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KulturSpur Folge 6: Spuren am Ulmer Münster

Steinmetzzeichen, Ringanker & Co

Das Ulmer Münster ist ein beeindruckendes Beispiel ­gotischer Baukunst. Doch: Wie hat man mit den damaligen Mitteln solche Werke schaffen können? Spuren der mittelalterlichen Baumeister geben Antworten.

Lesen Sie hier Folge 5 unserer Reihe "KulturSpur – Ein Fall für den Denkmalschutz" über Fußböden, die Geschichten erzählen.


Es gibt sie in allen möglichen Formen, die Spuren am Bauwerk. Sie lesen zu lernen, war Ziel eines großen Bauforschungsprojekts, durchgeführt vom Fachbereich Bauforschung der Otto-Friedrich-Universität Bamberg unter Leitung von Professor Stefan Breitling im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg. Das Projekt startete 2015 im Zuge der Restaurierung des Westturms – mit dem Ziel, mit den Erkenntnissen über die historische Bautechnik, Baukonstruktion und die einzelnen Bauphasen zukünftige Maßnahmen planen zu können. Besonders spannend an einem Bauwerk der Superlative: Der Ulmer Münsterturm ist mit 161,50 Metern der höchste Kirchturm weltweit.

© imago images / Arnulf Hettrich; Bauforschung / Baugeschichte / Otto-Friedrich-Universität Bamberg

1: Steinmetzzeichen
Es gibt sie zu Tausenden am Ulmer Münster, im Vergleich geben sie Hinweise auf den mittelalterlichen Baubetrieb.

2: Ringanker
Das mittelalterliche Ringankersystem, das die Zugkräfte aufnimmt, ist nur an wenigen Stellen außen sichtbar.

3. Gerüstholzlöcher

Sie sind Indizien für die früheren Gerüstebenen und Bauabschnitte. Manchmal stecken noch bauzeitliche Hölzer in ihnen.

4. Zangenlöcher
Sie zeigen, dass es sich um  einen mittelalterlichen Stein handelt, denn im 19. Jahr- hundert wurden Steinzangen  in Ulm nicht mehr benutzt.

5. Steinoberfläche
Sie lassen chronologische Rückschlüsse zu, da manche Werkzeuge nur zu bestimmten Zeiten verwendet wurden.

 

Steinerne Signaturen


Die Gleichzeitigkeit von Forschung und Restaurierung ist kein Zufall: Denn die Gerüststellung am Turm ermöglicht das Erreichen von Bauteilen, die sonst in weiter Ferne liegen. Jetzt kommt man dicht an das Material – und fühlt sich vergangenen Jahrhunderten ganz nah. Vor allem von den zahlreichen Steinmetzzeichen geht eine besondere Faszination aus: Hier zeigt sich wie nirgendwo sonst die damalige Handwerkskunst, die maßgeblich war für die Errichtung eines gigantischen Bauwerks wie des Ulmer Münsters. Steinerne Signaturen nennt Claudia Eckstein diese Markierungen der mittelalterlichen Handwerker. Sie, früher Mitarbeiterin der Universität Bamberg, seit 2021 im baden-württembergischen Landesamt für Denkmalpflege tätig, hat die Zeichen am Ulmer Münster erfasst. „Über 250 verschiedene Zeichen an über 1.200 Stellen sind entdeckt worden“, sagt Eckstein.


Die Steinmetzzeichen geben Einblick in die Arbeit einer mittelalterlichen Bauhütte, etwa in die Organisation auf der Baustelle. Eckstein: „Gleiche Zeichen an verschiedenen Bauteilen müssen innerhalb des Lebens eines Steinmetzen hinterlassen worden sein.“ Die Art und Form der Markierungen ermöglichen häufig eine zeitliche Einordnung. Was kann die Bauforscherin darüber hinaus an den Zeichen ablesen? „In Ulm haben wir herausgefunden, dass entgegen früheren Annahmen viel mehr mittelalterliche Bausubstanz in den mittleren Turmgeschossen erhalten geblieben ist und zum Beispiel der Stubensandstein nicht nur im 19. Jahrhundert verwendet wurde. Auch die hohe Fluktuation der Steinmetze ist ablesbar: Viele Signaturen sind auf nur wenigen Werkstücken zu finden. Der entsprechende Steinmetz verließ die Baustelle wohl recht schnell wieder“, so Eckstein.

Direkt am Objekt: Bauforscherin Claudia Eckstein am Ulmer Münsterturm.
© Bauforschung / Baugeschichte / Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Direkt am Objekt: Bauforscherin Claudia Eckstein am Ulmer Münsterturm.

Guido Siebert, Referent bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und selbst ausgebildeter Steinmetz, weiß um die zahlreichen Deutungsversuche, die es zu den Markierungen gibt: „Viele Mythen ranken sich um Steinmetzzeichen. Ihre Aussagekraft ist hochkomplex. Manche sehen in ihnen lediglich banale Abrechnungsmarkierungen. Doch tragen sie vielmehr den Charakter einer Signatur, ähnlich einer Künstlerinschrift. Sie sind häufig auf der Sichtfläche angebracht und sollen so für immer zu sehen sein.“


Bau der Superlative


Der Bau des Ulmer Münsters begann 1377. Auch die berühmte Steinmetz- und Dombaufamilie Parler war am Werk. In der zweiten Bauphase von 1392 bis 1494 wurden das Hauptschiff und der Westturm bis zu einer Höhe von 70 Metern errichtet. Schon von Beginn an war der Turm ausgelegt für einen Höhenrekordbau. Doch 1543, nach der Reformation, erfolgte zunächst ein Baustopp – für ganze 300 Jahre. Der Turm wurde dann erst im 19. Jahrhundert zu Ende gebaut.


Wie das 19. Jahrhundert auf das Mittelalter traf, zeigen die sogenannten Gerüstholzlöcher. Sie dienten zum Anbringen der Tragebalken für die Gerüste. Beim Weiterbau ab 1844 wurden die Öffnungen für die neuen Gerüste zweitgenutzt. Danach wurden sie verschlossen, auch weil zu gern Vögel in ihnen nisteten. Die Bauforscher von heute müssen die Löcher erst wiederfinden, zum Beispiel anhand quadratischer Zusetzungen. Gerüstholzlöcher liefern zudem Erkenntnisse über Gerüstart und Bauabschnitte. Wenn in ihnen noch Holzreste zu finden sind, kann man oft mit einer dendrochronologischen Untersuchung das genaue Jahr der Bauphase feststellen.

Das Denkmal ist der Tatort – Bauforscher sind die Ermittler und Aufklärer.

Was sieht das Streiflicht?


Auf dem Gerüst, nah am Objekt, kann der geübte Blick auch verstecktere Spuren auffinden – Steinmetzzeichen auf verwittertem Sandstein zum Beispiel. An verschatteten Stellen kann hierbei die Streiflichtmethode helfen: Beleuchtet man den Stein von der Seite, lassen sich die Zeichen besser von anderen Bearbeitungsspuren unterscheiden.


Auch Restauratoren von Wandmalereien nutzen das Streiflicht. Wichtig ist dabei, dass die künstlichen Lichtquellen im flachen Winkel zur Oberfläche angesetzt werden, damit eine scharfe Schattenbildung erzeugt wird. Auch Baukonstruktionen unter einer verputzten Wand, etwa Fachwerk, können zum Vorschein kommen.

© Bauforschung / Baugeschichte / Otto-Friedrich-Universität Bamberg
 



Wie das 19. Jahrhundert auf das Mittelalter traf, zeigen die sogenannten Gerüstholzlöcher. Sie dienten zum Anbringen der Tragebalken für die Gerüste. Beim Weiterbau ab 1844 wurden die Öffnungen für die neuen Gerüste zweitgenutzt. Danach wurden sie verschlossen, auch weil zu gern Vögel in ihnen nisteten. Die Bauforscher von heute müssen die Löcher erst wiederfinden, zum Beispiel anhand quadratischer Zusetzungen. Gerüstholzlöcher liefern zudem Erkenntnisse über Gerüstart und Bauabschnitte. Wenn in ihnen noch Holzreste zu finden sind, kann man oft mit einer dendrochronologischen Untersuchung das genaue Jahr der Bauphase feststellen.


Am Glockengeschoss des Ulmer Turms wurden im Mittelalter auf drei Ebenen Ringanker gesetzt, um die Zugkräfte in den Wänden aufzunehmen. Im 19. Jahrhundert brachte man zur Vorbereitung des Turmausbaus ein zusätzliches Ringankersystem ein, so wie man die mittelalterlichen Mauern verstärkte und geschädigte Steine austauschte. Diese neuen von den ursprünglichen, gotischen Werkteilen unterscheiden zu können, war ein Ziel der Untersuchungen.


Weitere Spuren geben den Fachleuten Informationen: Fugenversprünge zeigen unterschiedliche Bauabschnitte durch anderes Steinmaterial und andere Steinhöhen an. Auch die Oberflächenbearbeitung der Steine gibt im Vergleich chronologische Aufschlüsse. Das Scharriereisen kam beispielsweise erst ab Mitte des 15. Jahrhunderts auf.

Viele kleinteilige Befunde ergeben ein großes Gesamtbild: Rekonstruktion der Bauphasenabfolge.
© Bauforschung / Baugeschichte / Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Viele kleinteilige Befunde ergeben ein großes Gesamtbild: Rekonstruktion der Bauphasenabfolge.

Für die Baualterskartierung wurde der Münsterturm zunächst fotogrammetrisch vermessen, anschließend steingenau kartiert und das Baualter bestimmt. Alle Spuren der mittelalterlichen Baustelle wurden in die Pläne eingetragen. Die Arbeiten sind im Wesentlichen seit 2018 abgeschlossen, wichtige bauhistorische Befunde in der laufenden Restaurierung werden nachgepflegt. Der Faszination am Authentischen, am Erkennen von Zusammenhängen und am detektivischen Aufspüren der Baugeschichte folgt Handfestes im Hier und Jetzt: Die Ergebnisse helfen bei der Sicherung und Pflege des Denkmals. Denn jetzt weiß man ganz genau, womit man es zu tun hat.


Beatrice Härig


Ulmer Münster
Münsterplatz 21
89073 Ulm

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz fördert das Ulmer Münster seit 2008 mit 1,5 Millionen Euro, davon 320.000 Euro durch die Julius-Rohm-Stiftung.

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