Denkmalarten Wohnhäuser und Siedlungen Stile und Epochen Nach 1945 1850 1600 Ausgabe Nummer Februar Jahr 2025
Im Laufe von fünf Jahrhunderten kann ein Haus zu einem regelrechten Familienmitglied werden. Das empfindet Manfred Oldenburg so, seit er sich zusammen mit seiner Frau der Hofstelle im mecklenburgischen Groß Neuleben angenommen hat und das besondere Denkmal zum Zuhause wurde.
Es war sicher wieder einmal ein gutes Stück Arbeit. Alles gegeben, trotzdem nicht ganz zufrieden. Also auf dem schnellsten Weg nach Hause. „Zu Hause fühle ich mich wohl, dort ist meine Gemütslage eine andere.“ Toni Kroos, der (ehemalige) Spitzenfußballer, sagt diese Sätze. Und zwar auf einer gemeinsamen Autofahrt in die Kamera von Manfred Oldenburg. Es kann kein Zufall sein, dass er sie ausgerechnet in dessen Kamera sagt, denn das Bedürfnis, nach Hause zu kommen, das teilt der vielfach ausgezeichnete Filmemacher mit dem Protagonisten seines Films „Kroos“ aus dem Jahr 2019.
Für den Fußballstar ist zu Hause das Haus, in dem seine Familie wohnt. Für Manfred Oldenburg und seine Frau Nicole vom Berge ist es ein Bauernhaus mit viel Land in Mecklenburg-Vorpommern, wenige Kilometer südöstlich von Lübeck. „Das Haus ist für uns wie ein Familienmitglied. Das alte Mädchen, wie wir es nennen, hat der Familie 500 Jahre lang Schutz, Wärme und Geborgenheit gegeben.“ Mit diesen Worten beschreibt der Regisseur – und promovierte Historiker – seine Gefühle und die seiner Frau für ihr Haus, ihr Zuhause, ihre Familie, die seit Kurzem Hündin Alberta komplettiert.
Zunächst einmal ist es ein typisches niederdeutsches Hallenhaus in Zweiständerbauweise. Anders als in Mehrseithöfen lebten in Hallenhäusern die Bauern unter einem Dach mit ihren Tieren, den Gerätschaften und der Ernte. „Meine Vorfahren sind jahrhundertelang mit dem geernteten Getreide hinten beim langen Ende hinein- und hier vorne wieder herausgefahren – um Zeit zu sparen“, erklärt Oldenburg. Überhaupt gelingt es ihm beim Rundgang durch sein Haus, Geschichte lebendig werden zu lassen. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie Oldenburgs gewirtschaftet und gewohnt haben. Und wie sie mit der Zeit gingen, denn etwa alle 100 Jahre – 1550, 1693, 1780 sowie 1871 –, gab es Anpassungen des Hauses an veränderte Gewohnheiten.
Ein Haus für die Familie
Der größte Einschnitt ereignete sich 1953. „Wir sind ja hier in der ehemaligen DDR, in der sogenannten Fünfkilometerzone“, erzählt Oldenburg. „Die hier ansässigen Familien wurden 1952 zwangsdeportiert oder ins Gefängnis geworfen und enteignet. Als meine Familie an der Reihe war, musste sie innerhalb einer Stunde das Wichtigste packen und fliehen.“ Oldenburgs begannen im Rheinland ihr neues Leben – zur Heimat wurde es ihnen nie. Das spürte auch Manfred Oldenburg, der zum Zeitpunkt der Wende gerade Student in Trier war. Er begleitete deshalb seine Mutter, die sich in der mit 16 Jahren verlassenen Heimat umsehen wollte. Und dann nicht mehr aus Groß Neuleben wegwollte.
Dabei hatte sich ihr Zuhause zwischenzeitlich einschneidend verändert. 1956 ist hier ein LPG-Stützpunkt mit Zweckbauten für Landwirtschaftsmaschinen errichtet worden. Gleichzeitig verfielen die alten Gebäude der Hofstelle und wurden allenfalls äußerst notdürftig repariert. 1992 konnten Hof und Land rückübertragen werden, mit Ausnahme des Technikstützpunktes, der weitere zehn Jahre im Besitz des LPG-Nachfolgebetriebs blieb.
Irmtraut Hundt, Manfreds Mutter, jedoch hielt das nicht davon ab, in das inzwischen leer stehende alte Bauernhaus zu ziehen, auch, um es vor dem endgültigen Verfall zu bewahren. Als Manfred Oldenburg bewusst wurde, dass es seiner Mutter sehr ernst mit dem Neuanfang in ihrem alten Zuhause war, unterstützte er sie. Zumal auch er ein wachsendes Interesse an der Erhaltung dieses unwiederbringlichen Denkmals spürte. „Nach der Wende war klar: Nun ist es umgekehrt, jetzt braucht das Haus unseren Schutz. Es ist – wie Liebe – ein irrationales Gefühl, und seit 35 Jahren sind wir für das Haus da.“
Die Familie für das Haus
Wir – das waren zunächst Mutter und Sohn Oldenburg. Bis, ebenfalls aus Liebe, Nicole vom Berge dazustieß. „Aber Manfred wollte mir das hier zuerst nicht zeigen. Vielleicht war er sich nicht sicher, ob ich seine Gefühle für das Haus verstehen würde.“ Denn erst seit Frühjahr 2024 ist der vordere, der Wohnteil, auch mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, wirklich bewohnbar geworden. Zuvor gab es weder Heizung noch Elektrizität, das Dach war undicht. In der DDR-Zeit war das Reetdach abgenommen und durch ein flach geneigtes Dach ersetzt worden. So war das jahrhundertealte Bauernhaus zudem nicht mehr an seiner Dachform erkennbar. Dass nun wieder ein ortstypisches Reetdach das Haus bedeckt, steht im Einklang mit den zentralen denkmalpflegerischen Zielen, die sich die Eigentümer gesteckt haben: Bewahrung der Zeugniswerte, Substanzerhalt und Minimierung der Eingriffe.
„Das Haus ist wie ein Legohaus“, sagt Oldenburg. „Meine Vorfahren haben immer wieder ausgetauscht, erneuert, verändert.“ Und dabei überraschende Spuren hinterlassen. Die größte Überraschung war wohl, als sich ein irgendwann versetzter Balken mit Inschrift fand: Jvrgen Ollenborg. Das Gefühl, schon lange hierher zu gehören, bekam einen echten Beleg.
Nicole vom Berge und Manfred Oldenburg haben vor einem knappen Jahr ihren Wohnsitz in Köln aufgegeben. Im sogenannten langen Ende, im Wirtschaftsteil des Hauses, da, wo immer auch schon gefeiert wurde, fand ihre Hochzeit statt. Beruflich sind beide viel unterwegs. Nach Hause zu kommen hat für sie mittlerweile eine besondere Bedeutung, die Oldenburg so beschreibt: „Das alte Mädchen gibt uns jeden Tag alles zurück und schenkt uns nun das Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Und jedes Mal sind wir überwältigt, wenn wir auf das Haus zugehen: Was für eine Schönheit es doch ist.“
Julia Greipl
Niederdeutsches Hallenhaus
Dorfstraße 2
Groß Neuleben
23923 Lüdersdorf
Das alte Rundlingsdorf Groß Neuleben, knapp 20 Kilometer südöstlich von Lübeck, wurde 1215 erstmals urkundlich genannt.
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