1700 Interieur Material April 2007 F

Holländische Fayencefliesen in Schloss Caputh

Die Lust am Spiel

Geschickt sind sie, die zwei Jungen. Sie laufen auf hohen Stelzen, bekleidet mit Mützen, Jacken und kurzen Hosen. Nicht weit entfernt übt ein weiterer Junge den Kopfstand, und ein zweiter versucht, ihm nachzueifern. Andere Kinder lassen Drachen steigen, treiben Kreisel, reiten Steckenpferde oder spielen mit Murmeln und Knöchelchen. Ein unterhaltsamer Zeitvertreib, der sich jeweils auf 13 mal 13 Zentimeter großen, blau-weißen Fliesen abspielt.

Kinderspiele waren beliebte Fliesenmotive in den Niederlanden. 
© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg/Roland Rossner
Kinderspiele waren beliebte Fliesenmotive in den Niederlanden.

Die Attraktion befindet sich im sogenannten Sommerspeisesaal von Schloss Caputh nahe Potsdam. Ab 1671 hatte man das kleine brandenburgische Barockschloss für Kurfürstin Dorothea, der zweiten Ehefrau des Großen Kurfürsten, umgestaltet. Später favorisierte ihr Stiefsohn, König Friedrich I., den Sommersitz. Er fasste auch den Plan, im Souterrain statt eines großen Durchgangs einen Saal zur Erfrischung und Erholung einzurichten. Die bemerkenswerte, um 1720 entstandene Raumdekoration mit holländischen Fayencefliesen ist jedoch dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. zu verdanken, der Caputh nach Jagden im Großen Tiergarten aufzusuchen pflegte. Friedrich Wilhelm war ein Anhänger der bürgerlichen Wohnkultur, wie er sie in den benachbarten nördlichen Niederlanden kennengelernt hatte. Sie erfüllte seine Idealvorstellungen von praktischer, einfacher und tugendhafter Lebensart. Das Holländische Viertel, das er ab 1734 in Potsdam bauen ließ, legt von seiner Wertschätzung noch heute ein beredtes Zeugnis ab.

Seit man das chinesische Porzellan kannte, standen Fayencen bei den Europäern hoch im Kurs. Sie glichen dem echten Porzellan und stellten damit für breite Bevölkerungsschichten einen erschwinglichen Ersatz für die sehr teure asiatische Luxusware dar. Dank des Wissens, das die Niederländer im weltweiten See- und Kolonialhandel erworben hatten, konnten sie sich auf die Produktion von Fayencen spezialisieren, die im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts zu einer hohen Blüte kam. Rotterdam und Utrecht sowie die friesischen Manufakturen in Makkum und Harlingen entwickelten sich zu Zentren der frühindustriellen Fliesenherstellung. Die Bezeichnung "Delfter Fliesen" für die blau-weißen Fayencen ist nur bedingt richtig, denn Delft war lediglich eine kurze Zeit an der Produktion speziell von Fliesen beteiligt.

Der Fliesensaal in Schloss Caputh konnte dank zahlreicher Spenden zwischen 1995 und 1998 restauriert werden. 
© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg/Roland Rossner
Der Fliesensaal in Schloss Caputh konnte dank zahlreicher Spenden zwischen 1995 und 1998 restauriert werden.

Küchen, Flure, Wandbereiche um Kamine und Kochstellen wurden in holländischen Bürgerhäusern mit Fliesen verkleidet. Als der Adel in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Fayence-Fliesen für sich entdeckte, fanden sie als Raumdekor auch Eingang in die Schlösser. Heute gibt es noch einige Beispiele wie etwa in den Schlössern Augustusburg und Falkenlust bei Brühl (Nordrhein-Westfalen) oder in der Amalien- und der Badenburg im Park von Nymphenburg bei München.

Zu diesen außergewöhnlichen Raumschöpfungen zählt auch der Sommerspeisesaal in Caputh: Über 7.500 Fliesen bedecken vollständig die Wände wie auch das Kreuzgratgewölbe des Raums. Sie gehören zu den kostengünstigen Massenanfertigungen und wurden ab 1700 hergestellt. Fünf Themenbereiche sind in Caputh mehr oder weniger konsequent angeordnet: Schiffe, Landschaften, Hirten, Tiere, und - für die niederländische Fliesengestaltung typisch und einmalig - Szenen aus dem Alltagsleben sowie Kinderspiele.

Das Reifenschlagen galt als Symbol für unnütze Arbeit. 
© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg/Roland Rossner
Das Reifenschlagen galt als Symbol für unnütze Arbeit.

Man fand Vergnügen an der Darstellung menschlicher Tätigkeiten, und so hatten die Fliesenmaler zahlreiche Vorlagen auf Kupfer- und Holzstichen, vor allem aber auf Bilderbogen, die in großer Auflage gedruckt wurden. Seit dem 17. Jahrhundert werden die Kinder, meist Jungen, beim Spiel in alltäglicher Kleidung gezeigt. Manche Kinder tragen Röcke, doch auch bei ihnen handelt es sich vorwiegend um Jungen, denn bis etwa zum 7. Lebensjahr waren die Kinder gleich gekleidet. Nur wenn typische Mädchenspiele dargestellt wurden, wie die Beschäftigung mit Puppen oder Fangen, sind tatsächlich Mädchen wiedergegeben. Pieter Bruegel d. Ä. hat auf einem Gemälde von 1560 über 90 Spiele festgehalten. Bruegel, der hintergründige Chronist des Alltäglichen, hätte sie wohl nicht aufgegriffen, läge der Darstellung von Kinderspielen nicht manchmal auch ein tieferer Sinn zugrunde. Damals den Menschen durchaus geläufig, offenbart er sich heute oft nur Kennern der Emblematik des 17. und 18. Jahrhunderts.

Zum Beispiel wurden Reifenschlagen und Seilspringen als Zeichen unnützer Arbeit angesehen, weil die Anstrengungen und Mühen in keinem Verhältnis zum Ergebnis stehen. Das Seifenblasen hatte verschiedene Bedeutungen, mal versinnbildlichte es den Verlust einer Gunstbezeugung, mal die Vergänglichkeit von Schönheit oder des Lebens, ebenso wie das Kreiselspiel, das anschaulich zeigt, dass "alles seine Zeit hat". Neben den Vanitasmotiven gehören andere Darstellungen wie etwa das Drachensteigen in die Bildfolgen der Jahreszeiten. Die meisten Motive aber zeigen einfach nur die Lust des Menschen am Spiel.

Schloss Caputh 
© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg/Roland Rossner
Schloss Caputh

Im Caputher Fliesensaal tritt die symbolische Aussage eindeutig in der Menge der Fliesen und der häufigen Wiederholung der Motive zugunsten der Raumwirkung zurück. Hier liegt der Reiz in der kompletten Wand- und Deckenverkleidung. Das original erhaltene Fugenbild und die verschieden getönten Glasuren, die in cremigem Weiß, rötlich, grünlich und in mehreren Blautönen schimmern, geben dem Raum je nach Lichteinfall lebendige Spiegelreflexe. Dies verleiht dem wuchtigen Kellergewölbe eine ungewohnt heitere Leichtigkeit. Das richtige Ambiente für die Erfrischung in sommerlicher Hitze und eine gelungene Variante der damals in den barocken Lustgärten so beliebten künstlichen Grotten - perfekt zugeschnitten auf einen sparsamen König, der eine Leidenschaft für alles Schlichte und Schöne hatte.

Christiane Rossner

Weitere Infos im WWW:

www.spsg.de

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