Städte und Ensembles Herrscher, Künstler, Architekten Februar 2011
Mit Fug und Recht darf man behaupten, dass Saarbrücken und das Saarland eine von der Geschichte gebeutelte Gegend ist. Ein Grenzgebiet, das niemand so wirklich haben wollte und das doch strategisch wichtig genug war, um mehrfach überrannt, verhandelt und ausgebeutet zu werden.
Jeder Regierende versuchte sich mit unterschiedlichem Erfolg dagegen zu behaupten. Doch in der Erinnerung der Saarländer schaffte Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken (1718-68) dies am besten. Auch wenn sein Sohn Ludwig unter der Last der aufgetürmten Staatsschulden fast zusammenbrach, brachte Wilhelm Heinrich seinem Volk nicht nur eine 28-jährige Friedenszeit, sondern auch Arbeit und Wohlstand.
Eigentlich sah es nicht so aus, als sollte Wilhelm Heinrich in dem verästelten Walram'schen Zweig des Nassauer Grafengeschlechts einmal Landesherrscher werden. Doch durch das Erlöschen der Linien Saarbrücken und Ottweiler fielen die Besitzungen 1728 an Nassau-Usingen. 1735 kam es zu einem Erbvertrag, in welchem Wilhelm Heinrichs sechs Jahre älterer Bruder Karl die väterlichen rechtsrheinischen Gebiete im Taunus um Usingen, Idstein und Wiesbaden zugesprochen wurden und Wilhelm Heinrich die Territorien im Oberrheinischen Kreis mit Saarbrücken, Homburg und Ottweiler. Damit führte er den Fürstentitel von Nassau-Saarbrücken.
Der Vater war bereits 1718 gestorben, und die Mutter Charlotte Amalie von Nassau-Dillenburg hatte die Vormundschaft über beide Usinger Prinzen übernommen. Sie bestand darauf, ihren Söhnen eine gute Ausbildung zuteil werden zu lassen, prüfte selbst die vorgesehenen Lehrpläne und legte für Wilhelm Heinrich die Reiseroute der Grandtour 1736 fest. Bis zu ihrem Tod zwei Jahre später brachte sie viele Reformen auf den Weg, von denen Wilhelm Heinrich profitierte.
Seit feststand, dass ihr Sohn künftig in Saarbrücken residieren würde, betrieb Charlotte Amalie auch die Umgestaltung des Saarbrücker Renaissanceschlosses, womit sie den Baudirektor von Nassau-Usingen, Friedrich Joachim Stengel (1694-1787), beauftragte. Stengel kam zu dem Schluss, dass Abriss und Neubau unumgänglich seien. Damit begann eine enge Zusammenarbeit zwischen dem 17-jährigen Wilhelm Heinrich und seinem späteren Generalbaudirektor, aus der die barocke Residenz Saarbrücken hervorging. Mit einem Schloss, das Freiherr von Knigge als eine der schönsten Fürstenwohnungen in Deutschland rühmte, in einer kleinen Residenzstadt, die Goethe als "lichten Punkt in einem so felsig waldigen Lande" bezeichnete.
Schon bevor Wilhelm Heinrich 1741 die Regierungsgeschäfte übernahm, hatte er ein Ziel vor Augen: in Saarbrücken die prachtvolle Residenz von Versailles im Kleinformat erstehen zu lassen. Dieses Stilmittel sahen damals viele barocke Herrscher als einzige Möglichkeit, um im Konzert der rund 250 Klein- und Kleinstfürstentümer nicht unterzugehen.
Als fürstlicher Regierungssitz diente Saarbrücken, das heutige Alt Saarbrücken. Auf der gegenüberliegenden Saarseite befindet sich die alte Bürgerstadt St. Johann. 1909 wurden sie mit Burbach-Malstatt zur Stadt Saarbrücken vereint. Auf dem "Saarbrocken", dem Felsplateau über der Saar, stand auch das alte Schloss der Nassau-Saarbrücker Grafen. Dort baute Stengel von 1738 bis 1748 das neue dreiflügelige Barockschloss. Aber er drehte die Anlage um 90 Grad in eine West-Ost-Achse. Damit konnte er den heutigen Stadtteil Alt-Saarbrücken besser nutzen. Den Ehrenhof begrenzte er mit einem vergoldeten Gitter, da er nahtlos in den Schlossplatz übergeht, und setzte an dessen Ende das Saarbrücker Rathaus. An der Gartenfront des Schlosses erstreckte sich oberhalb der Saar der stilvolle Park mit seinen berühmten Terrassen.
Wilhelm Heinrich wollte Versailles nicht allein kopieren, er hegte eine ehrliche Zuneigung zu Frankreich. Auch Frankreichs König Ludwig XV. hatte das kleine Grenzfürstentum mit den vier Städten und rund 140 Dörfern im Blick. Er unterstellte dem 19-Jährigen ein französisches Regiment und gewann ihn dadurch zeitlebens für französische Militärdienste. Auch konnte Wilhelm Heinrich an Grenzbereinigungen zu Frankreich und Lothringen mitwirken. Eine diplomatische Leistung, die ihm Anerkennung im Deutschen Reich einbrachte.
Nur im eigenen Haus zog sich Wilhelm Heinrich erheblichen Ärger zu, weil er seinen größten Wunsch zu erfüllen hoffte: Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat. Seit 1688 durften die Grafen von Nassau-Usingen den Fürstentitel führen, aber im Reichsfürstenrat besaßen sie mit rund 20 anderen Grafen nur eine gemeinsame Stimme. Dies trachtete Wilhelm Heinrich in Regensburg 1753/54 zu beeinflussen, ohne sich vorher der Einwilligung des ältesten regierenden Fürsten und Entscheidungsbefugten hinsichtlich der Belange des Hauses Nassau, Karl August von Nassau-Weilburg, zu vergewissern.
Leider ist ein Großteil der Dokumente und persönlichen Schriften verloren, daher lässt sich die Person Wilhelm Heinrich nicht recht greifen. Einig ist man sich darüber, dass er - nicht groß von Statur - ein agiler und pragmatischer Mann war. Er war entschlussfreudig und verstand es, fähige Menschen für seine Interessen zu gewinnen. Ein Stab von Ministern und Beamten stand ihm stets zur Seite.
Verheiratet war er seit 1742 mit Sophie Erdmuthe von Erbach, um die er im Zuge der Kaiserwahl Karls VII. in Frankfurt am Main geworben hatte. Aus dieser Ehe stammen drei Töchter, ein frühverstorbener Sohn sowie Ludwig, der 1768 als Nachfolger seines Vaters die Regierung antrat. Wilhelm Heinrich war handfester Genussmensch und hatte zahlreiche Geliebte. Eine Anekdote erzählt, dass er von einer Parisreise allen seinen Gespielinnen die gleiche blaue Robe mitbrachte, ohne dies zu verraten. Jede wollte sich natürlich beim nächsten Kirchgang damit zeigen. Wie groß war das Gelächter in der Bevölkerung und der Verdruss bei den Damen! Seiner Gattin lagen diese Eskapaden fern. Sie teilte mit ihrer Freundin Gräfin Caroline von Hessen-Darmstadt die Leidenschaft für Literatur und Kunst und verkehrte häufig mit den französischen Enzyklopädisten. Sohn Ludwig schlug in der Liebe zu Kunst und Kultur nach seiner Mutter. Er begeisterte sich für Theater, Musik und Tanz, und in seiner Ära erhielt der Saarbrücker Hof auch ein eigenes Komödienhaus.
Wilhelm Heinrich verstand sich als Landesvater von Gottes Gnaden, dem er - reformiert im Glauben - allein Rechenschaft abzulegen hatte. Seinem Volk, das sich von den Folgen des Dreißigjährigen Kriegs und der Reunionskriege erholen musste, bemühte er sich, ein guter, um Gerechtigkeit besorgter Regent zu sein - und er wollte viel Geld einnehmen, um seine ehrgeizigen Bauvorhaben umsetzen zu können.
Eine große Anzahl von Reformen und Reglementierungen gehen auf sein Konto. So trennte er Justiz und Verwaltung, ließ das Land neu vermessen, um einen gerechteren Steuerfuß zu bestimmen, legte ein gut gepflegtes Verkehrsnetz an, verringerte die Zölle. Und er wusste vor allem, den Wert der Steinkohle und Erzvorkommen in seinem Land einzuschätzen. Es ist nicht bekannt, wie viele Reformen er sich bei seinen Nachbarn abgeschaut hat, aber im Steinkohlebergbau war er ein Vorreiter. Er verstaatlichte die Bergwerke und förderte die Einrichtung zahlreicher steinkohle- und eisenverarbeitender Hütten. So entstand im Umkreis von rund zehn Kilometern um Saarbrücken der erste vorindustrielle Ballungsraum, aus dem ab dem 19. Jahrhundert die saarländische Industrieregion hervorging. Der wirtschaftliche Aufschwung des Landes spiegelt sich in den Einwohnerzahlen wider: Waren es 1735 noch knapp unter 13.000 Menschen, lebten 1766 fast 22.000 im Land.
Derweil ging der Ausbau der Residenz weiter. Alt-Saarbrücken gestaltete Stengel als barocke Residenzstadt in einem Schachbrettmuster - so weit am Berghang möglich - und mit Sichtachsen. Auch in der Kaufmannsstadt St. Johann legte er Hand an, doch die gewachsene Stadtstruktur behielt er weitgehend bei. Dort baute er ab 1754 die katholische Pfarrkirche und gab dem Marktplatz 1759 eine barocke Gestalt. Bei der Stadtplanung setzte Wilhelm Heinrich auf private Bauherren, die er mit Steuererlässen, preisgünstigem Baugrund und Kostenübernahme des künstlerischen Bauschmucks förderte.
Nach 20 Jahren wuchs bei Wilhelm Heinrich der Wunsch, sich ein Denkmal für seine Regierungszeit zu setzen. Ihm schwebte eine Place Royale vor, wie sie kurz zuvor in der lothringischen Hauptstadt Nancy fertiggestellt worden war. Nach diesem Vorbild sollte Stengel in Alt-Saarbrücken einen Platz mit einheitlichen Hausfassaden, die ein zentrales Herrscherbild umrahmen, schaffen. Der große Unterschied aber war, dass er nicht eine Statue von sich dort sehen wollte, sondern mit dem Bau einer lutherisch-reformierten Hofkirche ein klares Bekenntnis zum Protestantismus zu formulieren gedachte. Die Saarbrücker "Place Royale" rahmte Stengel wieder mit seinen typischen Barockpalais, denen eine elegante Heiterkeit und Leichtigkeit innewohnt. Die wie am Schloss hellgrau und weiß gehaltenen Fassaden werden durch Fensterachsen gegliedert, deren Fenstergesimse mit variierenden Schmuckkartuschen verziert sind. Gleich den Platzgittern in Nancy waren die schmiedeeisernen Balkone golden gefasst. Im Gegensatz zu heute war auch die Kirche in diesen hellen Farbtönen verputzt.
Stengel richtete das Ensemble jedoch nicht zum Schloss hin aus, sondern drehte es so, dass er den Platz in einer Blickachse mit der evangelischen Kirche in St. Johann verband. Von dieser Kirche wiederum wandert der Blick über die alte Saarbrücke zum Schlossfelsen mit Schlosskirche und dem davor gelegenen, heute zerstörten Oberamtsgebäude. Damit schließt sich das gedankliche Dreieck. Eine mehr als gekonnte städtebauliche Lösung für Wilhelm Heinrichs fürstliche Residenzstadt.
Die Fertigstellung der Kirche erlebte Wilhelm Heinrich nicht mehr. Er starb 1768, und trotz der durch seine Baulust aufgetürmten Schulden ließ sein Nachfolger Ludwig Platz und Kirche, die als eine der schönsten evangelischen Sakralbauten in Deutschland gilt, vollenden. Seither heißen sie Ludwigsplatz und Ludwigskirche. Wilhelm Heinrich fand seine letzte Ruhestätte in der Schlosskirche mit einem prächtigen Grabmal, das seine Frau für sie beide hatte entwerfen lassen.
Doch die Geschichte bedachte sie mit einem anderen Schicksal. Ludwig sah den Zwang ein, rigoros zu sparen, und begab sich 1771 in die Hände einer kaiserlichen Schuldentilgungskommission. Mit ihrer Hilfe baute er in elf Jahren die Staatsschulden fast ab. Kaum finanziell genesen, musste der Fürst 1794 mit seiner Mutter vor den Revolutionstruppen nach Aschaffenburg fliehen, wo sie beide kurz darauf starben. Saarbrücken wurde besetzt, fiel 1801 an Frankreich und wurde 1815 Preußen zugeschlagen.
Im Saarland wird bis heute die Erinnerung an Wilhelm Heinrich und seine Familie wachgehalten. Nachdem am 5. Oktober 1944 Saarbrücken verheerend zerstört worden war, schuf man eine neue, moderne Stadt, die sich der verkehrsorientierten Infrastruktur der Industrieregion verpflichtete. Doch die Ensembles um Schloss und Ludwigskirche und in St. Johann ließ man so weit wie möglich wiedererstehen.
1995 wurden unter Ministerpräsident Oskar Lafontaine die Gebeine Ludwigs feierlich von Aschaffenburg nach Saarbrücken überführt. Auch eine 2-Euro-Gedenkmünze des Jahres 2009 wurde mit der Ludwigskirche verziert - eine der vielen Ideen, mit denen man Wilhelm Heinrich und Ludwig ihren festen Platz in der Geschichte des Saarlandes und in der Erinnerung der Menschen bewahrt.
Christiane Rossner
Museen
Rund um den Schlossplatz und in der Schlosskirche von Alt-Saarbrücken befindet sich seit 2009 ein kunst- und kulturhistorischer Museumskomplex der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz: das Saarlandmuseum mit der Alten Sammlung und dem Museum für Vor- und Frühgeschichte. Dazu gesellt sich das eigenständige Historische Museum Saar.
Alle drei Museen bieten interessante Sammlungen und Ausstellungen zur Geschichte Saarbrückens und des Saarlands.
Saarlandmuseum - Alte Sammlung/Museum für Vor- und Frühgeschichte, Kreisständehaus Schlossplatz 16, 66119 Saarbrücken.
Schlosskirche, Am Schlossberg 6, 66119 Saarbrücken, Tel. 0681/9 54 05-18, Öffnungszeiten: Di, Do-So 10 bis 18 Uhr, Mi 10 bis 22 Uhr www.kulturbesitz.de
Wir danken der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz für die freundliche Fotogenehmigung.
Historisches Museum Saar, Schlossplatz 15, 66119 Saarbrücken. www.historisches-museum.org
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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