Herrscher, Künstler, Architekten Februar 2016 E
Machtpolitisch sind die Ernestiner in Deutschland und Europa kaum in Erscheinung getreten. Mit ihren Idealen haben sie jedoch unsere heutige Gesellschaft grundlegend geprägt. 2016 widmet sich eine Thüringer Landesausstellung der Dynastie.
Bekannter als die Ernestiner selbst sind die Menschen, die unter ihrem Schutz wirken konnten: Martin Luther und Philipp Melanchthon ebenso wie Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich von Schiller, Wilhelm Hegel oder Johann Gottlieb Fichte. Alles Persönlichkeiten, die das Denken ihrer Zeit so entscheidend beeinflussten, dass die Folgen bis heute zu spüren sind.
Die Geschichte der ernestinischen Linie beginnt mit der Leipziger Teilung 1485. Die Brüder Ernst und Albrecht des adeligen Stammes der Wettiner, der schon vor dem Jahr 1000 nachweisbar ist, teilten ihr Herzogtum unter sich auf. Von den „Albertinern“ und den „Ernestinern“ waren letztere zunächst die Mächtigeren, da sie über die Kurwürde verfügten. Diese berechtigte den Kurfürsten von Sachsen, zusammen mit den sechs anderen Kurfürsten den römisch-deutschen König zu wählen.
Es war die Zeit des Humanismus, als das Wissen nicht mehr allein in kirchlichen Einrichtungen gepflegt und verbreitet wurde, sondern zunehmend auch von weltlichen Vertretern. In der Renaissance trug es die sich ausbreitende Buchdruckkunst in immer weitere Kreise. Auch für Ernsts Sohn Friedrich den Weisen wurde Bildung ein erstrebenswertes Ziel. Er setzte im Jahr 1502 Maßstäbe, als er – als erster Landesherr unabhängig von kirchlichem Einfluss – die Universität Wittenberg gründete. Mit der Berufung von Martin Luther für den Lehrstuhl „Bibelauslegung“ (Lectura in Biblia) 1512 und von Philipp Melanchthon für die griechische Sprache 1518 entwickelte sie sich zu einem entscheidenden theologischen Zentrum, das dem Kurfürsten Ansehen verschaffte. Auch aus diesem Grund gewährte Friedrich der Weise Martin Luther im Jahr 1521, vier Jahre nach dessen Thesenveröffentlichung gegen den päpstlichen Ablasshandel, Schutz vor Kaiser Karl V. auf der Wartburg. Dort übersetzte Luther in nur elf Wochen das Neue Testament in die deutsche Sprache. Melanchthon wirkte später an der Übersetzung der gesamten Bibel mit und brachte die Reformationsideen entscheidend voran, als er für den Reichstag 1530 in Augsburg im Wesentlichen die „Confessio Augustana“ verfasste. Die lutherischen Reichsstände, zu denen die Ernestiner gehörten, unterschrieben sie als Bekenntnis zu ihrem Glauben. Sie stellte darüber hinaus auch die bestehende Norm in Frage, indem sie beispielweise zwischen einer öffentlichen Ordnung, die durch die staatliche Gewalt zu regeln sei, und „geistlichen Dingen“, die in der Verantwortung der Bischöfe lägen, unterschied.
Kaiser Karl V., der sich als Schutzmacht der alten Kirche verstand,
versuchte ihre Einheit wiederherzustellen oder zumindest ein gemeinsames
Verständnis der katholischen Auffassung mit den Lutheranern zu erzielen, was
ihm jedoch nicht gelang. Die katholische Mehrheit des Reichstages verlangte die
Rückkehr der protestantischen Stände in die katholische Kirche. 1531 schlossen
sich die lutherischen Herrscherhäuser unter der Führung des Bruders und
Nachfolgers Friedrichs, Johanns des Beständigen, im Schmalkaldischen Bund zum
gegenseitigen Schutz zusammen. Fünfzehn Jahre später, 1546, zogen die
Verbündeten tatsächlich gegen Kaiser Karl V. in den Krieg, um sich zu
verteidigen. Dieser hatte sich Mitstreiter gesucht: Dem Albertiner Herzog
Moritz versprach er im Falle des Sieges neben Ländereien auch die Kurwürde. In
der berühmten Schlacht bei Mühlberg wurde der Krieg zugunsten Karls
entschieden, und der unterlegene Ernestiner Johann Friedrich der Großmütige
musste seinen Status und Gebiete, darunter auch Wittenberg, an seinen Vetter
abtreten. Mit der Niederlage büßte er nicht nur die politische Macht im Heiligen
Römischen Reich ein, ihm ging auch das geistige Zentrum seines
Herrschaftsbereichs verloren. Aus der Gefangenschaft heraus plante er eine neue
Hochschule, die insbesondere der „reinen“ lutherischen Theologie gewidmet sein
sollte. Am 19. März 1548 ließ er durch seine drei Söhne die Höhere Landesschule
in Jena gründen. Ihr wurden durch den Nachfolger Kaiser Karls V., Ferdinand I.,
am 15. August 1557 die Rechte einer Universität verliehen.
Neben der Universität als repräsentativer Einrichtung und Ausbildungsstätte war auch die Erziehung des Nachwuchses im Kindesalter für die Ernestiner von großer Bedeutung. Die Geisteshaltung, in der die jungen Adeligen aufwuchsen, bestimmte die zukünftige Ausrichtung des Landes mit. Grundlage war dabei die religiöse Erziehung, auch wenn sich nicht immer alle Ernestiner über die Ausübung des Glaubens einig waren. Mit Blick auf eine für die Familie vorteilhafte Heiratspolitik bildete man den Nachwuchs für zukünftige repräsentative Pflichten und speziell die Thronfolger für spätere Regierungstätigkeiten aus. So standen neben den traditionellen Schulfächern Disziplinen wie Theaterspiel, Fechten, Reiten, Fremdsprachen oder das Erlernen eines Handwerks auf der Agenda. Die Ausbildung der jungen Männer wurde in der Regel mit einem Universitätsbesuch und einer längeren „Kavaliersreise“ beendet, die ihnen den letzten Schliff gab. Diese beinhaltete neben dem Studium der Architektur und fremder Gepflogenheiten auch Erfahrung in „erotischen Dingen“. Nicht selten diente sie der Kontaktpflege mit anderen Höfen.
Weil wesentliche Lehrinhalte schriftlich festgehalten wurden,
etablierte sich schon früh ein Ausbildungs- und Schulwesen, dessen Leitfäden
über Generationen beibehalten wurden. Besonders nachhaltig in seinen
Bildungsunternehmungen war Ernst I., genannt „der Fromme“, der ab 1640
Sachsen-Gotha und ab 1672 Sachsen-Gotha-Altenburg regierte. Es war ihm ein
Anliegen, die Schäden des Dreißigjährigen Krieges zu beheben. Seine
Bestrebungen richteten sich daher nicht nur auf die Unterweisung seiner eigenen
Nachkommen, sondern auch auf „Sittlichkeit, Bildung und Wohlstand“ der Bürger.
Seine Ziele verfolgte der Herzog mit verwaltungsorientierten Maßnahmen, die ein
zukunftsweisendes Regelwerk schufen. Ausgehend vom Gymnasium Gotha, das schon
1524 von dem Reformator und Freund Luthers, Friedrich Myconius, gegründet
worden war, entwickelte er eine neue Bildungspolitik. Das Gymnasium bot nicht
nur vielen Söhnen verfolgter Lutheraner aus dem Ausland Schutz und Ausbildung.
Ernst I. berief Andreas Reyher als Rektor. Dieser erstellte 1642 eine
Schulordnung, die neben den Unterrichtsinhalten eine Schulpflicht für alle 5-
bis 12-jährigen „Knaben und Mägdlein“ des Herzogtums enthielt. Erstmals wurde
der Unterricht in der Muttersprache erteilt. Mit Mathematik, Poetik und
Geschichte nahm er neue Fächer in den Lehrkanon auf. Ernst der Fromme ließ in
der eigenen Schuldruckerei Lehrwerke herausgeben und in die italienische und
französische Sprache übersetzen. Darüber hinaus reformierte er auch das Rechts-
und Gesundheitswesen seines Herzogtums.
Über hundert Jahre, bevor Wilhelm von Humboldt und Freiherr vom Stein in Preußen die Reformen im Bildungswesen umsetzen sollten, waren seine Änderungen geradezu revolutionär. Es ging der Spruch um, dass des Herzogs Bauern gebildeter seien als anderswo die Edelleute. Seine Reformen wurden weit über seinen Herrschaftsbereich hinaus wahrgenommen. Ernst der Fromme war damit ein bedeutender Herrscher in der Übergangszeit zur Aufklärung.
Rationales Denken und mit ihm die Vernunft standen im Zentrum des neuen Menschenbildes, das um 1720 mit der Aufklärung seinen Anfang nahm. Das Vernünftige wurde mit dem Guten gleichgesetzt. Man wandte sich den Naturwissenschaften zu, und auch religiöse Toleranz galt als eine wichtige Tugend. Aus dieser Geisteshaltung heraus versuchten der junge ernestinische Herzog Karl August und seine Mutter Anna Amalia, einen „großen Geist“ nach Weimar zu locken, so wie Friedrich II., das Vorbild Karl Augusts, Voltaire an seiner Seite wusste. Karl August sah ihn in dem jungen Goethe. Dieser nahm erst nur zögerlich die Einladung des Herzogs an, sollte dann aber den Rest seines Lebens in Weimar verbringen. Der künftige Dichterfürst war dort zunächst weniger als Literat tätig, sondern versah als hoher Verwaltungsbeamter zentrale Aufgaben. Er erneuerte den Ilmenauer Bergbau, war Vorsitzender der Wege- und der Kriegskommissionen und ab 1782 Finanzminister und Aufsichtsperson für die Universität Jena. In dieser Position nahm er wesentliche Änderungen vor, die die Hochschule zu einer erneuten Blüte führten. Er beeinflusste die Berufungen der Professoren Schiller, Fichte, Schelling und Hegel, baute die Bibliothek und die naturwissenschaftlichen Forschungsbereiche aus und führte 25 Jahre lang das Weimarer Theater.
Mit ihrer offenen Geisteshaltung, aber auch, weil sie ihre zwar kleinen, aber dennoch kostenintensiven repräsentativen Hofstaaten erhalten mussten, entwickelten die Ernestiner ihre Herrschaftsgebiete zu Ländern, in denen die Bürger zu immer mehr Wohlstand gelangten. Zudem sorgte deren Bildungsstand dafür, dass sie zunehmend auch Rechte einforderten. Die Französische Revolution mit ihrem Ruf nach „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ gab der Entwicklung einen zusätzlichen Schub. Die Idee einer einigen Nation verfolgend, gründete die Studentenschaft in Jena 1815 die „Urburschenschaft“, die die bisherigen „Landsmannschaften“ der auch „Burschen“ genannten Studenten ersetzte. Die Universität unterstützte sie in ihren Reformbewegungen. Der für Geschichte berufene Professor Heinrich Luden forderte – wie Johann Gottlieb Fichte, der hier bis 1799 Philosophie gelehrt hatte – die Volkssouveränität. Mit ihr zweifelte er das geltende Herrschaftsprinzip an, indem er nicht die Monarchie, sondern das Volk über die Verfassung stellte. Es ist keine Überraschung, dass Ludens Lehre des Schutzes seines ernestinischen Landesherrn bedurfte. Als Preußen nach den Karlsbader Beschlüssen eine Untersuchung beim 1815 gegründeten Deutschen Bund anordnete, wurden in der Folge Ludens Politikvorlesungen verboten. Jedoch blieb eine Anfrage an das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach mit dem Ziel, dass er seine Professorentätigkeit ganz beenden sollte, ergebnislos.
Nicht nur die Freiheiten, die die Ernestiner ihren Staatsdienern gewährten, sondern auch die Ernestiner selbst trugen mit ihrer Geisteshaltung wesentlich zur Entwicklung des heutigen Europas bei. Durch ihre Heiratspolitik waren sie an den großen Höfen vertreten. Sogar in unserer Zeit ist die prominenteste Repräsentantin der Monarchie, Elisabeth II., Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, eine Ernestinerin – auch wenn sich der britische ernestinische Zweig 1917 in „Haus Windsor“ umbenannt hat. Der ernestinische Bildungskanon ist in unseren Schulen verankert, die Freiheit der Lehre und Forschung sind fester Bestandteil unserer Universitäten. Die Ernestiner haben Grundsteine gelegt, die selbst im Zeitalter des Internets und der Digitalisierung den ständigen Wandel begleiten. Ein wertvoller Schatz, den es zu bewahren gilt.
Stefanie Kellner
Die Thüringer Landesausstellung zeigt eine umfassende Schau über das
ernestinische Adelsgeschlecht: Welche Rolle spielten die familiären
Verbindungen und die Heiratspolitik, was passierte auf dem Weg vom Reich zur
Nation, was bedeutete ihm Glaube und wie gelang es ihm, seine Residenzen und
die Kosten des Hofstaates zu finanzieren? Darüber hinaus werden die erfolgreiche
Kunstpolitik der Ernestiner und die Förderung der Wissenschaften im Kontext mit
dem lutherischen Glauben beleuchtet.
Themenfelder „Reich und Nation“, „Glaube“ und -„Wissenschaft“
Stadtschloss Weimar, Burgplatz 4, 99423 Weimar
Neues Museum Weimar, Weimarplatz 5, 99423 Weimar
Themenfelder „Land“, „Familie“ und „Künste“
Schloss Friedenstein Gotha, Parkallee 15, 99867 Gotha
Herzogliches Museum Gotha, Parkallee 15, 99867 Gotha
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
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