Denkmalarten Öffentliche Bauten Streiflichter Verkehr Ausgabe Nummer April Jahr 2020 Denkmale A-Z B

Denkmalpflege aktuell

Mit Volldampf stillgelegt

Die Deutsche Bahn AG hat in den letzten 25 Jahren rund 2.250 Bahnhofsgebäude verkauft. Für viele Reisende ein Ärgernis, für manchen Eisenbahnromantiker die Erfüllung eines Traums.

Einen Moment bitte“, entschuldigt sich Dr. Richard Vogel, öffnet das Fenster über seinem Schreibtisch und winkt freundlich dem Lokführer der heranfahrenden Niederbarnimer Eisenbahn zu, pünktlich auf ihrem Weg von Königs Wusterhausen nach Frankfurt (Oder). Zweimal in der Stunde kommt ein Zug an seinem Zuhause vorbei. „Die Zeiten habe ich im Blut“, stellt der 67-Jährige fest.


Sein Zuhause, das ist ein Wirklichkeit gewordener Traum für jeden Eisenbahnliebhaber. Es ist der ehemalige Bahnhof von Zernsdorf, einem Stadtteil von Königs Wusterhausen, im Brandenburgischen idyllisch am Krüpelsee gelegen. Sein Schreibtisch steht im früheren Betriebsraum, daneben befindet sich noch das mechanische Stellwerk: gut ein Dutzend aufgereihter Hebel, mit denen die Weichen und die Signalanlage per Hand gesteuert wurden. Eine Fenstergalerie zu den Gleisen hin bot dem Fahrdienstleiter den optimalen Überblick – und Vogel heute einen lichtdurchfluteten Raum.

Dr. Richard Vogel hat sich mit dem Erwerb des Zernsdorfer Bahnhofsgebäudes einen Traum verwirklicht.
Zernsdorf, Bahnhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Dr. Richard Vogel hat sich mit dem Erwerb des Zernsdorfer Bahnhofsgebäudes einen Traum verwirklicht.

Gute 25 Jahre ist es her, dass mit der Bahnreform die Neuordnung des Schienenverkehrs in Deutschland beschlossen wurde. 1994 gründete man aus der Deutschen Bundesbahn im Westen und der Deutschen Reichsbahn im Osten die privatrechtlich organisierte Deutsche Bahn AG. Die Zuständigkeit im Personennahverkehr ging vom Bund auf die Länder über, und der Regionalverkehr wurde für private Anbieter geöffnet. Dies hatte weitreichende Folgen: Nicht nur fast   die Hälfte der damals 350.000 Beschäftigten verlor ihre Arbeit, aus Kostengründen legte man auch unrentable Strecken – bis heute rund 6.000 Kilometer – und Bahnhöfe still.


Für den Verkauf nicht mehr benötigter Gebäude ist die DB Immobilien zuständig. Auch Bahnhofsgebäude an betriebenen Strecken werden von dem Unternehmen verkauft. Streckennetz und Bahnhofsgebäude betrachtet man nur noch in Großstädten und an ausgewiesenen Knotenpunkten mit einem hohen Verkehrsaufkommen als Einheit. In Metropolbahnhöfe werden hohe Summen investiert, bei den Landhalten möchte die Deutsche Bahn hingegen nicht mehr für den Unterhalt der Gebäude aufkommen. 92 Prozent der Bahnhöfe in Deutschland müssen mittlerweile ohne Servicepersonal auskommen.   

Leben im Bahnhof: das Zernsdorfer Bahnhofsgebäude ist heute Wohnbesitz.
Zernsdorf, Bahnhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Leben im Bahnhof: das Zernsdorfer Bahnhofsgebäude ist heute Wohnbesitz.

An der Bahnsteigkante: stillgelegte Bahnhöfe


Für Vogel, der wie so viele Großstädter Sehnsucht nach dem Land hatte, eine Chance. 2014 hat er den Zernsdorfer Bahnhof zusammen mit seiner anfangs noch recht skeptischen Frau Heike gekauft. Über 40 Jahre hatten sie bis dahin in Berlin gelebt. „Ihr seid verrückt, warum steckt Ihr Euer Geld denn hier hinein?“, fragten ihre Kinder. Heute kommen sie gerne, sie haben selbst Nachwuchs, und die Enkel kennen wie ihre Großeltern das Läuten der nahen Schranke in- und auswendig. Es kündigt die Bahn an und gibt dem Tag auf unaufdringliche Art einen Rhythmus. Wer hat schon Großeltern, die im Bahnhof wohnen, an dem noch fast alles vorhanden ist? Eine alte Signalanlage steht vor dem backsteinernen Gebäude von 1898, das im preußischen Stil mit hübschem Giebelgebälk und schmückenden Zierbändern stattlich daherkommt. Ein angrenzender Verladeschuppen und die Bahnhofskneipe – nicht mehr in Betrieb – vervollständigen das stimmige Bild.  


Die Bahn – eine Aktiengesellschaft, aber zu einhundert Prozent im Eigentum des Bundes – muss zwei Anforderungen gleichzeitig gerecht werden: Einerseits soll sie wie ein privates Unternehmen funktionieren, andererseits Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge sein. Sie muss viel Kritik einstecken. Mit dem 2019 beschlossenen Klimaschutzprogramm der Bundesregierung gibt es zudem neue Herausforderungen: Immer mehr Verkehr soll auf die Schiene kommen, der gleichzeitig ökologischer werden muss. Geplant ist, dass sich die Zahl der Fahrgäste bis 2030 verdoppelt. 156 Milliarden Euro will die Bahn in die Modernisierung der Schiene und Aufstockung der Flotte investieren. Passen dazu die vielen maroden Bahnhofsgebäude, auf bahndeutsch Empfangsgebäude, an denen der Fahrgast täglich vorbeikommt – sei es im Zug oder um auf den Bahnsteig zu gelangen? 

Für jeden Eisenbahnliebhaber ein Paradies: Richard Vogel hat mit dem Zernsdorfer Bahnhof auch die technische Einrichtung übernommen. Die ist allerdings nicht mehr in Funktion.
Zernsdorf, Bahnhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Für jeden Eisenbahnliebhaber ein Paradies: Richard Vogel hat mit dem Zernsdorfer Bahnhof auch die technische Einrichtung übernommen. Die ist allerdings nicht mehr in Funktion.

Die Deutsche Bahn sagt über ihre zu verkaufenden Bahnhofs-Immobilien: „Von Vorteil sind handwerkliches Geschick, Entschlossenheit, Geduld sowie die ‚romantische‘ Toleranz gegenüber gelegentlich vorbeischnaubenden Güter- oder Passagierzügen – als Zeichen der Geschichte.“ Schnäppchen sind bei Auktionen ab Mindestgeboten von 3.000 Euro zu haben. Diese Formulierung klingt nahezu zynisch angesichts des Zustands, den viele Gebäude nach Jahren der Vernachlässigung erreicht haben. 


Von Vernachlässigung ist in Vogels ehemaligem Zernsdorfer Bahnhof nichts mehr zu spüren. Es riecht nach Maschinenöl. Nicht aufdringlich und unangenehm, nur gerade so, dass es das Besondere des Hauses unterstreicht. Vogel erzählt, wie sich die Verhandlungen erst mit einem Immobilienverwalter, dann mit der Bahn selbst hinzogen: „Als wir 2011 anfingen, uns für das Gebäude zu interessieren, war der Fahrdienstleiter noch im Dienst.“ Die Stellanlage wurde tatsächlich wie seit 1898 per Hand betrieben. Aber die Umstellung auf eine elektronische Anlage war bereits in Planung, und so konnten Vogels 2014 ein stillgelegtes Bahnhofsgebäude beziehen und behutsam umbauen. „Im Obergeschoss war die ehemalige Bahnhofsvorsteherwohnung, und unter dem Dach gab es die Assistentenstube“, erzählt er. Heute bieten sie Platz für gemütliche Wohnräume. Der Zugang zu den Bahnsteigen verläuft jetzt neben dem Gebäude.

Idyllisch am Fluss gelegen und begehrt: Im 1862 erbauten Bahnhof Balduinstein an der Lahn wird es bald ein Café und Ferienwohnungen geben. Bei der Auktion 2015 lieferten sich die Bieter einen spannenden Wettbewerb. Die DSD fördert 2020 die Sanierungsarbeiten.
Balduinstein, Bahnhof © Karsten Ratzke (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Balduinstein,_Bahnhof.jpg), „Balduinstein, Bahnhof“, https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/legalcode
Idyllisch am Fluss gelegen und begehrt: Im 1862 erbauten Bahnhof Balduinstein an der Lahn wird es bald ein Café und Ferienwohnungen geben. Bei der Auktion 2015 lieferten sich die Bieter einen spannenden Wettbewerb. Die DSD fördert 2020 die Sanierungsarbeiten.

Das Abenteuer Bahnhof: Es hat sich hier in Zernsdorf als Mischung aus ruhigem Leben auf dem Land, am Rande des Ortes und doch mitten im dörflichen Geschehen entpuppt. Weit weg von der hektischen Großstadt, aber mit direktem Gleisanschluss an die Metropole. Überraschungen unschöner Art inklusive: So führt Vogel, Toxikologe von Beruf, einen bisher vergeblichen Kampf gegen die Praxis der Bahn, Unkraut an den Gleisen regelmäßig mit Glyphosatduschen zu bekämpfen. Ein kleiner Wermutstropfen im Rückblick auf eine Entscheidung, die er ansonsten niemals bereut hat.


Längst ist auch Gattin Heike Pieper sehr glücklich über ihren Bahnhof. Im Raum hinter dem Fahrkartenschalter, in der ehemaligen Wartehalle des Bahnhofs, hat sie sich ihre persönliche Nähstube eingerichtet – mit Blick auf die Bahnsteige, die Gleise und die historischen Spannwerke. Die und die Signalanlage haben die Denkmalpfleger neben den Bahnhofsgebäuden unter Schutz gestellt. „Ich selber hatte veranlasst, dass das Ensemble unter Denkmalschutz gestellt wird, weil ich so fasziniert war von diesem Ort“, erzählt Vogel.


Nur zu bewusst ist ihm, dass Bahnhofsgebäude schon immer besondere Bauwerke waren. Jeder Bahnhof, und sei er noch so klein, erzählt vom Leben eines Orts, vom Ankommen und vom Weggehen, bringt selbst in die Provinz einen Hauch der weiten Welt. Nicht von ungefähr lehnten sich die Bahnhöfe der ers­ten Stunde oft an die Formensprache der Schlösser an. Selbst kleine Landbahnhöfe tragen ihre Bestimmung mit Würde.

Wie kaufe ich einen Bahnhof?

In einem Bahnhof zu wohnen oder zu arbeiten, ist für viele ein Traum. Wie kann man ihn verwirklichen? Monumente hat die Deutsche Bahn gefragt. 

Kann jeder einen Bahnhof kaufen?

Theoretisch ja, sagt die Deutsche Bahn AG. Aber: Handwerkliches Geschick, Entschlossenheit, Geduld sowie Toleranz gegenüber vorbeifahrenden Zügen sollten Käufer von Bahnhofsgebäuden schon haben. Soll heißen: Viele der ehemaligen Bahnhofgebäude sind in einem miserablen Zustand und liegen an befahrenen Strecken. Zudem legt die DB Wert auf die Nutzungskonzepte von privaten oder kommerziellen Interessenten. Vor jedem Verkauf wird die entsprechende Kommune auf ihr Kaufinteresse angesprochen. Tabu sind Spielotheken und Erotik-Gewerbe. 

 

Einige Bahnhöfe werden auf der Homepage der DB AG, andere über Auktionshäuser, manche sogar bei Ebay Kleinanzeigen angeboten. Was für eine Strategie verfolgt die Bahn beim Verkauf ihrer Immobilien?

Seit 1998 wurden nach Angaben der DB rund 2.250 Empfangsgebäude verkauft – davon 1.250 Objekte direkt an Kommunen und private Investoren. Weitere 1.000 Objekte kaufte ein Investor in Paketen. Alle diese Empfangsgebäude wurden inzwischen weiterveräußert. Mittlerweile verkauft die DB Station & Service AG die Gebäude nur noch einzeln über das Immobilienportal der Bahn. Finden sich nach intensiven Vertriebsaktivitäten keine Käufer, werden die Objekte als Ultima ratio im Rahmen einer Auktion versteigert, was nur noch selten passiert.

Was muss ich beachten, wenn ich einen stillgelegten Bahnhof erwerben möchte?

Ein stillgelegter Bahnhof wird nicht mehr für den Eisenbahnbetrieb benötigt. Wenn das Bahnhofsgrundstück durch das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) von den Eisenbahnbetriebszwecken freigestellt worden ist, wird das Areal sowie das darauf befindliche Gebäude wie jedes beliebige andere Grundstück behandelt.

 

Zurzeit wird im Zuge des Klimapakets und der Strategie „Starke Schiene“ viel von der Revitalisierung stillgelegter Linien gesprochen. Die Fahrgastzahl soll verdoppelt werden, die Zahl der Zughalte um fast zwei Drittel steigen. Was passiert, wenn ich einen Bahnhof von der DB an einer Strecke gekauft habe, die zukünftig wieder genutzt werden soll?

Über 90 Prozent der Bahnhöfe in Deutschland haben kein Servicepersonal mehr. Der Betrieb einer Verkehrsstation ist in der Regel auch ohne ein ehemaliges Bahnhofsempfangsgebäude möglich. Sollten Flächen Dritter hierfür erforderlich sein, wird die DB, so sagt sie, diesbezüglich auf die ­Eigentümer zugehen.

 

Wie viele Bahnhofsgebäude will die Deutsche Bahn noch veräußern?

Die DB Station & Service AG beabsichtigt derzeit noch etwa 150 nicht betriebsnotwendige Bahnhofsempfangsgebäude zu veräußern.

 

 

Zahllose Wracks wie dieser Bahnhof in Drei Annen Hohne an der Rübelandbahn im Harz säumen die Schienen in Deutschland. Und jedes erzählt eine eigene Geschichte.
Drei Annen Hohne, alter Bahnhof © rottenplaces.de/André Winternitz
Zahllose Wracks wie dieser Bahnhof in Drei Annen Hohne an der Rübelandbahn im Harz säumen die Schienen in Deutschland. Und jedes erzählt eine eigene Geschichte.

Nächster Halt: Kompetenz


Bahnhofsgebäude haben Charakter und lösen Emotionen aus. Eine Tatsache, die in den vergangenen Jahrzehnten vergessen wurde und erst wieder ins Bewusstsein gerückt werden musste. So etwa in Brandenburg, in einem Land, in dem nur noch etwa 35 Empfangsgebäude im Bahnbesitz sind – langfristig sollen es sogar nur 15 sein. Hier nahm 2018 auf einen Beschluss des Brandenburgischen Landtags die Kompetenzstelle Bahnhof beim Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) ihre Arbeit auf. Man hatte, nach 25 Jahren Bahnreform, Privatisierung und Immobilienverkauf festgestellt, dass zu viele der veräußerten Gebäude keiner angemessenen Nachnutzung zugeführt werden konnten. Die Folge: Leerstand, Vandalismus und Verfall. Kein gutes Aushängeschild für die Bahn.


„Von den 342 betriebenen Eisenbahnstationen im Land Brandenburg besitzen 250 ein Bahnhofsempfangsgebäude“, erläutert ein Sprecher der VBB-Kompetenzstelle Bahnhof. „Ein Großteil von ihnen stammt noch aus der Zeit der Gründungsphase der Eisenbahn im 19. Jahrhundert, als noch relativ pompös gebaut wurde. 114 der Gebäude stehen unter Denkmalschutz.“ Ziel der Kompetenzstelle ist, durch Beratung zur Bahnhofsrevitalisierung, durch ein unterstützendes Netzwerk und die Vermittlung von Fördermitteln den „Wracks“ an den Gleisen zu neuem Leben zu verhelfen. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob sich die Gebäude im Besitz der Deutschen Bahn befinden oder nicht. Denn: „Fahrgäste nehmen Bahnhofsgebäude automatisch als zur Bahn gehörig wahr. Sie sind aber oft kein attraktives Eingangstor mehr, weder zum Bahnbetrieb noch zum Ort. Das soll sich ändern.“

Wohnen und Arbeiten direkt am Bodenseeufer: In Überlingen ist die Umnutzung des Ostbahnhofs schon 1984 gelungen. Die DSD förderte die Sanierung 2014.
Überlingen, Bahnhof © JoachimKohlerBremen (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ehemaliger_Bahnhof_Überlingen-Ost.jpg), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode
Wohnen und Arbeiten direkt am Bodenseeufer: In Überlingen ist die Umnutzung des Ostbahnhofs schon 1984 gelungen. Die DSD förderte die Sanierung 2014.

Zum Zug gekommen: neue Bahnhofs-Nutzungen


Viele der Bahnhofsgebäude sind durch eine ganze Reihe von Investoren- oder Insolvenzverwalterhänden gegangen, einen genauen Überblick über die neuen Nutzungen gibt es nicht. Der Sprecher der VBB-Kompetenzstelle Bahnhof schätzt: Von den 250 Empfangsgebäuden in Brandenburg sind etwa 40 kommunal genutzt und 160 im privaten Eigentum, davon werden nur einige von den Besitzern bewohnt. Viele haben kreative Neubelebungen erfahren: etwa durch gastronomische Nutzungen vom Bistro bis zum Edelrestaurant.  Auch Touristikbüros, Arztpraxen, Künstlerateliers und Kreativbüros oder Programmier-Labs für Schüler, Tangostudios und Brauereien finden sich in den Gebäuden – im Idealfall wird neben der neuen Nutzung noch ein Service für Bahnreisende angeboten. Entlang stillgelegter Strecken führen häufig Radwanderwege, hier bieten sich Radfahrerherbergen an. Ferienwohnungen sind eine oft gewählte Umbauvariante: Wohnen im Bahnhof zieht nicht nur ausgewiesene Eisenbahnnostalgiker an.


Neben dem Land Brandenburg sind auch andere Bundesländer aktiv geworden und haben entsprechende Programme aufgelegt. Studierende verschiedener Hochschulen entwickeln – oft in Eigeninitiative – Ideen zur Rettung einzelner Stationsgebäude. Dabei finden sich in allen Teilen des Landes Objekte, die nach einer Neunutzung geradezu flehen. Zwar sind in den östlichen Bundesländern besonders viele Streckenkilometer, und mit ihnen die Empfangsgebäude, stillgelegt worden, aber auch im Westen, im Norden und Süden nutzt die Deutsche Bahn Hunderte von Bahnhofsgebäuden nicht mehr. Mancherorts gründen sich Bürgerinitiativen zur Wiederbelebung des Bahnhofs in ihrem Ort. Denn die Bedeutung des Bahnhofs einerseits als Teil unseres kulturellen Erbes, andererseits als wichtiger Baustein des kommunalen Lebens ist in den Köpfen angekommen. Die politischen Diskussionen um die Aufwertung des öffentlichen Personenverkehrs spielt der Rettung der Gebäude in die Hände. Wie sehr die Öffentlichkeit interessiert ist, zeigt alljährlich der Tag des offenen Denkmals: Bahnhofsgebäude sind regelmäßig ein Renner.

Wohnen im technischen Denkmal: Das mechanische Stellwerk verleiht dem Zernsdorfer Bahnhofsgebäude seinen einmaligen Charme.
Zernsdorf, Bahnhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Wohnen im technischen Denkmal: Das mechanische Stellwerk verleiht dem Zernsdorfer Bahnhofsgebäude seinen einmaligen Charme.

Immer wieder wird auch Richard Vogel gefragt, wann es denn das nächste Mal ein Bahnhofsfest geben wird. Zum 120. Geburtstag des Zernsdorfer Bahnhofs 2018 hatten die Vogels am Tag des offenen Denkmals einen Erlebnistag rund um die Station organisiert. Die örtliche Feuerwehr und die Polizei bauten Stände auf, viele brachten Kuchen mit, und Vogel führte unentwegt durch die Räume. Eine Dampflok aus dem Berliner Bahnwerk Schönewalde war bestellt – sodass an dem Tag tatsächlich ein Passagierzug romantisch „vorbeischnaubte“. Rund 1.000 Besucher waren gekommen, ein enormer Erfolg. „In drei Jahren“, überlegt Vogel, „zum 125. Geburtstag, könnte ich mir zum Tag des offenen Denkmals eine Wiederholung vorstellen“.


Er ist ein offener Mensch und freut sich über Interesse an seinem Bahnhof. Häufig wird er angesprochen: Auf dem Bahnsteig steht eine Handvoll Fahrgäste. Richard Vogel kennt die meisten der Bahnreisenden hier. Eine Wartende zeigt auf die Giebelwand des Gebäudes und bedauert, dass dort heute das schnörkellose Schild im Deutsche-Bahn-Einheitsblau mit dem Schriftzug Zernsdorf hängt. Sie erinnere sich noch an das alte Schild, viel passender und schöner sei es gewesen. Da kann Vogel sie beruhigen: Das alte Schild ist bei ihm gelagert und bei nächstbester Gelegenheit wird er es wieder anbringen. Der Deutschen Bahn gehören hier nur noch der Bahnsteig und die Gleise, für die Optik und die Ordnung sorgen andere, nämlich die Vogels.


Beatrice Härig

Oldenburg, Hauptbahnhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz

Hier kämpft die DSD: Gegen den Abriss der Gleishalle in Oldenburg


Seit Jahren schon schwelt der Streit um den Erhalt der historischen Gleishalle am Oldenburger Bahnhof, 2016 schaltete sich die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) in die Diskussion ein. Die Gleishalle ist in ihrer Konstruktion einmalig in Niedersachsen. Sie spannt sich über alle Bahnsteige und ist ein unverzichtbarer Bestandteil des überregional bedeutenden Bahnhofs-Ensembles in Oldenburg. Von 1911 bis 1915 in den Formen des Heimat- und Jugendstils errichtet, steht der Oldenburger Bahnhof in seiner Gesamtheit unter Denkmalschutz. Der Bahnhof ist Eigentum der Deutschen Bahn AG. Diese erwog aus Kostengründen, die Gleishalle durch standardisierte Einzelüberdach-ungen zu ersetzen, worauf sich Widerstand in der Öffentlichkeit formierte.

Gemeinsam mit der Stadtverwaltung, dem Rat der Stadt Oldenburg, der Oldenburgischen Landschaft und dem Bund Deutscher Architekten (BDA) wurde um eine denkmalgerechte Sanierung gekämpft.

Die DSD kritisierte 2016 in einem Schreiben an den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, dass geltende Denkmalschutzgesetze ignoriert würden.

Dörte Lossin, Ortskuratorin der DSD in Oldenburg, beklagte, dass die Bahn jahrelang ihren Pflichten als Denkmaleigentümer nicht nachgekommen sei.

2013 schon mussten die Glaselemente aus der Dachkonstruktion herausgenommen werden. Sie wurden auch nicht wieder erneuert, so dass das Dach nun wie ein Skelett wirkt.

Erreicht wurde zunächst, dass 2018 eine unabhängige gutachterliche Untersuchung der Gleishalle angefertigt wurde. Zuvor war Kritik über die Zahlen laut geworden, mit denen von Seiten der Bahn die Sanierungskosten beziffert worden waren.

Auf Grundlage des Gutachtens entschied sich die Deutsche Bahn 2018 für den Erhalt und die denkmalgerechte Sanierung der Gleishalle: „Wir haben den zwischenzeitlich favorisierten Plan, die Halle abzureißen und im alten Stil wieder aufzubauen, verworfen.“ Monate des Schweigens folgten – auf den Beginn der Arbeiten zur Rettung der Gleishalle warten die  Oldenburger bis heute, angeblich sollen jetzt aber die Vorentwurfsplanungen beginnen.

 

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2 Kommentare

Lesen Sie 2  Kommentare anderer Leser

  • Kommentar als unangemessen melden
    Karl-Heinz Domann schrieb am 25.03.2020 17:09 Uhr

    Ein interessanter Artikel... über die Veränderung des Eisenbahnwesens und darüber, auf welche Ideen Bürger kommen, wenn ihnen am Erhalt von Denkmälern gelegen ist!

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Guenter Klatt schrieb am 16.04.2020 16:59 Uhr

    Es ist schon schlimm, wie trotz des BVerwG Urteils von 1988 immer noch Bahnanlagen ohne Entwidmung verscherbelt werden. Die Gemeinde und die örtliche Bauaufsichtsbehörde ist dann Schuld, wenn auf dem Bahnsteig Kindergeburtstag gefeiert wird und etwas passiert. Eigentlich darf der Bund (DB AG) keine Bahnhöfe mehr ohne förmliches Entwidmungsverfahren zu Wohnzwecken verkaufen, ohne das die Sicherheit (Lärm, Brandschutz etc) der neuen Nutzung von der örtlichen Bauaufsicht geprüft worden ist. Und nicht alle Bahnhöfe sind denkmalwürdig schon gar nicht das angeführte Beispiel.

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