Ausgabe Nummer Juni Jahr 2023 Denkmale A-Z F

Von Riesen und schwimmenden Wäldern

Floßaugen im Holz

Der Weg des Holzes von den deutschen Mittelgebirgen bis ans Meer war lang – besonders für die Flößer. Obwohl sie nicht reich wurden, halfen sie, Kirchen und Paläste zu bauen. MONUMENTE begibt sich auf ihre Spuren.

Der Maat eilte durch die Dunkelheit und über die nassen Baumstämme. „‚Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor, Sir – wir haben ein Leck!‘, rief er. ‚Meine Herren‘, wandte sich der Kapitän ängstlich an seine vier Passagiere, ‚Sie haben Hüte – gehen Sie und retten Sie Ihr Leben!‘ Die vier begannen sofort, verzweifelt mit ihren breiten Schlapphüten das Wasser vom Floß zu schöpfen.“

Ein Rheinfloß vor der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz. Oft kamen auch Treidelschiffe zum Einsatz. Vorausboote, sogenannte Wahrschauer, warnten entgegenkommende Schiffe.
J. Vogel / LVR-LandesMuseum Bonn
Ein Rheinfloß vor der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz. Oft kamen auch Treidelschiffe zum Einsatz. Vorausboote, sogenannte Wahrschauer, warnten entgegenkommende Schiffe.

So schildert Mark Twain das vorläufige Ende seiner Neckarfloßfahrt zwischen Heilbronn und Heidelberg. Sie war Teil einer Europareise, die den US-amerikanischen Schriftsteller im Jahr 1878/79 unter anderem in den Schwarzwald führte. In seinem satirischen Reisebericht „Bummel durch Europa“ schreibt Twain: „Deutschland im Sommer ist von vollendeter Schönheit, aber niemand hat das höchste Ausmaß dieser sanften und friedvollen Schönheit wirklich wahrgenommen und genossen, der nicht auf einem Floß den Neckar hinabgefahren ist.“


Wichtige Holzferntransporte


Weder gibt es auf einem Floß Maat und Kapitän – auch ein Leck ist eher unwahrscheinlich – noch war das Leben der Flößer so beschaulich, wie es der ehemalige Mississippi-Lotse Mark Twain im Zitat vollmundig beschreibt. „Die hatten ein hartes Leben, mit schwerer körperlicher Arbeit“, erklärt Martin Spreng. Der 74-Jährige ist Vorsitzender der Deutschen Flößerei-Vereinigung und hat selbst schon auf vielen Flüssen geflößt.

„Auf den kleineren Bächen war es gefährlich, weil es da viele Kurven gibt“, sagt Spreng, „auf den großen waren es die Brückenpfeiler, da sind viele Flöße zerschellt.“ Trotzdem nutzte man die Wasserstraßen, um das mangelnde Wegenetz auszugleichen. Ein Floß war dabei Fahrzeug und Ware in einem. Menschen und Lasten konnten transportiert, das Holz des Floßes selbst als Baumaterial verkauft werden. Sinn und Zweck war dabei immer zuvorderst der Holzferntransport.

Wenn die Flößer Tübingen passierten, begrüßten die Studenten sie oft neckisch.
Verlag Gebrüder Metz / Stadtarchiv Tübingen
Wenn die Flößer Tübingen passierten, begrüßten die Studenten sie oft neckisch.

Der Schwarzwald war eine der Hauptregionen der Flößerei. In Rottenburg am Neckar arbeitet der freie Bauforscher und Floßholzdetektiv Tilmann Marstaller. „Die Flößerei ist das effizienteste Transportmittel der Zeit“, legt der ausgebildete Mittelalterarchäologe dar. „Wir gehen heute davon aus, dass bereits die Römer in der Region geflößt haben.“ Der Name Pforzheim gehe beispielsweise auf das Lateinische Portus für Hafen zurück. Außerdem hebt der 55-­Jährige die Ähnlichkeit hervor, der bei Untersuchungen römischer Schiffswracks entdeckten dreieckigen Löcher mit den sogenannten Floßaugen im Schwarzwald.


So werden die Wiedlöcher genannt, durch die Wieden – drei bis vier Zentimeter dicke Bäumchen – gezogen wurden, um die Stämme zusammenzubinden. Diese Floßholzspuren finden sich etwa in alten Dachstühlen und Fachwerkhölzern. Der bisher älteste bestätigte Befund von Floßholz wurde in der 1178 geweihten Klosterkirche in Maulbronn entdeckt. „Das Wiederaufleben der Flößerei in nachrömischer Zeit findet an verschiedenen Orten statt, etwa am Main.“ Im 13. und vor allem 14. Jahrhundert ginge es aber dann „befundmäßig richtig los“, erklärt Marstaller.

Floßaugen: Wiedlöcher in einer Schwarzwaldfloßbindung.
KFV Jägerschmidt 1828
Floßaugen: Wiedlöcher in einer Schwarzwaldfloßbindung.
Württembergische Floßholzhandelsmarke (v. l. n. r.): Signatur Flößer, Holzfäller und Floßholzlänge.
Tilmann Marstaller
Württembergische Floßholzhandelsmarke (v. l. n. r.): Signatur Flößer, Holzfäller und Floßholzlänge.

FLOSSHOLZDETEKTIVE


Der Kunstbegriff entstand durch ein Projekt des schwäbischen Heimatbundes. „Ein Floßholzdetektiv ist jemand, der nach Flößereispuren Ausschau hält“, erklärt Bauforscher Tilmann Marstaller. Die Floßaugen finden sich überall, wo man Holz sehen kann. „An den Abschnitten für Stichbalken oder an den Vorkragungen einer Fachwerkfassade, seitlich an den Balkenköpfen.“ Spannend sind in die Floßhölzer geritzte Handels-marken, die mit der Holländerflößerei aufkamen und offenbar auch als Passierschein dienten. „Das sind halbe Dokumente, teilweise zwei Meter lang.“

Auf Spurensuche: Floßholzdetektiv Tilmann Marstaller in Aktion.
Roland Straub
Auf Spurensuche: Floßholzdetektiv Tilmann Marstaller in Aktion.

Dokumentiert wird die Holzlänge, -herkunft, der Holzhauertrupp und die Marke des Flößers oder Holzhändlers.

 



In der Nähe von Sprengs Heimatort Altensteig im Nagoldtal hat man 1985 begonnen, die Monhardter Wasserstube nach Plänen aus dem Jahr 1883 originalgetreu zu rekonstruieren. „Sie ist die größte Einbindestube für Flöße im Nordschwarzwald“, sagt Spreng. Hier steht auch ein nachgebauter Bähofen, in dem veranschaulicht werden kann, wie die frisch geschnittenen Bäumchen bei 300 °C erhitzt und dann um einen Wiedstock gewunden wurden – „um sie praktisch wie ein Seil verwenden zu können“, erklärt Spreng. Mit ihnen verband man die in der Wasserstube wartenden Stämme zu einem sogenannten Gestör, mehrere stammlange Gestöre ergaben ein Floß. 


Doch um die Stämme ans Ufer zu bekommen, mussten sie zuvor geriest werden. „Man hat die Baumstämme oben geschlagen und dann wie in einer Bobbahn nach unten sausen lassen“, beschreibt Spreng die Methode, bei der die Stämme mit über 70 km/h ins Tal „rieselten“. Diese „Bobbahnen“ waren von Stein- und Erdwällen, oft auch gefällten Baumstämmen begrenzte Rinnen, sogenannte Riesen, in denen die zum Holztransport bestimmten Baumstämme nach unten glitten.

Szene aus dem Dokumentarfilm „Die letzten Holzriesen im Schwarzwald“ (1955). Die seitlichen Stämme bildeten die Riese. Der Holzverbrauch war enorm.
Fürstlich Fürstenbergisches Archiv
Szene aus dem Dokumentarfilm „Die letzten Holzriesen im Schwarzwald“ (1955). Die seitlichen Stämme bildeten die Riese. Der Holzverbrauch war enorm.

„Heirate keinen Flößer“


Oft wurde im Winter geriest, um die Schneeglätte zu nutzen. Der Dokumentarfilm „Die letzten Holzriesen im Schwarzwald“ (1955) beschreibt diese harte Arbeit. Viele Flößer verdingten sich in den Wintermonaten als Rieser und fuhren dann im Frühjahr die geriesten Stämme die Gewässer hinunter. Jungen Frauen wurde geraten: „Heirate keinen Flößer, da hast du deine liebe Not, im Sommer keinen Mann und im Winter kein Brot.“


„Weil die Flüsse, die im Schwarzwald entspringen, sehr schmal sind, sind die Gestöre zwar relativ lang, aber sie haben nur eine begrenzte Breite, denn sonst kommt man nicht um die Biegung des Flusses herum“, erklärt Marstaller. Deshalb bauten die Flößer in den deutschen Mittelgebirgen und im Alpenraum ausgeklügelte Systeme an Riesen, Schwellweihern, Floßrutschen und Wasserwegen. Mit dem Schwellwasser konnten so Schwarzwaldflöße von bis zu 260 Metern wie auf einer Welle lindwurmartig auf den kleinen Bächen reiten. 


„Bei uns auf der Nagold war alle drei, vier Kilometer eine Staustufe, sodass man von einem Schwall in den anderen gefahren ist“, stimmt Spreng zu. An größeren Floßhäfen im Tal wurden die Flöße dann wieder auseinandergenommen, oft direkt vor Ort verkauft oder zu größeren Flößen zusammengebunden und zu den riesigen Wasserstraßen auf Main, Elbe, Rhein und Donau gefahren.

„Grob wie ein Flößer!“: schwäbische Flößer in Arbeitstracht und mit Handwerkszeug, um 1880.
Paul Singer / Stadtarchiv Tübingen
„Grob wie ein Flößer!“: schwäbische Flößer in Arbeitstracht und mit Handwerkszeug, um 1880.

In Marktsteft am Main unterstützt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz zurzeit die Restaurierung der historischen Hafenanlage aus dem 18. Jahrhundert, des ältesten, in seiner ursprünglichen Form erhaltenen Binnenhafens Bayerns, der unter anderem auch zum Beladen von Flößen genutzt wurde. Erst durch diesen Transport konnten im Mittelalter und der frühen Neuzeit große Bauprojekte in den Städten verwirklicht werden. Dabei benötigte man für Kirchenbauten und Schlossdächer Nadelholz.


Denn Eiche besitzt eine zu kurze Stammlänge, da die Kronenausbildung schon ab elf, zwölf Metern beginnt. „Nadelhölzer hingegen können problemlos über 30 bis 40 Meter Stammlänge haben“, sagt Marstaller. „Deshalb ging es bei großen Spannweiten von Decken- und Dachbalken ohne Floßholz in den Regionen nicht, die von Laubwald bestimmt waren.“


Als Beispiel nennt Marstaller seine ehemalige Alma Mater. Tübingen wurde 1476/77 als Universitätsstandort ausgewählt, weil es „einen riesengroßen Standortvorteil“ gegenüber der eigentlichen württembergischen Residenz Urach hatte. Es lag am Neckar und „am Neckar ist alles einfacher“, so der Schwabe. Das Dach der Stiftskirche als Universitätskirche „ist über 30 Meter breit, das geht nur mit Nadelholz.“ Da es dieses aber um Tübingen herum nicht gibt, musste es aus dem Schwarzwald herangeflößt werden, um überhaupt die Baudimension erfüllen zu können.

Martin Spreng an der Lenkstange führt seine Flößer auf der Nagold. Er trägt typische Flößerstiefel und über der Schulter eine Wiede.
Stadt Altensteig
Martin Spreng an der Lenkstange führt seine Flößer auf der Nagold. Er trägt typische Flößerstiefel und über der Schulter eine Wiede.

Holländertannen im Schwarzwald


Die eigentliche Hochzeit der Flößer begann im 17. Jahrhundert mit dem Aufstieg Hollands zur Seemacht. Für den Schiffsbau benötigten die Niederländer viel Eichenholz. Das ist aber deutlich schwerer als Nadelholz, weswegen „man mit Tannen Flöße baute“, so Fachmann Spreng, „um dann das Eichenholz obendrauf als Oblast“ zu transportieren. Die Flößer aus den deutschen Mittelgebirgen brachten über den Neckar und den Main ihr Holz an den Rhein. 


Die oberbayerischen Flößer besonders im 19. Jahrhundert ihres über die Donau zur Werft der K.-u.-k.-Donau-dampfschifffahrtsgesellschaft in Budapest. Die Rheinflöße waren bis zu 60 Meter breit und 350 Meter lang. Die Stämme wurden in mehreren Lagen bis zu zwei Meter hochgelegt. „Schwimmende Dörfer“, nennt sie Spreng, auf denen bis zu 800 Menschen arbeiteten, vor allem als Ruderer. Noch heute heißen besonders große Nadelbäume im Schwarzwald Holländertannen.


Dass man dabei reich werden konnte, wie es das Märchen des Holländer-Michel in Wilhelm Hauffs (1802–1827) „Das kalte Herz“ erzählt, ist genau das – ein Märchen. „Das Geld steckten die Schiffer, die Händler und die Waldbesitzer ein“, sagt Spreng. Die Lebensbedingungen der Waldarbeiter zeigt das sächsische Flößerhaus in Rechenberg an der Mulde, wo Triftholzflößerei betrieben wurde. Im kleinsten Haus des Ortes lebte ein Paar mit zwölf Kindern und zwei Ziegen auf 44 Quadratmetern. Nach dem Hochwasser von 2002 wurde das 1735 erbaute Fachwerkhaus mithilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz umfassend restauriert.

Floß auf der Enz vor Dürrmenz (1895). Im Hintergrund naht schon die Eisenbahn, die die kommerzielle Flößerei obsolet machen sollte.
Wikipedia
Floß auf der Enz vor Dürrmenz (1895). Im Hintergrund naht schon die Eisenbahn, die die kommerzielle Flößerei obsolet machen sollte.

Der Niedergang der Flößerei begann mit der Dampfmaschine, der Eisenbahn, den Dampfschleppern, dem zunehmenden Schiffsverkehr und der Elektrifizierung. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert mit ihrem enormen Holzverbrauch bescherte der Flößerei noch einmal eine Hochzeit. Um 1850 landeten in München über 8.000 Flöße pro Jahr und machten die Stadt zum größten Binnenhafen Europas. Doch das kommerzielle Floß verschwand um 1900 mehr und mehr von den Wasserwegen. Auch Twain fuhr auf seiner Europareise mit dem Zug weiter.


Heute wird die Flößerei in Deutschland nur für den Tourismus und von 38 Vereinen der Deutschen Flößer-Vereinigung betrieben. Sie veranschaulichen identitätsstiftende Kulturgeschichte. 2022 erklärte die UNESCO die Flößerei zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit.


Stephan Kroener

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1 Kommentare

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    Wolfgang Schäfer schrieb am 29.05.2023 20:56 Uhr

    Ein interessanter Artikel, den ich gerne in meiner Artikelsammlung speichern möchte

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