Denkmalarten Kleine und große Kirchen Städte und Ensembles Stile und Epochen Gotik Ausgabe Nummer Juni Jahr 2025

Denkmal in Not

Gefahr von oben

Aus der Turmfassade von St. Nikolai in Stralsund lösen sich Steine und Putzstücke. Seit vier Jahren ist deshalb der zentrale Platz vor dem Hauptportal gesperrt. Mit Ihrer Hilfe kann die Gefahr schon bald gebannt werden.

Möwen segeln kreischend um die beiden Türme der Schaufassade von St. Nikolai in Stralsund. Ein eisiger Wind fegt über den kleinen Platz zwischen der Backsteinkirche und dem Rathaus der Hansestadt. Dort steht Burkhardt Eriksson vor einem Bauzaun und schaut mit sorgenvollem Blick nach oben. Der Architekt betreut seit vielen Jahren alle Baumaßnahmen an und in der Pfarrkirche. Dringendster Handlungsbedarf besteht derzeit an der Westfassade des Südturms.

Das Rathaus am Alten Markt und die Kirche St. Nikolai sind im Stil der norddeutschen Backsteingotik errichtet. Gemeinsam bilden sie das Zentrum der Welterbestadt.
© Jean Schwarz
Das Rathaus am Alten Markt und die Kirche St. Nikolai sind im Stil der norddeutschen Backsteingotik errichtet. Gemeinsam bilden sie das Zentrum der Welterbestadt.

2021 lag plötzlich ein Stück Backstein auf dem kleinen Platz zwischen dem Hauptportal der Kirche und dem Rathaus. Rund und abgefressen sah er aus. Der ständige Wechsel zwischen Frost und Tau nagt an dem 103 Meter hohen Turm, erklärt Architekt Eriksson: „Man sieht die Steine glitzern, so durchgefroren sind die. Wenn die Sonne herumkommt, fangen sie an zu dampfen und tauen auf.“ Je mehr Wasser in das Mauerwerk eindringt und gefriert, desto mehr Material platzt ab und fällt auf den Kirchhof.

Industriekletterer sind, bereits kurz nachdem der erste Stein herabgefallen war, auf den Turm gestiegen und haben 500 Kilogramm loses Material händisch abgetragen. Da weiterhin Steine und Mörtelstücke herunterfallen könnten, musste der Bereich zwischen der Doppelturmschauseite der Kirche und der Rückseite des Rathauses mit Bauzäunen abgesperrt werden. Damit wurde auch eine wichtige Querverbindung für Fußgänger im Zentrum der Welterbestadt geschlossen.

Kein Durchkommen: Blick vom Rathaus auf das Hauptportal der Kirche. Der Platz zwischen beiden Gebäuden ist derzeit gesperrt.
© Jean Schwarz
Kein Durchkommen: Blick vom Rathaus auf das Hauptportal der Kirche. Der Platz zwischen beiden Gebäuden ist derzeit gesperrt.
Architekt Burkhardt Eriksson vor der beschädigten Turmseite. Industriekletterer haben bereits 500 Kilogramm loses Material abgenommen.
© Jean Schwarz
Architekt Burkhardt Eriksson vor der beschädigten Turmseite. Industriekletterer haben bereits 500 Kilogramm loses Material abgenommen.
 

Der Abstand zwischen Kirche und Rathaus misst etwa 15 Meter. „Rathaus und Kirche bilden eine architektonische Einheit“, erklärt Hanns-Peter Neumann, 20 Jahre lang Gemeindepastor in der Stadtkirche und heute Vorsitzender des Fördervereins St. Nikolai zu Stralsund. „Bei großen städtischen Anlässen zogen die Ratsherren in ihrem Ornat durch den sogenannten Buttergang des Rathauses in das Westportal der Kirche ein“, erzählt er. So erinnert das Erdgeschoss des Rathauses von Stralsund eher an einen Marktplatz als an ein Verwaltungsgebäude. Tatsächlich boten in den spitzbogigen Nischen einst Händler ihre Waren feil. Im Buttergang, wo es am kältesten war, hatten die Molkereiwarenhändler ihren Platz. Die Amtsgeschäfte dagegen wurden in der Nikolaikirche verrichtet. Die Ratsleute hielten in der querschifflosen Basilika Ratssitzungen ab und verkündeten dort neue Gesetze. 


„St. Nikolai war die Kirche der Ratsherren. Die Marienkirche war die Kirche der Handwerker und die Jakobikirche das Gotteshaus der Tagelöhner und Werftarbeiter“, zählt Hanns-Peter Neumann die drei großen Backsteinkirchen der Hansestadt auf.

St. Nikolai ist die älteste unter ihnen. 1270 begonnen, war die Backsteinkirche neben dem Schweriner Dom und der Marienkirche zu Lübeck eine der ersten deutschen Kirchen des Backsteingebiets, die im französischen Stil der Gotik erbaut wurden. Während eines Stadtbrands im Jahr 1662 verloren die Türme ihre hölzernen Turmspitzen. Der Südturm erhielt daraufhin eine barocke Haube, der Nordturm nur ein Notdach. So ist es bis heute. „Wir finden die ungleichen Türme viel interessanter. Das ist ja ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt der Pastor im Ruhestand Hanns-Peter Neumann. Die Türme sind auf vier Geschossen mit filigranem Blendmaßwerk versehen. Doch in den Blendfenstern des Südturms lösen sich große Putzflächen, aus dem Maßwerk fallen Steine und in den Fugen fehlt inzwischen so viel Mörtel, dass eine Hand in die Spalten passt. 



„Die Kirche ist ein Wahrzeichen der Stadt und Teil des Welterbes.“

Ronny Planke, Geschäftsführerin der Stadterneuerungsgesellschaft Stralsund mbH
© Jean Schwarz
Ronny Planke, Geschäftsführerin der Stadterneuerungsgesellschaft Stralsund mbH
 

„Damals hat die Bürgerschaft diese Kirche gebaut, aber jetzt liegt die Last bei einer Gemeinde, die immer kleiner wird“, spricht Neumann das Dilemma der Nikolaikirchengemeinde aus, die aktuell noch rund 2.500 Mitglieder hat. Architekt Burkhardt Eriksson hat errechnet, dass die Einrüstung der Westseite des Südturms und die Ertüchtigung des Mauerwerks rund eine Million Euro kosten würde.


Diese Summe kann die Kirchengemeinde unmöglich allein aufbringen und braucht deshalb dringend Unterstützung. Eine Zusage über 500.000 Euro aus Städtebaufördermitteln des Bundes, des Landes und der Kommune hat die Kirchengemeinde bereits erhalten. Ronny Planke ist Geschäftsführerin der Stadterneuerungsgesellschaft Stralsund mbH, die seit 1990 die Altstadtsanierung im Auftrag der Hansestadt Stralsund und ihrer Bürgerschaft vorantreibt.

In Zeiten knapper Kassen sei eine Förderung in dieser Höhe ein klares Bekenntnis zu St. Nikolai: „Die Kirche ist ein wichtiges Wahrzeichen der Stadt und Teil des Welterbes. Deshalb hat sich unsere Bürgerschaft entschlossen, Mittel aus der Städtebauförderung bereitzustellen, damit dieser öffentliche Bereich vom Bauzaun befreit werden kann.“ Denn den Einwohnern der Hansestadt fehle der baumbestandene Platz, berichtet sie: „Das ist im Sommer ein wunderbar schattiger Erholungsort. Viele Leute warten darauf, dass sie sich hier wieder aufhalten können.“

Kunst von erheblichem Rang


Außerdem gehört die Nikolaikirche zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt an der Ostsee. 1.000 Besucher empfängt die Gemeinde in den Sommermonaten pro Tag in dem Meisterwerk der Backsteingotik. „Sobald sich über dem Darß und Rügen Wolken zeigen, verdoppelt sich die Zahl“, so der ehemalige Pastor Hanns-Peter Neumann. Herausragend ist nicht nur der Bau an sich, der sich mit seinen Türmen und dem 29 Meter hohen Kirchenschiff gut sichtbar über der Stadt und dem Strelasund erhebt, sondern auch sein Inventar. Als Kirche der Zünfte und Ratsherren wurde St. Nikolai reichlich ausgestattet. „Der Gründer der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Gottfried Kiesow, hat gesagt: Wenn die Stadt nicht Welterbe geworden wäre, dann hätte es diese Kirche verdient, weil alle Generationen Kunst von erheb­lichem Rang in diese Kirche gebracht haben“, so der Vorsitzende des Fördervereins Neumann. 

Zu nennen sind die astronomische Uhr von 1394, der barocke Kreuzaltar mit Chorschranke nach einem Entwurf des Architekten Andreas Schlüter, die frühromantische Buchholzorgel von 1841 und sieben mittelalterliche Altäre. Einst sollen 56 Altäre in dem dreischiffigen Gotteshaus untergebracht gewesen sein, so Neumann. „Was das Inventar anbelangt, gab es zwei Katastrophen. Die eine war der Bildersturm 1525. Da sind viele Dinge zerschlagen worden. Die zweite Katastrophe war die Auslagerung im Zweiten Weltkrieg. Während der Bombenangriffe 1944 war die Kirche nahezu leer.“

Der Schlüteraltar mit Chorschranke trennt das Schiff vom Chor. Bemerkenswert sind auch die Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert.
© Jean Schwarz
Der Schlüteraltar mit Chorschranke trennt das Schiff vom Chor. Bemerkenswert sind auch die Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert.
 
Wie viele andere wertvolle Ausstattungsstücke wartet auch das barocke Taufgehäuse von Elias Kessler auf seine Restaurierung, doch zunächst muss die Turmfassade gesichert werden.
© Jean Schwarz
Wie viele andere wertvolle Ausstattungsstücke wartet auch das barocke Taufgehäuse von Elias Kessler auf seine Restaurierung, doch zunächst muss die Turmfassade gesichert werden.
V. r. n. l.: Architekt Burkhardt Eriksson, Pastor Stefan Fricke, Fördervereinsvorsitzender Hanns-Peter Neumann und Kirchen­gemeinderatsmitglied Gerd Meyerhoff im Gespräch mit Iris Milde.
© Jean Schwarz
V. r. n. l.: Architekt Burkhardt Eriksson, Pastor Stefan Fricke, Fördervereinsvorsitzender Hanns-Peter Neumann und Kirchen­gemeinderatsmitglied Gerd Meyerhoff im Gespräch mit Iris Milde.

Viele Exponate kehrten beschädigt oder gar nicht zurück. Zahlreiche Ausstattungsstücke konnten seit Anfang der 1990er Jahre auch mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) restauriert werden, so Tim Schöps, zuständiger Projektreferent: „Die Förderung der großen hanseatischen Backsteinkirchen liegt gewissermaßen in der DNA der Stiftung.

In Stralsund hat die DSD neben mehreren Kirchen außerdem die Restaurierung von über 50 Bürgerhäusern, des ehemaligen Segelschulschiffs der Reichsmarine Gorch Fock I und von zahlreichen weiteren Denkmalen gefördert.


Auch die vor Kurzem abgeschlossene Dachsanierung, die über zehn Jahre dauerte und rund drei Millionen Euro kostete, hat die DSD unterstützt. „Die Kupfereindeckung war undicht und der Hausschwamm fraß sich um die gesamte Traufe“, erinnert sich Gerd Meyerhoff, Mitglied im Kirchengemeinderat und Baureferent der Nordkirche. „Eigentlich müssten wir nun unbedingt den Innenraum der Kirche sanieren. Im Kirchenschiff bröckelt uns der Putz von der Wand“, betont er.

Doch ohne eine intakte Hülle sind auch die Kostbarkeiten im Inneren nicht sicher. Deshalb richten sich nun alle Anstrengungen auf die bröckelige Turmfassade neben dem Hauptportal der Kirche. Der Förderverein St. Nikolai zu Stralsund hat etwa 200.000 Euro an Spenden eingesammelt. Mit den zugesagten Städtebaufördermitteln sind so schon rund 700.000 Euro zusammengekommen. 

Doch es bleibt eine Finanzierungslücke. Die DSD hat sich vorgenommen, diese Lücke mit Hilfe ihrer Förderer zu schließen. „Das ist ein untragbarer Zustand, dass so eine große Pfarrkirche nicht durchs Hauptportal betreten werden kann“, unterstreicht DSD-Projektreferent Tim Schöps die Dringlichkeit des Vorhabens.

 

Was ihre Spende bewirken kann


  • Steinersatz im Klosterformat: 19 €
  • Glasierter Steinersatz im Klosterformat: 48 €
  • Restaurierung einer Ölandstein-Abdeckung: 98 €

(beispielhafte Bruttokosten)

Das Rathaus am Alten Markt und die Kirche St. Nikolai sind im Stil der norddeutschen Backsteingotik errichtet. Gemeinsam bilden sie das Zentrum der Welterbestadt.
© Jean Schwarz
Das Rathaus am Alten Markt und die Kirche St. Nikolai sind im Stil der norddeutschen Backsteingotik errichtet. Gemeinsam bilden sie das Zentrum der Welterbestadt.
 



Architekt Burkhardt Eriksson hofft, dass mit der Turmsicherung noch in diesem Jahr begonnen werden kann. „Sobald die Finanzierung steht, wird das Gerüst gestellt, und dann können wir den größten Teil des Platzes und das Hauptportal wieder freigeben.“ Denn dann würden eventuell herabfallende Steine in das Gerüst fallen. Anschließend können beschädigte Steine ausgewechselt und die offenen Fugen mit Mörtel verschlossen werden. „Dann bekommt die Kirche einen Teil ihrer Persönlichkeit zurück“, sagt Stefan Fricke, einer von zwei Pastoren der Gemeinde, und fügt hinzu: „Wir halten das Gebäude auch offen für Menschen, die hier nicht leben oder nicht in der Kirche sind, um allen dieses Erlebnis zu ermöglichen.“ Damit die Gemeinde das weiterhin leisten kann, ist sie dringend auch auf Ihre Hilfe, liebe Leserinnen und Leser, angewiesen.


Iris Milde


www.denkmalschutz.de/denkmal-in-not


St. Nikolai zu Stralsund

Auf dem Nikolaikirchhof

18439 Stralsund


Die Rats- und Pfarrkirche St. Nikolai liegt zwischen Altem Markt und Hafen.

Bitte retten Sie mit uns die

Turmfassade von St. Nikolai

   Wind und Wetter setzen dem Mauerwerk des Turms zu. Manche Fugen sind so weit ausgehöhlt, dass eine Hand hineinpasst.
© Falko Weise-Schmidt / Alpdienst
Wind und Wetter setzen dem Mauerwerk des Turms zu. Manche Fugen sind so weit ausgehöhlt, dass eine Hand hineinpasst.
 


Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

  • Mönche sichern Kloster Dambeck 08.11.2012 Kittel statt Kutte Kittel statt Kutte

    Kittel statt Kutte

    Im Sommer Strohhut, im Winter Fellmütze - die Kopfbedeckung ist längst zu einem Markenzeichen von Prior Bruder Jens geworden. Allerdings kombiniert er sie weit seltener mit der braunen Kutte als mit dem grauen Arbeitskittel. Denn anzupacken gibt es genug im Kloster Dambeck. Ausgesandt von der Lukas-Communität in Hannover, zogen vor zwanzig Jahren vier Mönche in die Altmark. Seither setzt die Evangelisch-benediktinische Joseph-Bruderschaft alles daran, die verfallene mittelalterliche Anlage Stück für Stück wieder aufzubauen und mit klösterlichem Leben zu erfüllen.

  • Aus unserem Förderprogramm 22.09.2021 Pilgerstraße und Backsteingotik Pilgerstraße und Backsteingotik

    Pilgerstraße und Backsteingotik

    Die Gemeinde von Poseritz auf Rügen ist dringend auf Unterstützung angewiesen.

  • St. Georgens Auferstehung - allen Spendern sei Dank 08.11.2012 Das Wunder von Wismar Das Wunder von Wismar

    Das Wunder von Wismar

    "Die paar Schritte zwischen St. Marien und St. Jürgen in Wismar (...) Wo noch sind auf zweihundert Meter so gewaltige Dome zusammengedrängt, Zeugnisse überquellender bürgerlicher Kraft und stolzer Frömmigkeit, in rascher Folge aufgestellt und schließlich am zu großen Wollen ermattend (...)"Theodor Heuss, 1920

Service

Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


 
 
Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


1
Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland
2
Monumente Abo



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


3

Newsletter

Lassen Sie sich per E-Mail informieren,

wenn eine neue Ausgabe von Monumente

Online erscheint.

Spenden für Denkmale

Auch kleinste Beträge zählen!

 
 
 
 
0 Kommentare

0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar!

Antwort auf:  Direkt auf das Thema antworten

 
 

© 2023 Deutsche Stiftung Denkmalschutz • Monumente Online • Schlegelstraße 1 • 53113 Bonn