Rostock-Warnemünde, "Teepott" © Gieratz/Müther-Archiv, Hochschule Wismar
Rostock-Warnemünde, "Teepott" © Gieratz/Müther-Archiv, Hochschule Wismar
Rostock-Warnemünde, "Teepott" © Gieratz/Müther-Archiv, Hochschule Wismar

Nach 1945 Herrscher, Künstler, Architekten August 2017 M

Interview mit dem Leiter des Müther-Archivs Wismar

Der Müther-Nachlass

Das Müther-Archiv wurde 2006 in Wismar gegründet, um das Erbe des Ingenieurs Ulrich Müther (1934–2007) zu bewahren.

Das Ziel des Müther-Archivs an der Hochschule Wismar ist es, den Nachlass des Ingenieurs – zum Teil noch nicht ausgewertet – systematisch zu bearbeiten und der Öffentlichkeit und vor allem der Wissenschaft zugänglich zu machen. Seit diesem Jahr ist es durch eine Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der Lage, mehrere Mitarbeiter zu beschäftigen. Seit 2012 leitet Professor Matthias Ludwig (Jahrgang 1962) das Müther-Archiv. Ludwig ist Architektur-Professor an der Hochschule Wismar und Partner des Architekturbüros bfa – büro für architektur in Stuttgart und Wismar. Er hat in Stuttgart, Frankfurt und London studiert und an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste in Stuttgart, an der TH Köln und an der Curtin University in Perth unterrichtet, bevor er 2001 nach Wismar berufen wurde. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf mobilen und modularen Bauten.

Professor Matthias Ludwig, Leiter des Müther-Archivs Wismar
Professor Matthias Ludwig, Leiter des Müther-Archivs Wismar
Professor Matthias Ludwig, Leiter des Müther-Archivs Wismar

Welche Bestände umfasst das Müther-Archiv genau?  

Matthias Ludwig: Ulrich Müther hatte vor 2006 in Prora bereits Räume angemietet, um die Unterlagen aus seiner Bautätigkeit systematisch zu archivieren. Leider ist er in dieser Zeit erkrankt und hat deshalb entschieden, dass er seinen Nachlass in „gute Hände“ abgeben will. Er hat dabei als heimatverbundener Mensch an die Hochschule in Wismar gedacht und ist bei uns auf ein interessiertes Forscherteam gestoßen. 

Wir haben circa 300 laufende Meter Akten (Schriftgut und Pläne) , 30 Modelle, 9 Planschränke mit Zeichnungen, mehrere Tausend Fotografien und diverse Objekte wie Messgeräte, Möbel und Robotron-Computer von ihm erhalten. Das Müther-Archiv unterhält weiterhin intensive Kontakte nach Binz, zu ehemaligen Mitarbeitern und der Witwe Müthers.

Haben Sie schon Entdeckungen gemacht, Projekte oder gar Bauten von Ulrich Müther gefunden, die vorher nicht bekannt waren?

Matthias Ludwig: Die ganz großen Überraschungen sind bisher ausgeblieben, aber wir haben doch schon einige Unterlagen gesichtet, die noch nicht bekannt waren: Briefe, Pläne und Fotos zum Beispiel konnten in den bis dato ungeöffneten Kartons ausgemacht werden. Vor kurzem kamen aus dem Insolvenzverfahren, durch das Müthers Baufirma nach der Wende gehen musste, noch zahlreiche Akten hinzu. 

Die "Seerose" in Potsdam an der Havelbucht wurde 1982/83 von Ulrich Müther mit Dieter Ahting errichtet.
Potsdam, "Seerose" © Körwien/Müther-Archiv, Hochschule Wismar
Die "Seerose" in Potsdam an der Havelbucht wurde 1982/83 von Ulrich Müther mit Dieter Ahting errichtet.

Werden die Archivalien digitalisiert und der Öffentlichkeit im Internet zugänglich gemacht?

Matthias Ludwig: Zunächst werden alle Archivalien vorsortiert, gesichtet und systematisch in einer Datenbank erfasst, die dann ein wissenschaftliches Arbeiten erst ermöglicht. Dies ist das Hauptziel unseres Vorhabens, da der Nachlass recht umfangreich ist. Einige der Pläne und Fotos im Archiv wurden bereits digitalisiert. Exemplarisch werden auch Modelle oder Planunterlagen restauriert. Sehr wichtig ist generell bei unserem Vorhaben, dass alle Archivalien auch entsprechend den geltenden konservatorischen Normen gelagert werden. Die Bestände sollen noch in vielen Jahren der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Auf unserer Website www.muether-archiv.org kann man einige Informationen zum Archiv mit seinen Beständen und zu dem Forschungsprojekt bereits jetzt einsehen.

Hat man – soweit bekannt – alle Müther-Bauten unter Denkmalschutz gestellt? Von wie vielen wissen Sie, die schon zerstört sind?

Matthias Ludwig: Nein, nicht alle Müther-Bauten stehen unter Denkmalschutz. Einige wichtige Bauten wurden leider schon kurz nach der Wende vorschnell abgebrochen, wie das Ahornblatt in Berlin (trotz Denkmalschutz), der erste der beiden Strandtürme in Binz und der Orchesterpavillon in Ralswiek, der einzige Holzbau von Ulrich Müther. Viele der von Müthers Baufirma gebauten Gaststätten in Rostock oder auch Magdeburg gibt es leider nicht mehr, man hat dafür keine entsprechende Nutzung nach der Wende gefunden. Es existieren allerdings noch einige unsanierte "Müther-Bauten", wie die Messehalle in Magdeburg (unter Denkmalschutz) oder der Kiosk in Baabe, die eine besondere Aufmerksamkeit verdienen. Beim ehemaligen Speisesaal des Ferienheims im "Bürgergarten" in Templin ist - auch dank der Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz - das Dach des Schalenbaus gerettet. Jetzt müssen dort weitere Schritte folgen. Wichtig ist, dass die Menschen von der Bedeutung der Müther-Bauten erfahren, dadurch werden sie entsprechend respektiert und infolgedessen auch geschützt. 

Abgerissen: Das "Ahornblatt" in Berlin gehört seit 2000 der Vergangenheit an.
Berlin, "Ahornblatt" © Müther-Archiv, Hochschule Wismar
Abgerissen: Das "Ahornblatt" in Berlin gehört seit 2000 der Vergangenheit an.

Schalenbauten ähnlicher Form aus dieser Zeit gibt es auch in anderen Ländern. Insbesondere in den ehemaligen sozialistischen Ländern in Ost- und Südosteuropa, weil die Nutzung zum Beispiel als Großgaststätte auch einen gesellschaftspolitischen Hintergrund hatte. Stehen Sie im Austausch mit vergleichbaren Einrichtungen?

Matthias Ludwig: Wir sind dabei, diese Kontakte aufzubauen. Bisher bestehen Kontakte zu der Universidad Nacional Autónoma de México, die einen Teilnachlass Félix Candelas, Müthers Vorbild, aufbewahrt. Das Archiv nimmt an Kongressen und Symposien teil, die über die Themen Schalenbau und DDR- bzw. Nachkriegsmoderne abgehalten werden. Außerdem planen wir eine Ausstellung und bereiten Veröffentlichungen über Müther-Bauten vor, zum Beispiel in der Schriftenreihe des Müther-Archivs.

Einer der ersten Müther-Bauten von 1966:  Früher befand sich im "Inselparadies" in Baabe die legendäre Milch-Mocca-Bar, heute hat nach aufwendiger Sanierung wieder ein Restaurant Einzug gehalten.
Baabe, "Inselparadies" © Brandt/Müther-Archiv, Hochschule Wismar
Einer der ersten Müther-Bauten von 1966: Früher befand sich im "Inselparadies" in Baabe die legendäre Milch-Mocca-Bar, heute hat nach aufwendiger Sanierung wieder ein Restaurant Einzug gehalten.

Von der rein archivalischen zur praktischen Seite: Sehen Sie sich als Ansprechpartner für Eigentümer, Architekten und Restauratoren, die Hilfe bei den nicht einfachen Instandsetzungen der Müther-Bauten brauchen?

Matthias Ludwig: Wir sind ein öffentliches Archiv. Jeder kann die Akten, Pläne und Modelle zu den Müther-Bauten bei uns im Archiv studieren und erforschen. Wir sind natürlich daran interessiert, dass die Bauten in einem Zustand erhalten werden, der so nahe wie möglich am Originalzustand orientiert ist. In unserem Archiv gibt es jedenfalls genügend Kompetenz, um eine architektonische oder bauwissenschaftliche Expertise für Müther-Bauten abgeben zu können.

Ulrich Müther vor einem seiner spektakulärsten Bauten: der Strandwache II in Binz.
Porträt Ulrich Müther © Dorfmüller Klier
Ulrich Müther vor einem seiner spektakulärsten Bauten: der Strandwache II in Binz.

Zum Schluss bitte noch eine persönliche Einschätzung: Wie schaffte es Müther, bis zum Schluss in der DDR seine Autonomie zu wahren? Liegt die Begründung ausschließlich in der Reputation, die für die DDR-Führung so wichtig war, um sich durch seine Bauten als moderner Staat zu geben? 

Matthias Ludwig: Ich würde sagen, dass dafür seine fachliche Kompetenz für Schalenbauten maßgeblich war. Müthers Firma war nach unseren Kenntnissen die einzige Firma in der DDR, die Schalenbauten in respektablen Größen planen, berechnen und auch bauen konnte. Das hat ihn quasi zu einem Monopolisten in diesem Bereich gemacht. Hinzu kam, dass die expressiven Schalenbauten als Gegensatz zu den eher monotonen „Plattenbauten“ der 60er- und 70er-Jahre, als Ausdruck einer erfolgreichen Gesellschaftsform, politisch erwünscht waren. 


Die Fragen stellte Beatrice Härig

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