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Denkmal in Not

Speicher der Möglichkeiten

Aus dem alten Stadtspeicher von Sandau soll ein Ort der Begegnung und des zivilgesellschaftlichen Engagements werden. Doch zuerst muss eine Notsicherung ­erfolgen. Geben auch Sie diesem ­visionären Projekt eine Chance.

Es gibt wenig, was an dieser Denkmalrettung gewöhnlich ist. Da ist zunächst die Eigentümerin Vicky Germain. Vicky Germain ist US-Amerikanerin, die von sich sagt: „Ich liebe Denkmale! Schon in New York habe ich Denkmalsanierung gemacht.“ Seit gut zehn Jahren lebt sie in Berlin und unterstützt im Auftrag des Migrationsrats Berlin e. V. People of Color und Familien in Kriegs- und Krisensituationen. Außerdem sitzt sie im Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat und im Landesbeirat für Partizipation in Berlin. „Aber was ich vor allem mache, sind Projekte“, sagt sie, denn Vicky Germain ist eine Frau, die überläuft vor Ideen.

Der alte Stadtspeicher von Sandau steht seit drei Jahrzehnten leer. Die Natur hat Besitz von dem Gebäude ergriffen – pures Gift für die Bausubstanz.
© Andreas Greiner-Napp
Der alte Stadtspeicher von Sandau steht seit drei Jahrzehnten leer. Die Natur hat Besitz von dem Gebäude ergriffen – pures Gift für die Bausubstanz.
Vicky Germain kann es kaum erwarten, ihre ambitionierten Pläne umzusetzen.
© Andreas Greiner-Napp
Vicky Germain kann es kaum erwarten, ihre ambitionierten Pläne umzusetzen.
 


An diesem sonnigen Tag steht Vicky Germain vor dem hohen Fachwerkgiebel des Stadtspeichers in Sandau an der Elbe. Mit dem öffentlichen Nahverkehr ist die kleinste Stadt Sachsen-Anhalts in anderthalb Stunden von Berlin aus zu erreichen. Sie deutet auf eine Villa schräg gegenüber: „2016 hatten wir dort Tagungen. Jedes Mal, wenn ich an dem Stadtspeicher vorbeigekommen bin, dachte ich: Wow, ist der schön! Was man daraus machen könnte!“ 2022 kaufte sie das Denkmal, das wie seine Eigen­tümerin alles andere als gewöhnlich ist. Allein die Länge von 32 Metern ist bemerkenswert für ein Fachwerkhaus. 


Einen Hinweis auf das Alter des Stadtspeichers könnte der Codex diplomaticus Brandenburgensis aus dem Jahr 1843 geben: „Die Stadtscheune lag am Sandauer Thore. Sie war das einzige Gebäude, das, außer der ­Capelle des heil. Geisthospitales, bei der Einäscherung der Stadt im Jahre 1627 war übriggeblieben.“ Luise Schier, Gebietsreferentin des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, vermutet aber, dass es sich dabei um einen Vorgängerbau handelt. Sie fährt mit der Hand die Gefache ab, aus denen die Ziegelmauerung herausgefallen ist. „Hier sind keine ­Löcher, in denen Staken für eine Lehmausfachung ­gesteckt haben könnten“, stellt sie fest. „Ziegelaus­fachung finden wir in der Region häufiger aus dem 19. Jahrhundert als aus der Zeit davor.“ Das genaue ­Alter des Fachwerks soll eine Bauforschung verraten.


Der Statiker und Sachverständige für Holzbau, Wolfgang Rug, hat herausgefunden, dass in dem Bau zwei Haustypen kombiniert wurden: das Niederdeutsche Hallenhaus und der Mitteldeutsche Stockwerksbau. „In ein Niederdeutsches Hallenhaus fuhr man vorn mit dem Fuhrwerk hinein, rechts und links waren die Lagerräume für die Ernte und im hinteren Teil die Wohn- und Stallräume“, erklärt er. In Sandau aber kann man durch das gesamte Gebäude hindurchfahren – vorne rein, hinten raus. Außergewöhnlich ist auch das zweigeteilte Dach, in das ein Lüftungsschlitz eingebaut ist, der sich über die gesamte Länge zieht. Ziegel hängen herab, weil sich Zapfenverbindungen in der Dachkonstruktion gelöst ­haben und das gesamte Dach um etwa 30 Zentimeter abgerutscht ist. „Das Gebäude ist in wesentlichen Punkten geschädigt. Das betrifft auch tragende Bauteile“, sagt Statiker Wolfgang Rug.

Ganze Gefache sind aus der Seitenwand bereits herausgefallen. Die beeindruckende Fachwerkkonstruktion im Inneren ist weitgehend erhalten, muss jedoch dringend stabilisiert werden.
© Andreas Greiner-Napp
Ganze Gefache sind aus der Seitenwand bereits herausgefallen. Die beeindruckende Fachwerkkonstruktion im Inneren ist weitgehend erhalten, muss jedoch dringend stabilisiert werden.

Vicky Germain möchte die Menschen Ende September zumindest zu den Toren hineinschauen lassen. Denn auch viele Sandauer haben den Stadtschuppen, wie er im Volksmund genannt wird, noch nie von innen besichtigt. „Aber erst, wenn man drinnen die großzügige Dachkons­truktion sieht, erkennt man das Potenzial, das in diesem Gebäude steckt“, betont Anette Schulenburg. Sie und ihr Mann kauften das Gebäude 2002 von der Stadt, nachdem es fast zehn Jahre leer gestanden hatte. Räume für ihre Firma und eine Begegnungsstätte wollten die Schulenburgs im Stadtspeicher unterbringen.


Die Beantragung zog sich über Jahre, doch die Fördergelder wurden nicht bewilligt. „Wir haben unser Projekt zurückgestellt und nur noch Werterhaltung gemacht. Hoffentlich hast du mehr Erfolg“, sagt Dieter Schulenburg und übergibt Vicky Germain seine Planungsunterlagen. Kaufinteressenten habe es schon viele gegeben. Einer wollte den Stadtspeicher sogar nach Berlin versetzen lassen. „Vicky war die Erste, die das Potenzial des Gebäudes für Sandau gesehen hat“, erzählt Anette Schulenburg spürbar erleichtert.


Vom Getreide- zum Wissensspeicher


Dieter und Anette Schulenburg hatten Deckenbalken mit Stämmen abgestützt, eine Wand mit einem Stahlseil vor dem Abdriften bewahrt und Löcher im Dach geflickt. Doch nun muss dringend eine Notsicherung erfolgen, um den Verfall aufzuhalten. Frederik Feller, Architekt und Ehemann von Vicky Germain, deutet ins Dach: „Wir werden die 66 Zapfenverbindungen, die sich gelöst ­haben, seitlich anlaschen. Das heißt, wir bringen rechts und links ein Brett an.“ Außerdem sollen alle Seitenwände abgestützt werden. Eindringendes Wasser trägt dazu bei, dass die Fachwerkkonstruktion an Stabilität verliert. Weil das Gebäude keine Dachrinne hat, ist der Rähm – also der obere Abschluss der Fachwerkwand, auf dem das Dach aufliegt – rundherum weggefault.

Was ihre Spende bewirken kann


  • Ziegelstein, vermauert je Stein 6,10 €
  • Biberschwanz-Doppeldeckung, verbaut je 10 Dachziegel 30 €
  • Zapfenverbindungen je Lasche beidseitig 95 €

(beispielhafte Nettokosten)

Die Dachbalken sind notdürftig mit dünnen Stämmen abgestützt.
Andreas Greiner-Napp
Die Dachbalken sind notdürftig mit dünnen Stämmen abgestützt.
Der Stadtspeicher hat keine Dachrinne. Das eindringende Wasser hat die Fachwerkwand stark geschädigt.
Andreas Greiner-Napp
Der Stadtspeicher hat keine Dachrinne. Das eindringende Wasser hat die Fachwerkwand stark geschädigt.
 


Bis Dezember 2024 soll die Notsicherung abgeschlossen sein. Vicky Germain denkt schon darüber hinaus. Sie möchte, dass der Stadtspeicher denkmalgerecht instand gesetzt wird. Für den Innenraum schwebt ihr eine modulare Lösung vor: „Wir wollen vorgefertigte und gedämmte Boxen dorthin stellen, wo man sie braucht. Das würde ein sich ständig veränderndes Innenleben für Projektideen ermöglichen, ohne in die Bausubstanz einzugreifen.“ Eine solche Raumaufteilung bietet sich im Stadtspeicher an, da der Innenraum rechts und links des Mittelgangs durch die Fachwerkkonstruktion in einzelne Bereiche unterteilt ist.


Vicky Germain kann sich vorstellen, selbst Projekte im Stadtspeicher umzusetzen. Projektideen hat sie viele. „Die erste Hälfte ist vorgesehen als Bibliothek“, legt sie gleich los, „weil sich das nicht umsonst Stadtspeicher nennt. Das Gedächtnis von Sandau soll hier aufbewahrt werden.“ Vereine könnten die Räume für sich nutzen und dort Projekte starten, Geschäftsleute ­einen ­Laden auf Probe eröffnen, der kürzlich geschlossene Jugendklub ein neues Domizil bekommen, Wochenmärkte und Indoor-Weihnachtsmärkte könnten hier stattfinden. „Das sind meine Ideen“, fügt sie hinzu, „aber ich will nicht vorschreiben, was hier reinkommt. Das entscheiden die Sandauer.“


Neben dem Ehepaar Schulenburg sind an diesem Tag noch zwei Einwohner von Sandau in den Stadtspeicher gekommen. Birgit Pietsch und Ruud Engelse wurden gerade frisch in den Stadtrat gewählt: „Ruud baut den alten Bahnhof aus – und mein Mann und ich haben das Kaiserliche Postamt restauriert. Wir haben gezeigt, dass das geht, und nun unterstützen wir Vicky“, so Birgit Pietsch. „Ich kann mir vorstellen, dass wir hier Aktivitäten für das Seniorenheim anbieten“, schlägt Ruud Engelse vor, der aus den Niederlanden nach Sachsen-Anhalt gezogen ist. „Hier gibt es Vereine und viele aktive Leute, die wieder zusammengeführt werden müssen“, ergänzt Anette Schulenburg. 

Gemeinsam für den Stadtspeicher (von links): Birgit Pietsch, Luise Schier, Wolfgang Rug, Dieter Schulenburg, Anette Schulenburg, Vicky Germain, Ruud Engelse und Frederik Feller.
© Andreas Greiner-Napp
Gemeinsam für den Stadtspeicher (von links): Birgit Pietsch, Luise Schier, Wolfgang Rug, Dieter Schulenburg, Anette Schulenburg, Vicky Germain, Ruud Engelse und Frederik Feller.

Auch Bürgermeisterin Claudia Lange knüpft an die Restaurierung des Stadtspeichers viele Hoffnungen: „Wir brauchen die Leute aus den Großstädten, die hier etwas aufbauen“, sagt sie. „Frau Germain hat wahnsinnig tolle Ideen. Das wäre ein unwahrscheinlicher Mehrwert für Sandau.“ Die Bürgermeisterin setzt darauf, dass der Stadtspeicher als attraktive Mitte des Ortes weitere Menschen nach Sandau zieht und in der Folge vielleicht wieder ein Geschäft in der Kleinstadt öffnet.


„Wir brauchen diese Notsicherung, damit wir starten und den Stadtspeicher beleben können“, sagt Vicky Germain. Rund 40.000 Euro soll diese erste Rettungsmaßnahme kosten, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) möchte hier mit Ihrer Unterstützung helfen. Kerstin Stamm, Projektreferentin der DSD, freut sich, dass in Sandau neue Wege der Denkmalnutzung ausprobiert werden: „Dank der gemeinsamen Unterstützung der DSD mit dem Land Sachsen-Anhalt und der Unteren Denkmalschutzbehörde ist das möglich.“


Bereits während der Bauzeit soll der Stadtspeicher, sobald er sicher betreten werden kann, ein Ort der Begegnung werden. Architekt Frederik Feller: „Ich habe Respekt vor der Aufgabe, aber gleichzeitig ein supergutes Gefühl, weil der Stadtspeicher viele Möglichkeiten bereithält. So ein Raum gibt Visionen!“ Bitte helfen Sie mit, die Visionen für Sandau Wirklichkeit werden zu lassen.


Iris Milde


www.denkmalschutz.de/denkmal-in-not


Ehemaliger Stadtspeicher (Sandau)

Elbstraße 1

39524 Sandau (Elbe)


Sandau ist die kleinste Stadt Sachsen-Anhalts. Sie liegt am Elberadweg und an der Straße der Romanik.

Denkmal in Not

Bitte retten Sie mit uns den ehemaligen

Stadtspeicher in Sandau

Weil Dachziegel herabfallen könnten, ist das Gelände um den Stadtspeicher abgesperrt. Nach mehreren Reparaturen bedarf es einer grundlegenden Sicherung.
© Andreas Greiner-Napp
Weil Dachziegel herabfallen könnten, ist das Gelände um den Stadtspeicher abgesperrt. Nach mehreren Reparaturen bedarf es einer grundlegenden Sicherung.
 

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