Kurioses Ikonographie Oktober 2010
Hilflos liegt der Jäger am Boden. Zwei Hasen haben ihm die Beine gefesselt. Seine Hände und Arme mit ihren Pfoten fixierend, zurren sie mit den Zähnen einen Strick um die Handgelenke des Opfers. Jahrzehnte rätselte man über die Deutung dieser ungewöhnlichen Darstellung an der ehemaligen Benediktinerklosterkirche von Königslutter.
Für kurze Zeit war der heute eher unbekannte Ort am Elm, einem Höhenzug südöstlich von Braunschweig, ein wichtiges Zentrum. Lothar III., einziger Kaiser aus dem Geschlecht der Süpplinburger, ließ hier ab 1135 die Klosteranlage errichten, deren Kirche nur zwei Jahre später seine Grablege werden sollte. In der Mitte der Hauptapsis, die von kleineren Nebenapsiden flankiert wird, erscheint unsere Darstellung als Teil eines fast vollplastisch herausgearbeiteten Bilderfrieses, der neben Menschen- und Tierköpfen verschiedene Jagdszenen zeigt. Einen einzigen Text als Beleg dieser "Verkehrten Welt" gibt es nicht. Und gerade darin besteht die besondere Qualität des Bildes, denn es bietet den Betrachtern Deutungsspielräume. Im Sinne biblischer Texte sowie spätantiker und mittelalterlicher Auslegungsliteratur - zum Beispiel die Schriften der Kirchenväter oder der Physiologus - die den ansässigen Mönchen sicher geläufig war, ist davon auszugehen, dass hier das Böse in Gestalt des Jägers in Erscheinung tritt, das vom Guten besiegt wird.
Die ungewöhnliche Bildschöpfung ist wohl das Werk des Baumeisters Nicolaus, dessen Spuren sich auch an den Domen von Piacenza und Verona sowie an San Zeno in Verona finden. Davon dass es sich bei Nicolaus um einen hochgebildeten Künstler handelt, der ein entsprechend versiertes Publikum anspricht, zeugt auch das Ende des Jagdfrieses an der Hauptapsis. Hier befindet sich die spiegelverkehrte Inschrift "Hoc opus eximium vario celamine mirum sc (ulpsit)" - "Dieses vortreffliche Werk, durch mannigfaltige Meißelarbeit wunderbar, hat gemeißelt". Sie bricht genau dort ab, wo ein Künstlername zu erwarten wäre. Statt diesem schließt sich darunter die Darstellung eines Jägers an, der einen erlegten Hasen schultert.
Setzt sich der Name des Baumeisters Nicolaus aus den griechischen Wörtern "nikáo" (siegen) und "laós" (Volk) zusammen, so wird dieser - wenn der Betrachter in seiner Vorstellung den Buchstaben "g" hinzufügt - zum Hasenbesieger "nikáo lagos". Es ist zu vermuten, dass die gebildeten Klosterinsassen und ihre Gäste dieses Maß an gedanklicher "Mitarbeit" zu leisten und die Künstlersignatur über den Umweg des Griechischen zu entschlüsseln vermochten. Zeigt ihnen doch schon die spiegelverkehrte Schrift an, dass sie hier in einem Rätsel angesprochen werden.
Auch die Löwenfiguren am Portal des nördlichen Seitenschiffs weisen darauf hin, dass Lothar norditalienische Baumeister für sein außerordentliches Bauprojekt verpflichtete, das erst unter seinem Enkel Heinrich dem Löwen fertig gestellt wurde. Die am Boden kauernden Raubtiere halten - wie zum Beispiel die Portallöwen des Doms in Fidenza oder von San Zeno in Verona - ihre Opfer, einen Widder und einen Menschen, in den Pranken. Filigran gearbeitete Säulen, die den Portalbogen tragen, fußen auf den Rücken der Tiere, was sie zu unfreiwilligen "Dienern der Kirche" werden lässt. Während der Teufel schon in der Bibel mit einem Löwen verglichen wird, der zwar bezwungen ist, vor dem man sich aber dennoch in acht nehmen sollte (1. Petr. 5,8), klingt das Gedicht über den Teufel des Isaak von Antiochien wie eine Beschreibung der Portallöwen. In dem Text aus dem 5. Jahrhundert heißt es: "Er ist ein Löwe, welchen die Gerechtigkeit gefesselt hat und an ihrer Pforte als Schreckmittel sich niederkauern lässt ... Er ist festgebunden am Leitseile der Gerechtigkeit, weil sein eigener Wille stets auf Schädigung ausgeht."
Der italienischen Werkstatt sind außerdem die unterschiedlich ornamentierten Säulen im Kreuzgang zu verdanken, deren phantasiereich gestaltete Kapitelle verschlungene Drachen- oder Vogelgestalten und zu dieser Zeit in Sachsen neuartige Palmettenfächerkapitelle zeigen.
Pünktlich zum 875. Geburtstag der Klosterkirche schloss man in diesem Frühjahr die zehn Jahre andauernden, grundlegenden Restaurierungsarbeiten ab. Zunächst hatte man das Äußere und anschließend den Innenraum, dessen Malereien aus dem 19. Jahrhundert stark beschädigt waren, wieder hergestellt.
Die heute Kaiserdom genannte, ehemalige Klosterkirche war niemals Bischofssitz und ist demnach kein Dom. Der Name würdigt vielmehr die Bedeutung des Bauwerks, des Kaisers Lothar und mit ihm die kurze aber reiche Blütezeit des kleinen Ortes am Elm.
Julia Ricker
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