschlaf geholt und positiver bewertet. Man würdigt sie zum Beispiel als Ausgangspunkt der Bauingenieurwissenschaften.
Der Festungsbau beginnt mit der Erfindung von mit Schießpulver gezündeten Kanonen und ihrer explosiven Zerstörungskraft. Sie zwang die Bewohner der seit dem Mittelalter bewohnten Burgen und Städte, ihr Befestigungswesen zu revolutionieren. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sollten zunächst Rondelle und hufeisenförmige Bastionen Schutz bieten. Doch sie hatten einen gefährlichen Nachteil: Es entstanden tote Winkel, die man nicht verteidigen und die der Feind sich zunutze machen konnte. Erst die sternförmige Festung bot eine Lösung des Problems, denn ihre pfeilspitzenartig hervortretenden Bastionen ließen keinen ungedeckten Raum mehr entstehen.
Dieser polygonale Festungstypus entstand in Italien. Er brachte Baukörper mit fünf, sechs, acht oder mehr Ecken hervor. Sie sind so angelegt, dass Kanonenkugeln an ihren Flanken entlangstreichen konnten.
Kennzeichnend für die nach Italienischer Manier gebauten Festungen ist das teure und aufwendig zu verarbeitende Mauerwerk. Angesichts des Dreißigjährigen Krieges traten zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Festungen nach Niederländischer Manier ihren Siegeszug in Mitteleuropa an. Die Wall- und Grabenbauten aus Erde waren günstig, schnell zu errichten und dennoch effektiv. Allerdings bedurften sie der permanenten Pflege, so dass man später wieder zum Mauerwerk zurückkehrte. Mit den sich ständig verbessernden Feuerwaffen wurden die Festungsanlagen weiterentwickelt und perfektioniert. Hatten sie zunächst noch einen defensiven Charakter, nutzte man sie ab dem 17. Jahrhundert, um Belagerungen auf Distanz zu halten und vor allem aktiv und vorhersehbar zu steuern. Der Feind wurde durch zusätzliche Außenwerke auf Abstand gehalten. Wie in Koblenz verlagerte man im 19. Jahrhundert schließlich einen geschlossenen Gürtel von selbständigen Werken, die Forts, noch weiter ins Vorfeld der polygonal umwallten Kernfestung.
Nicht schwere Mauern, sondern die Form ist das Kriterium der Wehrhaftigkeit einer Festung, weshalb ihr Grundriss im Zentrum des Entwurfs steht. Die immer weiter verfeinerte technische und bauliche Ausbildung zeigt sich seit dem 16. Jahrhundert in umfangreichen theoretischen Werken zur Militärarchitektur. Der Festungsbau interessierte fast alle frühneuzeitlichen Universalkünstler. Beispielhaft für ihre Schriften ist Albrecht Dürers Traktat "Ettliche underricht, zu befestigung de Stett, Schloß und flecken", in dem er Festungsarchitektur und utopische Idealstadtplanungen verbindet. In Italien widmen sich Leon Battista Alberti, Leonardo da Vinci sowie Filarete dem Thema. Die Zahl der theoretischen Abhandlungen nahm immer weiter zu und stand in keinem Verhältnis zu den tatsächlich ausgeführten Entwürfen. Neben Architekten, Ingenieuren und Mathematikern publizierten auch fachfremde Laien - oftmals Theologen - ihre eigenen oder auf plagiatorischem Weg erworbenen Vorstellungen zur Festungsarchitektur. Die den Texten zur Seite gestellten Aufsichten und Schnitte in maßstäblicher Wiedergabe legten das Fundament für die Einführung der darstellenden Geometrie in der Architektur, wie sie heute noch gebräuchlich ist.
Die Faszination des Zirkelschlags und der Wunsch nach Symmetrie entsprechen dem Weltbild der Zeit. Festungsbauten konnten nach dem damaligen Verständnis von Architektur als schön gelten, weil sie aufgrund ihrer mathematischen Prinzipien die göttliche Ordnung widerspiegelten.
Für die europäischen Fürstenhäuser war die Kriegswissenschaft, insbesondere der Festungsbau, von großem Interesse und gehörte zur Kavaliersausbildung. Im Laufe seiner 300-jährigen Entwicklung wurde er jedoch mehr und mehr zu einer eigenen Wissenschaft. Es bildete sich der Zweig der Ingenieure heraus, die sich im 18. Jahrhundert in neugegründeten Akademien und Schulen weiter spezialisierten. Auf dem Reißbrett geplant, ließen sich die geometrisch-symmetrischen Festungsentwürfe meist nicht in den lebendigen Organismus der gewachsenen Städte hineinpressen und wurden daher oft nur in abgewandelter Form ausgeführt.
Festungsstädte wie Koblenz lagen an verkehrsgünstigen und strategisch wichtigen Stellen, so dass ein militärischer Einfall abgewehrt und der Feind an der Durchführung seines Kriegsplans gehindert werden sollte. Die Festung Ehrenbreitstein, auf der bis zu 1.500 Soldaten und Wehrpflichtige stationiert waren, gleicht einem in sich geschlossenen System, zu dem auch eine Kirche gehört. Ein komplizierter Verbund aus Mauern, Gräben, Depots und Versorgungstrakten durchzieht die Anlage. Der neue barrierefreie Weg zur Festungsgeschichte wird es zur BUGA erlebbar machen und bisher nicht öffentliche Trakte und sogar Dachbereiche einbeziehen. 42,5 Millionen Euro investiert das Land Rheinland-Pfalz, um die Festung auf Basis neuester archäologischer und historischer Erkenntnisse zu einem kulturgeschichtlichen Erlebnisort zu machen. "Und das noch lange über die Bundesgartenschau hinaus", betont Thomas Metz.
Kletternd erreichen wir eine archäologische Tiefengrabung unter der Großen Traverse am Schlosshof. Dort, wo jetzt noch gearbeitet wird, entsteht rechtzeitig zur BUGA eine bequem zu begehende, dauerhafte multimediale Inszenierung. Sie bringt dem Besucher die 3.000-jährige Befestigungsgeschichte des Felsensporns nahe, die von einer bronzezeitlichen Wehranlage bis zur preußischen Festung reicht.
Durch ein Tor in der Kurtine zwischen Rhein- und Landbastion gehen wir in den retirierten Graben. Je nachdem, von welcher Position aus man auf die umliegenden Bauten blickt, ist man in der Rolle des Angreifers oder des Verteidigers, und sofort ändert sich die Sprache der Architektur. So präsentiert sich der Ravelin den Soldaten in den Kasematten in eleganten Formen. Schaut man aber auf die Bastionsmauern, so ist man in der Rolle des Angreifers im Graben. Gefährlich wirkende Schießscharten verteilen sich in mehreren Etagen über die 2,70 Meter dicken Wände. Ihre Breschbögen erinnern an antikes Ziegelmauerwerk. Sie tragen die Wand und sollten deren Einsturz bei einem Beschuss verhindern.
Nach einem Abstecher in die archäologische Sammlung des Landesmuseums gelangen wir über den Hauptgraben und die Lange Linie zum Turm Ungenannt, wo unter anderem anhand originalgetreuer Szenen der Soldatenalltag in einer bleibenden Ausstellung gezeigt werden wird. Jetzt sind die Räume noch Baustelle. Gerade richtet man das Heizsystem ein, das wie in den übrigen Bereichen der Festung mit Erdwärme versorgt werden soll.
Festungsanlagen zu erhalten, ist eine Herausforderung für die Denkmalpflege. Unterstützt wird sie durch unzählige ehrenamtlich tätige Fördervereine, die sich mit großem Engagement der Instandsetzung von Wehrbauten widmen und deren architektonische Besonderheiten und baukünstlerische Qualität vermitteln wollen. Auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ist sich der Bedeutung der Baugattung bewusst. 2005 hat sie den von ihr bundesweit koordinierten Tag des offenen Denkmals unter das Schwerpunktthema Krieg und Frieden gestellt. Der Ansturm auf Militärbauwerke war in vielen Städten überwältigend. In Köln interessieren sich die Bürger schon seit Jahren für die preußische Festungsanlage der Stadt. Hier findet 2011 bereits zum achten Mal der Tag der Forts statt, an dem sich inzwischen auch Ulm, Mutzig, Straßburg und Luxemburg beteiligen.
Wir verlassen den Kernbereich der Festung Ehrenbreitstein und gelangen auf das Glacis. Vormals als Schussfeld angelegt, ist es nun Ankunftspunkt, Empfangsbereich und, neben den Gräben und Dächern, Ausstellungsgelände der BUGA. Hier endet die aus der Stadt kommende Seilbahn, die drei Jahre lang betrieben werden soll. Danach wird man neu diskutieren müssen, denn unumstritten ist die Seilbahn nicht. Gerade aufgrund ihrer Nähe zur mittelalterlichen Kirche St. Kastor unten am Rhein.
Am Ende des Vorfelds wartet eine Überraschung: Das ehemals einsturzgefährdete Fort Bleidenberg liegt jetzt inmitten eines fröhlichen Spielplatzes. Von der Stadt saniert, ist das gerettete Gebäude ein "buntes Klassenzimmer" geworden, das nach der BUGA von Jugendorganisationen genutzt werden kann. Dass die Architektur von Festungen noch heute überzeugt und durchaus attraktive Möglichkeiten für eine moderne Nutzung bereitstellt, beweisen auch die in den Kasematten eingerichteten Büroräume der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz sowie die inzwischen sanierte, seit Dezember 2010 betriebene Jugendherberge in der Niederen Ostfront am Schlosshof. Sie ist über einen Schrägaufzug von der Landseite zu erreichen, denn die Festung soll autofrei bleiben.
Unter den vielen Festungsanlagen im Land ist Ehrenbreitstein eine Ausnahme: An einem beliebten Aussichtspunkt gelegen und dauerhaft genutzt, konnte das Ensemble über die Jahrhunderte in einem guten Zustand bewahrt werden. Eine ähnliche Aufmerksamkeit verdienen auch die vielen anderen Forts, Werke und Schanzen, darunter die Koblenzer Forts Konstantin und Asterstein sowie die Feste Franz, die seit Jahren von Fördervereinen instand gehalten werden. Jetzt gaben der Bund kofinanziert durch das Land und die Stadt Koblenz im Rahmen des Investitionsprogramms für die deutschen Welterbestätten insgesamt 7,2 Millionen Euro für ihre Sanierung. Vielleicht wird dadurch der Wunsch erfüllt, dass die Bestandteile der ehemaligen Großfestung Koblenz in naher Zukunft als gemeinsamer Festungsgürtel touristisch erschlossen werden. Als Tor zum Weltkulturerbe Oberes Mittelrheintal ist der Ehrenbreitstein schon zu einem Kulturfelsen geworden. In ein paar Wochen sollen zahlreiche Besucher die Festung erobern, in deren Gräben, die man für den Beschuss des Feindes angelegt hatte, dann die Themengärten blühen.
Julia Ricker
Literatur:
Burger, Daniel (Hrsg.): Das Ende der Festungen: Aufgelassen - geschleift - vergessen? Verlag Schnell + Steiner, Regensburg 2009. ISBN 978-3-7954-2299-8.
Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung (Hrsg.): Leben in und mit Festungen. Redaktion: Klaus T. Weber, Verlag Schnell + Steiner, Regensburg 2010. ISBN 978-3-7954-2319-3.
Meynen, Henriette (Hrsg.): Festungsstadt Köln. Das Bollwerk im Westen. Emons Verlag, Köln 2010. ISBN 978-3-8970-5780-7.
Weitere Publikationen zu Festungen und Wehranlagen hat die Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung herausgebracht. www.festungsforschung.de
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
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