Städte und Ensembles Februar 2011
Der städtische Viehhirte von Oberwesel am Rhein hatte kein leichtes Leben. Tagsüber musste er die Kühe der Bürger auf die Weiden führen, nachts übte er das Amt eines Brandwächters aus. Hoch oben im 6. Stock des Kuhhirtenturms lag seine Wachstube und darüber hing die Brandglocke. Täglich musste er also über einfache Leitern den hohen Turm besteigen. Sicher hielt er dabei auch zuweilen nach Feinden Ausschau, schließlich lag sein Dienstsitz an der besonders gefährdeten westlichen Stadtmauer am Michelfeld. Noch heute umschließen die Befestigungsanlagen die Stadt auf knapp drei Kilometer fast vollständig.
Bei einem Rundgang stehe ich mit Herbert Jäckel, Architekt und Vorsitzender des Bauvereins Historische Stadt Oberwesel e. V., im tiefen Stadtgraben am Kuhhirtenturm, den Familie Haub aus Wiesbaden Anfang der 1980er Jahre aufwendig restaurieren und ausbauen ließ. Herr Jäckel erzählt mir, dass die hohe Mauer mit den vier Wehrtürmen erst seit ein paar Jahren hier so erlebbar ist. Zuvor wuchsen im Graben hohe Nadelbäume, wucherte dichtes Gestrüpp. Auch hier schaltete sich Familie Haub ein und unterstützt bis heute den Bauverein großzügig: So konnte der Graben auf 550 Meter Länge gerodet werden. Künftig sollen darin nur Gras und Obstbäume wachsen, so wie es wohl auch in früheren Jahrhunderten war.
Durch die Rodung ist eine Besonderheit dieser Mauer wieder zu erkennen: Sie wurde nämlich nicht, wie etwa die Mauer entlang des Rheins, auf einem Streifenfundament errichtet, sondern man hob alle vier bis fünf Meter tiefe Löcher für Pfeiler aus, die durch flache Gewölbebögen verbunden wurden. Die Last der bis zu neun Meter hohen Mauer ruht nun allein auf den Pfeilern. Daran zeigt sich die hohe Kunstfertigkeit der mittelalterlichen Bauleute. Schließlich entstand dieser Teil der Stadtbefestigung wohl schon um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert, wie an Hölzern des dem Kuhhirtenturm benachbarten Pulverturms festgestellt wurde. Die hier teilweise sehr schadhafte Mauer wurde inzwischen behutsam saniert.
Wenn man sich die Geschichte der Stadt vor Augen hält, erscheint es fast wie ein Wunder, dass wir die Oberweseler Stadtbefestigung mit ihren zahlreichen Türmen und Toren heute noch in solcher Vollständigkeit erleben können. Der Ort, den bereits keltische Treverer und Römer besiedelten, der dann unter fränkischer Herrschaft stand, wird 1220 freie Reichsstadt. Trotz der unruhigen Zeiten gelingt es den Bürgern, die Stadt zur Blüte zu bringen. Immerhin beherbergt sie in ihren Mauern bald zwei große Stifte und zwei Klöster. Obwohl Oberwesel bereits 1309 seine Reichsunmittelbarkeit an den Erzbischof von Trier verliert, äußert sich ihr Selbstbewusstsein vor allem beim weiteren Ausbau der Stadtbefestigung.
Die Mauer, die zunächst nur die Kernstadt umgibt, wird bereits um 1240 aufgestockt und in der Folgezeit um die südliche und nördliche Vorstadt herum erweitert. Als letztes wird etwa 1350 die Mauer um das südlich gelegene Kirchhausen mit der gotischen Liebfrauenkirche errichtet. Schließlich künden im 15. Jahrhundert neben den großen Kirchen 22 Türme - davon acht Tortürme -, drei große Stadttore und 13 Mauerpforten von der Bedeutung Oberwesels.
Trotz aller Wirren der nachfolgenden Jahrhunderte sind von den Türmen heute immerhin noch 16 erhalten und drei weitere als Stümpfe zu erkennen. Nach Belagerungen und Einquartierungen im Dreißigjährigen Krieg wirkte sich der Pfälzer Erbfolgekrieg besonders verheerend aus. Ein halbes Jahr lang waren die Bürger einer Armee Ludwigs XIV. ausgeliefert. Als diese endlich im Frühjahr 1689 abzog, lag die Stadt in Schutt und Asche, viele der Bürger waren als Geiseln verschleppt. Die Hoffnungen nach mehr Freiheit, die die Oberweseler ein Jahrhundert später auf die 1794 einmarschierenden französischen Revolutionstruppen gesetzt hatten, wurden ebenfalls bitter enttäuscht. 1815 kam die Region schließlich mit der Rheinprovinz an Preußen.
Doch nicht nur Kriege setzten der historischen Stadt zu. Auch der Fortschritt forderte seinen Tribut. Mit dem Bau der Eisenbahn Mitte des 19. Jahrhunderts gingen Teile der Mauer und die unmittelbare Verbindung zum Wasser verloren. Zuvor hatten die Bürger durch die vielen Pforten in der Stadtmauer direkten Zugang zum Rhein und zu ihren Gärten an seinem Ufer, das nur von Treidelpfaden gesäumt war.
Welchen Einschnitt Bahn und Bundesstraße bedeuten, zeigt mir Herbert Jäckel auf dem ehemaligen Wehrgang der Mauer am Rhein. Dass wir hier heute entlanggehen können und so einen guten Überblick gewinnen, ist ebenfalls dem 1993 gegründeten Bauverein Historische Stadt Oberwesel e. V. zu verdanken, der auch dank der ständig steigenden Mitgliederzahl Erstaunliches zustande bringen konnte. War und ist doch die Kommune nicht in der Lage, die Pflege und Erforschung ihrer wertvollen Wehranlagen selbst zu leisten.
So konnten inzwischen große Teile der Mauer und viele Türme gesichert, saniert und vom zerstörerischen Efeu befreit werden. Die Fundamente bereits verloren geglaubter Mauerabschnitte sind freigelegt. Heute kann man sich deshalb nicht mehr nur anhand historischer Darstellungen ein sehr genaues Bild vom gesamten Mauerverlauf machen.
Der Einsatz des Bauvereins mit Herbert Jäckel an der Spitze wurde und wird von vielen unterstützt. Dazu gehört neben dem Land Rheinland-Pfalz auch die Deutschen Stiftung Denkmalschutz und die von ihr treuhänderisch verwaltete Stiftung Stadtmauer Oberwesel.
Dabei geht es dem Bauverein vor allem darum, die Weinstadt am Rhein wieder für Touristen interessant zu machen. Schließlich können sie hier neben der größten in der Region erhaltenen Stadtmauer und der Liebfrauenkirche mit ihrer wertvollen gotischen Ausstattung noch weitere Zeugnisse der einst bedeutenden Geschichte erleben.
Wohl auch deshalb kamen schon im 19. Jahrhundert vor allem englische Reisende in diese Gegend, die bis dahin lediglich von Landwirtschaft und Weinbau geprägt war. Die Romantik hatte den besonderen Reiz des oberen Mittelrheintals mit seinen Burgen entdeckt. Seit 2002 steht es deshalb auch auf der Liste des UNESCO-Welterbes.
Am Schluss unseres Rundgangs führt mich Herbert Jäckel im Pfarrgarten nahe der Martinskirche zum Stumpf eines Turmes, den der Bauverein vor ein paar Jahren wiederentdeckt hat. Hier hatte sich ein Pfarrer im 19. Jahrhundert einen kleinen Pavillon auf die Reste des einst Pfaffenhütchen genannten Turmes errichtet. Von dort aus genoss wohl auch er - so wie wir heute - die Rheinromantik und den schönen Ausblick auf die umgebenden Weinberge.
Dorothee Reimann
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
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Angenehm sachlich, informativ, ohne Beweihräucherung, ein Genuss.
Da ich sowohl die Deutsche Stiftung Denkmalschutz als auch den Bauverein historisches Oberwesel finanziell unterstütze, war die Lektüre für mich besonders wohltuend.
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