Wohnhäuser und Siedlungen Nach 1945 Herrscher, Künstler, Architekten Menschen für Monumente Interviews und Statements April 2017 M
In Bad Honnef am Rhein steht seit den 1960er-Jahren ein Prototyp der Modularchitektur, der damals wie heute mit seinem utopistischen Äußeren Aufsehen erregt. Interview mit Hartmut Witte, Bewohner und Miteigentümer
Serielles Bauen – schon immer ein reizvolles Thema für visionär denkende Architekten und Stadtplaner. Wolfgang Döring, Architekt in Düsseldorf, beschäftigte sich in den 1960er-Jahren intensiv mit dem Thema modulares Bauen. Er entwarf für den Bonner Atomphysik-Professor Theo Mayer-Kuckuk in Bad Honnef ein Wohnhaus. In nur sechs Tagen entstand dann im Juli 1967 eine Art Fachwerkbau, 20 Meter lang, 5 Meter breit, mit einem Tragskelett aus Holzleimstützen und Doppelzangenträgern nicht im, sondern vor dem Gebäude. Die Wände bestehen aus Spanholz- und Eternitplatten. Das Innere entfaltet sich hinter dem futuristischen Äußeren als lichtdurchflutetes und sehr wohnliches Raumensemble. Es konnte theoretisch jederzeit problemlos verändert werden. Theoretisch. Praktisch machte Feuchtigkeit zunehmend vor allem den Balken Probleme. Es stand – Ironie der Geschichte – eine komplizierte und langwierige Restaurierung an.
Für den Mut, dass die Besitzer Andrea Köhler und Hartmut Witte dies in Angriff nahmen – auch mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz –, wird ihnen nun am 26. März der Rheinisch-Westfälische Staatspreis für Denkmalpflege zugesprochen.
Das Haus Mayer-Kuckuk blieb übrigens, obwohl für den seriellen Bau gedacht, ein Unikat. Gerade deshalb ist es als Denkmal für den utopistischen Systemhausbau der 1960er-Jahre umso wichtiger.
Monumente: Herr Witte, Sie sind Bewohner und Miteigentümer des Hauses Mayer-Kuckuk in Bad Honnef. Wie sind Sie zu diesem Haus gekommen?
Hartmut Witte: Meine Frau, Andrea Köhler, hat das Haus 1987 gekauft. Meine Frau suchte in der Gegend, und es war relativ preisgünstig für die Fläche, die es bot. Davor war es im Besitz eines Diplomaten, der es wiederum 1980 von der Familie Mayer-Kuckuk erworben hatte, die 13 Jahre in dem Haus gelebt hat. Ich selbst bin 1995 zu meiner Frau in dieses Haus gezogen.
Monumente: Sie haben an den Kunsthochschulen Bremen und Kassel studiert und daran ein Studium der Kunstgeschichte angeschlossen. In Bad Honnef haben Sie bis 1999 eine Kunstgalerie geführt. Es ist vermutlich kein Zufall, dass Sie sich beruflich schwerpunktmäßig mit Künstlern auseinandersetzen, die seit den 1960er-Jahren tätig sind, und zugleich in einer wegweisenden Architektur aus dieser Zeit leben?
Hartmut Witte: Schon vor und auch während meiner Zeit als Galerist von 1995-99 erarbeitete ich Werkverzeichnisse von Künstlern, durch die für mich die Kunst des Informel für mich sehr wichtig wurde (einige Kunstwerke dieser Zeit sind in dem Haus aufgestellt, die wunderbar mit der experimentellen Architektur harmonieren, Anmerkung d. Autorin). Die Galerie gab ich aus Zeitmangel auf, als ich einen großen Sammlernachlass zur Auflösung bekam. Mehrere Ausstellungen über Kunst aus den 1960er-Jahren habe ich kuratiert.
Monumente: Die bildende Kunst der 1960er-Jahre war geprägt von dem Drang, Grenzen zu überschreiten. Die Gruppe ZERO ging mit Kunstaktionen auf die Straße, Jean Tinguely setzte Schrott in Bewegung, Happenings wurden veranstaltet. Derweil tüftelte der Architekt Wolfgang Döring an einer Vereinfachung des Bauprozesses durch modulare Systeme. Liegt diesem wie bei den Künstlern eine Revolution gegen den Geist vergangener Jahrzehnte zugrunde? Sind sie ein Plädoyer für bezahlbaren Wohnraum für die Massen oder war da eher ein Ingenieur am Werk, der Spaß an Neuerungen hatte?
Hartmut Witte: Döring hat sich in der Kunstszene der 1960er-Jahre bewegt. Interessant ist, dass er sich der Kunst des Informel zugehörig fühlt. Es gibt einen Aufsatz von ihm mit dem Titel: „Informelle Plastik und Architektur“. Er hat zwar später behauptet: „Dieses Haus hat mit Kunst nichts zu tun und die Ästhetik ist rein zufällig“, aber ich sage, das stimmt nicht. Allein die Farbgebung schwarz, weiß und rot korrespondiert mit Kunst aus dieser Zeit. Er tüftelte an preiswerten Konstruktionen mit neuer Technik für die neue mobile Gesellschaft, aber trotzdem achtete er auf eine Verbindung von Technik und Ästhetik. Die Trapeze an den vorgelagerten statischen Elementen beim Haus Mayer-Kuckuk hätten z. B. nicht so groß sein müssen und Teile der Aussteifung auch nicht rot.
Döring
war sehr stolz auf dieses Haus und hatte immer das Modell auf seinem
Schreibtisch stehen. In zahlreichen Ausstellungen wurde es als
wegweisend für seine Zeit angeführt und im Modell gezeigt, zuletzt in
der Ausstellung über serielles Bauen in Köln.
Serielles Bauen war
das Thema Dörings. Die Stecksysteme, die heute zum Beispiel im
Lagerhallenbau üblich sind, sind sozusagen aus diesem Haus entstanden.
Monumente: Döring war nach seinem Architekturstudium Mitarbeiter von Egon Eiermann, Konrad Wachsmann, Max Bill, Paul Schneider-Esleben. Er war also fest in der progressiven Architekturszene der 60er-Jahre verankert und unterhält bis heute ein Architekturbüro. Haben Sie Kontakt zu Wolfgang Döring?
Hartmut Witte: Ja, er hat sich sehr darüber gefreut, dass dieses Haus gerettet wurde. Ein anderes Haus von ihm aus dieser Zeit in Düsseldorf sieht ziemlich traurig aus.
Er wird sicherlich zur Preisverleihung ins Rheinische Amt für Denkmalpflege nach Pulheim kommen.
Monumente: Wie lebt es sich in einem Haus, das solch eine außergewöhnliche Baugeschichte hat? Erweist sich die stützenlose Innengestaltung als Mehrwert oder eher als Problem?
Hartmut Witte: Wir haben uns immer ausgesprochen wohlgefühlt und es ist wunderschön, in diesem Haus zu wohnen. Wir haben mit insgesamt 5 Kindern hier gelebt. Der Bau gibt ja mit seiner Höhe von 5,20 Metern viel Raum. Durch die Fenstertüren zur Garten- und Innenhofseite und den Lichtbändern rundherum sind die Lichtverhältnisse optimal.
Als
Kunsthistoriker kann ich natürlich die Bedeutung des Gebäudes erkennen
und genießen. Ich bin auch gerne handwerklich tätig und habe mich
deshalb komplett eingebracht in die Restaurierungsarbeiten. Das alles
lässt für uns eine ganz besondere Beziehung entstehen. Eine Publikation
über das Haus ist fest geplant.
Monumente: Der Innenraum sollte schnell umgebaut, anders angeordnet werden können. Ist das jemals geschehen?
Hartmut Witte: Im Prinzip sind die einzigen Festlegungen der Kamin als Betonsäule im Zentrum des Hauses und die Zuleitungen und Abflüsse. Mayer-Kuckuk wollte einen großen repräsentativen Raum für Empfänge und hat nur wenig Platz für die übrigen Räume gebraucht, die dann zweigeschossig in die andere Hälfte des Hauses gebaut wurden.
Später wurde in die
Wohnzimmerhalle noch ein Zimmer als Obergeschoss und dahin eine Galerie
quer eingezogen. Die ursprünglich winzigen Kinderzimmer wurden
zusammengelegt und vergrößert.
Monumente: Was waren die größten Probleme am Bauwerk, die zur umfassenden Restaurierung führten?
Hartmut Witte: Man muss vorweg sagen: Das Haus wurde bereits 1993–95 von meiner Frau in Teilen saniert. Doch der Zustand verschlechterte sich seit einigen Jahren wieder, so dass der Statiker Weihnachten 2013 sagte: „Sie müssen raus.“ Er wollte schon Hilfskonstruktionen im Haus errichten. Die Alternative zur Restaurierung wäre Abriss gewesen.
Bei
Experimentalbauten werden tradierte Regeln schon mal außer Acht
gelassen. Es gibt daher kaum noch existierende utopistische Häuser aus
dieser Zeit.
Die Trägerkonstruktion aus Holz musste wegen
Fäulnisproblemen erneuert werden. Ebenso die Trapeze an der Außenseite
des Hauses, die die Stützen mit den horizontalen Balken verbinden. Das
Holz war zum Teil so verfault, dass man es mit dem Finger eindrücken
konnte. Bei der Sanierung ging es auch darum, mit besseren Materialien
und einem umfassenden Holzschutz das Haus langfristig zu sichern. Mit der Planung wurde der Siegener Architekt Christian Welter beauftragt.
Monumente: Wie verlief die Restaurierung?
Hartmut Witte: Jeder Träger, der hier herausgezogen worden ist, stellte eine Herausforderung dar. Die Innenwände mussten oben abgeschnitten werden, um an die Balken heranzukommen. Andere Wände wurden ganz aufgelöst. Dadurch musste natürlich auch die gesamte Elektrik und mussten die Installationen erneuert werden.
Das Hauptproblem war die Sicherung
des Gebäudes während der Arbeiten. Von unten ist das Haus mit
überdimensionalen Trägern abgestützt worden. Mit LKW-Pumpen wurde es um
fast 2 Zentimeter angehoben. Die Abstützung ging durch das Haus bis
unters Dach. Bei jedem Ständerwerk, das herausgenommen wurde, bestand
die Gefahr, dass es wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Der Zimmermann
kam jeden Morgen mit Angst zur Baustelle und schaute erst einmal, ob das
Haus noch steht.
Ich habe sehr viel selbst gemacht. Jeden Tag war
ich auf der Baustelle, denn jeden Tag gab es etwas zu entscheiden. Viele
Schadstellen sind erst während der Arbeiten entdeckt worden, zum
Beispiel Feuchtigkeit an den Fensterbänken aus Merantiholz, die den
Eternitwänden aufliegen und wo sich dann Kondensatwasser gebildet hatte.
Dadurch waren auch Ständerwerkbalken in den Wänden von oben verfault.
Wir sind 11 Monate ausgezogen und haben bei Freunden gelebt. Wir sind übrigens noch immer befreundet.
Monumente: Es ist für Sie nicht die erste Zusammenarbeit mit der Deutschen
Stiftung Denkmalschutz. Sie haben dem Künstlerpaar Friederich Werthmann
und Maren Heyne geholfen, für das denkmalgeschützte und historisch
wertvolle Ensemble des Ehemaligen Landgerichts Kreuzberg in
Düsseldorf-Kaiserswerth eine treuhänderische Stiftung in Obhut der
Deutschen Stiftung Denkmalschutz zu errichten. Auch hier begegnen sich
bildende Kunst und Denkmalschutz direkt und in inspirierender Weise.
Hartmut Witte: Ja, man sieht, dass die Förderung der DSD Denkmale von ganz alt bis ganz neu umfasst.
Ich
habe die Werthmanns durch meine Arbeit in einem Verlag kennengelernt.
Sie haben ihr Grundstück in den 1950er-Jahren erworben, die Gebäude nach
und nach renoviert und das parkähnliche Gelände zu einem
Skulpturengarten gestaltet. Sie waren schon immer mit der Düsseldorfer
Kunstszene verwoben, zum Beispiel mit der Gruppe ZERO. Die von uns mit
Hilfe der DSD gegründete Werthmann-Stiftung wird diesen Park in Zukunft
öffentlich zugänglich machen. Ein Ausstellungspavillon ist geplant. Die
Zusammenarbeit mit der DSD war und ist sehr konstruktiv bei diesem
Projekt.
Monumente: Der vorbildliche Einsatz von Ihnen und Ihrer Frau Andrea Köhler für Ihr Denkmal wird nun mit dem Rheinisch-Westfälischen Staatspreis für Denkmalschutz gewürdigt. Lindert das im Rückblick ein wenig die Strapazen?
Hartmut Witte: Der Preis tut gut! Es ist wie Balsam auf den Wunden, die wir im Laufe der aufwendigen Rettung dieses Hauses davongetragen haben. Wir freuen uns sehr über die Auszeichnung.
Natürlich hat auch die
Förderung durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz geholfen, die sofort
die herausragende Bedeutung des Gebäudes erkannt hat.
Monumente: Wir gratulieren herzlich zu der Ehrung und zu ihrem Wohnhaus,
das Ausdruck einer Epoche und jetzt gerüstet für die Zukunft ist.
Das Interview führte Beatrice Härig
Information:
Unterwww.mayer-kuckuk.de gibt es eine Dokumentation über die Geschichte und Rettung des Hauses
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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