Denkmalarten Kleine und große Kirchen 1600 Denkmale in Gefahr Ausgabe Nummer Dezember Jahr 2023 Denkmale A-Z D S

Denkmal in Not

Brüchige Kirchenmauern, intakte Gemeinschaft

Die Dorfkirche im sächsischen Selben, mit tiefem Fundament in torfhaltigem Boden, übersteht starke Grundwasserschwankungen nur mit allergrößten Schäden. Die Menschen im Ort jedoch werden von der Kirche in Not fest zusammengehalten.

Wer von Leipzig aus mit der S-Bahn nach Zschortau fährt, sieht sie schon von Weitem: die Turmspitze der Kirche in Selben. Nimmt man dann für das letzte Stück nach Selben das Auto, führt die Straße keineswegs – wie anzunehmen – gradlinig auf die Kirche zu. Stattdessen umrundet sie eine größere Ansammlung neuer Wohnhäuser. Fast respektvoll führt die Straße nicht einfach mitten durch das sogenannte Neubauviertel hindurch, von dem später noch die Rede sein wird. Man nähert sich dem Gotteshaus also von Osten, was besonders schön ist, denn Wiesen und ein schmaler Bach bilden mit der Kirche zusammen ein nahezu perfektes Ensemble.

Warm und einladend leuchtet der Herrnhuter Stern aus der leeren Dorfkirche von Selben nach draußen.
© Jens Schulze
Warm und einladend leuchtet der Herrnhuter Stern aus der leeren Dorfkirche von Selben nach draußen.

Selben in Sachsen gehört politisch zu Delitzsch und gemeindlich zum Pfarrbereich Zschortau. Deshalb sitzt man nun auch bei Pfarrer Daniel Senf im Auto, dessen Dienstsitz Zschortau ist. Von dort aus betreut er seine 16 Gemeinden. Selben ist ihm eine Herzensangelegenheit: Hier feierte er bis 2018 immer den letzten Gottesdienst am Heiligabend. Die Wärme in der kleinen Kirche tröstete über ihren zunehmend bedenklichen Zustand hinweg. Für Weihnachten 2019 war die Planung schon abgeschlossen, die ganze Gemeinde freute sich auf den Gottes- dienst – neben dem Osterfeuer einer der Höhepunkte im Kalender der Selbener. Umso härter traf es sie, als im November 2019 ihre Dorfkirche geschlossen werden musste. Es bestand akute Einsturzgefahr. Das ist auch für Pfarrer Senf ein Novum.


So betritt man das kleine Gotteshaus mit sechs Engagierten auf eigene Gefahr, und tatsächlich, der bange Blick zur Decke lässt befürchten, dass sich Teile lösen könnten. Zu angestrengt sollte man jedoch nicht nach oben schauen, denn der geflieste Boden weist ein extremes Wellenbild auf, das ungewöhnlich ist. Und das sich, so erzählen es die Alteingesessenen, in dem Maße erst in den letzten Jahren ausgebildet hat. Das macht die Sache nicht besser, denn als Folge der Bodenverwerfungen driften die Kirchenwände nach außen, was zu gravierenden statischen Problemen geführt hat. Damit könnten die wesentlichen Schäden in Selben benannt sein, aber auch die Auswirkungen auf die Einbauten und die Bodenfliesen sind enorm.


Eine echte Herzensangelegenheit


2003 fanden erste Instandsetzungsarbeiten statt, mit Tonmatten unten am Fundament, „obwohl wir mit aufsteigender Feuchtigkeit nie Probleme hatten“, wie Patrick Fölsch sagt. Auch einige Risse wurden repariert, und die Gemeinde konnte ihr Gotteshaus weiter nutzen. Fölsch ist Vorsitzender des Förderkreises Selben, einer derjenigen, die die räumliche und geistliche Mitte ihres Dorfes retten wollen. Damit befindet er sich in bester Tradition, sogar in bester Familientradition. Schon seine Familie und die von Roland Kirsten, dem langjährigen Ortsvorsteher, haben in den 1970er Jahren ihre Kirche gepflegt, wo sie konnten. Mit Ziegeln, die nicht mehr gebraucht wurden, deckten sie das Dach neu, Dachbalken und Dachlatten sägte der Großvater auf seinem Hof zu und alle halfen beim Einbau.

Blick in den Altarraum der Kirche Selben. Die Verwerfungen des Fußbodens werden zusehends gravierender.
© Jens Schulze
Blick in den Altarraum der Kirche Selben. Die Verwerfungen des Fußbodens werden zusehends gravierender.

Außergewöhnliches Engagement zwar, aber keine außergewöhnlichen Schäden. Die entwickelten sich erst nach 1975, als durch den nahen Großtagebau zunächst das Grundwasser großflächig abgesenkt wurde, um nach 1993, dem Ende der Kohleförderung, bis 2010 wieder angehoben zu werden. „Ich bin seit 30 Jahren in der Denkmalpflege tätig, aber eine solche Wellenform im Boden habe ich noch nirgends gesehen“, sagt Architekt Andreas Rüdiger, der mit den Maßnahmen zur Rettung der Kirche beauftragt ist. 


Und das bei einer ungewöhnlich tiefen Gründung mit Feldsteinen von stellenweise fast zwei Metern auf festen Bodenschichten. Jetzt ist Schwung in die dringende Rettung gekommen, nicht zuletzt auch durch die Förderzusage der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. „Wir sind schon in der Planungsphase I“, erklärt Anja Töpler, Baureferentin des Kirchenkreises Torgau-Delitzsch. Sie macht den Selbenern Mut, wenn sie sagt, 2024 könne es endlich losgehen mit der Sicherung ihrer Kirche. Soeben habe die Ausführungsplanung begonnen, nachdem das Statikbüro die Freigabe erteilt habe.


Auch für Töpler ist Selben ein Herzensprojekt, mit Pfarrer Senf und dem stellvertretenden Superintendenten des Kirchenkreises bildet sie ein gutes Team. Obwohl sie die Schließung der Kirche anordnen musste, ist sie in Selben ein hochgeschätzter Gast. Sie treibt die Arbeiten voran und stärkt den Ortsbewohnern den Rücken. Manches Mal schon drohten diese zu resignieren, aber Töplers Ausführungen zur Qualität der Innenausstattung lassen keinen Zweifel daran, dass die Erhaltung der gebeutelten Kirche richtig ist. Der Delitzscher Oberbürgermeister Manfred Wilde, promovierter Historiker, kann das nur bestätigen. Aus dem Kirchenregister seit dem 17. Jahrhundert zitiert er fast auswendig. 

Pfarrer Daniel Senf vom Kirchspiel Zschortau ist für 16 Gemeinden zuständig. Er ist fest überzeugt, dass in Selben die Rettung der Kirche gelingen wird.
© Jens Schulze
Pfarrer Daniel Senf vom Kirchspiel Zschortau ist für 16 Gemeinden zuständig. Er ist fest überzeugt, dass in Selben die Rettung der Kirche gelingen wird.

1637, im Dreißigjährigen Krieg, wurde die Kirche aus dem 14. Jahrhundert zerstört und Mitte des 17. Jahrhunderts wiederhergestellt. Das Gestühl mit der Empore und der außergewöhnliche Kanzelaltar stammen aus dem späten Barock am Übergang zum Klassizismus, dem Zeitraum von 1730 bis 1760. Die Kanzel ist in die Mitte des Altaraufbaus integriert, weil das Wort Gottes und die Feier des Abendmahls, diese sogar dargestellt im Selbener Altarbild, theologisch eng zusammengehören. Da solche Kanzelaltäre sowohl regional als auch zeitlich begrenzt errichtet wurden, ist jeder einzelne wertvoll. „Wir sehen in Selben ohnehin einen starken Substanzverlust, das einstige Rittergut gibt es nicht mehr“, sagt Oberbürgermeister Wilde. Insofern sei die Kirche ein historisches Zeitzeugnis, das unbedingt erhalten werden müsse.


Aufeinander zugehen und zusammenhalten


Für die Selbener Urgesteine um Patrick Fölsch und Roland Kirsten sowie Pfarrer Daniel Senf ist es mehr als das. Gerade Fölsch schafft es über seinen Beruf als Garten- und Landschaftsgestalter immer wieder, auch die neu Hinzugezogenen im Mühlenviertel hinter dem Bach anzusprechen. „Wenn es ganz normal wird, dass wir alle zusammen das Holz aufschichten für das Osterfeuer, dann den ganzen Tag hinter der Theke helfen und mit der Feuerwehr bis Sonntagabend wieder abbauen, dann bekommt Ostern auch für junge Familien einen ganz anderen Stellenwert“, sagt er.


Nun könnte der Kampf um das Gotteshaus zum Faktor an sich werden, doch alle freuen sich auf die geöffnete Kirche mit ihrer Orgel, wenn sie wieder Kern der Gemeinschaft wird. „Denkmal hat ja viel mit Denken zu tun“, sagt Senf. „Und ich denke, das hier ist hochintegrativ. Nicht jeder ist mehr in der Kirche, aber hier kommen die Menschen zusammen und sind im Austausch.“ Und dann ergänzt er das, was man bewusst nicht ansprechen wollte: „Es gibt nun einmal Tendenzen in Richtung Extremismus. Aber wir hier, wir halten zusammen. Und die Kirche hat dabei eine wichtige gesellschaftliche Funktion.“

Ein Monitor dokumentiert die fortschreitende Rissbildung im Mauerwerk. Die Turmuhr war einem anonymen Spender wichtig. Allerdings darf sie nur die Stunde anschlagen, ein Geläut würde das Gemäuer nicht verkraften.
© Jens Schulze
Ein Monitor dokumentiert die fortschreitende Rissbildung im Mauerwerk. Die Turmuhr war einem anonymen Spender wichtig. Allerdings darf sie nur die Stunde anschlagen, ein Geläut würde das Gemäuer nicht verkraften.


Manches ist noch Zukunftsmusik


Was nun im Einzelnen ansteht: Zwei Maßnahmen werden parallel laufen. Zur Sicherung des Mauerwerks und um Risse zu schließen, werden Spannanker in die Wände eingebaut. Dann wird der Fußboden entnommen sowie eine Stahlbetonplatte eingebaut und mit dem aufgehenden Mauerwerk verbunden. Erst wenn das geschehen ist, kann der Fußboden mit den historischen Fliesen wieder eingebracht werden. 


Bei der Sakristei hingegen, einem späteren Anbau, werden die zu flach gegründeten Fundamente bis auf tragfähige Bodenschichten erweitert. Auch wenn sich viele den romantischeren Anblick von unverputztem Mauerwerk wünschten, sagt Anja Töpler, wird der nicht schlecht erhaltene Kalkputz, der das Mauerwerk und die Mörtelfugen vor Witterung schützen soll, gesichert und so belassen. Die Mittel sind knapp und schließlich wolle man, immerhin ist man hier im Johann-Sebastian-Bach-Land, auch die Orgel irgendwann wieder spielbar machen.


Pfarrer Daniel Senf bringt den sehnlichen Wunsch der Selbener Dorfgemeinschaft auf den Punkt: „Wir wollen diese Kirche hier zu einem Ort machen, der Menschen zusammenbringt. In Selben habe ich die Hoffnung, dass das klappt und auch so bleibt.“ Bitte helfen Sie den Selbenern bei der Rettung ihrer Kirche. Sie hat so viele Jahrhunderte überdauert und sollte nicht jetzt wegen ihres unsicheren Untergrundes verloren gehen. Denn sie ist das Fundament eines ganzen Ortes.


Julia Greipl


Kirche Selben

Große Dorfstraße 17

04509 Delitzsch

Selben ist ein Ortsteil der Großen Kreisstadt Delitzsch in Sachsen, etwa 25 Kilometer nördlich von Leipzig. Die Kirche liegt mitten im Ort.


www.denkmalschutz.de/denkmal-in-not

Bitte retten Sie mit uns die Kirche von Selben

Auch kleinste Beträge zählen!

Sichtbares Zeichen des Auseinanderdriftens der Kirchenwände: der handbreite Spalt zwischen Gestühl und Wand.
© Jens Schulze
Sichtbares Zeichen des Auseinanderdriftens der Kirchenwände: der handbreite Spalt zwischen Gestühl und Wand.
 

 


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