Kleine und große Kirchen Februar 2005
Hessen ist der Frühgeschichte der Reformation vor allem in der Person seines Landgrafen Philipp des Großmütigen eng verbunden. Nicht nur führte dieser bereits 1526 die Reformation in seinen Landen ein, er initiierte auch das folgenschwere Religionsgespräch zwischen Luther und Zwingli drei Jahre später, gründete 1527 mit der Alma Mater Philippina in Marburg die erste protestantische Universität in Deutschland und kämpfte schließlich im Schmalkaldischen Krieg ebenso verlustreich wie couragiert für die Sache der Wittenberger Neuerer.
Dass auch die bedeutende Tradition der hessischen Klöster mit dem reformatorischen Elan des Landesherrn zu einem abrupten Ende kam, versteht sich da beinahe von selbst. Kloster Haydau im Nordhessen erzählt eine in dieser Hinsicht geradezu typische Geschichte.
So ungewiss die Frühzeit, so gesichert ist der spätere Gründungsakt. Hermann von Treffurth-Spangenberg übertrug 1235 - wohl als Sühne für die Belagerung und Plünderung von Fritzlar einige Jahre zuvor - eigene Morschener Besitzungen, "die Kapelle und den dazugehörigen Boden, die Heide genannt", auf eine Gemeinschaft von Zisterzienser-Nonnen. Als erste Äbtissin sollte "die edle Frau Gertrude von Leimbach" fungieren, eine Freundin der heiligen Elisabeth.
Als der gewaltige Philipp 1526 seinem Land die Reformation, den Klöstern die Auflösung verordnete, hatte Haydau schon eine wechselvolle, sich in sagenhaft-fernen Anfängen verlierende Geschichte hinter sich. Bonifatius, der Missionar der Deutschen, soll es nämlich persönlich gewesen sein, der hier in den uralten Sumpf- und Feuchtgebieten der Fulda eine "Zur Heide" genannte Kapelle gegründet hat. In seinem Kampf gegen das Heidentum hatte der Engländer erst 723 im nahe gelegenen Geismar ein bedeutsames Zeichen gesetzt, die Donareiche gefällt und an gleicher Stelle eine Kirche errichtet. Wenig später nur - Bonifatius' Mission richtete sich da bereits auf Thüringen - soll er auch Mursna oder Morsne, das spätere Morschen, besucht und mit der kleinen Kapelle den Grundstein für das ein halbes Jahrtausend später gegründete Kloster gelegt haben. Beurkundet ist das nicht, aber selbst in den Augen der Fachleute immerhin so wahrscheinlich, dass die Morschener es nicht versäumen, auf die bedeutsame "eigentliche" Ursprungsgeschichte ihres Klosters zu verweisen.
Unter Gertrud und ihren Nachfolgerinnen hat Kloster Haydau die sumpfige Niederung kultiviert, seinen Besitz vermehrt und Ansehen über die Region hinaus gewonnen, sodass die geschickten "Amtsjungfrawen in der Heide" wiederholt Angriffen eifersüchtig hadernder Nachbarn ausgesetzt waren. Im Zuge der Fehde von 1319 mussten sie gar zusehen, wie ihr Kloster bis auf die Grundmauern niedergebrannt wurde.
Wie die Ursprungsbauten ausgesehen haben, ist deshalb heute nicht mehr bekannt. Überliefert ist jedoch die Tatsache, dass die Klosterfrauen den unmittelbar in Angriff genommenen Neubau auf den Fundamenten des alten Klosters errichteten. In mehreren Bauabschnitten entstand so die bis heute überlieferte geschlossene vierflügelige Anlage mit den massiven Umfassungswänden der Klausurflügel, der schlichten, turmlosen gotischen Kirche und dem Kreuzgang. Im Jahre 1339, als Papst Benedikt Kloster Haydau unter seinen Schutz stellte und alte Privilegien bestätigte, waren die wesentlichen Arbeiten bereits abgeschlossen. Die "fromben Frauen zur Hayda" konnten sich erneut dem widmen, was sie einst zusammengerufen hatte: dem "ora et labora" nach der jahrhundertealten benediktinischen Regel.
Haydau ist nach dieser Zeit noch mehrfach in ähnliche Konflikte verwickelt gewesen, dennoch haben solche Auseinandersetzungen den Alltag der Zisterzienserinnen offenbar nicht im Grundsatz getrübt. Das Kloster blühte, und die Klosterfrauen haben darüber wohl zuweilen ihre Gelübde ein wenig vernachlässigt. Jedenfalls sah sich Landgraf Ludwig I., genannt der Friedsame, im Jahr 1493 genötigt, alle Insassen wegen des offenkundig gewordenen Sittenverfalls zu vertreiben, das Kloster nach der so genannten Bursfelder Benediktinerregel zu reformieren und Nonnen aus der Mark Brandenburg neu hier anzusiedeln.
Zu diesem Zeitpunkt war jedoch das letzte Kapitel der Klostergeschichte bereits eingeläutet. Den eigentlichen Schlussakkord setzten dann der Bauernkrieg 1525 mit seinen schrecklichen Plünderungen und - ein Jahr später - die Reformation. Das Kloster wurde säkularisiert, und die Klosterfrauen kehrten mit einer ansehnlichen Abfindung zu ihren vornehmen Familien zurück. In Haydau brach eine neue Zeit an. Der "großmütige" Landgraf überführte den vormals sakralen Komplex in ein weltliches Rittergut. Zu Beginn des folgenden Jahrhunderts sollte dann unter Landgraf Moritz der Ausbau als Lust- und Jagdschloss erfolgen.
Moritz der Gelehrte war es, der Kloster Morschen durch Obrist Heinrich von Siegroth das heute bekannte Gesicht verleihen ließ: die Treppenhäuser, Giebelabschlüsse und die schlichte Rechteckform der Fenster im Stil der Renaissance; desgleichen das Ostportal, die Balkenbemalungen mit Beschlagwerkdekor, den um ein Fachwerkgeschoss erhöhten Kreuzgang und auch den festlichen so genannten Engelsaal mit seiner bemalten Holztonne - ein frühes Beispiel illusionistischer barocker Deckenmalerei. Diesen Umbauten im eigentlichen Klostergeviert vorausgegangen waren Neubauten von Wirtschaftsgebäuden, das so genannte Burggrafenhaus sowie Teile des Herrenhauses. Gegen Ende des Jahrhunderts erfolgte unter Landgraf Carl die Umgestaltung des Parks und - für die inzwischen zahlreichen subtropischen Pflanzen - der Bau eines Orangeriegebäudes. Hierfür zeichnete aller Wahrscheinlichkeit nach der hugenottische Baumeister Paul du Ry verantwortlich, der Erbauer der Kasseler Karlskirche und des Schlosses Bellevue. Der Landgraf hatte den Bau persönlich bis in alle Details hinein geplant. Seine Bauinstruktionen und Skizzen sind überliefert und machen die Umbauten des ehemaligen Klosters genau nachvollziehbar.
Dass in Haydau nun zwei Jahrhunderte lang mehr gejagt und gefeiert als gebetet wurde, hat das Gebäude zwangsläufig tiefgreifend verändert - kaum deutlicher abzulesen als an der Tatsache, dass nicht etwa die ehedem turmlose Klosterkirche - getreu der neuen Lehre - einen Turmaufsatz erhalten hätte, sondern das nunmehrige Schlossgebäude selbst. An der Nahtstelle zwischen Kirche und Klausurräumen, dort, wo sich ursprünglich der Zugang zur Nonnenempore befunden hatte, wurde ein viereckiger Turm errichtet "mit Schlaguhr und zwei Zeigerbrettern, zehn Schuh höher als das Dach".
Als Lustschloss hatte Morschen zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgedient, sodass die Überführung der weitläufigen Besitzungen in eine Staatsdomäne im Jahr 1830 nur konsequent war. Der neuen Nutzung angepasst, sollten die alten Gebäude erneut vielfältige Änderungen erfahren, ohne dass die Substanz des Ensembles tiefgreifend und irreversibel verändert worden wäre. Allerdings ersparte man dem Westflügel des Klosters nicht den Umbau in Stall- und Speicherräume, dem Refektorium nicht die Einrichtung einer Molkerei.
Sämtliche in Klosternähe entstandenen gewerblichen Zweige der Domäne gingen 1901 in den Besitz des Raiffeisen-Verbandes über. Die Klostergebäude selbst dienten schließlich während der ersten Kriegsjahre als Arbeitsdienst- und Kriegsgefangenenlager. Vor allem Polen und Franzosen waren es, die hier in Industrie und Gewerbebetrieben, aber auch in der Landwirtschaft arbeiten mussten. Außer in eigens errichteten Baracken unweit der alten Wirtschaftsgebäude waren die Kriegsgefangenen zum Teil auch innerhalb der Klostermauern untergebracht. Einige Jahre später musste Haydau dann Flüchtlinge und Umsiedler aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten aufnehmen, vor allem aus dem Sudetenland. Dazu wurden provisorische, zum Teil auch entstellende Einbauten in den ehemaligen Klausurgebäuden vorgenommen - eine weitere Station in der Leidensgeschichte von Kloster Haydau. Die Ländereien des Klosters waren zu diesem Zeitpunkt bereits an acht Landwirte aufgeteilt worden, die nach Enteignungen im Zuge des Baus der "Reichsautobahn", von Truppenübungs- und Flugplätzen Anspruch auf Ausgleichsflächen hatten - unrühmliches kriegsbedingtes Ende dessen, was Hermann von Treffurt-Spangenberg 700 Jahre zuvor als Sühne kriegerischer Belagerung und Verwüstung begonnen hatte.
Die lange Geschichte wiederholter Umnutzungen, schließlich die jahrzehntelange Vernachlässigung der Bausubstanz ist an den Klostergebäuden naturgemäß nicht spurlos vorübergegangen; zeitweise musste man gar den Verfall des Ensembles ernsthaft befürchten. Dennoch standen erst zu Beginn der 1980er Jahre die notwendigen Mittel zur Verfügung, um das Herrenhaus zu sanieren und für die Gemeinde - seit 1940 Eigentümerin des Gebäudekomplexes - als Rathaus herzurichten. 1983 folgte schließlich die Restaurierung der frühgotischen vierjochigen Kirche, 1985 die in vielerlei Hinsicht als mustergültig geltende Sicherung und Sanierung der restlichen Bestandteile des Denkmals.
Aus Respekt vor der wechselvollen Kultur- und Leidensgeschichte des Klosters hatten sich die Verantwortlichen in dieser Zeit gegen sämtliche nicht denkmalgerechten Nutzungsvarianten und zugunsten eines Kulturzentrums für Stadt und Region entschieden. So konnten die Experten vom hessischen Landesamt für Denkmalpflege dann auch ihrer Forscherabeit nachgehen und unter den vielfältigen Ablagerungen der Geschichte eine Fülle von Spuren aus Mittelalter und früher Neuzeit entdecken: historische Bauzier und farbige Fassungen der Innenräume, und das in seltener Vollständigkeit.
Insgesamt hatten die Denkmalpfleger mit den verschiedenartigsten Schadensbildern zu tun. Nicht nur galt es, Rissbildungen in den Kreuzganggewölben zu bekämpfen, sondern auch Schiefstellungen von Pfeilern und Wänden, Salzausblühungen am Mauerwerk und vieles andere mehr. Ungeachtet dieser Schadensbilder stand für alle Beteiligten während der gesamten Restaurierungsphase fest, dass keine der noch vorhandenen mittelalterlichen Klosteranlagen des Landes so vollständig erhalten ist wie Haydau, dass kein anderes Renaissanceschloss noch über so viele originale Ausstattungsdetails verfügt - dass Kloster Haydau demnach ein einzigartiges Geschichts- und Baudenkmal darstellt.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat das große Engagement des Haydauer Fördervereins unterstützt und mit der Gründung einer unselbständigen Stiftung gewissermaßen eine Initialzündung für die denkmalgerechte Sanierung gegeben. Diese Stiftung hat ein Kapital von mehr als einer Million Euro zusammengetragen, um aus den Zinserträgen in Zukunft die notwendige Bauunterhaltung zu finanzieren. Zusammen mit dem rührigen Förderverein, mit Stadt und Land ist es gelungen, das einmalige Ensemble im Nordhessischen zu retten und für den regionalen und internationalen Kulturaustausch zu öffnen. Der Deutschen Stiftung Denkmalschutz war das in den vergangenen zehn Jahren über 1,5 Millionen Euro wert.
Dr. Ingrid Scheurmann
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
Lassen Sie sich per E-Mail informieren,
wenn eine neue Ausgabe von Monumente
Online erscheint.
Auch kleinste Beträge zählen!
Antwort auf: Direkt auf das Thema antworten
© 2023 Deutsche Stiftung Denkmalschutz • Monumente Online • Schlegelstraße 1 • 53113 Bonn
Spenden | Kontakt | Impressum | Datenschutz