Denkmalarten Öffentliche Bauten Städte und Ensembles Stile und Epochen Nach 1945 1900 1800 Ausgabe Nummer Juni Jahr 2024 Denkmale A-Z P
Zwischen Bäumen und Bierkrügen verbirgt sich im Berliner Prater pralle Geschichte. Sie ist geprägt von Lebenslust, Solidarität und politischem Engagement.
In den Häuserreihen des Prenzlauer Bergs weist an der Kastanienallee nur ein Leuchtschild auf den Pratergarten hin. Versteckt liegt er im Innersten der Stadt, hinter der Berliner Straßenbebauung. Das macht ihn zu einem besonders idyllischen Ort, zu einem Inbegriff des gemütlichen Biergartens. Doch hinter den lauschigen Bäumen und dem kühlen Bier verbirgt sich eine bewegte Geschichte, die von Arbeiterkämpfen und politischen Umwälzungen, von Volksbespaßung und Hochkultur geprägt ist. Wer davon weiß, der fühlt hier 200 Jahre Berlin, fühlt Geschichte in intensiv gelebter Weise.
Ursprünglich im 19. Jahrhundert gegründet, war der Pratergarten von Anfang an ein beliebter Treffpunkt für die Berliner Bevölkerung. Mit seinem rustikalen Charme und der entspannten Atmosphäre zog er Menschen aus allen Schichten an, die hier bei Kaffee oder einem kühlen Getränk dem hektischen Treiben der Stadt entfliehen konnten. Er ist einer der ältesten Biergärten Berlins und entstand um 1830, als die Gegend des Prenzlauer Bergs noch außerhalb der Stadt lag. Zum Pratergarten fuhr man hinaus ins Grüne.
Arbeiter, Ausschank, Ausflüge
In den Anfängen von Freizeit und Ausflügen, die für die arbeitenden Bewohner in dem rasch überbevölkerten Berlin so wichtig wurden, war es üblich, dass die Besucher ihr Getränk selbst mitbringen konnten. Der eigene Kaffee wurde vor Ort aufgebrüht. Jeder sollte sich den Besuch leisten können. Familien verbrachten ganze Tage hier. Ein Ausflug in den Prater blieb ein Ausflug ins Grüne, selbst als der Prenzlauer Berg schon dicht besiedelt war. Der Prater wurde ein Ort bevorzugt für die hier lebenden Arbeiter. So fand hier 1871 die Gründungsversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins statt. Auch Rosa Luxemburg und Augst Bebel hielten Reden im Prater-Saal, als im Prenzlauer Berg Armut und Unmut gleichermaßen zunahmen. Ab 1954 wurde der Prater-Garten als HO-Gaststätte geführt – für die Qualität der Bewirtung nicht unbedingt förderlich.
Erholung vor der Freilichtbühne
Schon früh gab es in dem Garten mit Ausschank eine Freilichtbühne. Bespaßung diente der Erholung. Die Seiltänzer waren bekannt, ihre Unfälle – zum Glück nur selten tödlich – machten Schlagzeilen. Aufführungen aller Art belustigten das Publikum. Auch nach dem Krieg wurde Programm geboten. Gustav „Bubi“ Scholz erinnerte sich an 1949: „Die Kastanien, unter denen wir saßen, waren noch grau vom Trümmerstaub, den der Krieg in ihre Stämme geblasen hatte.“ Nach einer Prügelei im Prater, mit erfolgreichem Ausgang für ihn, begann in diesem Jahr seine Boxerkarriere. Schlägereien waren nicht selten – das pralle Leben in all seinen Facetten.
Die Bühne, das Leben
Schon 1856 bauen die Besitzer des Praters neu: Anstelle der unauffälligen kleinen Gebäude entsteht an der Straßenseite ein zweigeschossiger Kopfbau mit einem Anbau, der als Tanz- und Veranstaltungssaal genutzt werden kann. Geschwoft wird hier viel – der sonntägliche Tanztee bleibt bis 1990 eine feste Einrichtung –, doch es wird auch den Reden der Sozialdemokraten gelauscht. Ab 1949 diente der Prater lange Zeit als DEFA-Filmtheater. Diese bunte Mischnutzung ist Charakteristikum des Praters durch die Zeiten hindurch. Immer war er eng mit der kulturellen Szene Berlins verbunden. Der Kinderzirkus gastierte neben dem avantgardistischen Theaterensemble, Punker hörten ihr Konzert, wo kurz davor im Nebensaal noch Fasching gefeiert wurde.
Seit 2017 findet eine umfassende Sanierung des Prater-Gebäudes statt. Auch das ist ein bisschen Prater: Nicht immer findet hier alles in Harmonie statt. So bunt die Nutzung, so unterschiedlich die Interessen. Wohl auch deshalb wartet man schon lange auf die Wiedereröffnung.
Es liegt sicher nicht an den Ausführenden. Sie ergänzen ihre Arbeit mit Herzblut und eigenen Erinnerungen: „Als ich mich einmal als Jugendlicher Mitte, Ende der 80er Jahre heimlich in den Saal schlich, traute ich meinen Augen kaum: Es fanden gerade die DDR-Meisterschaften der Bodybuilder statt. Alle sahen aus wie Goldbroiler“, erinnert sich Restaurator Jan-Marek Buch. Mit Gold hatte er nun, 30 Jahre später, bei seinen Arbeiten im großen Saal wieder viel zu tun. Trotz aller verschiedenen Nutzungen und Fassungen in russisch Grün, die zu den Zeiten des Praters als DDR-Kreiskulturhaus angebracht wurden, konnten die Restauratoren eine Art-déco-Deckengestaltung in verschiedenen Goldtönen wieder zum Vorschein bringen.
Nach Jahrzehnten ohne Tageslicht wurden die Fenster wieder geöffnet. Den stählernen Brandschutzbühnenvorhang beließ man in Gold. Der allerdings stammt aus einer anderen Epoche: 1994 zog die Volksbühne hier ein. Sie nutzte den Saal als Ausweichbühne während der Instandsetzung ihres nahe gelegenen Haupthauses und empfand das nie als Kompromiss. Denn schon von 1947 bis 1949 war hier die Volksbühne beheimatet. In den 1990er Jahren, bis zu Beginn der umfassenden Restaurierungsarbeiten, brachten im Prater legendäre Intendanten aufsehenerregende Stücke aufs Parkett. Der Saal wurde in Schwarz gehüllt, allein der Vorhang glänzte in Gold. René Pollesch, 2024 unerwartet gestorben, war der letzte in der Reihe, seine fünfteilige Prater-Saga weit bekannt. Auch zukünftig soll die Volksbühne den Saal nutzen – man darf gespannt sein.
Er gilt nicht nur als der älteste Biergarten Berlins, er ist
auch eng mit der Geschichte des Prenzlauer Bergs als Arbeiterbezirk verbunden.
In den 1830er Jahren lag er noch vor den Toren Berlins. Als 1880 die
Freiluftbühne eröffnet wird, ist aus dem einfachen Bierausschank eine beliebte
Vergnügungsstätte geworden, die bereits von hohen Wohngebäuden umbaut ist.
Kinder sind willkommen, das Programm mit Varieté und Operette ist beliebt,
getanzt wird viel. Der Pratergarten war außerdem ein politischer Versammlungsort.
Nach den Kriegen wird das Prater-Gebäude an der Kastanienallee zum
Kreiskulturhaus des Bezirks. Die Prater-Galerie bezieht ihre Räume. 1991 war
zunächst Ende mit dem Vergnügen im Prater, bis 1996 der Biergarten wieder
eröffnet wurde. Die Volksbühne inszenierte legendäre Stücke im Saal. Seit 2017
wird das Gebäude restauriert. Der Durchgang von der Straße zum Biergarten
erhielt seine lange verbauten Malereien zurück –
beides unterstützt von der DSD.
Bald sollen Theater und Prater-Galerie wieder einziehen können. Bei gutem Wetter gilt aber schon jetzt: Der Biergarten ist geöffnet!
Für Restaurator Jan-Marek Buch und seinen Kompagnon Andreas Schudrowitz ist der Prater nicht nur wegen seiner Geschichte – es sind nicht nur die persönlichen Erlebnisse gemeint – ein außergewöhnlicher Arbeitsplatz. Schudrowitz: „Wie unglaublich kaputt hier alles war. Wir haben so viele Stunden quer unter der Decke gehangen und mühsam gearbeitet. Das erträgt man nur mit Leidenschaft fürs Objekt – und mit viel Spaß.“
Die Prater-Galerie
„Ich habe alle früheren Leiterinnen und Leiter besucht“, erzählt die Kuratorin der Prater-Galerie Lena Prents, die zurzeit in einem Provisorium auf den Wiedereinzug in den südlichen Teil des Prater-Gebäudes wartet. Sie hat sich viel mit dem Prater in DDR-Zeiten beschäftigt. Mit Filmen und Publikationen erarbeitet sie die Geschichte dieses Ortes. Dazu gehört, dass es hier ab 1967 mit der Galerie am Prater die erste selbstorganisierte Galerie in Ostberlin gab. „Ich bin sehr begeistert davon, was sie geleistet haben und wie sie mit Zensur umgegangen sind. Es war ein sehr wichtiger Ort für die Kunstszene in Prenzlauer Berg“, sagt Prents.
Tatsächlich hat die lange Zwangspause auch etwas Gutes: Die Prater-Galerie hat sich zum Archiv des Praters entwickelt. Trotz aller Recherche: „Es gibt immer noch Löcher in der Geschichte, die wollen wir weiter aufarbeiten.“ Dabei sollen die Protagonisten der 1960er bis 1980er Jahre mit einbezogen werden. Ein digitales Archiv ist geplant für und von Menschen aus dem Kiez. „Das Interesse ist groß. Da freuen sich viele.“ Auch der Bastard-Club in der Nachwendezeit gehört zur Geschichte. In dessen Räumen wird die Prater-Galerie wieder einziehen. Seit 2023 gibt es einen Audioguide im Programm. Großartig begleitet er den Zuhörer mit Informationen und Klangcollagen über das Gelände des Praters wie in einer Zeitreise.
An der anderen Seite des Gebäudes, an der Kastanienallee schließt sich die Tordurchfahrt an. Sie entstand 1875 im Zuge einer Überbauung der Einfahrt. Ihre Kreuzgewölbe wurden mit einer feinen, dekorativen Malerei ausgestaltet, rahmende Bänder und Schablonierungen schmücken drei Joche. Die zwei Längswände gliedern Pilaster und große, zurückgesetzte Rundbogenfelder. „Die schönste Durchfahrt von Berlin“, so nennt sie Dr. Peter Schabe, Referent in der DSD-Denkmalförderung. „Sie präsentiert eines der wenigen, überkommenen Beispiele einer beidseitig offenen, reich gestalteten, spätklassizistischen Durchfahrt in der Stadt.“
Schönste Durchfahrt Berlins
Die Schönheit wird gefördert durch das Glück der Wiederentdeckung: Ein wahres Stück verwahrlostes Berlin zeigte sich hier jahrelang, eine grobe Holzdecke fing die Stuckstücke auf, die bereits herunterfielen. Erst nach der ersten Voruntersuchung 2006 konnte man ahnen, dass sich darüber ein aufwendig bemaltes Kreuzgewölbe befand. „Die Malereien waren jahrzehntelang überstrichen“, erinnert sich Restaurator Buch. „Da ist ein Ort, den man schon immer kennt, und dann entdeckt man so was. Das ist Restauratorenglück.“ Doch bei der Restaurierung fanden sie üblen Hausschwamm. Eine außergewöhnliche Rettungsaktion begann: Die restaurierten Gewölbekappen wurden abgenommen, der Schwamm wurde beseitigt, eine neue Unterkonstruktion als Träger zum Stabilisieren eingezogen. Und die Gewölbezwickel wieder aufmontiert. „Das war schon auch für uns eine außergewöhnliche Maßnahme“, meint Jan-Marek Buch.
Peter Schabe, in der DSD seit vielen Jahren für Berlin zuständig, hat schon viel in der Stadt gesehen und große Projekte begleitet. Bedeutende Denkmale wie Gedächtniskirche und Berliner Dom. Und eben den Prater an der Kastanienallee. Der hat auch für Peter Schabe etwas Emotionales: „Der Prater ist ein Ort, der so sehr diese Stadt ist, dahin führt der Berliner gern seine Besucher aus.“ Er ist kein Touristen-Hotspot, aber doch ist der Biergarten mit seinen 800 Plätzen an sonnigen Tagen gut gefüllt mit Besuchern von nah und fern. Nicht nur des Denkmals wegen wünscht Schabe sich nach dem Abschluss der Restaurierungsarbeiten eine baldige Wiederbelebung der Gebäude. „Hier soll bald wieder Leben einziehen. Man tut dem Ort unrecht, wenn man sein Potenzial blockiert.“
Vom Gartenlokal bis zur Guppy-Schau, von Kaffeekrug bis Klassenkampf: verschiedene politische Systeme, Kunst in allen Ausrichtungen und vor allem viel Vergnügen und Kiezleben hat der Prater seit seinem Bestehen erlebt. Er ist bereit für die nächste Epoche. Denn, wie es Peter Schabe sagt: „Die Protagonisten werden sich wandeln, das Denkmal bleibt.“
Beatrice Härig
Die Berliner Verkehrskanzel wurde in den Nachkriegsjahren erbaut, als das Auto Sinnbild von Modernität und Zukunftsglauben war.
Zusammen mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz engagiert sich der Arzt und Komiker Eckart von Hirschhausen für die Alte Dorfkirche in Berlin-Zehlendorf und widmet der Kirche, die er seit seiner Jugend kennt, in Monumente Online einen Beitrag.
Junge Menschen für das baukulturelle Erbe zu begeistern – das ist die Idee von denkmal aktiv, dem Schulprogramm der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, das 2018 sein 15-jähriges Jubiläum feiert.
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