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Auf gute Nachbarschaft

Hinterglas-Erinnerungen

Das ehemalige Staatsratsgebäude ist ein erstaunliches Stück Berliner Architektur: Durchtränkt von deutscher Geschichte – Geschichte, die hauptsächlich hinter verschlossenen Türen geschrieben wurde – präsentiert es sich jetzt als eleganter Gastgeber für Studierende aus aller Welt. Die DSD ist fördernder Nachbar.

Bunt, filigran und sozialistisch: Das Treppenhaus im ehemaligen Staatsratsgebäude wirkt noch nach über 60 Jahren.
© Roland Rossner / DSD
Bunt, filigran und sozialistisch: Das Treppenhaus im ehemaligen Staatsratsgebäude wirkt noch nach über 60 Jahren.

Plastischer gehen Alt und Neu, Geschichte und Gegenwart und ihre Beziehung kaum zueinander: Ein großer Vorhang kann im Festsaal im ehemaligen Staatsratsgebäude über die ganze Wand gezogen werden. Das wird bei externem Publikum in der ESMT Berlin, der European School of Management and Technology, auch meistens gemacht. Der Vorhang verdeckt ein riesiges Mosaik. Es stellt das Staatswappen der DDR dar. Früher, so erinnert sich ESMT-Kommunikationschefin Martha Ihlbrock, hat es durchaus erhitzte Streitgespräche unter den Besuchern gegeben. Nicht jeder vertrug Hammer und Sichel gut. Heute, nach fortschreitender Zeit, sei das nicht mehr so akut. Geschichte fügt sich ein. In das Puzzle der großen Weltkräfte, die hier in Berlin-Mitte, am Schlossplatz, wo jeder Quadratmeter historisch aufgeladen ist, besonders gewirkt haben. Das ehemalige Staatsratsgebäude ist als Sitz des DDR-Staatsoberhaupts in den Jahren 1962–64 errichtet worden. Die Sorgfalt, mit der das Gebäude geplant wurde, ist in allen Räumen, den großen Sälen, den Wandelhallen und dem imposanten Treppenhaus zu spüren. Es hatte schließlich als erster Berliner Regierungsneubau nach dem Zweiten Weltkrieg eine Botschaft zu transportieren.

 
Das Staatsratsgebäude von 1964 als neue deutsche Architektur à la DDR: Stahlskelett mit barockem Portal.
© Roland Rossner / DSD
Das Staatsratsgebäude von 1964 als neue deutsche Architektur à la DDR: Stahlskelett mit barockem Portal.

Reliquie Balkon


Der Balkon ist das Ausrufezeichen dieser Botschaft: Liebknecht-Portal nannten die DDR-Politiker das barocke Stück aus dem Berliner Schloss, das sie 1950 hatten sprengen lassen. Von dem Balkon über dem Schlossportal soll Karl Liebknecht während der Revolution 1918 die Republik ausgerufen haben –, was Historiker bezweifeln. Doch in die DDR-Ikonografie passte die Szene zu gut, berief man sich doch in direkter Linie auf die aufständische Arbeiterschaft. Was tatsächlich nachgewiesen ist: Kaiser Wilhelm II. verkündete von diesem Balkon Russland den Krieg und damit den Eintritt Deutschlands in den Ersten Weltkrieg. Georg Garlichs, Geschäftsführer der Hochschule, findet: „Das ist ein historisches Ereignis, das Millionen von Toten nach sich zog und die man vielleicht mehr beachten sollte.“ Sein Blick richtet sich vom Balkon auf den Platz, der schon viele verschiedene Namen trug und noch mehr Protagonisten gesehen hat. Revolutionäre, Marschierende, einen Palast der Republik, seit ein paar Jahren ein nicht ganz unumstrittenes neues Schloss.

1966: Im Sitzungssaal wird vor dem Metallbild von Bildhauer Fritz Kühn getagt, das zu Frieden, zu landwirtschaftlichem und industriellem Fortschritt mahnt.
© BArch BILD 183-F0331-0021-001
1966: Im Sitzungssaal wird vor dem Metallbild von Bildhauer Fritz Kühn getagt, das zu Frieden, zu landwirtschaftlichem und industriellem Fortschritt mahnt.

Ostmoderne als Staatsauftrag


Mit dem Untergang der DDR 1990 war auch die Funktion des Staatsratsgebäudes als Sitz der DDR-Führung obsolet. „Hier wurde“, sagt Garlichs, während er den ehemaligen Sitzungssaal zeigt, „Erich Honecker zum Staatschef ernannt und hier wurde er auch wieder abgesetzt.“ Einmal noch übernahm das Gebäude nach der Wiedervereinigung eine staatstragende Aufgabe. Als Berlin sich langsam ordnete, um Hauptstadt zu werden, zog Bundeskanzler Gerhard Schröder 1999 in die ehemalige DDR-Zentrale ein. Zwei Jahre regierte er aus den alten Büros seiner sozialistischen Vorgänger. 2006 wandelten sich die Nutzer fundamental: Nicht mehr die Planwirtschaft der Arbeiterklasse – der mit dem grandiosen Treppenhausglasbild gehuldigt wird –, sondern die Gesetze der Marktwirtschaft werden thematisiert. Die Manager-Hochschule ESMT zog ein. Davor war das Gebäude restauriert worden. Architekt Hans-Günter Merz sortierte mit Fingerspitzengefühl die qualitätvolle Architektur der Moderne, das Denkmal als Geschichtszeugnis und aktuelle Nutzungsanforderungen auseinander und richtete das Gebäude mit reversiblen Einbauten als Hochschulort her.


Ein gelungenes Experiment: Die DDR-Architektur funktioniert in dieser neuen Nutzung mit beeindruckender Eleganz. Die Hochschule achtet den Bestand, nutzt die großzügigen Räumlichkeiten, die lichtdurchfluteten Säle und erfreut ihre Studierenden mit der spektakulären Aussicht auf die Fassade des Humboldt Forums – ein Blick, der so nie geplant war. Im Flügel rechts neben der Portalachse allerdings gab es Räume, die wie in Honeckers Zeiten eingefroren wirkten: der Sitzungssaal des Staatsrats mit imposanter Metallfrieswand im ersten Obergeschoss und der gleich große Saal darüber. Unangetastet konservierte sich hier die DDR-Zeit. Und mit ihr die Schadstoffe in den Baumaterialien. Nun wird sorgfältig restauriert.

Wandelhalle: Wo heute Licht die Flure flutet und kluge Menschen Wirtschaft lernen, herrschte nicht immer Sonnenschein.
© Beatrice Härig / DSD
Wandelhalle: Wo heute Licht die Flure flutet und kluge Menschen Wirtschaft lernen, herrschte nicht immer Sonnenschein.
Früher Festsaal, heute Vorlesungsraum. Das Mosaik des DDR-Wappens kann mit einem Vorhang verdeckt werden.
© ESMT Berlin
Früher Festsaal, heute Vorlesungsraum. Das Mosaik des DDR-Wappens kann mit einem Vorhang verdeckt werden.
 

Im Denkmalschutz brüderlich vereint


Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) hat eine besondere Nähe zu diesem außergewöhnlichen Denkmal und nicht zuletzt deshalb ihr 40-jähriges Jubiläum hier gefeiert (siehe Seite 16). Nähe im wörtlichen Sinn, denn das Nicolaihaus in der Brüderstraße, Berliner Sitz der DSD, liegt keine 50 Meter entfernt. Auch bei der Sanierung der beiden Säle arbeitet sie eng mit der ESMT zusammen. Die DSD konnte ein Engagement der dänischen Villum Foundation, Teil der Velux Foundations, initiieren. Eine Million der 1,8 Millionen-Euro-Fördersumme der DSD wird nun von der dänischen Stiftung bereitgestellt, 200.000 Euro steuert die Berliner Beck’sche Stiftung bei. 

Aktuell ist der Kinosaal eine Baustelle ohne Wandverkleidungen, dafür mit Aussicht. DSD- und Villum-Foundation-Experten beraten sich.
© Roland Rossner / DSD
Aktuell ist der Kinosaal eine Baustelle ohne Wandverkleidungen, dafür mit Aussicht. DSD- und Villum-Foundation-Experten beraten sich.

Was zurzeit entkernt und wie skelettiert wirkt, weil die Holzpaneele der Wandverkleidung eingelagert sind, wird „angezogen“ wieder feine Ostmoderne zeigen. Strukturierte und furnierte Wandverkleidungen waren ihr Aushängeschild. Die Metallwand mit der Friedenstaube und Kraftwerkstürmen ist während der Arbeiten verhüllt, wird aber an Ort und Stelle bleiben. Sie wird die Vorlesungen der Studierenden begleiten, wenn hier neue Hörsäle einziehen. Der große Saal im zweiten Obergeschoss ist ebenso Baustelle. Seine sehr spezielle Funktion: Er war der Kinosaal des Hauses. Hier schauten die Politgrößen Filme zur Probe und setzten diese danach – insbesondere die aus dem westlichen Ausland – auf die schwarze Liste. Eine der Gepflogenheiten hinter der Fassade mit dem roten Granit und dem barocken Risalit, die nicht nach außen dringen durfte. Geschichte ändert sich: Die Tür steht heute für jedermann offen, die Cafeteria im Erdgeschoss und der Garten können besucht werden. Ein Geheimtipp in Berlin-Mitte.


Beatrice Härig


www.denkmalschutz.de/staatsratsgebaeude

 

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