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Spurensuche mit Geotechnik und viel persönlichem Engagement – das archäologische Projekt in Klein Süntel bringt Erstaunliches zutage.
Die Spurensuche am Denkmal zeigt mitunter kriminalistische Züge – wie das Magazin MONUMENTE in diesem Jahr, in dem die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) das Schwerpunkt-Thema „KulturSpur“ beleuchtet, schon einige Male gezeigt hat. Kaum jemand kann das besser bestätigen als Roland Wessling. Er arbeitet als forensischer Archäologe. Klassisch in der Grabungstechnik von Altertümern ausgebildet, hat er sich auf die Aufdeckung von Verbrechen spezialisiert. Als Experte sichert er Spuren im Erdreich, die oft in Kriminalfällen später eine bedeutende Rolle spielen.
Dass es dabei meist um schreckliche Dinge geht, die im Verborgenen schlummern, lässt sich erahnen. Da kam Wessling, der in England lebt und an der Universität Cranfield lehrt, eine Anfrage 2012 aus seiner niedersächsischen Heimat als Abwechslung gerade recht. Die hatte folgenden Grund: In Klein Süntel, einem Ortsteil von Bad Münder, wurde eine besondere Entdeckung gemacht. Der Bagger der ansässigen Freiwilligen Feuerwehr war bei Arbeiten neben dem Feuerwehrhaus mit einem Reifen eingebrochen. Ein Hohlraum tat sich auf. „Die Öffnung war gerade groß genug, um einzusteigen“, erinnert sich Michael Meier, ehrenamtlicher Beauftragter für Bodendenkmalpflege in Bad Münder. Als er in die Tiefe kletterte, stand er in einem Tunnel – über zwei Meter hoch und sorgfältig aus behauenem Sandstein gemauert, etwa sechs Meter lang. Damit war aus einem unscheinbaren, grasbewachsenen Hügel neben dem Feuerwehrhaus urplötzlich ein archäologisches Projekt geworden.
Die Glasstücke, die man am Boden des Tunnels fand, ließen nur einen Schluss zu: Hier war man auf die Reste der Glashütte von Klein Süntel gestoßen – beim Tunnel handelt es sich um einen ehemaligen Schürkanal. Den Verein Forum Glas aus Bad Münder, der seit seiner Gründung 2006 auf die vergessene Glasgeschichte in der Region aufmerksam macht, versetzte dieser Fund in große Begeisterung. Denn Glas spielt seit jeher im Weserbergland eine große Rolle. Es wird seit 500 Jahren in der Region hergestellt – begünstigt durch das Vorkommen der Rohstoffe Holz, Kohle und Sand. Von der 1886 stillgelegten und so lange verschwundenen Glashütte war bislang nur ein Verwaltungsbau bekannt. Vom Landesamt für Archäologie mit der Aufarbeitung dieser industriearchäologischen Stätte beauftragt, begann der Vereinsvorsitzende Hermann Wessling mit der Organisation – und wandte sich schließlich an seinen Sohn, den forensischen Archäologen in England.
Blick unter die Erde
Eine geophysikalische Untersuchung, von Roland Wessling durchgeführt, sollte nun Informationen darüber liefern, was genau sich in dem Grashügel neben dem Feuerwehrhaus verbarg. Mittels geoelektrischen und Radar-Prospektionen konnte er, bevor auch nur ein einziger Spatenstich ausgeführt wurde, bereits Mauerreste und Kammern im Erdreich nachweisen. Mit Testschnitten, relativ oberflächlichen Probegrabungen, hatte man anschließend Gewissheit: Erhalten werden konnten vier Schürkanäle und kreisrunde Mauerreste als Fundamente eines großen Glashüttenturms, eines sogenannten Rauchgaskegels – weltweit sind nur noch wenige Exemplare erhalten. Ein aufregender Fund, sagt Roland Wessling.
„Ohne die geophysikalische Untersuchung wäre es sehr schwierig, solche Testschnitte effizient zu planen. Als erfahrener Archäologe kann man zwar die Bodenoberfläche lesen und somit den Werdegang einer Landschaft erahnen, man wäre aber trotzdem viel auf Glück angewiesen.“ Dank der klaren geophysikalischen Ergebnisse in Klein Süntel, so der Spurenleser weiter, hätte man eine Reihe Testschnitte so exakt legen können, „dass man mit minimalem Aufwand ein Maximum an Informationen erhielt“. Seitdem schälen Archäologen und engagierte Einwohner die Reste des Baus aus der Erde. Mit Studierenden der englischen Universität wurden mehrere Grabungskampagnen durchgeführt, 2014 begleitet von Teilnehmern der Jugendbauhütte Stade und finanziell unterstützt von der DSD in mittlerweile sechsstelliger Höhe.
Das Ziel ist, Spuren zu sichern und die Klein Sünteler Glashütte für Interessierte begreifbar zu machen. Die Schürtunnel sollen einsehbar werden. „Vielleicht könnte eine Lichtinstallation die ehemalige Kontur des Sandsteinturms nachzeichnen“, überlegt Hermann Wessling, „und damit die Größe dieser historischen Anlage verdeutlichen.“ Der große Fundamentdurchmesser von 19 Metern lässt auf einen hohen Turm schließen.
Spuren der Hitze
Geomagnetik, Geoelektrik und Georadar
Bevor man sich in der Archäologie zu aufwendigen Grabungen entscheidet, werden oft geophysikalische Untersuchungsmethoden angewandt, die die physikalischen Bodeneigenschaften wie die Dichte oder elektrische Leitfähigkeit eines Geländes messen. Sie greifen nicht in das Erdreich ein und sind damit zerstörungsfrei. Bei einer geomagnetischen Prospektion wird mittels Sonden das natürliche Erdmagnetfeld gemessen. Auf einem Magnetogramm werden Erdmagnetfeld und Abweichungen, die auf archäologische Befunde schließen lassen, eingetragen. Die Geoelektrik untersucht Bodenschichten durch Messung elektrischer Spannung und Stromstärke. Durch Elektroden werden dem Boden Ströme zugeführt, die ein künstliches elektrisches Feld erzeugen. Jeder Eingriff in den Boden verändert die elektrische Leitfähigkeit.
Beim Georadar werden elektromagnetische Wellen, die durch unterirdische Objekte unterschiedlich reflektieren, senkrecht in den Boden gesendet. Die Methoden werden meistens in Kombination angewandt.
Lust auf mehr Denkmal-Spurensuche? Auf der Webseite zum DSD-Jahresthema "KulturSpur – ein Fall für den Denkmalschutz" werden Sie fündig:
Die Rauchgaskegel waren einst Wahrzeichen für eine innovative, aus England stammende Glashüttentechnik. Mit ihnen konnten im Schmelzofen Temperaturen bis zu 1.600 Grad Celsius erreicht werden. Durch die höheren Temperaturen wurde weniger Rohstoff verbraucht und durch die verringerte Schmelzdauer die Produktion gesteigert. In einer Glashütte dieser Größe arbeiteten etwa 20 Glasmacher, Mitte des 19. Jahrhunderts war die Belegschaft auf 36 Mitarbeiter angewachsen – darunter wie damals üblich auch Kinder. In Klein Süntel ist seit 1620 Glasproduktion nachgewiesen. Ob, wie bisher angenommen, das letzte Glashüttengebäude und damit der Kegelturm um 1820 errichtet wurde oder eventuell schon früher, bleibt noch zu erforschen. Spuren, die Aufschluss geben könnten, gibt es genug: Allein in der Grabungskampagne 2016 wurden 210 archäologische Befunde freigelegt.
Zeichen aus Glas
Hermann Wessling, unermüdlicher Förderer des Projekts, weiß die Fäden zu knüpfen. Das Ziel, auf die glasproduzierende Vergangenheit der Region aufmerksam zu machen, verfolgen er und seine Mitstreiter auf immer neue Weise. So beschäftigten sich 2012 und 2018 Schüler der Kooperativen Gesamtschule Bad Münder mit Glasgeschichte und Glasproduktion in ihrer Heimatstadt. Tiefgreifender und nachhaltiger als im Rahmen des DSD-Schulprogramms „denkmal aktiv“ kann man kaum zu historischen Themen hinführen. Wenn Melissa aus der achten Klasse zum Beispiel im Rückblick feststellt: „Ich finde es wichtig, die Geschichte der Glashütte Klein Süntel meiner Familie und Freunden zu erzählen, da sie für die Region ja so wichtig ist“, dann haben die Engagierten mit ihrem glasarchäologischen Projekt alles richtig gemacht.
Und die Reise, die mit einem Grashügel begann, ist noch nicht zu Ende. Gerade wurden im Münderaner Museum zwei Ausstellungsräume zur Glashütte Klein Süntel eröffnet. Darin zu sehen sind zahlreiche historische Bouteillen aus der Glashütte. Glashistoriker und Kurator Klaus Vohn-Fortagne kann viel erzählen über den Weg der Sünteler Flaschen bis über die Meere, über die Bedeutungen der Flaschensiegel und über erstaunliche Sammlerpreise. Aber das wiederum sind Kulturspuren einer anderen Geschichte – wenn auch genauso wert, erzählt zu werden.
Beatrice Härig
Glashütte Klein Süntel
Klein Sünteler Straße 13
31848 Bad Münder
Bad Münder liegt etwa 35 Kilometer südwestlich von Hannover. www.forum-glas-bad-muender.de
Am Tag des offenen Denkmals® können am 11.9.2022 zahlreiche weitere archäologische Projekte besichtigt werden:
www.tag-des-offenen-denkmals.de
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