Kurioses
Wir alle erinnern uns mit leichtem Schaudern an die Szene aus dem siebten und letzten Streich von "Max und Moritz", als der Müller die beiden in den Mühlentrichter wirft. Eine fratzenhafte Maske spuckt dann die Umrisse der "bösen Buben" aus Schrot auf den Boden. Mit "Doch sogleich verzehret sie Meister Müllers Federvieh" endet schließlich die grausame Geschichte.
Eine Bestrafung in der Mühle - vielleicht weniger drastisch - hätte auch den kleinen Wilhelm Busch, der im niedersächsischen Ebergötzen aufwuchs, und seinen Freund, den Müllersohn Erich Bachmann, treffen können. Denn Wilhelm und Erich selbst waren die Vorbilder für Max und Moritz, gemeinsam hatten sie auch die Idee für die Bildergeschichte, die - übersetzt in viele Sprachen - zu einem der erfolgreichsten Kinderbücher werden sollte.
Die Wassermühle - heute Wilhelm-Busch-Mühle - gibt es noch, Groß und Klein besuchen sie und das benachbarte Brotmuseum in Ebergötzen gern. Was man aber dort nicht - oder nicht mehr - findet, ist die Maske, aus der das Schrot floss. Derartige Schnitzwerke gab es tatsächlich in vielen Getreidemühlen. Allerdings kommt aus ihnen normalerweise kein Schrot, sondern nur das Äußere des Korns, die Kleie. Deshalb werden die Masken volkstümlich-derb Kleiekotzer oder auch Kleiespeier genannt. Sie sind am Mehl- oder Beutelkasten angebracht, in dem das gemahlene Korn gesiebt wird. Dazu enthält er den "Beutel", einen Stoffschlauch, der durch die Mechanik der Mühle in rüttelnde Bewegung versetzt wird. So rieselt das feine Mehl in den Kasten. Die zurückbleibende Kleie, die meist als Viehfutter dient, wird "ausgespuckt" - häufig vom Maul eines Kleiekotzers. Aufgefangen wird sie in einem Kasten, der manchmal ein Sieb enthält, um die Kleie noch von gröberen Mehlteilen wie Grieß zu trennen.
Die Beutelkästen sind seit dem 16. Jahrhundert bekannt, sie gehen möglicherweise auf eine Erfindung Leonardo da Vincis zurück. Erstmals werden sie 1502 bei einer Mühle in Zwickau erwähnt. Ab 1850 ändert sich die Technik des Mehlaussiebens, damit werden auch die Kleiekotzer überflüssig. Deshalb findet man die skurrilen Figuren heute vorwiegend in Museen, am Ursprungsort sind sie nur noch selten anzutreffen. Zwei Beispiele haben wir für Sie im Schwarzwald und in Sachsen entdeckt. In den dortigen Museumsmühlen kann man sie sogar noch in Aktion bewundern. Die Beutelkästen wurden von Schreinern gefertigt, die Kleiekotzer sind aus Holz geschnitzt und oft farbig gefasst. Die "Künstler" - meist Mühlenbauer, Zimmerleute, Schnitzer oder auch die Müller selbst - schufen eine Fülle verschiedener Formen. Der Kopf in der 1609 errichteten Schwarzwälder Mühle, die heute im Freilichtmuseum Vogtsbauernhof steht, ist unbemalt. Das Gesicht, das von einer volutenförmigen Haartracht gerahmt wird, wirkt deshalb eher zurückhaltend und elegant. Der Kleiekotzer in der Lindigtmühle im sächsischen Kohren-Sahlis mit seinen stechenden schwarzen Augen, der vollen Haarpracht und der breiten roten Zunge erscheint dagegen dämonischer.
Die zeitliche Einordnung der Kleiekotzer ist schwierig, schließlich haben sich die Stilelemente im bäuerlichen Umfeld häufig wesentlich länger gehalten. Die meisten stammen wohl aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Manch einer wurde aber sicher im 19. Jahrhundert rekonstruiert, ohne dass es dafür schriftliche Zeugnisse gibt. Mühlen - vor allem Windmühlen und die Räder der Wassermühlen - sind in Literatur, Kunst und in Liedern weit verbreitet, doch seltsamerweise finden die Kleiekotzer dort keinen Platz. Denn man kann sehr wohl davon ausgehen, dass sie nicht nur aus Schmuckbedürfnis entstanden sind, sondern dass hier viel Aberglaube im Spiel ist. Ihre Komik oder ihr Grauen sollte Eindringlinge abwehren - ähnlich wie dämonische Wasserspeier an gotischen Kirchen, mittelalterliche Schreck- oder Neidköpfe an Häusern und Stadttoren oder auch die skurrilen Figurenbeuten und Immenwächter, in denen Bienen zu Hause waren. Da die Kleiekotzer aber weder in einer der vielen Mühlensagen eine Rolle spielen oder gar in einem Wörterbuch des Aberglaubens zu finden sind, bleiben viele Rätsel, darunter auch dieses: Warum wohl gibt es sie ausschließlich in Wassermühlen? Brauchen Windmühlen etwa keinen Schutz vor bösen Geistern?
Dr. Dorothee Reimann
Lindigtmühle (Lindenvorwerk), Linda 34, 04655 Kohren-Sahlis (etwa 30 km nordwestlich von Chemnitz). Geöffnet von Apr.-Okt. Sa 13 bis 18 Uhr, So 11 bis 18 Uhr. Gruppen ab 10 Personen auch außerhalb der Öffnungszeiten: Tel. 034344/6 12 85.
Staatsanwaltschaften, Gerichte und Finanz-ämter können der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) als gemeinnützige Organisation Geldauflagen aus Straf- und Ermittlungsverfahren zuweisen.
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Ich habe mit großem Interesse Ihren Artikel gelesen. Zu der Frage weshalb man die Kleikotzer nur an Wassermühlen vorfand möchte ich anmerken, dass im deutschen Raum die Anzahl der Windmühlen gegenüber den Wassermühlen sehr gering war, anders als in den Niederlanden, wo Wind eine zuverlässigere Antriebskraft war . In Deutschland bevorzugte man wo immer es ging Wassermühlen. Vermutlich gab es daher in Deutschland auch viel größere Beschädigungen von Wassermühlen durch Hochwasser als Schäden durch Sturm an Windmühlen. Da die apotropäische Funktion der Kleiespeier wie auch bei den Wasserspeiern sich gegen die Dämonen richten sollte, die für das Unwetter verantwortlich waren, könnte dies ein Hinweis für das Fernbleiben solcher Köpfe an Windmühlen sein.
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