Denkmalarten Kleine und große Kirchen Archäologie Stile und Epochen 1500 Gotik 1200 Ausgabe Nummer Februar Jahr 2025

In luftiger Höhe und tiefem Gewässer

Stille Helden im Einsatz

Sie dringen dorthin vor, wohin die Baugerüste nicht reichen oder wo die Augen kaum noch etwas sehen: Denkmalretter tauchen in Brandenburgs Seen oder klettern am Freiburger Münster. Wie lässt sich unser kulturelles Erbe unter erschwerten Bedingungen zwischen Wellen und Wolken erhalten?

Der Weg nach oben führt über 335 Treppenstufen – oder einen Stahlaufzug: Der hellblaue Gitterkasten schiebt sich im Juni 2024 mehrmals ­täglich am Mauerwerk des Freiburger Münsterturms in die Höhe. Schon die zweiminütige Auffahrt zur temporären Arbeitsplattform unterhalb der durch­brochenen Turmspitze ist abenteuerlich. Für das Kletter­team der Freiburger Münsterbauhütte stellt sie während des jährlichen Monitorings des denkmal­geschützten Wahrzeichens jedoch schlicht und einfach den Weg zur Arbeit dar. 

Arbeiten mit Ausblick: In knapp 100 Metern über dem Münsterplatz ist neben der Zusatzausbildung Schwindelfreiheit eine notwendige Voraussetzung.
© Daniel Elke
Arbeiten mit Ausblick: In knapp 100 Metern über dem Münsterplatz ist neben der Zusatzausbildung Schwindelfreiheit eine notwendige Voraussetzung.

In 50 Metern Höhe ist das ­morgendliche Treiben des Wochenmarktes noch gut zu hören. Der Blick reicht über die Dächer Freiburgs bis hin zu den Bergen des Schwarzwaldes. Für die erfah­renen Handwerker ist das Panorama jedoch ­Nebensache: Sie konzentrieren sich in höchster Höhe auf den schweißtreibenden Erhalt der berühmten Pfarr­kirche. Für ihre Arbeit müssen sie schwindelfrei und körperlich belastbar sein – denn nur mit einfachen Hilfsmitteln und Muskelkraft schaffen sie es noch mal über 60 Meter höher: in die 116 Meter hohe Turmspitze. Im Inneren des Maßwerkes hängen Sie im Zweier­team mit einem Gurt um die Hüften, Werkzeug, Material und Karabinerhaken.


Warum eigentlich Klettern?


Die sogenannten Höhenarbeiter oder Industriekletterer erklimmen hohe Türme, verwinkelte Dach­konstruktionen oder steigen in enge Schächte. „Am Freiburger Münster muss alles über 70 Meter erklettert werden. Wir erreichen Areale, wo man unter normalen ­Umständen nicht hinkommt“, sagt Tilman Borsdorf, ­leitender Restaurator in der Freiburger Münsterbauhütte. Oft schaffen Gerüste, Kräne oder Hubarbeitsbühnen es nicht so hoch, sind schwierig oder gar nicht zu stellen und mit enormen Kosten verbunden. Am Münster kommen dann Borsdorf und sein Team ins Spiel, die das Monitoring am Seil seit 2018 machen. Für seine Arbeit hängt Tilman Borsdorf bei unserem Termin im Sommer in über 100 Metern Höhe an zwei dicken Seilen im Westturm.

Wieder zurück auf der Arbeitsplattform ­erzählt er: „Es ist eigentlich wie auf einer Schaukel. Da fühlt man sich sicher.“ Bei stürmischen Winden, starker Kälte, Schnee, Regen oder sonstigem Extremwetter wird es jedoch ungemütlich auf dem schmalen Sitz – und manchmal auch zu gefährlich. Dank zuverlässigem ­Material, einem verantwortungsbewussten Team, viel ­Erfahrung und einer guten Ausbildung (siehe Seite 10) sind die Denkmalretter am Seil sicher unterwegs. Ein ­begleitendes Team aus Industriekletterern ist stets zur Stelle und macht den Seilaufbau am Turm, bevor das Kletterteam der Münsterbauhütte sich innen hochzieht oder außen am Maßwerk wieder abseilt, um jeden einzelnen Stein zu begutachten.

Gut gesichert hängt Tilman Borsdorf, Restaurator mit Zusatzausbildung zum Höhenarbeiter, am Turm des Freiburger Münsters.
© Daniel Elke
Gut gesichert hängt Tilman Borsdorf, Restaurator mit Zusatzausbildung zum Höhenarbeiter, am Turm des Freiburger Münsters.


Restauratoren am Seil


In Deutschland gibt es feste Sicherheits- und Ausbildungsstandards, die der Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken (FISAT) vertritt. Diese Standards gelten auch für die Kletterer am ­Münster. Selbst für den Münsterplatz gibt es während der zweiwöchigen Klettermaßnahme hohe Auflagen. Denn Aufplatzungen, Risse und herunterfallende Brüche im Bau können eine Gefahr für die Münsterplatz­besucher darstellen. „Beim Klettern machen wir kleinere Notsicherungen aus Draht oder Drahtgeflecht, um ­Abstürze von Bruchstücken zu verhindern. Kleine ­Abbrüche nehmen wir direkt mit nach unten“, sagt Borsdorf.

Wie lerne ich denkmalgerechtes Klettern und Tauchen?


Um denkmalgerecht zu klettern, ist eine handwerkliche oder restauratorische Ausbildung wünschenswert. Die Kletterer am Freiburger Münster beispielsweise sind Steinmetze und Restauratoren. Oft sind auch Dachdecker mit einer Zusatzausbildung im Klettern am Denkmal unterwegs. Bei entsprechenden Betrieben können Zusatzqualifizierungen für das Fassaden- oder Industrieklettern erworben werden: Es handelt sich um drei Kurse mit steigenden Schwierigkeitsgraden. Eine Übersicht über qualifizierende Betriebe gibt unter anderem der Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken (FISAT) unter www.fisat.de.


Beim denkmalgerechten Tauchen ist das ähnlich: Getaucht werden sollte mit fachlicher Expertise und entsprechendem Schein, um Denkmale unter Wasser zu erkunden und zu schützen. Drei Spezialausbildungen können die Aspiranten wie beim Klettern in kurzer Zeit absolvieren. Eine intensivere Ausbildung bietet der sogenannte Forschungstauchschein. Weitere Infos gibt der Verband Deutscher Sporttaucher (VDST) unter www.vdst.de.


Eine entsprechende Weiterbildung und Spezialisierung lohnt sich: In der Denkmalpflege wird die Expertise des denkmalgerechten Kletterns und Tauchens benötigt und gesucht.

 

Durch das Klettern habe sich sein Verhältnis zur bauzeitlichen Substanz komplett geändert. „Ich sammle Bruchstücke bei mir im Büro und hoffe, dass ich genau an dieser Stelle wieder vorbeikomme, um sie einzufügen.“ Denn jeder der Steine am Münsterturm übernimmt seine Aufgabe, um die Lasten des Bauwerks zu tragen. Mehr als 80 Prozent des Turms sind bauzeitliche Substanz. Den Steinmetzen und Restauratoren am Seil ist es ein großes und dringliches Anliegen, die beschädigten Steine als Teil des Denkmals zu sichern und denkmalgerecht zu behandeln.

Respekt vor jedem Stein


Sie erkennen und erfühlen akute Schäden am Westturm und den beiden Hahnentürmen. „Wenn du kletterst, kannst du Hand anlegen“, sagt Tilman Borsdorf. Sind von außen keine ­Schäden zu erkennen, stellen sie durch Abklopfen, Hören und Anfühlen fest, ob der Stein lose oder beschädigt ist. Technische Hilfsmittel wie beispielsweise Drohnen für fotogram­metrische Aufnahmen können für noch geziel­tere Arbeitseinsätze und die digitale Dokumentation hilfreich sein. Am Freiburger Münster sind für diese Aufgaben ausgebildete Kletterer mit denkmalpflegerischer Expertise unterwegs. Sie erkennen Schäden ­direkt und dokumentieren mit Kameras den aktuellen Zustand. 

Am sächsischen Kloster Oybin: Die Kletterer am Seil entfernen Bewuchs und reparieren Fugen des Mauerwerkbestandes. Die 2008 gegründete treuhänderische Stiftung Kloster Oybin unter dem Dach der Deutschen Stiftung Denkmalschutz unterstützt die notwendigen Maßnahmen.
© Ines Stephan
Am sächsischen Kloster Oybin: Die Kletterer am Seil entfernen Bewuchs und reparieren Fugen des Mauerwerkbestandes. Die 2008 gegründete treuhänderische Stiftung Kloster Oybin unter dem Dach der Deutschen Stiftung Denkmalschutz unterstützt die notwendigen Maßnahmen.
Mit der Kamera dokumentieren Kletterer wie Hannes Koch und Hannes Walz (hinten) brüchige Stellen in der Fassade des Freiburger Münsters, ein Drahtgeflecht soll Abstürze verhindern.
© Daniel Elke
Mit der Kamera dokumentieren Kletterer wie Hannes Koch und Hannes Walz (hinten) brüchige Stellen in der Fassade des Freiburger Münsters, ein Drahtgeflecht soll Abstürze verhindern.
 


Die Ergebnisse der Kartierung werden in eine Datenbank, in Pläne und ein dreidimen­sionales Modell übertragen. Die Mitarbeitenden der Münsterbauhütte können so die Entwicklung der ­Schäden über die Zeit verfolgen und eingreifen. Aktuell haben sich zum Beispiel die Standflächen der Fialen beim Nordwestpfeiler des Turms durch Korrosionsdruck um zwei Drittel verringert. „Darauf lasten Hunderte Kilos. Das ist sehr dramatisch. Da reicht kein Drahtgeflecht mehr, um weitere Abbrüche zu ­verhindern“, sorgt sich Borsdorf. Am nörd­lichen Hahnenturm gibt es zudem große Probleme mit dem in den 1960er Jahren verbautem Freudenstädter Sandstein, der quer zur Schichtung der Sandstein­platten aufreißt. Hier wurden bereits Krabben am Turmhelm eingenetzt: bis zu 30 Kilo schwere Stücke, die jederzeit drohen, abzugehen.


Mit Gewichten in die Tiefe


Dr. Dietgard Kühnholz schützt Denkmale nicht in der Luft, sondern taucht für sie ab. Bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit als Archäologin in den brandenbur­gischen Gewässern helfen ihr Blei­gewichte: Die Präsidentin des Vereins für Unterwasserarchäologie Berlin-Brandenburg e. V. und ihre Kolleginnen und Kollegen nutzen sie beim Tauchen gegen den Auftrieb. Eine Tarierweste ­ermöglicht ihnen durch Einblasen und Ablassen das kontrollierte Schweben.

Das von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gesponsorte Boot mit Elektro-Außenmotor macht die Tauchgänge des Vereins für Unterwasserarchäologie Berlin-Brandenburg e. V. effizienter und ökologischer.
© Marlene Gawrisch
Das von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gesponsorte Boot mit Elektro-Außenmotor macht die Tauchgänge des Vereins für Unterwasserarchäologie Berlin-Brandenburg e. V. effizienter und ökologischer.

Tauchen findet in einem für den Menschen ungeeigneten Lebensraum statt. Technische Hilfsmittel wie Pressluftflaschen und Atemregler versorgen mit Luft, spezielle Anzüge schützen vorm Auskühlen. Die Sicht ist gerade in heimischen Gewässern meist schlecht. „Des Tauchers Augen sind die Hände. Es ist vergleichbar mit Autofahren in dichtem Nebel. Deswegen muss man vorsichtig agieren“, erzählt Kühnholz. Die Taucher wirbeln möglichst wenig, bestenfalls gar kein Sediment auf, um die Sicht nicht noch mehr zu trüben und die ­Natur zu schützen. 


Sonar- und Unterwasserroboter ­machen die Tauchprospektionen effektiver, Schlauchboote mit Elektromotoren bringen die Taucher komfortabel zu den Fundstellen mitten im See. Ein solches Schlauchboot sponsorte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Bei den Tauchgängen des Vereins im Oktober 2024 im Parsteiner See bewährte es sich bereits. Ähnlich wie die Kletterer arbeiten auch die Taucher für den Denkmalschutz unter erschwerten Bedingungen. Sie müssen rele­vante Substanz erkennen, einschätzen und behutsam mit dem Vorgefundenen umgehen. „Dass Denkmale auch unter Wasser zu finden und zu schützen sind, ist vielen nicht bewusst“, sagt Kühnholz. Der seit 30 Jahren existierende Verein vermittelt Sporttauchern, dass der Wert eines Objektes, das sie als Souvenir mitnehmen, für die Wissenschaft ein herber Verlust ist. „Ein ent­nommener Fund kann keine Geschichte mehr erzählen. Er verstummt.“

Archäologische Funde, wie diese Scherben aus der slawischen Zeit oder der runde Netzsenker, behalten ihren Wert für die Wissenschaft, wenn sie am Fundort belassen werden. Auch heutzutage werden Netzsenker noch beim Fischen verwendet.
© Marlene Gawrisch
Archäologische Funde, wie diese Scherben aus der slawischen Zeit oder der runde Netzsenker, behalten ihren Wert für die Wissenschaft, wenn sie am Fundort belassen werden. Auch heutzutage werden Netzsenker noch beim Fischen verwendet.

Faszination Tauchen


Die unter Wasser belassenen Fundstücke erzählen oft faszinierende Geschichten. Beim Tauchen am Parsteiner See – mit 1.004 Hektar einer der größten natürlichen Seen in Brandenburg – fanden die Vereinsmitglieder beispielsweise Keramikscherben. Die gefundenen Scherben bestätigen das Vorhandensein von Siedlungen aus dem slawischen und deutschen Mittelalter. Eine Besonderheit der Unterwasserarchäologie sind zudem die häufig gut erhaltenen organischen Materialien.


„Die reduzierte Sauerstoffzufuhr bremst die Zersetzungsprozesse durch Bakterien und ­andere Kleinstlebewesen“, erzählt Jorinde Bugenhagen. Sie ist Architektin bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Taucherin und Vereinsmitglied. Bei Tauchgängen werden oft sehr gut erhaltene Holzschäfte von Werkzeugen oder Pfosten von Brücken gefunden. Sogar bis zu 40 Meter ­lange Lastenkähne liegen verborgen in den Brandenburger Seen: Die sogenannten Kaffenkähne aus dem 18. und ­19. Jahrhundert transportierten Baumaterial, mit dem Städte wie Berlin errichtet wurden.


Bugenhagen ist seit vier Jahren im Verein und fasziniert von der Welt unter Wasser und der Unterwasserarchäologie: „Ich halte unter Umständen etwas in den Händen, das jemand vor 1.000 Jahren gefertigt hat. Seitdem hat es kein Mensch in der Hand gehabt. Die Fundstücke unter Wasser sind wie Zeitkapseln.“ ­Eingesetzt werden Taucher nicht nur bei archäologischen Vorhaben, sondern beispielsweise auch, um Fundamente von Brücken oder Schlössern zu begutachten, wie bei der Eisenbahnbrücke in Dümpelfeld oder dem Wasserschloss in Senden. Genau wie die Kletterer kommen die Taucher an Orte, die unter normalen Umständen nicht zu erreichen und nicht zu sehen sind. Für einen langfristigen Erhalt ­unserer Denkmale ist ihre Arbeit daher unerlässlich.

Bei den Vereinskampagnen dokumentieren, fotografieren und vermessen die Taucher archäologische Funde in den brandenburgischen Seen, wie hier die slawenzeitlichen Brückenpfosten im Oberuckersee.
© Jorinde Bugenhagen
Bei den Vereinskampagnen dokumentieren, fotografieren und vermessen die Taucher archäologische Funde in den brandenburgischen Seen, wie hier die slawenzeitlichen Brückenpfosten im Oberuckersee.
Geschützt vor Umwelteinflüssen und mechanischen Zerstörungen bleiben Keramikgefäße, wie diese mittelalterlichen Krüge, in den Gewässern oft in großen Stücken erhalten.
© Roger Blum
Geschützt vor Umwelteinflüssen und mechanischen Zerstörungen bleiben Keramikgefäße, wie diese mittelalterlichen Krüge, in den Gewässern oft in großen Stücken erhalten.
 


Stille Helden brauchen Hilfe


Die herausfordernden Sicherungen am Freiburger Münster sind nur mit Hilfe der Kletterer zu bewältigen. Doch ihre Arbeit steht selten im Fokus. Es sind stille Helden. „Wir sollten mehr über die Klettermaßnahmen am Münster ­erzählen. Nur so wird bewusst, wie wichtig sie für den Erhalt sind“, meint Tilman Borsdorf. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz fördert den Erhalt des bedeutenden Freiburger Wahrzeichens – unter anderem mit der ­Michael-Schepelmann-Stiftung, einer treuhänderischen Stiftung unter dem Dach der DSD. Unterstützen auch Sie das couragierte Engagement der stillen Helden der Denkmalpflege und tragen Sie so zum Erhalt des „schön­sten Turms der Christenheit“ bei.


Svenja Brüggemann


www.denkmalschutz.de/freiburger-muenster

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Bei den Monitoring-Maßnahmen in höchster Höhe leisten die Kletterer Freiburger Münster Erste Hilfe bei akuten Schäden und gewinnen wichtige Erkenntnisse für die langfristige Bestandssicherung des Freiburger Münsters. Helfen Sie uns, dieses bedeutende Wahrzeichen zu erhalten!
© Daniel Elke
Bei den Monitoring-Maßnahmen in höchster Höhe leisten die Kletterer Freiburger Münster Erste Hilfe bei akuten Schäden und gewinnen wichtige Erkenntnisse für die langfristige Bestandssicherung des Freiburger Münsters. Helfen Sie uns, dieses bedeutende Wahrzeichen zu erhalten!
 



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