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Talent Monument Folge 5

Verkannt, gefährdet und verloren

Was macht ein Denkmal zu einem Denkmal? Denkmalschutz schützt nicht immer vor Abriss. Im letzten Teil unserer Serie blicken wir auf bedrohte und zerstörte Denkmale. Ein Plädoyer für einen weitsichtigen Umgang mit unersetzlichen Zeitzeugnissen.

Ein Knall und ein Dröhnen und plötzlich ist nur noch Schutt und Asche, wo eben noch ein Zeugnis unserer gemeinsamen Vergangenheit stand. Denn ebenso vielfältig wie die Gründe für den Erhalt von Denkmalen sind auch ihre Bedrohungen. Wenn zum Beispiel das Bewusstsein für Denkmalwerte fehlt, sich geänderte ästhetische Vorstellungen durchsetzen oder finanzielle Bedenken gegen die Bewahrung eines Denkmals in die Waagschale geworfen werden, ist es häufig schlecht um die Zukunft eines Bauwerks bestellt. Und manchmal ist ein Denkmal schlicht unbequem und unerwünscht.

Die spätgotische Hallenkirche St. Pauli: 1968 fiel der nahezu unbeschädigte Bau der Umgestaltung der Leipziger Universität zum Opfer.
© IMAGO / epd
Die spätgotische Hallenkirche St. Pauli: 1968 fiel der nahezu unbeschädigte Bau der Umgestaltung der Leipziger Universität zum Opfer.

Kein Raum für Religion


Über 700 Jahre hatte die Universitätskirche in Leipzig zahlreichen Krisen, Konflikten und Kriegen getrotzt, doch am 30. Mai 1968 wurde der bedeutende Kirchenbau aus dem 13. Jahrhundert aus politisch-ideologischen Gründen gesprengt. Ebenso wenig wie die Kirche Platz in der Mitte der sozialistischen Gesellschaft haben sollte, sollte sie Raum im Zentrum der Städte finden. Die Leipziger Kirche St. Pauli ist damit eine der mehr als 60 abgerissenen oder gesprengten Kirchen, die der kirchenfeindlichen Politik der SED zum Opfer fielen.


Parkplatz für den Kanzler


Doch nicht nur aktiver Zerstörungswille der Regierung kann einem Denkmal gefährlich werden. Bereits der fehlende Wille der Politik zu dessen Erhalt kann die Existenz bedeutender Zeugnisse unserer Vergangenheit bedrohen. So soll das 1948 bis 1949 errichtete Generalshotel auf dem Hauptstadtflughafen im brandenburgischen Schönefeld Parkplätzen für die 19 Maschinen der Flugbereitschaft der Bundesregierung weichen (siehe hier).


Den entschiedenen Protesten aus Bürgerschaft, Landespolitik und Fachwelt, denen sich auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) anschließt, beantwortet die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben mit einer beharrlichen Verweigerung, die Zerstörung des Gebäudes zu überdenken. Und das, obwohl mit dem Verzicht auf den Neubau des Regierungsterminals im Winter 2022 ohnehin eine Neuplanung des Areals nötig wird – einzig der Abriss des Generalshotels scheint für die Bundesanstalt unumgänglich.

Berühmt für sein zackig geformtes und dynamisch gekrümmtes, nur Zentimeter dünnes Betondach: Mittlerweile ist das Ahornblatt auf der Fischerinsel in Berlins Mitte Vergangenheit.
© picture alliance / ddrbildarchiv / Siegfried Bonitz
Berühmt für sein zackig geformtes und dynamisch gekrümmtes, nur Zentimeter dünnes Betondach: Mittlerweile ist das Ahornblatt auf der Fischerinsel in Berlins Mitte Vergangenheit.

Häuserblock statt Ahornblatt


Ein weiteres Beispiel der Zerstörung gegen jede Vernunft: Trotz großer Proteste wurde im Jahr 2000 mit der Großgaststätte Ahornblatt auf der Berliner Fischerinsel eines der wegweisendsten Bauzeugnisse der deutschen Geschichte abgerissen. Den Denkmalwert der anspruchsvollen Architektur des Bauingenieurs Ulrich Müther ordnete man den monetären Interessen eines Investors unter, der an der Stelle des bemerkenswerten Denkmals ein bemerkenswert austauschbares Hotel errichten ließ. Mit seiner ikonischen Dachkonstruktion, die an ein zackiges Ahornblatt erinnerte und bereits bei der Eröffnung 1973 über die Grenzen der DDR hinweg in Fachkreisen für Aufsehen sorgte, ist der Müther-Bau unwiederbringlich für die Nachwelt verloren.


Einsatz für den Stolz der Stadt


Lange her, doch es gibt auch ermutigende Beispiele. Als Nürnberg 1866 seinen Status als bayerische Festungsstadt verlor, mehrten sich die Stimmen für den Abriss der nun nutzlos gewordenen, raumgreifenden Stadtbefestigung. Es bedurfte der beherzten Intervention der Nürnberger Bürgerschaft und des bayerischen Königs Ludwig II., um zu schützen, was einst Schutz geboten hatte. Zu verdanken haben wir diese Rettung dem Umstand, dass die Stadtbefestigung wie kaum ein anderes Bauwerk symbolisch für das Selbstverständnis der Nürnberger Bürgerschaft steht. 


Unter immensem Aufwand hatte diese seit dem 14. Jahrhundert kontinuierlich an der Befestigungsanlage gearbeitet. Bis heute ist die Pflege des Denkmals keine kleine Herausforderung, immerhin besteht die Stadtbefestigung aus zwei fünf Kilometer langen Mauerringen mit rund 180 Wehrtürmen. Dem Erhalt dieses gewaltigen Denkmals widmet man sich heute mit beeindruckendem bürgerschaftlichen Engagement, denn aus dem Stadtbild Nürnbergs ist es nicht mehr wegzudenken (siehe hier).

Dank bürgerlicher Proteste und dem Einlenken König Ludwigs II. konnten größere Abbruchmaßnahmen an der Nürnberg Stadtmauer verhindert werden.
© Christian Höhn
Dank bürgerlicher Proteste und dem Einlenken König Ludwigs II. konnten größere Abbruchmaßnahmen an der Nürnberg Stadtmauer verhindert werden.

Hassliebe zum Alumonster


Zurück ins Heute, in die Hauptstadt Berlin. Es gibt wohl kaum jemanden, der dort nichts mit dem International Congress Centrum, dem ICC, in Verbindung bringt. Entweder man war dort auf einem Kongress oder einem Konzert. Oder man kennt es als markante Wegmarke an der Bahn- und Stadtautobahn. Dennoch drohte es seiner schieren Dimension zum Opfer zu fallen. Auch hier stand 2011 der Abriss des ikonischen Kongresszentrums von 1979 im Raum, das mit seiner massigen Hightech-Architektur stadtbildprägend ist. Auf der einen Seite standen bei den Überlegungen erhebliche finanzielle Mittel, die für die Sanierung, die Erhaltung und den Betrieb des gigantischen Gebäudes anfallen.


Auf der anderen Seite stehen der künstlerische Wert der anspruchsvollen, futuristischen Architektur und die Bedeutung als identitätsstiftendes Denkmal für die ganze Stadt. Selbst wenn der Koloss aus Beton und Aluminium ästhetisch nicht jedermanns Sache sein mag, bewertete man in diesem Fall – glücklicherweise – den Denkmalwert als gewichtiger als rein monetäre Beweggründe, denn so einen Identitätsverlust hätte niemand in Kauf nehmen wollen.

Das Interesse an dem gefährdeten Denkmal ist gewaltig: 30.000 Besucher zählte das ICC am Tag des offenen Denkmals®.
© IMAGO / Emmanuele Contini
Das Interesse an dem gefährdeten Denkmal ist gewaltig: 30.000 Besucher zählte das ICC am Tag des offenen Denkmals®.

Kein klimaschädlicher Abriss


Während Denkmale häufig verkürzt als Problemfälle für die energetische Ertüchtigung dargestellt werden, sind sie vielmehr ein wahrer Nachhaltigkeitsknüller: Betrachtet man nicht nur die Bewirtschaftung, sondern die gesamte CO2-Bilanz eines Gebäudes, so ist sogar die Um- und Weiternutzung eines Denkmals durchweg aus Gründen des Klimaschutzes einem Neubau vorzuziehen. Eindrücklich zeigt dies das Beispiel des denkmalgeschützten Emporio-Hochhauses, ehemals Unilever-Hochhaus, in Hamburg.


Das nach Plänen der Architekten Hentrich und Petschnigg errichte Bürogebäude aus den frühen 1960er Jahren konnte 2012 denkmalgerecht energetisch ertüchtigt werden und wurde daraufhin mit dem Nachhaltigkeitszertifikat „Leadership in Energy and Environmental Design“ (LEED) in Platin ausgezeichnet. Eine enge Zusammenarbeit von Denkmalschutzamt, Denkmaleigentümern und Architekten rettete hier das in die Jahre gekommene Hochhaus sinnvoll und nachhaltig vor dem Abriss und für die Zukunft.

Keine Chance vertan: Statt eines klimaschädlichen Neubaus wurde das 1961 bis 1963 errichtete Unilever-Haus in Hamburg nachhaltig saniert.
© IMAGO / Hoch Zwei Stock / Angerer
Keine Chance vertan: Statt eines klimaschädlichen Neubaus wurde das 1961 bis 1963 errichtete Unilever-Haus in Hamburg nachhaltig saniert.

Schutz vor Verlust


Denkmale sind mehr als nur seelenlose Baumasse. Sie stehen für vielfältige Werte, stiften Identität und sind Einstiegspforten in den Umgang mit unserer Geschichte. Jeder voreilige und unüberlegte Abriss eines Denkmals reißt somit nicht nur eine Leerstelle in das Stadtbild, sondern hinterlässt auch eine spürbare Lücke in unserer Gesellschaft. Als wichtigen Bedeutungsträgern und Objekten der kollektiven Selbstreflexion kommt den Denkmalen ein besonderer Stellenwert zu, den es nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen gilt und für dessen Erhalt sich unser Einsatz lohnt.


Für die Bewahrung des Denkmalbestandes sind Gespräche mit den beteiligten Akteuren, Denkmaleigentümern, Bauinteressenten, Denkmalbehörden und Vertretern der Politik unabdingbar. Das wirksamste Mittel gegen den unwiederbringlichen Verlust von Denkmalen ist das Schaffen von Bewusstsein für den Wert, den diese Objekte für unsere Gesellschaft tragen. Diesem Ziel verpflichten wir uns bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz tagtäglich mit unseren Aktionen, Veranstaltungen, Publikationen und Gesprächen – stets im Sinne des Denkmalschutzes und wider die Zerstörung.


Jannik Eikmeier

Der Autor ist Referent für Denkmalkunde bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.


www.talent-monument.de

TALENT MONUMENT


Die 40-seitige Broschüre zum DSD-Jahresthema 2023 kann telefonisch bestellt werden unter: 

0228 9091-250 oder: www.denkmalschutz.de/talent-monument-bestellen

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