Denkmalarten Wohnhäuser und Siedlungen 1700 Barock Denkmale in Gefahr Ausgabe Nummer Juni Jahr 2023 Denkmale A-Z K

Denkmal in Not

Ein Schatz, der gerettet werden muss

Was verbirgt sich hinter den mittelalterlichen Klosterformatziegeln? Was hat es mit dem sakralen Tresorraum und mit den Wandnischen auf sich? Helfen Sie mutigen, jungen Menschen, das einsturzgefährdete Hugoldsdorfer Kavaliershaus und seine Geheimnisse zu retten.

Das Licht der Taschenlampe läuft über die losen Bretter. Staub und Schutt liegen herum. Von unten dringt durch die Löcher im Boden Sonnenschein herauf. Bauingenieur Stefan Gesell steht im Dachstuhl des einsturzgefährdeten Gebäudes. Eigentlich hatte er aufgrund von Zeitmangel gar nicht zusagen wollen, sei dann aber doch eines Abends spontan zum Kavaliershaus des Gutes Hugoldsdorf gefahren, etwa auf der Hälfte der Strecke zwischen Greifswald und Rostock. „Mit der Taschenlampe habe ich es mir angesehen und war einfach fasziniert.“ Der 53-Jährige erzählt scherzend, dass sich das Gebäude mit seinen geheimnisvollen Bauelementen ihm aufgedrängt habe: „Wie im Märchen, das Haus ruft mir zu: Rette mich!“

Bauingenieur Gesell (vorne), Klara (hinter ihm rechts) und eine starke Gemeinschaft stehen sprichwörtlich vor einer riesigen Aufgabe.
Jens Meier
Bauingenieur Gesell (vorne), Klara (hinter ihm rechts) und eine starke Gemeinschaft stehen sprichwörtlich vor einer riesigen Aufgabe.

Diesen Ruf haben auch andere gehört. „Mein Impuls war, an das Gebäude heranzugehen, damit es nicht zusammenfällt“, berichtet Isabell Klara. Die 28-Jährige lebt seit fünf Jahren mit Gleichgesinnten im Haupthaus des alten Gutshofs. Um mehr Wohnraum zu schaffen, begann sie sich für die Rettung des Nebengebäudes zu interessieren. Dabei wurde ihr der besondere Wert des Gebäudes bewusst. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD), deren Fachleute sofort die Bedeutung des Denkmals erkannten und statische Notsicherungsmaßnahmen einleiteten, wurde ein bauhistorisches Gutachten erstellt, das die Einzigartigkeit des Gebäudes für die gesamte Region hervorhebt. „Ich war selbst erstaunt“, erklärt Klara, „wie viel Interesse und Unterstützung ich von der Außenwelt bekam.“


Lange Zeit wurde das 1769 erbaute, 31 Meter lange und 15 Meter breite Bauwerk als das „alte Gutshaus“ bezeichnet. Erst durch das Gutachten des Bauhistorikers Torsten Rütz aus Greifswald wurde die wirtschaftliche Funktion des Gebäudes deutlich. Nach dessen Befunden handelt es sich um ein barockes Kavaliershaus, also ein das Haupthaus flankierendes Nebengebäude mit Großküche für Bedienstete und Wohnung für den Verwalter. Allerdings seien „backsteinsichtige und sogar ungetünchte Fassaden wie in Hugoldsdorf in der barocken Gutsarchitektur Vorpommerns eher die Ausnahme“ und mehr im westlichen Mecklenburg anzutreffen, schreibt Rütz. Doch das wirklich Bemerkenswerte seien die „retrospektiven Momente in der Gestaltung“. Denn unverkennbar seien „barockgotische Elemente“ verarbeitet worden. So handelt es sich bei den Backsteinen um sogenannte Klosterformatziegel, die eigentlich nur im Mittelalter Verwendung fanden. Da sie keine typischen „Quetschfalten aufweisen, sondern sehr glatte Oberflächen“, geht Rütz davon aus, dass es sich um neu gebranntes und nicht um wiederverwertetes Material handelt.

Gutshofidylle in Mecklenburg-Vorpommern: spielende Kinder am neuen Baumhaus vor dem alten Kavaliershaus in Hugoldsdorf.
Jens Meier
Gutshofidylle in Mecklenburg-Vorpommern: spielende Kinder am neuen Baumhaus vor dem alten Kavaliershaus in Hugoldsdorf.

Haustresor und Wandnischen


Die gleichen Steine finden sich auch in einem sakral anmutenden, rippengewölbten, knapp 18 Quadratmeter großen Halbkeller an der Nordostecke des Hauses. Der Raum bildet eine eigene Einheit, wie ein eingemauerter, begehbarer Tresor. Denn er wird „gestalterisch unauffällig in die vorgegebene barocke Fassadengliederung eingebunden“. Anfangs glaubte man deswegen, dass das barocke Gebäude um diesen scheinbar mittelalterlichen Raum herumgebaut worden sei. Die dendrochronologische Datierung ergab allerdings, dass das Gewölbe in mittelalterlicher Formensprache in die barocke Bauzeit des gesamten Gebäudes gehört. Die früher vergitterten Fenster sitzen dabei verschoben hinter denen der Außenfassade. Die beiden Innenzugänge waren durch jeweils doppelte Türblätter gesichert. Es handelt sich nach Expertenmeinung um einen ehemaligen repräsentativen Lagerraum für sehr hochwertige Waren, mit direktem Zugang zur Verwalterwohnung.


Eine weitere scheinbare Analogie zum Mittelalter bilden die Wandnischen, die sich in fast jedem Zimmer des Hauses befinden. „Aufbewahrungsnischen“, schreibt Rütz, „waren in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts eigentlich aus der Mode.“ Noch merkwürdiger erscheint, dass in den original bemalten Laibungen keine Holzreste oder Druckstellen von aufliegenden Schrankbrettern gefunden wurden. „Insgesamt überrascht diese Affinität zu mittelalterlicher Form und Technik in Ziegelformat, in der Wölbtechnik und dem Aufgreifen des eigentlich altertümlichen Wandnischenmotivs“, resümiert Rütz.

Die Experten streiten, was unter dem repräsentativen Rippengewölbe gelagert worden sein könnte. Vielleicht Wein?
Jens Meier
Die Experten streiten, was unter dem repräsentativen Rippengewölbe gelagert worden sein könnte. Vielleicht Wein?

Denkmalschutz als Gemeinschaftsaufgabe


Das 135 Einwohner zählende Hugoldsdorf liegt abgelegen. „Es gibt nur die Häuser, eine Bushaltestelle, an der zweimal am Tag ein Bus hält, und den Briefkasten, sonst nichts“, sagt Klara. Doch seit 2006 hat sich hier eine Eigentümergemeinschaft gefunden, die dem Gutshof und dem ganzen Ort wieder neues Leben verleiht. Zurzeit wohnen 18 Menschen, darunter vier hier aufgewachsene Kinder, im 1.000 Quadratmeter großen, spätklassizistischen Hauptgebäude. Die meisten von ihnen sind Ende 20 bis Mitte 30 und verfolgen die unterschiedlichsten Berufe, studieren oder bilden sich aus. Sie leben nach dem Schiller­-Motto, dass das „erste Gesetz des guten Tones ist: Schone fremde Freiheit. Das zweite: Zeige selbst Freiheit.“ Diese Freiheit zu finden, gilt für sie als entscheidend, um nachhaltig Verantwortung zu übernehmen. Von Anfang an ist dabei der Denkmalschutz als eine sozialgesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe Teil dieses Lebens. So renovierten die Bewohner das Hauptgebäude – Schritt für Schritt und in Eigenarbeit, aber mit fachmännischer Hilfe von Denkmalschützern sowie der DSD, die die Fassadensanierung unterstützte. Im Treppenhaus wurden die unterschiedlichen Wandfarben herausgearbeitet, erklärt Klara und zeigt auf die drei Farbschichten: „Das ist das Original, das ist DDR und das sind wir.“


Ähnlich wollen die neuen Hugoldsdorfer auch beim Kavaliershaus vorgehen. Für Klara war „der Weg über die Denkmalförderung“ eine gute Möglichkeit, der Öffentlichkeit zu zeigen: „Wir schützen seit vielen Jahren ganz aktiv ein Denkmal. Dafür wollen wir keinen Lohn, aber jetzt brauchen wir finanzielle Hilfe, um die großen Maßnahmen angehen zu können.“ Denn das Schadensbild am Gebäude und die Aufgaben sind gewaltig. „Der nächste Schritt, der ansteht, ist eine Notsicherung. Das Dach muss komplett abgedeckt, die Sparrenfüße saniert werden“, erläutert Bauingenieur Gesell. Aufgrund der „massiven Verschiebungen im gesamten Gebälk“ muss das Tragwerk des Krüppelwalmdachs „mittels Winden und Hydraultechnik gerichtet werden“, damit dann „in traditioneller Bauweise wieder die Verbindungen“ hergestellt werden können. Dabei seien „die Anschlusspunkte, die Deckenbalkenköpfe“, die eigentliche Herausforderung. Diese seien so marode, dass sie teilweise gar nicht mehr vorhanden seien. Außerdem sollen die jetzigen DDR-Betondachsteine durch 29.000 Biberschwanzziegel ersetzt werden. Erst danach könne man über eine „schrittweise Innutzungnahme“ der unteren Räume sprechen.

In der Gutsbibliothek wird gemeinschaftlich die Rettung des Kavaliershauses geplant.
Jens Meier
In der Gutsbibliothek wird gemeinschaftlich die Rettung des Kavaliershauses geplant.

Neues Leben


Nutzungsideen gibt es viele, allen voran braucht die Gemeinschaft in der kleinsten und am dünnsten besiedelten Gemeinde Nordvorpommerns weiteren Wohnraum. „Eine Gemeinde droht zu sterben“, schrieb noch 2010 die FAZ über Hugoldsdorf, da der „fast menschenleere Landstrich“ seit 1990 rund die Hälfte seiner Einwohner durch Wegzug verloren habe. Der Denkmalschutz kann hier aktiv dazu beitragen, neue Initiativen in einer strukturschwachen Region zu stärken. Denn die Neuzugezogenen auf Gut Hugoldsdorf stellen heute nicht nur knapp ein Sechstel der Gesamteinwohnerschaft, sondern auch ein Drittel der Freiwilligen Feuerwehr, haben einen Dorfchor gegründet und arbeiten im Gemeinderat mit. Dass das ehemalige Gut wieder neues Leben erhält, wird von vielen Alteingesessenen als eine Bereicherung empfunden, wie Bürgermeister Daniel Ehlert sagt: „Je mehr junge Leute dahin kommen, desto jünger und lebendiger wird auch das Dorf.“


„Es gibt natürlich den Traum, ein kleines Café oder einen Dorfladen“ im Kavaliershaus aufzubauen, sagt Klara, „auch um das Gemüse, was hier angebaut wird, oder den Honig, den unsere Bienen produzieren, zu verkaufen.“ Außerdem sollen weitere Räume für künstlerische und wissenschaftliche Arbeiten entstehen. Dass die Wiederherstellung der Statik und die Sanierung des Daches für Klara und ihre Gemeinschaft finanziell nicht stemmbar sind, ist offenkundig. „Das Problem ist, dass man auf einen Schlag eine große Summe Geld braucht, um dann auch vieles in Eigenarbeit machen zu können – und wir haben mehr Kräfte als Geld.“ Doch sie fühlt sich durch Gesell, Rütz, die DSD, die auch das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege auf das Objekt aufmerksam machte, in ihrer Ansicht bestärkt, dass es wichtig ist, das Hugoldsdorfer Kavaliershaus mit all seinen Schätzen zu retten. „Wir haben die interessierten Leute, die mit Fähigkeiten vor Ort sind und die bleiben wollen“, sagt sie. Was nun noch fehlt, ist Ihre Spende und finanzielle Unterstützung.


Stephan Kroener


Kavaliershaus Gut Hugoldsdorf

Dorfstr. 9

18465 Hugoldsdorf

Hugoldsdorf liegt im Landkreis Vorpommern-Rügen, etwa 30 km Luftlinie von Stralsund.

Bitte retten Sie mit uns das Hugoldsdorfer Kavaliershaus!

Auch kleinste Beträge zählen!

 


WAS IHRE SPENDE BEWEGEN KANN

 Biberschwanzziegel, je 50 St.                                 45 €
 Mauerstein/Klosterformatziegel, je 10 St.           65 €
 Dachstuhlsanierungsarbeiten, je lfm.                  82 €

 (beispielhafte Netto-Einzelkosten)

Trotz Vandalismus und Verfall seit den 1990er Jahren ließe sich die Grundsubstanz Commerzbank AG mit ihren historischen Baudetails retten.
Jens Meier
Trotz Vandalismus und Verfall seit den 1990er Jahren ließe sich die Grundsubstanz Commerzbank AG mit ihren historischen Baudetails retten.
 

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