Technische Denkmale Städte und Ensembles Handel Verkehr Februar 2007
Nur in den frühen Morgenstunden kann man Erfurts Krämerbrücke menschenleer erleben. Zu allen anderen Tageszeiten herrscht hier ein eifriges Kommen und Gehen.
Touristen aus aller Welt versuchen, mit ihren Kameras das einzigartige Ambiente über den beiden Gera-Armen einzufangen, bringen mit plötzlichem Innehalten vor einem der Schaufenster die langsam dahinschlendernde Karawane zum Halten, um sich dann erneut in gemäßigtem Trab zum Wenigemarkt zu bewegen, wo sonnenbeschirmte Tische und Stühle zur Rast einladen. Beim Rückblick auf die Ägidienkirche, die die alte Brücke so dekorativ bewehrt, wird wohl nur den wenigsten bewusst sein, dass der traditionsreiche Flussübergang schon immer ein Gewimmel von Menschen zu tragen hatte und dass an dieser Stelle bereits gehandelt wurde, als es noch keine Brücke gab, sondern nur eine Furt. Die war jedoch so bedeutend, dass sie slawische wie germanische Händler geradezu magisch anzog. Eine einfache Holzbrücke erleichterte ihnen schon lange vor der ersten Jahrtausendwende die offensichtlich lukrativen Geschäfte.
Die große Bedeutung des thüringischen Fernhandelsstützpunkts ist zu erahnen, wenn man bedenkt, dass die unmittelbar nördlich der heutigen Brücke verlaufende Furt über die im Mittelalter "Erph" genannte Gera der Ansiedlung im 8. Jahrhundert ihren Namen gab: urbs erphesfurt - Erfurt. In dieser Zeit soll der Waffenhandel mit Slawen und Awaren das Kommen und Gehen am Fluss bestimmt haben, später war es dann der eher regionale Austausch von Edelmetallen, Gewürzen, Stoffen, Geschmeiden, Arzneien und vor allem von Färbemitteln.
Die hier einen sanften Bogen beschreibende Gera hatte den Handelsleuten den Gefallen getan, just an der Stelle passierbar zu sein, wo sich die bedeutendsten Straßen des Alten Reichs kreuzten: die von Köln nach Leipzig und Kiew verlaufende Via Regia in west-östlicher Richtung und von Süden nach Norden die Nürnberg mit den Hansestädten der Ostsee verbindende Völkerstraße. Das landesherrliche Geleitrecht sollte das Seine tun, um die durchziehenden Kaufleute auch in späterer Zeit unmissverständlich auf die alte Gerafurt bzw. die dortige Brücke zu lenken; städtisches Stapelrecht wiederum zwang die Händler zu einem längeren Aufenthalt vor Ort und zum Verkauf der mitgebrachten Waren. An der Krämerbrücke machten wohl alle Seiten gute Geschäfte.
Die "Erph-Furt" erhielt vielleicht schon im 9., spätestens jedoch im 10. Jahrhundert eine einfache hölzerne Brücke, die bereits im 12. Jahrhundert urkundlich als budenbestanden nachgewiesen ist - als "pons rerum venalium". Die zugehörige civitas hatte ihre wirtschaftliche Stärke in der Zwischenzeit geschickt in politische Bedeutung ummünzen können. Seit dem Hoftag des Jahres 852 unter Ludwig dem Deutschen pflegten sich hier die Großen des Reiches mit ihren Königen und Kaisern wiederholt zu Reichs- oder Hoftagen zu versammeln, namentlich im Jahr 1181, als der stolze Sachsenherzog Heinrich der Löwe sich dem Stauferkaiser Friedrich Barbarossa unterwerfen musste.
Zu der Zeit, als die beiden mächtigen Antipoden der Reichspolitik in der Kaiserpfalz auf dem Petersberg weilten, hatte man den Wiederaufbau der alten Gerabrücke vielleicht gerade abgeschlossen. Nachweislich war sie in den Jahren 1175 und 1178 dem Wüten einem der die mittelalterlichen Städte mit schöner Regelmäßigkeit heimsuchenden Brände zum Opfer gefallen. Damals, wie auch in den Jahren 1213, 1222, 1245 und 1293, als erneut Stadtbrände das alte Handelszentrum in Mitleidenschaft zogen, entschieden sich die Verantwortlichen zur raschen Instandsetzung des Bauwerks. Nach sechsmaliger Katastrophe verabschiedete man sich Ende des 13. Jahrhunderts aber entschieden von den alten Konzepten und ließ die neue Brücke nun erstmals in Stein aufrichten. Im Jahr 1325 - und damit zwanzig Jahre früher als der berühmte Zwilling aus Florenz - konnte Erfurt seine stadtbildprägende neue "pons mercatorum" einweihen. Die alte Via Regia überquerte nun, bewehrt von St. Benedikti im Westen und St. Ägidien im Osten, auf steinernen Stelzen die historische Gerafurt. Mit einer Länge von 125 Metern war die längste geschlossen bebaute Brückenstraße in Europa entstanden.
Nach der wegweisenden Entscheidung zugunsten einer moderneren Bauweise hatten die Brückenbewohner etwa 150 Jahre lang Ruhe vor weiteren Feuersbrünsten, und auch der Brand von 1472, dem schließlich sämtliche Häuser zum Opfer fallen sollten, hatte nicht so verheerende Auswirkungen wie seine wütenden Vorgänger; die steinernen Brückenkopfkirchen sorgten nämlich dafür, dass der Brand nicht auf die Stadt übergreifen konnte. Der nun erneut fällige Wiederaufbau der Wohn- und Geschäftshäuser ging abermals einher mit baulichen Veränderungen: Die Brücke wurde durch Vorlagen und Sprengwerk um fünf Meter verbreitert und erstmals zwei- bis dreigeschossig bebaut; 62 Fachwerkhäuser mit einer Breite von jeweils 2,80 Metern bestimmten von nun an das traditionsreiche Ambiente.
Aber das Neue und Moderne stieß auch in der frühen Neuzeit nicht automatisch auf Akzeptanz und Zuneigung. Erfurts Krämer jedenfalls drohten, sich während des lang andauernden Neubaus der Brücke von ihrem angestammten Domizil abzuwenden und ihre Geschäfte in andere Teile der Altstadt zu verlagern. So hatte die Stadt mit einigen Privilegien aufzuwarten, um die traditionelle Nutzung für das nun ungleich repräsentativere neue Bauwerk sicherstellen zu können. Fortan garantierte sie den Brückenkrämern das ausschließliche Recht mit »gehobenem Kram« zu handeln, das heißt mit Edelmetallen, Gewürzen, Stoffen oder Geschmeiden, und schuf so eine wirtschaftliche Oase, die attraktiv genug war, um den historischen Ort wiederzubeleben und den Kaufleuten auch das Wohnen und Handeln unter einem Dach schmackhaft zu machen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Charakter der Handelsgeschäfte allerdings schon längst gewandelt. Aus dem frühmittelalterlichen Stützpunkt des Grenzhandels entwickelte sich mit der Verschiebung der Reichsgrenzen nach Osten ein Marktort, der auch für den Kleinhandel immer größere Bedeutung beanspruchen konnte. Wichtigen Anteil daran hatten unter anderem die Juden, die sich seit der Mitte des 12. Jahrhunderts in Erfurt niederließen und unweit der Krämerbrücke, auf dem Benediktiplatz und in den daran angrenzenden Straßen, nicht nur über Wohnhäuser, sondern auch über eine Synagoge mit Mikwe verfügten. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg sollte sich die altbewährte Struktur der Brücke dann nachhaltig verändern: Infolge von Grundstückszusammenlegungen wurden die inzwischen zu klein gewordenen Häuser zu 38 größeren Einheiten zusammengefasst, die nun nicht mehr den hier seit jeher angestammten Kaufleuten als Domizil dienten, sondern mehr und mehr Werkstätten aufnahmen. Erfurts prominenteste Straße gehörte von nun an den Kürschnern, Posamentierern, Goldschmieden, Weißgerbern und Zeugmachern.
Erfurts Krämerbrücke liefert einen anschaulichen Beleg dafür, welchen Änderungen die Ansprüche an Wohnen und Arbeiten im Laufe der Jahrhunderte unterliegen.
Heute gemahnen die pittoresken Fachwerkhäuser mit ihren Butzenscheiben, niedrigen Stuben und steilen Stiegen manch einen mehr an einen unverhofften Blick in ein historisches Bilderbuch denn an eine auch der Gegenwart angemessene Form des Wohnens. Zu sehr hat sich Wohnkomfort inzwischen assoziiert mit bestimmten Raumgrößen, mit Helligkeit und Bequemlichkeit. Als die frühneuzeitlichen Brückenbewohner ihre neuen Domizile inspizierten, erschienen ihnen die über sechs steinernen Brückenbogen errichteten zwei- bis dreigeschossigen Gebäude über der Gera aus anderen Gründen für ihre angestammte Lebensweise nur wenig zuträglich. Gewöhnt an die niedrigen mittelalterlichen Häuschen mit ihrem charakteristischen, durch zwei Klappen zu öffnenden und zu verschließenden "Laden" auf Straßenniveau und einem rückwärtigen Lagerraum, machten sie sich das komfortablere Ambiente nur zögerlich zu Eigen. Die nach wie vor erfolgreichen Geschäfte konnten sie schließlich jedoch mit dem Neuen versöhnen; die poetischen Hausnamen, die sie sich über die Portale schrieben, bringen diese Wandlung anschaulich zum Ausdruck: Zwischen "Engelsröschen2 und "Zum wilden Mann & güldenen Schachtzaul" konnte man sich damals fortbewegen, dabei das Haus "Zum weißen Rad & güldenen Einhorn" passieren oder den benachbarten "Güldenen Schaar & Schweinskopf" bewundern. Die schlichten Hausnummern, die mit zunehmender Bürokratisierung an ihre Stelle traten, regen die Phantasie naturgemäß nicht annähernd so intensiv an.
Bis zum Jahr 1810 bewahrte die Krämerbrücke, ungeachtet einzelner Veränderungen, Um- und Neubauten, das ihr im ausgehenden 15. Jahrhundert verliehene Gesicht und entwickelte sich in der Folgezeit recht eigentlich zum Wahrzeichen der historischen Handelsstadt.
Ob der Besonderheit ihrer Lage kamen naturgemäß auch den beiden Brückenkirchen, der zur Altstadt gelegenen Benediktikirche und ihrem östlichen Pendant St. Ägidien, Funktionen zu, die sich nicht im Gottesdienstlichen erschöpften. Mittels großer, knapp vier Meter breiter Torbögen bildeten sie nicht nur die Zugänge zu der Flussüberquerung, in ihren Erdgeschossen wurde auch der fällige Brückenzoll erhoben und daneben das eine oder andere Geschäft getätigt. In die Durchgänge, das ist zumindest für die Ägidienkirche nachgewiesen und für die Benediktikirche ebenfalls wahrscheinlich, waren zu beiden Seiten Verkaufsnischen eingefügt, von denen je eine der Erhebung des Zolls vorbehalten war. Die eigentlichen Sakralräume wiederum öffneten sich über einer den Kaufleuten vorbehaltenen Halle erst in den jeweiligen Obergeschossen.
Während die Benediktikirche 1810 in Privatbesitz überging und anschließend teilweise abgetragen und überbaut wurde, bis auch ihre Überreste 1896 den Planungen der neuen Rathausbrücke weichen mussten, ist die zeitweilig ebenfalls privatisierte Ägidienkirche mit ihrem charakteristischen Chorerker über dem Torbogen bis heute erhalten geblieben.
Veränderungen hat jedoch auch sie in ihrer mehr als 650-jährigen Geschichte zuhauf erleben müssen. Das war zu einem Gutteil der gewerblichen Nutzung des Erdgeschosses geschuldet, da die dortigen Läden verschiedentlich neu konzipiert wurden. So liegt es beispielsweise nahe, davon auszugehen, dass sich die Kirche auch zum Wenigemarkt hin zeitweilig mittels großer Arkadenbögen öffnete, in denen die Händler ihre Waren feil boten. Einen Einbruch erlebte das geschäftige Treiben der Krämer erst um das Jahr 1816, als sich der Rat der Stadt Erfurt gezwungen sah, die schadhaft gewordene Brücke für den schweren Fuhrverkehr zu sperren. 1855 zerstörte schließlich ein Brand fünf der dortigen Fachwerkhäuser, worauf sich die preußische Regierung bemüßigt sah, angesichts des schlechten baulichen Zustands des gesamten Ensembles ein allgemeines Wiederaufbauverbot zu verhängen. Obwohl der Stadtrat die Direktive aus dem fernen Berlin umgehen konnte, entwickelten sich die Dinge in der Folgezeit dennoch nicht zum Besseren. 1895 diskutierte man gar den kompletten Abriss des historischen Bauwerks, um an gleicher Stelle eine neue Brücke zu errichten. Diese Planungen scheiterten vornehmlich aus Kostengründen und betrafen glücklicherweise nur die verbliebenen Überreste von St. Benedikti. Im 20. Jahrhundert sollte die alte Brücke dann endlich die ebenso notwendigen wie überfälligen Restaurierungsmaßnahmen erleben - zunächst in den Jahren 1953-62, dann erneut in der Mitte der 1980er Jahre und schließlich nach 1992.
Als die Deutsche Stiftung Denkmalschutz nach der politischen Wende von 1989 ihr Augenmerk auch den mitteldeutschen Kulturlandschaften zuwenden konnte, rückte die historische Krämerbrücke mit ihren erkennbar großen Gebrechen schon bald ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit.
Mit großer Sorge hatten die Denkmalpfleger die zunehmende Instabilität der Brückenbogen und die Baufälligkeit der meisten Fachwerkhäuser registriert; gleichzeitig schreckte sie der hohe Finanzbedarf für die erforderlichen Restaurierungsmaßnahmen. Anders als 1895 sollte Erfurts Wahrzeichen dennoch nie mehr gänzlich zur Disposition gestellt werden. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz tat das Ihre, um die Rettung des traditionsreichen Bauwerks zu unterstützen. In den Jahren nach 1993 beteiligte sie sich an der Restaurierung einzelner Fachwerkhäuser wie auch an der Sanierung des dritten, des fünften und sechsten Brückenbogens mit mehr als 500.000 Euro. Fördermittel in Höhe von 200.000 Euro erhielt auch die gefährdete Brückenkirche St. Ägidien, wo es die Sicherung des Turmdachs und der Turmbalustrade sowie die Sanierung des schwammbefallenen Mauerwerks der Westwand durchzuführen galt. Diese großzügige Förderung war zum Teil auch deshalb möglich, weil es der Stiftung im Dezember 1999 gelang, ihre Förderer unter dem Motto "Verschenken Sie ein Stück Unsterblichkeit" von der Einzigartigkeit und Förderungswürdigkeit des Erfurter Ponte Vecchio zu überzeugen und in einer Sonderaktion über 840.000 Euro für die laufende Instandsetzung dieses bedeutenden Denkmals zusammenzutragen.
Die Krämerbrücke, um die sich seit 1996 auch die "Stiftung Krämerbrücke" der Stadt Erfurt sowie - in Treuhandschaft der Deutschen Stiftung Denkmalschutz - die Elisabeth und Fritz Thayssen-Stiftung kümmern, ist damit auf mehrere Jahre weitgehend sorgenfrei und kann sich wieder dem widmen, wofür sie vor Jahrhunderten bebaut worden ist - dem Handel und Wandel.
Dr. Ingrid Scheurmann
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
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