Denkmalarten Wohnhäuser und Siedlungen Stile und Epochen Barock 1200 Ausgabe Nummer April Jahr 2025 Denkmale A-Z D

Denkmal in Not

Hilferuf auf Hebräisch

Ein gewöhnliches Wohnhaus in Schwäbisch Gmünd entpuppt sich als mittelalterliche Synagoge und jüdisches Gemeindehaus, eine Domus Judaeorum. Vermutlich das einzig erhaltene Beispiel dieser Art im deutschsprachigen Raum.

Als Robert Dinser, Mitglied einer alteingesessenen Gmünder Familie, 2014 das Haus in der Imhofstraße 9 kaufte, wollte er verhindern, dass das Gebäude in falsche Hände gerät. Wie weitsichtig der Eigentümer mehrerer Denkmale damit handelte, sollte sich erst später herausstellen. Denn auf den ersten Blick wirkt das Gebäude mit dem Walmdach und dem Vorbau aus dem 20. Jahrhundert wie ein normales Wohnhaus. „Innen war alles voll mit Gipskarton und das ganze Haus war in viele kleine Räume unterteilt, also sehr verbaut“, erinnert sich Sandra Bosch von der Unteren Denkmalschutzbehörde in Schwäbisch Gmünd an ihre erste Besichtigung. „Als wir dann ein paar Öffnungen gemacht haben, kam diese alte Holzbohlendecke zum Vorschein.“ Sandra Bosch deutet nach oben auf die freitragende, mittelalterliche Balkendecke, die das saalartige Erdgeschoss überspannt.


Bauforscher, Historiker und Archivare trugen daraufhin zahlreiche Puzzleteile zusammen und aus Vermutungen wurde Gewissheit: Das Haus in der Imhofstraße 9 war im Mittelalter das Zentrum jüdischen Lebens in Schwäbisch Gmünd. „Wir sind hier im jüdischen Viertel“, erklärt Denkmalpflegerin Sandra Bosch. „Die Imhofstraße hieß früher Judenhof.“ In alten Schriften werden eine „Judenkirch“ oder „Judenschul“ erwähnt. Aber wo genau sie sich befunden hatte, war nicht eindeutig geklärt.


In der Höhe der Stadt


Der erste bekannte Nachweis einer jüdischen Gemeinde in Schwäbisch Gmünd ist die Reichssteuerliste aus dem Jahr 1241, die nahelegt, dass die dortige jüdische Gemeinde wohlhabend war, so Stadtarchivar Dr. Niklas Konzen. „Wir sind hier im Inneren des ältesten Stadtmauerrings. Dort waren nur Sakralgebäude, städtische Gebäude und die Häuser des Stadtadels. Das deutet darauf hin, dass die jüdische Gemeinde gezielt von den staufischen Stadtgründern angesiedelt wurde und anfangs ein geschätzter Teil der Stadtgesellschaft war.“

An der Fassade erkennt man ein Spitzbogenfenster von 1288. Das Nachbarhaus wurde 1574 fertiggestellt, lange nach Vertreibung der Juden. Zuvor befand sich dort der Eingang zur Synagoge.
© Jürgen Pollak
An der Fassade erkennt man ein Spitzbogenfenster von 1288. Das Nachbarhaus wurde 1574 fertiggestellt, lange nach Vertreibung der Juden. Zuvor befand sich dort der Eingang zur Synagoge.
Gemeinsam für jüdisches Erbe: (v. l. n. r.) Stadtarchivar Dr. Niklas Konzen, Baubürgermeister Julius Mihm, Denkmalpflegerin Sandra Bosch, Leiter der Planung Andreas Gehrung, Bauhistoriker Markus Numberger, Statiker Gunter Köster, Restauratorin Martina Fischer.
© Jürgen Pollak
Gemeinsam für jüdisches Erbe: (v. l. n. r.) Stadtarchivar Dr. Niklas Konzen, Baubürgermeister Julius Mihm, Denkmalpflegerin Sandra Bosch, Leiter der Planung Andreas Gehrung, Bauhistoriker Markus Numberger, Statiker Gunter Köster, Restauratorin Martina Fischer.
 

Dass es sich bei der Imhofstraße 9 tatsächlich um eine mittelalterliche Synagoge handelt, kann anhand einer langen Indizienkette nachgewiesen werden. Ein Glied dieser Kette ist, dass sich das Haus am höchsten Punkt der mittelalterlichen Altstadt befindet. „Es gibt eine jüdische Vorschrift, die Synagoge in der Höhe der Stadt zu bauen. Das wird unterschiedlich gedeutet: Entweder soll die Synagoge am höchsten Punkt stehen oder das höchste Gebäude sein“, erklärt Niklas Konzen. Auf das Haus in der Imhofstraße trifft beides zu. Das 23 Meter hohe Bauwerk, das damals noch zwei Staffelgiebel besaß, ragt auf einem historischen Stich geradezu turmartig aus dem Häusermeer heraus.

Eine flache Holzdecke trennte den Synagogensaal vom Keller. Im 16. Jahrhundert wurde sie durch ein Gewölbe ersetzt. Das Sandsteinbecken im Boden ist keine Mikwe, sondern vermutlich ein Wassersammelbecken.
© Jürgen Pollak
Eine flache Holzdecke trennte den Synagogensaal vom Keller. Im 16. Jahrhundert wurde sie durch ein Gewölbe ersetzt. Das Sandsteinbecken im Boden ist keine Mikwe, sondern vermutlich ein Wassersammelbecken.

Doch die Geschichte des Hauses erklärt sich am besten aus der Tiefe. Deshalb steigt Bauhistoriker Markus Numberger in die Kellertonne hinab. Er breitet die Arme aus, um die riesigen Sandsteinquader, aus denen die Seitenwände aufgeschichtet sind, zu ermessen. „Die sind selbst für die Stauferzeit überdimensioniert. Sie tragen keine Zangenlöcher, was dafür spricht, dass sie um 1200 hier reingekommen sind, bevor es die Steinzange gab.“ Der Bauhistoriker vermutet, dass das Gebäude damals als Patrizierhaus errichtet und dann von der jüdischen Gemeinde spätestens um 1280 gekauft wurde. Diese ließ das Haus auf die stattlichen 23 Meter vom Keller bis zum Staffelgiebel aufmauern. Die Staffelgiebel mussten im 18. Jahrhundert wegen Baufälligkeit entfernt werden. Aber unter dem barocken Walmdach befindet sich noch immer das stuhllose Sparrendach, das dendrochronologisch auf das Jahr 1288 datiert werden konnte. Damit gilt die Imhofstraße 9 als das älteste erhaltene Gebäude in Schwäbisch Gmünd. Was umso bemerkenswerter ist, da die Stadt im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde. „Wir sind reich gesegnet mit bauhistorischen Schätzen über alle Jahrhunderte hinweg“, sagt Denkmalpflegerin Sandra Bosch.

Im ersten Obergeschoss wurde 1417 eine beheizbare Bohlenstube eingebaut. Einige der beschnitzten Hölzer haben die Denkmalretter in der Zwischendecke im Dachgeschoss wiedergefunden.
© Jürgen Pollak
Im ersten Obergeschoss wurde 1417 eine beheizbare Bohlenstube eingebaut. Einige der beschnitzten Hölzer haben die Denkmalretter in der Zwischendecke im Dachgeschoss wiedergefunden.
Barocke Raumfassung im zweiten Obergeschoss. Im Haus gibt es Spuren aus allen Epochen seit dem 13. Jahrhundert.
© Jürgen Pollak
Barocke Raumfassung im zweiten Obergeschoss. Im Haus gibt es Spuren aus allen Epochen seit dem 13. Jahrhundert.
 


Trotzdem übernahm die Stadt Schwäbisch Gmünd, nachdem der bisherige Eigentümer Robert Dinser schwer erkrankt war, auf seinen Wunsch 2018 die ehemalige Synagoge für einen symbolischen Euro mit der Auflage, darin ein Museum und eine Begegnungsstätte für Bürger und Besucher der Stadt zu schaffen. „Damals war klar, welche Bedeutung das Haus hat, auch für die Identität der Stadt“, betont Baubürgermeister Julius Mihm. „Und es war auch klar, dass wir das machen, obwohl wir noch keine Kostenschätzungen vorliegen hatten.“ Sechs Millionen Euro sind derzeit für die Sicherung, Restaurierung und Revitalisierung des Baudenkmals veranschlagt. Statt Sorge überwiegen bei den Verantwortlichen jedoch die Freude und das Bewusstsein, einen echten Schatz in der Stadt zu haben.

© Jürgen Pollak

Was ihre Spende bewirken kann


  • Mörtel für Hohlraumverfüllung - 10 kg - 30 €
  • Spannanker aus Edelstahl - 0,5 m - 130 €
  • Vernadelung - 320 €

(beispielhafte Bruttokosten)

Wurde beim Entkernen entdeckt: Historischer Zugang zur Synagoge mit den nach unten führenden Stufen.

 


Im Saal mit der freitragenden Bohlendecke schlüpft Sandra Bosch hinter die Holztreppe, die im Barock eingefügt wurde – lange nach Vertreibung der Juden aus Schwäbisch Gmünd im Jahr 1501. Hinter der Treppe haben die Bauforscher ein Sandsteinportal freigelegt. „Das war der Eingang zur Synagoge“, sagt Sandra Bosch. Auf der anderen Seite der Wand befindet sich heute das Nachbarhaus, das 1574 fertiggestellt wurde. Als die jüdische Gemeinde die Synagoge nutzte, muss an seiner Stelle ein Anbau für die rituelle Reinigung gestanden haben. Aus dem gingen die Gläubigen einige Stufen hinauf zum Portal und innen mehrere Stufen hinunter in den Saal, der fast auf Kellerniveau lag. Diese abgesenkte Lage ist typisch für Synagogen und wird auf den Psalm 130 zurückgeführt: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir! Herr, höre meine Stimme!“


Gut gehütete Geheimnisse


1288, als das Gebäude errichtet wurde, gab es den hohen Saal im Erdgeschoss und einen niedrigen Saal im Obergeschoss, die als Männer und Frauensynagoge gedeutet werden. Erhellt wurde der mittelalterliche Synagogenraum durch zwei mannshohe Spitzbogenfenster in der Straßenfassade, von denen eines bereits freigelegt ist. Stadtarchivar Niklas Konzen deutet auf die Wand gegenüber des historischen Eingangsportals. „In einem Betsaal einer Synagoge erwartet man auf der Ostseite einen Thoraschrein.“ Stattdessen befindet sich dort seit dem Bau des Nachbargebäudes im 16. Jahrhundert der neue Eingang. Konzen: „Man hat die Wand dort durchbrochen, wo sie am dünnsten war. In der Thoranische.“ Während des Pestpogroms im Jahr 1349 wurde die jüdische Bevölkerung von Schwäbisch Gmünd ausgelöscht. Mit der Wiederansiedlung von Juden um 1370 wurden im Haus in der Imhofstraße neue Bohlendecken eingezogen. Aus zwei Geschossen entstanden drei. Ab 1417 gab es eine beheizbare Bohlenstube im ersten Obergeschoss. Vermutlich war die Gemeinde nach ihrer Wiederansiedlung so klein, dass man das Haus nicht mehr nur als Synagoge nutzte, sondern auch als Schule, Wohnort für den Rabbiner, Tanzhaus und Lagerhaus. Eine solche Mischnutzung hält Simon Paulus, Experte für Synagogenbau im Mittelalter, auch in Schwäbisch Gmünd für wahrscheinlich. Er schreibt: „Im 13. und 14. Jahrhundert fanden solche Gebäude als Gemeinde- oder Gemeinschaftsbauten bisweilen unter dem Begriff ‚Domus Judaeorum‘ Eingang in Urkunden und Zinsbücher. Bisher ließ sich im deutschsprachigen Raum ein solches ‚Judenhaus‘ nicht eindeutig identifizieren.“ In Schwäbisch Gmünd, so der Architekturhistoriker, könne man nun erstmals eine „Domus Judaeorum“ in bemerkenswertem Erhaltungszustand nachweisen.

Wandbemalung aus barocker Zeit im ersten Obergeschoss.
© Jürgen Pollak
Wandbemalung aus barocker Zeit im ersten Obergeschoss.
 Das stuhllose Sparrendach wurde dendrochronologisch auf das Jahr 1288 datiert und ist damit eines der ältesten seiner Art in der Region.
© Jürgen Pollak
Das stuhllose Sparrendach wurde dendrochronologisch auf das Jahr 1288 datiert und ist damit eines der ältesten seiner Art in der Region.

Nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung im Jahr 1501 geriet auch die jüdische Geschichte des Hauses in Vergessenheit. Wohnungen wurden eingebaut, Renaissance- und Barockschichten überdeckten die mittelalterlichen. „Wir haben eigentlich in jeder Wand aus allen Bauzeiten Befunde. Superspannend“, freut sich Restauratorin Martina Fischer. Im Streiflicht ihrer Baulampe weist sie auf waagerechte und senkrechte Putzritzungen aus der Renaissance. Im ersten Obergeschoss überdecken farbenfrohe barocke Malereien die grauen mittelalterlichen Farbschichten.


Doch während der Spurensuche kamen auch zahlreiche Schäden ans Licht. Vor allem die im 14. Jahrhundert eingezogenen Balkendecken sind akut gefährdet. Statiker Gunter Köster deutet auf die Stelle, wo die Bohlen in der Wand stecken. „Die Balken liegen nur wenige Zentimeter auf der Mauer. Die Last hat die Steine gespalten, wodurch die Balken abrutschen. Die ganze Decke kommt runter.“ Die abgleitenden Decken drücken wiederum die Außenwände auseinander. Und spätestens beim Blick in einen 25 Zentimeter breiten Spalt im Mauerwerk wird deutlich, dass es einer solchen Belastung nicht standhalten kann. „Das Mauerwerk hat eine Innen- und eine Außenschale“, erklärt Köster. „Wenn das aufreißt, geht das wie ein Reißverschluss durchs Gebäude.“ 2016 erfolgte eine Notsicherung mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD), eine zweite 2019. Diese haben das Gebäude zwar gerettet, aber die Gefahr ist noch nicht gebannt. Nun sei es wichtig, die Hohlräume im Mauerwerk mit Mörtel aufzufüllen und zu vernadeln sowie Spannanker in den Zwischendecken zu ziehen, so der Statiker.

 

Die vielen Fragmente und Zeitschichten für künftige Besucher aufzubereiten, ist keine leichte Aufgabe, bekennt Baubürgermeister Julius Mihm. „Aber vor allem wollen wir einem modernen Menschen zeigen, wie es sich anfühlt, in einem Raum aus dem 14. Jahrhundert zu stehen, der keine christliche Kirche ist“. Außerdem möchte die Stadt, dass die „Domus Judaeorum“ wieder jüdisch genutzt wird. Geplant ist, dass das Bildungswerk der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) in das Haus einzieht. Das soll Menschen ermöglichen, die jüdische Kultur und Religion kennenzulernen, so die Vorstandssprecherin der IRGW, Professorin Barbara Traub: „Wenn es schon so einen Ort des Bergens und Herausholens aus den Schichten der Vergangenheit gibt, dann wollen wir unser jüdisches Bildungswerk auch genau an diesem Ort ansiedeln.“


Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg, auf dem die DSD der engagierten Stadt Schwäbisch Gmünd zur Seite stehen möchte. Helfen auch Sie mit, dieses einzigartige Zeugnis jüdischen Lebens zu bewahren.


Iris Milde


www.denkmalschutz.de/denkmal-in-not


Domus Judaeorum

Imhofstraße 9

73525 Schwäbisch Gmünd

www.domusjudaeorum.de


Das Haus der Juden liegt im ehemaligen jüdischen Viertel der Stadt Schwäbisch Gmünd.

Bitte retten Sie mit uns die

Domus Judaeorum

 Die Deckenscheiben im ehemaligen Synagogensaal geben Rätsel auf. Sie sind scheinbar unregelmäßig verteilt über die gesamte Bohlendecke zu finden. Haben sie einen religiösen oder rituellen Hintergrund?
© Jürgen Pollak
Die Deckenscheiben im ehemaligen Synagogensaal geben Rätsel auf. Sie sind scheinbar unregelmäßig verteilt über die gesamte Bohlendecke zu finden. Haben sie einen religiösen oder rituellen Hintergrund?
 

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