Technische Denkmale
Professor Hermann Carl Vogel ist stolz, Kaiser Wilhelm II. nach langer Zeit wieder zu einem seltenen Himmelsereignis einladen zu können. Eine totale Mondfinsternis steht bevor, und Vogel, Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums auf dem Telegrafenberg in Potsdam, weiß, dass Seine Majestät begeistert sein würde, diese direkt am Fernrohr zu erleben.
Mit kleinem Gefolge trifft Wilhelm II. pünktlich am Abend des 15. November 1891 auf dem Telegrafenberg ein. Die Beobachtungskuppel ist einen Spaltbreit geöffnet, und der Refraktor, ein Linsenfernrohr mit 30 Zentimeter Öffnung, ist auf den Mond gerichtet. Die hereinströmende Nachtluft erfrischt die erregten Gesichter. Eine spannungsgeladene Stille breitet sich aus, als der Mond in den Schatten der Erde tritt. Fasziniert beobachtet der Kaiser das Schauspiel und lauscht den wissenschaftlichen Erklärungen Vogels. Der Astrophysiker packt die Gelegenheit beim Schopf und schwärmt davon, wie viel genauer und eindrucksvoller man die Himmelskörper mit einem noch größeren und besseren Fernrohr betrachten und erforschen könnte - es mangele nur an Geld.
Obwohl seine kaiserliche Hoheit ein offenes Ohr für Vogels Wunsch nach einem besseren Teleskop hatte, sollte es noch acht Jahre dauern, in denen heftige Widerstände seitens des preußischen Fiskus zu überwinden waren, bis der Große Refraktor 1899 im größten Kuppelgebäude auf dem Telegrafenberg in Betrieb genommen werden konnte.
Das Teleskop, dessen 110. Geburtstag 2009 gefeiert wird, ist genau genommen ein Doppelrefraktor: Er besteht aus zwei fest miteinander verbundenen Linsenfernrohren von etwa 12 Metern Länge, die, auf einer gusseisernen Säule montiert, auf einem Ziegelpfeiler ruhen. Dieser Sockel ist nicht mit dem Gebäude verbunden, das eine drehbare, holzverschalte Kuppel aus Stahlblech besitzt. Ihr lichter Durchmesser beträgt 21 Meter. Eine mit der Kuppel verbundene, fahrbare Bühne bringt den Beobachter in die erforderliche Position. Das kleinere Rohr mit einem Durchmesser von 50 Zentimetern ist für die Beobachtung mit dem bloßen Auge gedacht, das größere Rohr, das einen Durchmesser von 80 Zentimetern besitzt, war für fotografische Aufnahmen bestimmt. Damit gilt das Instrument bis heute als das viertgrößte seiner Art auf der Welt. Es leistete Pionierarbeit bei der fotografischen Bestimmung von Radialgeschwindigkeiten der Sterne, also von Bewegungen auf den Beobachter zu oder von ihm weg. Mit dieser Methode entdeckte Johannes Hartmann 1904 am Großen Refraktor hochverdünnte leuchtende Gase zwischen den Sternen, die interstellare Materie.
Der Doppelrefraktor war das Hauptinstrument des 1874 gegründeten Königlichen Astrophysikalischen Observatoriums. Die physikalische und chemische Erforschung der Himmelskörper war ein neuer Zweig der Astronomie. Als 1859 der Heidelberger Physiker Gustav Robert Kirchhoff gemeinsam mit dem Chemiker Robert Wilhelm Bunsen die Spektralanalyse entwickelte, reifte der Gedanke, diese auch für die Erforschung der Himmelskörper anzuwenden. Doch dafür brauchte die junge Astrophysik neben der im Jahr 1700 gegründeten Berliner Sternwarte, die auf klassische astrometrische Arbeiten ausgerichtet war, ein speziell ausgerüstetes Observatorium.
Erst nach 1871 konnte es in die Tat umgesetzt werden, als Preußen unter den neuen politischen Bedingungen - vor allem wegen der hohen Kriegsentschädigungen, die Frankreich auferlegt bekam - das Geld für den Bau des Astrophysikalischen Observatoriums aufbringen konnte. Als Standort erwies sich der südlich von Potsdam gelegene Telegrafenberg als ideal. Der dichte Mischwald auf dem nach der Telegrafenlinie zwischen Berlin und Koblenz benannten, knapp 100 Meter hohen Hügel - dort wurde die vierte von 61 Stationen errichtet - sorgt für ein geeignetes Beobachtungsklima ohne nachteilige Erwärmung der Luftschichten.
Mit insgesamt drei Observatorien entstand in Preußen bis zur Jahrhundertwende ein einmaliges Forschungszentrum: das Astrophysikalische Observatorium, das die Beschaffenheit der Himmelskörper erforschte, das Geodätische Institut, das sich mit der Erdvermessung, der Bestimmung der Erdrotation, der Erdschwere, des Erdmagnetfeldes und der Seismologie beschäftigte und das meteorologische Hauptobservatorium, das der Erforschung des Wettergeschehens diente und in dem unter anderem die Zeichensprache der Wetterkarte entwickelt wurde, mit der uns noch heute das Wetter von morgen vorausgesagt wird. Sie alle begründeten das bis zum heutigen Tag weltweit hervorragende Ansehen Potsdams im Bereich der Wissenschaften von Himmel und Erde.
Mit der architektonischen Planung der aufwendigen Observatorien und der dazugehörigen Gebäude wurde der Geheime Ober-Regierungsrat Paul Emanuel Spieker (1826-96) beauftragt. In der Tradition der Schinkelschule entwarf er sie in Ziegelbauweise mit der klaren Formensprache des Klassizismus. Wie in einer kleinen Stadt wurden die Institute mit eigenem Wasser, Gas und später auch eigenem elektrischem Strom versorgt. Es gab Wohnhäuser für die Wissenschaftler, die Bediensteten und das Wartungspersonal.
Eine neue Ära der Sonnenforschung auf dem Telegrafenberg begann 1924 in einem damals hochmodernen Bau: dem Einsteinturm. Das Erstlingswerk Erich Mendelsohns (1887-1953) erregte damals die Gemüter und genießt heute noch wegen seiner reinen expressionistischen Formensprache internationale Aufmerksamkeit. Das einem U-Boot ähnelnde Gebäude birgt ein feststehendes, senkrecht montiertes Linsenfernrohr. Es empfängt Sonnenlicht mit Hilfe eines darüber angebrachten Spiegelsystems, das dem Lauf der Sonne über den Himmel folgt. Durch das Fernrohr gelangt das Licht zur Analyse in den Spektographen, der sich in einem unterirdischen Labor befindet. Mit diesem modernen Instrument für die Sonnenbeobachtung wollte der Astrophysiker Erwin Finlay-Freundlich die Allgemeine Relativitätstheorie, die Albert Einstein 1915 aufgestellt hatte, experimentell nachprüfen. Wegen der damals noch mangelnden Kenntnisse über die Sonnenatmosphäre scheiterte jedoch der Versuch.
Sämtliche Anlagen sind bis heute erhalten und werden, wenn auch nicht mehr mit den alten Instrumenten, von den auf dem Telegrafenberg angesiedelten wissenschaftlichen Instituten genutzt. Das Gelände, das heute den Namen "Wissenschaftspark Albert Einstein" trägt, gilt als ein bedeutendes Denkmalensemble der Technik- und Wissenschaftsgeschichte. Seine Hauptattraktion ist der Große Refraktor. Dass er restauriert werden konnte, ist vor allem dem engagierten Förderverein Großer Refraktor Potsdam e. V. und der Pietschker-Neese-Stiftung, die von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz verwaltet wird, zu verdanken. Der Refraktor und das dazugehörige Gebäude waren im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt worden. Nach Beseitigung der Schäden konnte bis 1968 der Beobachtungsbetrieb fortgesetzt werden. Danach aber verfiel die Kuppel zusehends, und das Teleskop verrostete immer mehr. 1986 begann man mit den ersten Reparaturarbeiten am Kuppelgebäude, 1999 erhielt der Große Refraktor einen Schutzanstrich. Dank der intensiven Werbung für das Instrument und der Unterstützung durch die Pietschker-Neese-Stiftung konnte der Große Refraktor 2003 abmontiert, in Jena von der Firma 4H-Jena-Engineering umfassend aufgearbeitet und 2005 wieder eingebaut werden. 2006 wurden die Restaurierungsmaßnahmen erfolgreich abgeschlossen: Kuppel und Instrument haben ihre volle Funktionsfähigkeit zurückerhalten.
Damit hat sich der sehnlichste Wunsch des 1997 gegründeten Fördervereins erfüllt: das vor 40 Jahren stillgelegte Linsenteleskop wieder für anschauliche Vorführungen einzusetzen und damit die Astronomie erlebnisreicher zu machen. Für die meist an handliche Computer gewöhnten Besucher ist es faszinierend zu sehen, wie leicht man früher mit Hebeln und Kurbeln den sieben Tonnen schweren, vorsintflutlichen "Sternengucker " bewegte, um auf eine zierliche Fotoplatte das spektral aufgefächerte Sternenlicht zu bannen.
Christiane Rossner
Förderverein Großer Refraktor Potsdam e.V., Telegrafenberg A27, 14473 Potsdam
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Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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