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Umgenutzte Denkmale als Chance

Mehr als eine Ressource

Wir recyceln Abfälle, Möbel und Kleidung: Warum nicht auch Gebäude? MONUMENTE blickt auf das Förderportfolio der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und zeigt, wie das (Um-)Nutzen von Denkmalen helfen kann, Ressourcen zu schonen.

Ressourcenschonendes Verhalten bestimmte jahrhun­der­telang das menschliche Handeln. Unsere Zeit ist im Hinblick auf Nachhaltigkeit ungewöhnlich. „Es kommt nicht darauf an, die Welt zu verbessern, sondern darauf, sie zu verschonen“, sagte der Philosoph Odo Marquard. Er betonte, was heute abhandengekommen ist. Den Blick in die Geschichte wagt die Historikerin Annette Kehnel. Sie schreibt, dass Wegwerfgesellschaften kurzfristige Ausnahmephänomene seien. Zwar hätte es in den letzten 300.000 Jahren Menschheitsgeschichte immer Abfälle gegeben, doch lange hätte eine Stärke der Menschen in ihrer Fähigkeit zur möglichst lückenlosen Nutzung verfügbarer Ressourcen gelegen: „Wegwerfen bedeutete Verzicht. Verzicht auf vorhandene Werte. Verzicht auf Erträge bereits investierter Energie. Verzicht auf die Weiterverwertung von Ressourcen.“ 

Beim Auenfest im Mai 2024 luden die diversen Nutzer und Freunde des Eiermann- und Winkelbaus sowie der Freifläche in Apolda zu einem gemeinsamen Fest ein.
© Thomas Müller
Beim Auenfest im Mai 2024 luden die diversen Nutzer und Freunde des Eiermann- und Winkelbaus sowie der Freifläche in Apolda zu einem gemeinsamen Fest ein.

Kehnel führt Beispiele aus dem spätantiken und mit­tel­alterlichen Baugewerbe an. So lassen Gesetze um 400 nach Christus auf einen umsichtigen Umgang mit Türen, Dachziegeln, Balken oder Schmuckelementen beim Verkauf aus leer stehenden Häusern schließen. „Im Barock war es selbstverständlich, mit der mittelalterlichen Substanz weiterzubauen, statt Ressourcen zu verschwenden“, so Dr. Steffen Skudelny, Vorstand der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD). Recycling war im Bau alltäglich: Man arbeitete mit dem, was da war – bis ins 18. Jahrhundert vornehmlich mit regionalen Baustoffen. Denn nur Wohlhabende konnten sich den Materialtransport leisten.


Erst im späten 19. und 20. Jahrhundert verlor ressourcenschonendes Verhalten vorrangig in den westlichen Industrienationen an Bedeutung – auch in der Architektur sank mit der Frühindustrialisierung der Wert von Reparatur- und Anpassungskultur. „Insbesondere mit Blick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist erkennbar, dass weder lokale noch ökologische Materialien genutzt wurden, sondern oft schadstoffhaltige. Zudem wurden viele Baustoffe verschweißt und verklebt, was die viel beschworene Reparierbarkeit massiv einschränkt. Das betrifft einen großen Gebäudebestand“, weiß Dr. Kirsten Angermann. Die Wissenschaftlerin forscht im Bereich Denkmalpflege und Baugeschichte an der Bauhaus-Universität Weimar. Sie plädiert für den Bestandserhalt als Norm, um sich mehr Zeit zu nehmen für die „gesellschaftliche Aushandlung“ der Besonderheiten von Denkmalen. 


Den großen Hebel des historischen Bestands für die Klimaschonung zu nutzen, unterstützt auch die DSD. Nichtsdestotrotz bleibt die denkmalpflegerische Herausforderung, nachhaltige Ansätze für den Umgang mit Verbundbaustoffen, Schadstoffen oder Schädlingen zu finden. Mit natürlicher Schädlingsbekämpfung oder Einkofferungen beispielsweise lassen sich langfristig schon gute Ergebnisse erzielen. Viele Beispiele zeigen, wie natürliche, regionale Materialien genutzt werden und die Wiederverwendung selbstverständlich praktiziert wird. „Die Neu- und Weiternutzung wiederverwendbarer Bauteile war in der Alltagsarchitektur der Vormoderne der Goldstandard“, bestätigt Annette Kehnel.

1751 erbaut, 40 Jahre lang leer stehend: Der Derzbachhof ist der älteste noch erhaltene Bauernhof Münchens. Gemeinsam mit Architekten und Denkmalschutzbehörden entwickelte der Eigentümer ein Konzept, das mit dem historischen Bestand weiterarbeitet.
© Thomas Weinberger
1751 erbaut, 40 Jahre lang leer stehend: Der Derzbachhof ist der älteste noch erhaltene Bauernhof Münchens. Gemeinsam mit Architekten und Denkmalschutzbehörden entwickelte der Eigentümer ein Konzept, das mit dem historischen Bestand weiterarbeitet.
Mit der Weiternutzung des historischen Wohnteil des Derzbachhofes sind temporär genutzte Gemeinschaftsräume untergebracht. Als Bodendielen wurden die gehobelten Bretter des originalen Bestands verwendet.
© Thomas Weinberger
Mit der Weiternutzung des historischen Wohnteil des Derzbachhofes sind temporär genutzte Gemeinschaftsräume untergebracht. Als Bodendielen wurden die gehobelten Bretter des originalen Bestands verwendet.
 

Grenzen des Wachstums


Dass die Grenzen der Ressourcen endlich sind, wusste bereits Alexander von Humboldt in seinen im 19. Jahrhundert veröffentlichen Schriften. Nicht ahnen konnte er, dass der anthropogene Einfluss auf das Klima zur größten Bedrohung der Menschheit werden sollte. Der Club of Rome hingegen schon: Der Zusammenschluss internationaler Experten prophezeite 1972 die Grenzen des Wachstums. Nun, über 50 Jahre später, arbeitet die Europäische Kommission mit dem Green Deal daran, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Einen enormen Beitrag dazu kann das Bauen leisten: Rund 40 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verursachen Gebäude, bilanziert die Initiative Neues Europäisches Bauhaus der EU-Kommission. Mehr als die Hälfte davon entstehen bei der Baustoffherstellung, dem Transport und Bau sowie dem Abriss und der Abfallbeseitigung. Was wäre also, wenn wir das Vorhandene nutzten und weiterentwickelten, statt es abzureißen?


Wert des Bestands


Laut Statistischem Bundesamt wurden mehr als die Hälfte der vom Abriss betroffenen sogenannten Wohn- und Nichtwohngebäude in der Zeit von 1949 bis 1986 gebaut, knapp ein Drittel vor 1949. Dass sich der Gebäudesektor als einer der größten CO2-Emittenten wandeln muss, bekräftigt unter anderem Klara Geywitz auf der Woche der Umwelt 2024 der Deutschen Bundesstiftung Umwelt in Berlin. Es solle möglichst wenig abgerissen werden, die programmatische Priorität müsse immer das Umnutzen sein, sagt die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. 


Die Initiative Architects for Future fordert schon seit Jahren mehr Aufklärung über den Wert des Gebäudebestands und seiner Klimaschutzpotenziale. „Wir sprechen über Nachhaltigkeit und tun nun so, als ob wir das Prinzip erfunden hätten. Doch das Wissen ist nicht neu, es ist nur in Vergessenheit geraten. Die Denkmalpflege hat die Potenziale immer hochgehalten und belebt“, sagt der Dresdner Architekt Alexander Pötzsch. Der Umgang mit nachwachsenden natürlichen Rohstoffen und die simple Bauweise funktionierten gerade bei vielen Denkmalen. Die oft sortenreinen Materialien und Rückbaufähigkeiten gewährleisten die Wiederverwendbarkeit von Baustoffen. Pötzsch setzt sich praktisch und theoretisch dafür ein, dass Bauen im Bestand – auch im denkmalgeschützten – als Chance und nicht mehr als Einschränkung wahrgenommen wird.

IM DIALOG MIT DEM ARCHITEKTEN PETER HAIMERL 

„Alte Häuser erzählen eine Geschichte“

Die Baudenkmal-Stiftung München, eine Treuhandstiftung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, verleiht seit 2001 einen Denkmalpreis. Gekürt werden die Erhaltung und Restaurierung von Denkmalen, deren bestehende Innenausstattung besonders bewahrt wurde. Im April 2024 erhielt der Derzbachhof im Münchener Stadtteil Forstenried den Preis 2023. Das Gesamtkonzept für den Weiterbau im Bestand entwickelte der Architekt Peter Haimerl und betreute die Umsetzung durch ein ortsansässiges Architekturbüro. MONUMENTE nutzte die Auszeichnung für ein Gespräch mit Peter Haimerl zum Bauen im denkmalgeschützten Bestand.

 Der Münchener Architekt Peter Haimerl im Interview mit MONUMENTE.
© Edward Beierle
Der Münchener Architekt Peter Haimerl im Interview mit MONUMENTE.

Warum ist Ihr Konzept für den Weiterbau des Derzbachhofes innovativ?

Es ist beispielhaft, wie man mit Historie umgehen kann. Das ist das Innovative. Meist stellt das Denkmal das Problem dar. Das sollten wir umdrehen. Denn eigentlich sind es doch die Denkmale, die eine architektonische und historische Qualität besitzen. Und wenn man das nicht nutzt, werden Energie, Möglichkeiten, Identifikationsanknüpfungspunkte und Räume verschwendet, die zur Verfügung stehen. Zudem geht es um mentale Energie, die mit dem Verlust von Denkmalen und Dorfkernen verloren geht. Seit den 1950er Jahren wurde um München unglaublich viel historische Substanz abgerissen. Das waren intakte Dörfer mit der Kirche in der Mitte, die Lebensqualität boten. Der Derzbachhof war in Forstenried das letzte Bollwerk gegen die Überformung von ­urbanen Lebensräumen. Von daher wollte ich das verfallende Gebäude für den lebhaften Ortskern wieder herausschälen und die Historie spürbar machen.


Wann wurde Bauen im denkmalgeschützten Bestand zu Ihrem Thema?

Irgendwie habe ich mich schon immer damit beschäftigt, da ich in der Nähe ­solcher Bauernhäuser aufgewachsen bin. Ich spürte die Atmosphäre der alten Subs­tanz und musste gleichzeitig schon als Kind mit ansehen, dass alles weggerissen wurde. 

Natürlich stelle ich mir jetzt die Frage, wie man die ruinöse Bausubstanz in die Zukunft herüberretten kann. Es geht mir nicht darum, sich alte Kinderbilder hervorzuholen. Es geht um viel mehr. Im Bayerischen Wald hat man ­beispielsweise schon immer recycelt und weitergebaut. Das steckt alles im Denkmal und es lässt sich unglaublich gut auf die ­jetzige Zeit übertragen.


Wie würden Sie Ihren Umgang mit denkmalgeschütztem Bestand beschreiben?

Der integrale Bestandteil der Architektur ist das Denkmal. Man muss den Bestand als Grundlage nehmen, um Erweiterungsräume zu schaffen.


Was lernen Sie vom Denkmal?

Früher haben Menschen, die bauten, das Gebaute in einem größeren Zusammenhang gesehen. Schlösser, Pyramiden und Bauernhäuser waren die Filme der Vor-Filmzeit. Sie haben den Menschen ­spannende künstlerische Räume ­geboten und Geschichten erzählt. Das steckt alles in den alten Häusern.


Wann sprechen Sie von einem gelungenen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern?

Wenn ich ein Haus erhalte, das ziemlich gut beieinander ist, brauche ich nicht ­unbedingt einen Architekten. Das machen fähige Handwerker und Restauratoren. Wenn es Nutzungsprobleme gibt oder Häuser nicht mehr eins zu eins fortgeführt werden, sollte die Architektur aktiviert werden. Dann müssen beide Diszi­plinen zusammenarbeiten, den Wert des Denkmals definieren, einen Umgang mit dem Denkmal finden und den Menschen die Möglichkeit geben, die Spuren dieser Zeit zu hinterlassen und gleichzeitig ­gutes Wohnen zu ermöglichen. Der Schlüssel ist dabei, aus dem Denkmal herauszudenken, den Menschen mitzunehmen und Mut für pragmatische Konzepte zu haben. Also vielleicht nicht immer alles bis zum Schluss zu denken, sondern auch mal eine schnelle Rettung durchzuziehen und ­Lösungen anzubieten, die zeitig nutzbar, modern und innovativ sind.

 


Nachwachsen


Ein Beispiel für die Wertschätzung handwerklicher Bauweisen mit nachwachsenden Baustoffen ist das Fischerhaus in Havelberg in Sachsen-Anhalt. Das Paar Mira Dih und Christian Geyer hatte beim Kauf 2015 nicht erwartet, das ruinöse Fachwerkhaus hinter dem Garten überhaupt wiederherstellen zu können. „Es war ein Abrisshaus“, erzählt Mira Dih. Doch das Lesen des Denkmals und das Lernen daraus veränderten ihre Sicht auf die Substanz und Naturbaustoffe völlig. Die schadhaften Stellen des Tragwerks des Fachwerkhauses wurden zum Teil mit alten Eichenhölzern ausgetauscht. Bei den Gefachen verwendeten sie die gebrauchten Ziegelsteine wieder, bei den Innenwänden Altlehm. Für die Innendämmung trug das Architektenpaar Hanfkalk auf.


Mira Dih sieht darin einen Werkstoff der Zukunft, der sich mit den alten Materialsystemen verträgt, auf Tradition aufbaut und das Gegebene weiterentwickelt: „Hanf wächst fünfzigmal schneller als Holz und ist im Gegensatz zu herkömmlichen Wärmeverbundsystemen kein Sondermüll.“ In Kombination mit den anderen Materialien entsteht ein angenehmes, natürliches Raumklima, das das Paar seinen Übernachtungsgästen künftig präsentieren möchte: Nach der Sanierung will es zeitweise im Fischerhaus wohnen, vor allem aber die Tür offen halten für Besucher des Havelrad- oder Elbrad­weges. Bis Herbst soll der Großteil der Instandsetzung abgeschlossen sein. Das Förderprojekt der DSD verdeutlicht, wie ein Denkmal als Lehrmeister für ressourcenschonendes Handeln im Kleinen funktionieren kann.

Das letzte, fast vollständig erhaltene Fischerhaus in Havelberg restaurieren Christian Geyer und Mira Dih liebevoll: Die Bodenfliesen beispielsweise stammen noch aus dem 19. Jahrhundert.
© Mira Dih
Das letzte, fast vollständig erhaltene Fischerhaus in Havelberg restaurieren Christian Geyer und Mira Dih liebevoll: Die Bodenfliesen beispielsweise stammen noch aus dem 19. Jahrhundert.
Das spätbarocke Fachwerkhaus von 1775 mit Krüppelwalmdach liegt nahe der Havel. Der Fluss verbindet Berlin mit der Mecklenburgischen Seenplatte.
© Mira Dih
Das spätbarocke Fachwerkhaus von 1775 mit Krüppelwalmdach liegt nahe der Havel. Der Fluss verbindet Berlin mit der Mecklenburgischen Seenplatte.
 


Ertüchtigen zum Erhalt


Von Sachsen-Anhalt nach Nordrhein-Westfalen: In Meschede steht mitten in einer Siedlung die ungenutzte Johanneskirche. Das Ehepaar Sandra Glados und Reimund Köster erwarb den profanierten Bau 2020, der nur ein paar Meter entfernt von ihrem jetzigen Wohnhaus liegt. Bis Herbst 2024 sollen in der Kirche ein Ferienhaus, Workshop-Spaces und Räume für Zusammenkünfte und Yogakurse entstehen. So will das Paar den Gemeindemittelpunkt inmitten des Ensembles zwischen Kindergarten und Grundschule in Teilen erhalten. „Kommt rein, denn es ist alles bereit“, steht auf der Griffleiste der Doppelflügeltür, die den Blick aufmacht in den trapezförmigen Bau von 1964. Nun öffnet sich die Tür wieder und soll nach der Fertigstellung offen bleiben. Aktuell kann der Fortschritt auf der Baustelle jeden Samstag begutachtet werden. Bei der Konzeption für die Umnutzung beherzigen der Ingenieur und die Architektin den Dreiklang „anders bauen, anders heizen, anders nutzen“, den die Bundes­ministerin Klara Geywitz auf der Woche der Umwelt formulierte.


Sie schonen mit der Haus-in-Haus-­Lösung die Substanz und gehen nach hohen ökologischen Standards vor. Bei Dach- und Innendämmung setzen sie auf Holzfaserplatten und vermeiden mit einer zusätzlichen Verglasung der einfachen Bunt­ver­glasung sowie dem Einsatz einer Luft-Wasser-Wärmepumpe weitere Energieverluste. Die Pumpe wird mit einer Photovoltaikanlage kombiniert – eine in Abstimmung mit der Unteren Denkmalschutzbehörde gefundene tragbare Lösung. Weitere Eingriffe in die Substanz wollte das Paar vermeiden. Kirche und Kirchenraum sollten erleb- und nutzbar bleiben. Solche Konzepte zur denkmalgerechten Umnutzung sakraler Architektur unter­stützt die DSD schon lange, um den Unterhalt von Kirchen weiter zu gewährleisten. Aktuell setzt sich die DSD als Mitinitiator des Kirchenmanifests ein (siehe hier). So könnten, wie in Meschede, viele Kirchen weitergenutzt werden.

Sandra Glados und Reimund Köster kommen aus Meschede und Umgebung. Sie freuen sich, dass sie die ungenutzte Kirche mit ihrem Umnutzungskonzept wiederbeleben.
© Sascha Schuermann
Sandra Glados und Reimund Köster kommen aus Meschede und Umgebung. Sie freuen sich, dass sie die ungenutzte Kirche mit ihrem Umnutzungskonzept wiederbeleben.
Die Trapezform der Kuben, die später als Rückzugsräume dienen, orientieren sich am Grundriss, den Fenstern und der Form der Kirche.
© Sascha Schuermann
Die Trapezform der Kuben, die später als Rückzugsräume dienen, orientieren sich am Grundriss, den Fenstern und der Form der Kirche.
Unkonventionelle Bauform, trapezförmiger Grundriss, markanter Turm: Die Johannes­kirche in Meschede wurde 1964 fertig­gestellt.
© Sandra Glados
Unkonventionelle Bauform, trapezförmiger Grundriss, markanter Turm: Die Johannes­kirche in Meschede wurde 1964 fertig­gestellt.
 


Atmende Denkmale


Umgenutzte Denkmale können Orte revitalisieren, ideelle, lokale Werte betonen und das Klima schonen. Im thüringischen Apolda haben sich diese Potenziale bereits bewährt: Nach der umfassenden Restaurierung der Gebäudehülle, die die Deutsche Stiftung Denkmalschutz förderte, wurden die Nutzungsstandards für das zwei Hektar große Areal des sogenannten Eiermannbaus kritisch hinterfragt: „Wie wenig ist genug?“, war laut Katja Fischer die Prämis­se. Sie war Programm- und Projektleiterin bei der Internationalen Bauausstellung Thüringen (IBA) und leitete das Modellprojekt Open Factory für eine Weiternutzung des leer stehenden ehemaligen Feuerlöschgerätewerks. Ein Teil dessen ist ein Ausbaukonzept mit eingesetzten Industrie-Gewächshäusern, die im Gebäude zwei Klimazonen schaffen: ein Mikroklima innerhalb der Gewächshäuser und ein Makroklima für die gesamte Fläche.


Die Haus-in-Haus-Lösung des IBA-Büros ist ein prototypisches Ausbau- und Nutzungskonzept. Fischer spricht von einem „atmenden Nutzen des Ortes“ und bezieht sich damit auf die Gedanken des Architekten William Morris aus einem 1884 veröffentlichen Artikel zu einer Fabrik mit humanem Antlitz: „Aber mehr noch als bloße Werkstätten wird unsere Fabrik auch einen Speisesaal, eine Bibliothek, eine Schule, verschiedene Orte zum Lernen und ähnliche solcher Angebote brauchen. Sie wird zu einem Bildungszentrum.“ Das ehemalige Feuerlöschgerätewerk, das Eiermann 1939 erweiterte, ist zu einem inspirierenden Arbeits- und Veranstaltungsort geworden, der von ortsansässigen Gruppen genutzt wird: Stiftungen, Museen, regionale Fördervereine und Initiativen. „Unser Ziel war es, dass wir am Ende eine grüne Null haben. Wir wollten ­keine unnötigen Ressourcen, Rohstoffe und Energien verschwenden und nicht reinvestieren. Das haben wir unter anderem zusammen mit der Initiative aus dem Ort geschafft“, sagt Fischer.

▲ Ein Stück Stadt- und Produktionsgeschichte: Das GlockenStadtMuseum Apolda stellt seit Mitte 2024 im Eiermannbau aus.
© Thomas Müller
▲ Ein Stück Stadt- und Produktionsgeschichte: Das GlockenStadtMuseum Apolda stellt seit Mitte 2024 im Eiermannbau aus.

Umnutzungspioniere


Zusammen mit dem Ort möchte auch die Genossenschaft brenn:werk e. G. im mecklenburg-vorpommerschen Wesenberg eine alte Brennerei umnutzen. „Das ist eine Art Stadtreparatur“, sagt Wito Tröschel, Gründungsmitglied der gemeinwohlorientierten Genossenschaft, die das ruinöse Denkmal 2021 kaufte. Zusammen mit rund 70 Mitgliedern arbeitet er als Bauleiter und Architekt an der denkmalgerechten Sanierung. Bis das Gebäude konstruktiv und bauphysikalisch gesichert ist, wird es noch lange dauern. Zunächst soll eines von insgesamt vier Dächern restauriert und das Gebäude schwammsaniert werden, um den Verfall aufzuhalten. Wito Tröschel beschäftigt sich schon seit seiner Bachelor-Arbeit 2016 mit dem Gebäude. Darin geht es um regionale Baukultur als Chance für den ländlichen Raum.

Deswegen ist er sich sicher, dass die langfristige Nutzung und Weiterentwicklung das Denkmal stärken wird: „Wir sehen den Bestand als kreatives Spielfeld. Das rückgebaute Material ist für uns mehr als eine reine Ressource. Wir versuchen, das Alte und das Neue in Verbindung zu bringen.“ Die Genossenschaftsmitglieder erzählen die Geschichte der ehemaligen Brennerei und des Areals weiter: Café, Brauerei, Zukunftsgarten, Wohnen – die Nutzung des Areals entwickelt sich mit den Bedürfnissen der Genossenschaft in Absprache mit dem Ort. Solche bestandsschonenden ­Pioniernutzungen sieht auch der Architekt Alexander Pötzsch als zukunftsfähige Variante. „Die Menschen identifizieren sich mit dem Bestand und pflegen ihn.“ Die DSD weiß um das große Potenzial des langfristigen Erhalts und der Nutzung der ehemaligen Brennerei in Wesenberg und fördert das Projekt.

Mitmach-Tag auf der Baustelle der Brennerei in Wesenberg: Alle zwei Wochen packen die Genossenschaftsmitglieder mit an.
© Bernhard Keller
Mitmach-Tag auf der Baustelle der Brennerei in Wesenberg: Alle zwei Wochen packen die Genossenschaftsmitglieder mit an.
Lücken schließen: Der eingefügte Mehrzweckbau zwischen Schornstein, Giebelwand und dem Brennereigebäude ist ein Sinnbild dafür, dass auf Altem aufgebaut wird und Neues entsteht.
© Michael Wegstein
Lücken schließen: Der eingefügte Mehrzweckbau zwischen Schornstein, Giebelwand und dem Brennereigebäude ist ein Sinnbild dafür, dass auf Altem aufgebaut wird und Neues entsteht.
 

Weiter- und Umnutzungen wie diese machen deutlich, dass Denkmale eine Ressource sind. Sie binden nicht nur graue Energie, sondern verkörpern Wissen und Wertzuschreibungen, die sich nicht immer mit Kosten-, Energie- und Materialbilanzierungen bemessen lassen – die sogenannte goldene Energie. 


Bitte helfen Sie uns, Schätze wie die Brennerei zu retten und zu pflegen. Lassen Sie uns den Mut aufbringen, pragmatische Lösungen zu finden, damit die Entwicklung von Denkmalen nicht stagniert und ihre Pflege eine Aufgabe künftiger Generationen bleibt. Die Vergangenheit zu bewahren und die Zukunft zu schützen – das sind keine Gegensätze. Sie lassen sich durch ressourcenschonendes Handeln vereinen. Svenja Brüggemann


www.denkmalschutz.de/nachhaltigkeit

Hier können Sie helfen

Bitte unterstützen Sie die Brennerei bei der Dachsanierung

Die Dach- und Schwammsanierung ist ein wichtiger Schritt zur Sicherung der ehemaligen Brennerei in Mecklenburg-Vorpommern.
© Michael Wegstein
Die Dach- und Schwammsanierung ist ein wichtiger Schritt zur Sicherung der ehemaligen Brennerei in Mecklenburg-Vorpommern.
 




11 Schritte zu einer nachhaltigen Denkmalpflege

Mit der Broschüre „11 Schritte zu einer nachhaltigen Denkmalpflege“ bietet die Deutsche Stiftung Denkmalschutz praktische Tipps für Denkmalfreunde und -besitzer. Laden Sie sich die Broschüre einfach über unsere Website herunter:


denkmalschutz.de/nachhaltigkeit-broschuere



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