Städte und Ensembles 2000 August 2011 W
Tag für Tag, von morgens bis abends, stehen sie Schlange, die Menschen, die mit einem der 57 Aufzüge 10 Meter pro Sekunde, 64 km/h, in die Höhe katapultiert werden wollen. Und zwar in die Höhe von 450 Metern. Stolze Preise werden für den Besuch der Aussichtsetage des Burj Khalifa in Dubai verlangt, umgerechnet 17 Euro mit tagelanger Voranmeldung und 67 Euro bei spontaner Lust auf Ausblick, aber das ist es den mehreren tausend Menschen täglich wert.
Das mit Abstand höchste Gebäude der Welt mit mehr als 160 Etagen ist eine Attraktion; schon die Baugeschichte einmalig: Die endgültige Höhe wurde noch während der Errichtung immer höher geschraubt. Den milliardenteuren Gigantismus feierte man über die fünf Jahre Bauzeit bis zur Eröffnung 2010 Stockwerk um Stockwerk als Event, dem Superlativ von zum Schluss 828 Metern, und damit gleich 300 Metern mehr als bei dem bis dahin höchsten Gebäude auf dem Planeten, schrie man geradezu hinaus in die Welt - und genau so war es geplant.
Ab einer gewissen Höhe haben Wolkenkratzer nur noch eine Funktion: Sie wollen, sie müssen beeindrucken. Hochhäuser sind nicht rational. Fachleute rechnen ihnen ab der Höhe von 300 Metern jeden Synergieeffekt ab: nämlich die maximale Verdichtung von Wohn- und Arbeitsraum auf minimaler Grundfläche - gerade in Dubai kein zwingender Grund für einen Wolkenkratzerbau.
Der eine Rekordbau war noch nicht begonnen, da wurde schon der nächste angekündigt: Die Tausend-Meter-Marke soll geknackt werden, natürlich auch in Dubai. Die asiatischen Länder, Städte wie Shanghai, Taipeh, Hongkong oder Kuala Lumpur sind harte Konkurrenten im irrwitzigen Wettlauf um die Rekorde. Doch so wie Wolkenkratzer schon immer im Glamour des Aufschwungs gewetteifert haben, so sind sie ebenso ein Seismograph für Krisenzeiten, eine Art Börsenkurve.
Auch der Burj Khalifa kündet davon: Scheich Muhammad bin Raschid Al Maktum von Dubai überraschte die Welt bei der Eröffnungsfeier leicht verschämt mit einer Namensänderung: Das als Burj Dubai geplante "Tallest Building in the World" wurde in Burj Khalifa umbenannt, denn die Weltwirtschaftskrise von 2008 hatte auch das Emirat erreicht, und nur Scheich Chalifa bin Said Al Nahyan vom immer noch unvorstellbar reichen Nachbaremirat Abu Dhabi konnte die Fertigstellung finanzieren. So standen im Oktober 2010 von den 900 Wohnungen 825 im Burj leer, 10 Monate nach der Fertigstellung waren die Wohnungspreise um 40 Prozent gefallen. Von Ein-Kilometer-Hochhäusern ist zur Zeit keine Rede mehr.
Trotzdem: Der Ausblick vom Burj Khalifa ist gigantisch. Er lässt die übrigen Wolkenkratzer und anderen architektonischen Sensationen Dubais wie Spielzeug im Wüstensand erscheinen. Hier ist alles künstlich. Vor wenigen Jahren war dieser Flecken Erde nur ein Fischerdorf im sandigen Nirgendwo. Es geht ums Hier und Jetzt.
Ganz anders in Frankfurt am Main, neben London, Paris und seit einiger Zeit im großen Maßstab auch Moskau die einzige nennenswerte Wolkenkratzerstadt in Europa. Hier blickt man vom höchsten Turm der Stadt - seit 1997 der 259 Meter hohe Commerzbank Tower - auf eine seit dem Mittelalter gewachsene Altstadt. Errichtet, zerstört, wiederaufgebaut, in Stücken gerettet und doch weiter angegriffen, erzählt sie alte Königs-, Kaiser- und Krönungsgeschichten. Obwohl die Hochhäuser als Zurschaustellung wirtschaftlicher Stärke durchaus eine historische Berechtigung in der Stadt mit der langen Kaufmanns- und Messetradition haben, wurde über sie seit den ersten Anfängen einer Skyline in den Nachkriegsjahren stark bis erbittert gestritten. Politische Auseinandersetzungen, die die Republik 1968 in ihren Grundfesten erschütterten, fanden ihren Auslöser auch in Hochhausplänen im Frankfurter Westend. Der steinewerfende Protest gegen Bauprojekte war die Verurteilung des dahinterstehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnisses.
Die Geschichte hat sich selbst überholt: Mitunter kämpfen dieselben vehementen Kritiker der 1960er-Jahre-Hochhäuser von damals heute um deren Erhaltung als Denkmal, wie es jahrelang - vergeblich - beim Zürichhaus am Opernplatz geschah. Die Skyline ist weitgehend akzeptiert, wird als Ausdruck der modernen Großstadt mit Stolz präsentiert. Diskutiert wird nicht um den Hochhausbau an sich, sondern um die weitere optimale Entwicklung der Stadtgestalt mit verdichteter Wolkenkratzer-Silhouette. Ein Rahmenplan weist sorgsam ausgewählte Standorte für sogenannte Hochhauscluster aus. 22 potentielle Hochhaus-Neubauten sind 2008 genehmigt worden - die wirtschaftliche Situation wird über ihre Zukunft entscheiden -, Bauverordnungen sollen die einseitige Nutzung als Bürohäuser verhindern. Emotionale Debatten über einzelne Gebäude sind geblieben, allein die Inhalte haben sich verschoben.
Ist es vertretbar, ein für die Stadtgeschichte wichtiges barockes Bauwerk, das teilweise nach den Kriegszerstörungen rekonstruierte Thurn und Taxis-Palais, als Entree¬kulisse für einen Hotel- und Bürokomplex mit Einkaufszentrum zu nutzen? Und es dafür auch noch kurzerhand im verkleinerten Maßstab neu zu bauen, um die silbern glänzenden Türme des Zentrums besser in Pose setzen zu können? Und - als wären das der denkmalpflegerischen Bauchschmerzen nicht genug - für die¬se neuen Wolkenkratzer das Fernmeldehochhaus von 1956 abzureißen?
Darf die Europäische Zentralbank (EZB) eine Großmarkthalle von 1928 als eine Art Sockelzone für ihren neuen Wolkenkratzer missbrauchen? Die EZB, überaus wichtig für die internationale Bedeutung der Stadt, möchte ihr weltpolitisches Gewicht mit entsprechender Architektur unterstreichen und von ihrem angestammten Wolkenkratzer in einen neuen spektakuläreren ziehen. Die Halle von Martin Elsaesser ist baugeschichtlich bedeutend wegen ihrer riesigen Ausmaße, dem stützenfreien Tonnengewölbe und dem zur Zeit ihrer Errichtung am weitesten gespannten massiven Flächentragwerk in moderner Schalenbauweise. Zudem ist sie historisch belastet als Deportationsort jüdischer Einwohner während des Nationalsozialismus.
Dagegen erweist sich das neueste Projekt der Deutschen Bank in Frankfurt als denkmalpflegerisch vorbildlich, nimmt auch gleichzeitig eines der Themen vorweg, die im Hochhausbau immer wichtiger sein werden: Ohne das Erscheinungsbild zu verändern, hat sie gerade für 200 Millionen Euro die berühmten dunkel glänzenden Doppeltürme aus den 1980er Jahren energetisch saniert. Bis zu 60 Prozent Energiekosten sollen gespart, sogar fast um 90 Prozent die CO2-Emission verringert werden.
Nicht mehr die Ein-Kilometer-Wolkenkratzer sind die wahre bautechnische Herausforderung. Die Zukunft liegt in der sinnvollen Energietechnologie. Ein Trendsetter für den internationalen Hochhausbau war da schon vor über zehn Jahren der von Norman Foster entworfene Frankfurter Commerzbank Tower als Pilotprojekt des Öko-Hochhauses: Der direkte Kontakt zur Außenwelt, zu Wind und Wetter, ersetzt weitestgehend die Klimaanlagen. Eine Gebäudehülle aus Weißglas mit Lüftungsschlitzen und Jalousien als Blendschutz machen die lange üblichen beschichteten Sonnenschutzgläser überflüssig. Die daraus erzeugte Wärmeglocke rings um das Gebäude fungiert im Winter wie eine Heizung. Abgeschaut von dem uralten Kamin-Prinzip arabischer Häuser, wird im Sommer die Heißluft per Thermik herausgesaugt. Neun "Skygärten", stockwerkübergreifende üppig bepflanzte Balkone, verbessern zusätzlich das Gebäude- und ganz allgemein auch das Arbeitsklima. Denn nicht nur aus umweltschonenden Aspekten sind energie- und ressourcensparende Hochhäuser interessant, auch die "Humanökologie" muss stimmen. Wie immer spielt die Rentabilität eine Rolle. Ein gesünderes Klima anstelle der energetischen Brutkästen bringt bares Geld. Frische Luft und natürliches Licht in den Büros bedeuten mehr Wohlbefinden, weniger Atemwegserkrankungen und höhere Produktivität.
Geplant ist das durch Windräder, Biogasanlage, Abwasseraufbereitung, Solarenergie und Erdwärmenutzung "kluge" Hochhaus. Misch¬nutzungen sollen Hochhäuser zu Städten in der Vertikalen werden lassen. Das energie¬autarke Hochhaus wird von seiner Form her eher skulptural werden, man arbeitet an der intelligent genutzten Dreidimensionalität. Der Höhenwettbewerb zwischen Chrysler Building und Empire State Building gehört eigentlich ins 20. Jahrhundert.
Immerhin vier Jahrzehnte hatte das Empire State Building von 1931 mit seinen 443 Metern den Höhenrekord in New York, der Wolkenkratzerstadt schlechthin, gehalten. Erst 1972 wurde es abgelöst von den Doppeltürmen des World Trade Centers, deren erschütternder Einsturz durch das Attentat vom 11. September 2001 das Ende der Wolkenkratzer zu besiegeln schien.
Deren Geschichte begann Ende des 19. Jahrhunderts in Chicago und New York, als niemand etwas von Terror und verletzbarer Größe ahnte. Zwei Voraussetzungen mussten im Wesentlichen erfüllt werden, um die hohen Gebäude errichten zu können: Bautechnisch war mit der Erfindung des Skelettbaus - zuerst aus Gusseisen, dann aus Stahl und Stahlbeton - eine Konstruktionsweise gefunden, die auf massive Steinwände verzichten und somit das Gewicht und die Wandstärke reduzieren konnte. Die weitgehend verglasten Fassaden der Entwürfe von Ludwig Mies van der Rohe machten das Prinzip zum Gestaltungsmerkmal. Schon 1921 hatte er für einen Bürohochhaus-Wettbewerb in Berlin einen Entwurf nach dieser Idee eingereicht. Die dem Stahlgerüst vorgehängten Curtainwalls wurden von dem 1938 aus Deutschland in die USA emigrierten Bauhäusler beim 1959 fertiggestellten Seagram Building in New York dann in aller Konsequenz verwirklicht. Mit den typisch glatten Hochhäusern des Internationalen Stils war damit nach der Großen Depression in den 1930er Jahren die Verspieltheit des Art Déco abgelöst.
Zudem brauchte es als technische Voraussetzung Fahrstühle, um die vielen Höhenmeter überwinden zu können. Sie sind sozusagen die Straßen in den Hochhäusern. Ab einer Höhe von 150 Metern spricht man heute im Allgemeinen von Wolkenkratzern. Schon 1913 konnte sich das New Yorker Woolworth Building mit 241 Metern brüsten, bezeichnenderweise "cathedral of commerce" genannt.
Das Hochhaus mag die Kathedralen und Kirchtürme aus dem Stadtbild und bei einigen Menschen auch aus dem Gedächtnis verdrängt haben, eine transzendente Sinngebung lag ihm allerdings nie zugrunde. Das wahre Wesen des klassischen Wolkenkratzers wird sich nie ändern und war schon immer einfach: Die Preise steigen im Etagentakt, und oben sitzen Potenz und Prestige. Ein Film hat dem ein ewiges, überaus kritisches Denkmal gesetzt: "Metropolis" von Fritz Lang, 1926 als apokalyptische Warnung vor einer neuen Zeit gedreht. Er nutzt die Wolkenkratzerwelt, so avantgardistisch wie das Medium Film selbst zu dieser Zeit, als architektonische Chiffre. Überzeichnet wird daraus eine Unterwelt von versklavten Arbeitern, die sich in den Katakomben für die weit oben im Wolkenkratzergebirge lebende reiche Oberschicht krank schuften. Das Hochhaus als Vertikale des Verderbens in einer sehr europäischen Sicht der Dinge, die dem damaligen Fortschrittsglauben in den USA entgegenstand.
Mit entwaffnender Offenheit und weit entfernt vom ewigen Zweifel europäischer Bedenkenträger hingegen feiert sich der Burj Khalifa. Manchmal wird aber selbst das höchste und neueste Gebäude der Welt von der Vergangenheit eingeholt. Der Burj Khalifa verinnerlicht - ungewollt, aber im wörtlichen Sinn - deutsche Geschichte: Tonnenweise wurde Stahl aus dem Berliner Palast der Republik verbaut. Nach dessen Abriss 2006 waren die Stahlträger eingeschmolzen worden und gelangten über mehrere Firmen als recyceltes Material schließlich zur Baustelle in Dubai.
Wer hätte das gedacht: Das zur Zeit größte und spektakulärste Symbol des Wüsten-Kapitalismus ist erbaut aus DDR-Vergangenheit. Das wirkt fast wie ein Augenzwinkern der Geschichte.
Beatrice Härig
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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Ihre Ausführungen im Beitrag "Wolkenkratzer und das Bild der Skyline von Frankfurt am Main haben mich amüsiert.
Ich kann mich an eine Skyline von 1953 erinnern. Ich war auf den Turm des Doms geklettert, was selbstverständlich streng verboten war.
Bis zum Horizont: Trümmerberge! Nur das steinerne Haus und die Paulskriche standen als Ruinen in der Altstadt, etwas weiter nach Westen: das Senckenberg-Museum. Aus!
Nur an der Taunusanlage war ein Baustelle: das acht Stockwerke hohe Haus der Dresdner Bank. Es erregte heftigste Proteste bei der Bevölkerung mit dem Ergebnis, dass der Stadtrat beschloss, nie wieder eine Baugenehmigung für ein Hochhaus zu erteilen. Diese Episode fällt mir immer wieder ein, wenn ich die heutigen Hochhäuser sehe.
Freundlichen Gruß
Prof. H. Göbel
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