Archäologie Dezember 2006 P
Am Ufer des großen Sees quietschen Kinder vor Vergnügen während sie sich gegenseitig mit kaltem Wasser bespritzen. Ihr Spiel wird mit gelassenen und dennoch aufmerksamen Blicken von ihren Müttern beobachtet, die ganz in der Nähe mit geübten Griffen einige Fische ausnehmen. Sie sind froh über den guten Fang, der sich heute in den Netzreusen befand, die von Mitgliedern der Sippe ausgelegt worden waren, denn der Winter war lang und die Getreidevorräte neigen sich dem Ende entgegen.
Eine Szene, die an exotische ferne Länder denken lässt. Wir befinden uns jedoch in der Nähe von Konstanz am westlichen Bodensee. Wir schreiben das Jahr 3912 v. Chr. am Beginn der jüngeren Jungsteinzeit.
Die Kinder leben mit ihren Familien in einer Siedlung, der Archäologen nach der Bezeichnung des heutigen Fundorts bei Gaienhofen (Kreis Konstanz) den Namen "Hornstaad-Hörnle" gegeben haben. Davon ahnen die jungsteinzeitlichen Menschen natürlich nichts. Ebenso wenig von der Bedeutung, die ihr Dorf einmal für die Siedlungsarchäologie in Mitteleuropa haben wird.
Heute, fast sechstausend Jahre später, gehören die Überreste dieser Siedlung zu den wichtigsten archäologischen Zeugnissen der Jungsteinzeit in Mitteleuropa. Pfahlbausiedlungen wie Hornstaad-Hörnle findet man in Seen und Feuchtbodengebieten des gesamten Alpenraums. Sie bieten den Archäologen seit Beginn ihrer Entdeckung in der Mitte des 19. Jahrhunderts ideale Forschungsmöglichkeiten. Denn durch den Luftabschluss unter Wasser und Seesedimenten waren die Erhaltungsbedingungen für organische Materialien wie Holz, Knochen oder Pflanzenreste außerordentlich gut. An vielen Fundorten sind Tausende Holzpfähle von Häusern, Wegbefestigungen und Palisaden erhalten. Sie haben die Pfahlbauarchäologie so berühmt gemacht. Aber auch Werkzeuge, Textilien und Überreste von Lebensmitteln wie Getreidekörner, Samen oder Fischwirbel haben die Zeit überdauert.
Sie ermöglichen den interdisziplinär arbeitenden Wissenschaftlerteams aus Archäologen, Zoologen, Botanikern und Geologen tiefe Einblicke in das Alltagsleben und die Wirtschaftsweise der Menschen von jüngeren Jungsteinzeit bis an den Beginn der Eisenzeit.
Die Erforschung der Seeufersiedlungen hängt eng mit den jährlichen Schwankungen des Seespiegels zusammen, die für die Alpenseen so charakteristisch sind. Der Wasserspiegel des Bodensees liegt im Winter im Durchschnitt 1,80 Meter unter dem des Sommers, da der Wasserzufluss aus den Schmelzwassern der Alpen ab dem Frühjahr stark ansteigt. Nach extremen winterlichen Niedrigwasserständen traten erstmals 1854 im Uferbereich des Zürichsees und 1856 am Bodensee die Überreste jungsteinzeitlicher und bronzezeitlicher Siedlungen zutage. Damals waren wissenschaftliche Methoden zum Erkennen und Untersuchen prähistorischer Siedlungen noch so gut wie unbekannt.
Es kann daher als großes Verdienst des Schweizers Ferdinand Keller angesehen werden, dass dieser schon 1854 den besonderen Wert der außerordentlich gut erhaltenen Pfahlreihen des Zürichsees erfasste und diese zutreffend als jungsteinzeitliche Siedlungsreste im so genannten "Pfahlbaubericht" beschrieb. Keller nahm an, dass die Siedlungen jeweils auf gemeinsamen Plattformen im See errichtet waren. In seinen Interpretationen ließ er sich durch Reiseberichte aus Neuguinea und Neuseeland inspirieren, in denen Ufersiedlungen aus pfahlgetragenen Häusern beschrieben wurden. Auf diese Weise brachte Keller eine lebendige Vorstellung vom Leben in der Jungsteinzeit und Bronzezeit in die junge prähistorische Wissenschaft.
In den folgenden über hundert Jahren intensiver archäologischer Forschung kam es zu teilweise erbittert geführten Diskussionen über die Konstruktion und den Standort der Pfahlbauten.
So setzte Hans Reinerth 1992 Kellers Wohnplattformen im See die These entgegen, dass die Siedlungen im nur zeitweise überschwemmten Uferbereich angelegt wurden. Er stützte sich dabei auf neue Ausgrabungsergebnisse vom oberschwäbischen Federsee. 1942 bezeichnete Oskar Paret die Annahme von Pfahlbausiedlungen im Wasser kategorisch als "romantischen Irrtum".
Erst in den 1970er Jahren kam die Fachwelt nach neuen Ausgrabungsergebnissen zu dem Schluss, dass es an verschiedenen Seen zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Formen von Ufersiedlungen gab: Ebenerdige Siedlungen fand man eher an den kleineren Seen mit geringeren Seespiegelschwankungen. Pfahlbauhäuser mit erhöhten und damit überschwemmungssicher konstruierten Fußböden wurden eher an den großen Alpenseen gebaut. Helmut Schlichtherle, Archäologe des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg und Spezialist für die Pfahlbauforschung in den Seen und Mooren im Gebiet des Bodensees und in Oberschwaben, geht davon aus, dass die Menschen in Hornstaad-Hörnle und anderswo die weiche Seekreide der Uferzonen als Baugrund ihrer Häuser gezielt zu nutzen wussten. Die Pfähle auf denen die Bauten ruhten, konnten ohne aufwändige Erdarbeiten in den weichen Boden getrieben werden. Um ein Versinken der Pfahlstangen im Uferschlamm zu verhindern, haben die Menschen sie teilweise durch querliegende Hölzer, so genannte "Pfahlschuhe" stabilisiert. Die Böden der Häuser waren über die Pfahlkonstruktionen deutlich vom Untergrund abgehoben, so dass die Wohnungen auch bei größeren Seespiegelschwankungen nicht überflutet wurden.
Der Umstand, dass es mit entsprechendem Know-how einfach und schnell ging, in der weichen Uferzone Häuser zu errichten, ist aber - neben dem Fischfang - wahrscheinlich nicht der einzige Entstehungsgrund für die Siedlungen an den Seeufern. "Die freie Sicht über das Wasser bot Schutz vor Überraschungsangriffen und außerdem waren die Seen ideale Verkehrswege zwischen den Siedlungen am Ufer. Davon zeugen die zahlreichen Einbaumfunde am Federsee und in den Schweizer Seen", so Schlichtherle. Eine zentrale Forschungsfrage sei auch, weshalb sich vom fünften bis ersten Jahrtausend v. Chr. immer wieder Siedelphasen mit siedlungsfreien Zeitabschnitten ablösten. In manchen Zeiten habe man also keinen Vorteil darin gesehen, sich an Seeufern niederzulassen. "Wir gehen davon aus, dass sowohl Klima- und Wasserspiegelschwankungen als auch Veränderungen in der allgemeinen Bevölkerungsdichte wichtige Faktoren für das geänderte Siedelverhalten sind."
Die großflächigen und aufwändigen Ausgrabungen der Jahre 1983 bis 1993 in Hornstaad-Hörnle gaben recht genau Aufschluss über die Wirtschaftsweise und die Ernährungsgewohnheiten der Dorfbewohner. Im Jahr 3912 v. Chr. standen im Dorf Hornstaad-Hörnle rund 40 Häuser in lockeren Reihen in der Uferzone. Wenn jedes dieser Häuser von einer Familie von fünf bis acht Personen bewohnt wurde, bestand die Dorfgemeinschaft aus etwa 200 bis 300 Personen. Es waren also viele Kinder und Erwachsene, die satt werden mussten.
Was den Laien überrascht: Die Dorfbewohner waren nicht in erster Linie Fischer, sondern Bauern, wenngleich der Fischfang einen wichtigen Bestandteil ihres Nahrungserwerbs ausmachte. Die Grundlage der Ernährung war Getreide: Nacktweizen, Gerste, Emmer und Einkorn, aus denen - wie Funde belegen - Getreidebreie und brotartige Gebäcke hergestellt wurden. Lein- und Mohnsamen sowie Erbsen lieferten pflanzliches Fett und Eiweiß. Neben dem Ackerbau spielte auch das Sammeln von Wildfrüchten eine Rolle. Die Fleischversorgung wurde zu einem wichtigen Teil durch Jagd auf Hirsche, Ure und Wildschweine gedeckt. Haustiere spielten als Fleischlieferanten in Hornstaad-Hörnle eine eher untergeordnete Rolle. Am häufigsten sind Rinder durch Knochenfunde belegt und auch Schweine wurden gehalten. Aus Lein gewann man wertvolle Flachsfasern, aus denen Fischnetze und feine Textilien gefertigt wurden. Manche der Funde vermitteln uns ein sehr anschauliches Bild von der Kleidung und dem Alltag der Menschen: So fand man in Hornstaad-Hörnle und anderen Siedlungen Spitzhüte aus Lindenbast und "Kaugummis" aus Birkenpech mit Zahnabdrücken.
Mit der Methode der Dendrochronologie konnte die Siedlung über die Jahrringe der Holzpfähle jahrgenau datiert werden. Deshalb weiß man auch, dass Hornstaad-Hörnle nur kurze Zeit bestand. Alle Hölzer wurden nämlich zwischen 3915 und 3910 v. Chr. geschlagen. Dann zerstörte ein katastrophaler Brand das Dorf vollständig. Es ist nicht bekannt, ob das Feuer durch ein Unglück oder Gewalteinwirkung ausbrach. Die Spur der Dorfbewohner verliert sich jedoch nicht. Die Familien sind der Brandkatastrophe offenbar entronnen und haben die Häuser neu errichtet. Direkt über dem Brandschutt liegende Abfallschichten weisen auf eine Fortsetzung des dörflichen Lebens hin. Möglicherweise waren es auch die Kinder oder Enkel der Familien, die Jahre später ein neues Dorf gründeten.
In der unmittelbaren Nähe des alten fanden die Archäologen eine weitere Siedlung - "Hörnle II"- aus der die ältesten Dendrodaten von Hölzern stammen, die in den Jahren 3869 und 3868 geschlagen wurden. Diese Siedlung ist mit einer Palisade geschützt. Ein Hinweis darauf, dass die Zeiten schwieriger und gefährlicher geworden waren? Womöglich ließe sich dies in weiteren Forschungsgrabungen herausfinden.
Doch obwohl Fundplätze wie Hornstaad-Hörnle die Jahrtausende sicher unter einer schützenden Sedimentschicht überdauert haben, sind sie heute akut bedroht. Denn durch Umweltveränderungen, wie das Absterben der schützenden Schilfgürtel und zunehmenden Schiffsverkehr wird diese Deckschicht an vielen Orten in kurzer Zeit abgetragen. Die archäologischen Funde werden weggespült und aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen gerissen. Ausbaggerungen für neue Hafenanlagen und Fahrrinnen haben einige Siedlungen bereits ohne jegliche vorherige Untersuchung für immer zerstört. In den verlandeten Randzonen der Seen führt Entwässerung dazu, dass die organischen Materialien innerhalb weniger Jahre verrotten. In manchen Fällen helfen schließlich nur noch Notgrabungen, um die Verluste wenigstens zu dokumentieren.
Helmut Schlichtherle und seine Kollegen kämpfen gegen die Zerstörung dieser in Europa einmaligen Fundlandschaften an. Sie setzen sich für die Schaffung von archäologischen Reservaten mit intakten Schilfgürteln ein. Außerdem arbeiten sie eng mit Tauchsportverbänden zusammen. In speziellen Kursen werden die Taucher für die Empfindlichkeit archäologischer Unterwasserfundplätze sensibilisiert. An besonders schützenswerten Stellen wie Hornstaad-Hörnle versuchen die Wissenschaftler, die Sedimentschicht über den Siedlungsresten durch die Abdeckung mit großen Geotextil-Matten zu halten.
Es ist zu hoffen, dass sie mit ihrer Arbeit Erfolg haben: Sonst werden die Pfahlbausiedlungen, in deren Resten sich die vielfältigen Zeugnisse des Alltagslebens unserer Vorfahren über Jahrtausende wie in einer natürlichen Zeitkapsel erhalten haben, in naher Zukunft Vergangenheit sein.
Carolin Kolhoff
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