Sehen und Erkennen Dezember 2007

Baptisterien und Schlosskapellen als Zentralbauten

Tod und Taufe in der Kirchen-Architektur

Zentralbauten auf kreisförmigem, achteckigem oder quadratischem Grundriss waren bis in das 4. Jahrhundert n. Chr. vor allem den Grabeskirchen vorbehalten. So ließ der römische Kaiser Konstantin der Große zum Beispiel 326-35 die Anastasis-Rotunde über dem Felsengrab Christi in Jerusalem errichten.

Taufkirchen: S. Giovanni in Laterano in Rom (links) und das Baptisterium der Orthodoxen in Ravenna 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Taufkirchen: S. Giovanni in Laterano in Rom (links) und das Baptisterium der Orthodoxen in Ravenna

Er erbaute aber etwa gleichzeitig auch die erste Taufkirche S. Giovanni in Laterano in Rom als Zentralbau über achteckigem Grundriss. Dass Taufe und Tod für Christen keine Gegensätze, sondern eine Einheit sind, hat Paulus in seinem Brief an die Römer im 6. Kapitel, Verse 3 und 4, deutlich gemacht: "Wisset ihr nicht, dass alle, die wir in Jesum Christum getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, gleichwie Christus ist auferweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln." Die frühchristlichen Taufkirchen von Ravenna greifen den achteckigen Zentralbau auf, sowohl das zwischen 493 und 526 errichtete Baptisterium der Arianer, als auch das ältere der Orthodoxen, das von Bischof Neon 451 geweiht wurde und angeblich aus einem römischen Bad entstanden sein soll. Ebenso vermutet man auch bei S. Giovanni in Laterano, dass es auf den Grundmauern des Baderaumes im Palast der römischen Familie Laterani steht.


Für Taufkapellen verwandte man im Mittelalter häufig den achteckigen Zentralbau, so 1060 und 1128 beim Baptisterium des Domes in Florenz und 1338-59 bei dem des Domes in Pistoia. Seltener ist der kreisförmige Grundriss. Das prominenteste Beispiel dafür ist das Baptisterium des Domes in Pisa (siehe Kopfgrafik, rechtes Bild), erbaut zwischen 1153 und dem Ende des 14. Jahrhunderts.

Neben Grabeskirchen und Taufkapellen fand der Zentralbau schon zur Zeit des Kaisers Konstantin auch bei Palastkapellen Verwendung, zum ersten Mal in Konstantinopel bei der zwischen 527 und 536 erbauten Kirche Hagioi Sergios und Bakchos, die zum Palast der kaiserlichen Familie gehörte und vom Kaiserpaar Justinian und Theodora gestiftet worden war. Seit dem 16. Jahrhundert ist dieser Bau eine Moschee im heutigen Istanbul. Der im Grundriss außen quadratische, innen polygonale Zentralbau hat an allen acht Seiten steinerne, halbkreisartig einschwingende Emporen, wie sie ähnlich bei der Kirche S. Vitale in Ravenna vorkommen. Diesen von Erzbischof Ecclesius 525 begründeten und von Erzbischof Maximian 547 geweihten achteckigen Zentralbau nahm sich Karl der Große zum Vorbild, als er um 790/95 in Aachen die Palastkapelle seiner Pfalz erbauen ließ. Dem inneren Achteck mit den Steinemporen entspricht wegen der komplizierten Wölbung das Sechzehneck des äußeren Umgangs.

Palastkapellen: die als Kirche erbaute Moschee Hagioi Sergios und Bakchos in Istanbul und die Pfalzkapelle Karls des Großen inmitten des Aachener Doms im Querschnitt und Grundriss 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Palastkapellen: die als Kirche erbaute Moschee Hagioi Sergios und Bakchos in Istanbul und die Pfalzkapelle Karls des Großen inmitten des Aachener Doms im Querschnitt und Grundriss

Für die Kapellen von Pfalzen oder Burgen des Mittelalters wurden Zentralbauten von nun an üblich, wie bei der Ulrichskapelle der Kaiserpfalz in Goslar auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes. Die Burgkapelle der Neuenburg in Freyburg an der Unstrut entstand etwa gleichzeitig um 1180/90 über einem Rechteck, das um 1220/30 die Grundlage für die Einwölbung mit vier Kreuzgratgewölben auf einer Mittelstütze bildete. Die ältere Kapelle im Untergeschoss ist mit der oberen durch eine Öffnung im Fußboden verbunden, so dass eine Doppelkapelle entstanden ist.

Burgkapellen: die obere Etage der Doppelkapelle auf der Freyburger Neuenburg (links) und die Kapelle auf der Wilhelmsburg in Schmalkalden 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Burgkapellen: die obere Etage der Doppelkapelle auf der Freyburger Neuenburg (links) und die Kapelle auf der Wilhelmsburg in Schmalkalden

Die nach 1221 erbaute Matthiaskapelle auf der Oberburg in Kobern an der Mosel ist ein sechseckiger Zentralbau, andere der vielen mittelalterlichen Schlosskapellen bevorzugten den rechteckigen Grundriss. Nach der Reformation richteten sich die evangelischen Gemeinden überwiegend in ehemals katholischen Kirchen ein. Da jetzt zu Liturgie und Predigt die Kirchenmusik mit dem Singen vieler Strophen aus dem Gesangbuch hinzukam, musste man wegen der Länge des Gottesdienstes sitzen und benötigte dafür mehr Plätze in einem festen Gestühl. So baute man nach dem Vorbild der Schlosskapellen Emporen ein. Große Neubauten für evangelische Gemeinden entstanden außer in Bückeburg oder Wolfenbüttel vor dem Dreißigjährigen Krieg selten, für die Entwicklung zu einem eigenständigen protestantischen Sakralbau waren mehr die Schlosskapellen wegweisend.

Vorbild für den Neubau von Stadt- und Dorfkirchen mit doppelgeschossigen Emporen in Thüringen und Hessen wurde die Schlosskapelle in der Wilhelmsburg von Schmalkalden. Landgraf Ludwig von Hessen ließ sie 1588-90 dreigeschossig über dem Grundriss eines gedrungenen Rechtecks erbauen. An allen vier Seiten hat der Raum steinerne Emporen in zwei Geschossen, an der westlichen Schmalseite steht der Altar mit dem Taufbecken, darüber erheben sich die Kanzel und die Orgel. Ähnliche Schlosskapellen der Landgrafen von Hessen gab es bis zur Zerstörung im 19. bzw. 18. Jahrhundert im Landgrafenschloss von Kassel 1557-62 und Rotenburg an der Fulda von 1585. Die Schlosskapelle der Grafen von Hohenlohe in Weikersheim von 1600 ist ein quadratischer Raum mit umlaufender Empore, überdeckt von einem neunteiligen Kreuzrippengewölbe auf vier Stützen.

Protestantische Kirchenbauten: der Berliner Dom (links) und der Grundriss der wiedererstandenen Dresdner Frauenkirche 
© R. Rossner / G. Kiesow
Protestantische Kirchenbauten: der Berliner Dom (links) und der Grundriss der wiedererstandenen Dresdner Frauenkirche

Ein Höhepunkt der von diesen und weiteren Schlosskapellen des 16. Jahrhunderts ausgehenden Entwicklung zu einem eigenständigen protestantischen Kirchenbau mit der Konzentration von Altar, Kanzel und Orgel an der Mittelwand eines Emporengevierts ist die Frauenkirche zu Dresden von George Bähr, errichtet 1726-43. Sie bildet im Kern einen quadratischen Zentralbau mit Treppentürmen an den Ecken und Risaliten für die drei Haupteingänge an den Seiten. Von allen Plätzen des kreisförmigen Innenraumes mit seinen mehrstöckigen Emporen sind die Blickbeziehungen zum Chor mit der Kanzel unten, dem Altar und der Orgel darüber in idealer Weise gegeben. Der Dom in Berlin, auf Veranlassung Kaiser Wilhelms I. vom Architekten Julius Carl Raschdorff 1894-1905 erbaut, fasst in monumentaler, sinnvoller Weise alle Funktionen historischer Zentralbauten zusammen. Er ist Grabeskirche des preußischen Königshauses, Schlosskirche, evangelische Predigtkirche und enthält auch eine Tauf- und Traukirche.

Professor Dr. Dr.-Ing. E. h. Gottfried Kiesow

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