Denkmalarten Wohnhäuser und Siedlungen Öffentliche Bauten Stile und Epochen Nach 1945 Streiflichter Design Menschen für Monumente Interviews und Statements Ausgabe Nummer August Jahr 2022 Denkmale A-Z D
Durchdacht bis ins Detail – von der aufwendigen Außenfassade bis zur vernickelten Türzarge: Designer gestalteten Architektur oft als beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Monumente erzählt ihre Geschichte und stellt Denkmale vor, die dringend Unterstützung brauchen.
Genau genommen waren Designer zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch keine Designer – zumindest wurden sie nicht so genannt. Gestalterische Allrounder waren die Baukünstler aber allemal. Sie schufen architektonische Gesamtkunstwerke, die nach damaligem und heutigem Verständnis einer Komplettinszenierung glichen – und zwar vom Silberlöffel über integrierte Holzmöbel bis hin zu Lichtdesign und Farbgestaltung. Sie brachen mit Konventionen, stießen neue Entwicklungen an, nutzten Baustoffe bis an ihre Grenzen und ließen schöpferischen Launen freien Lauf.
Aber sind das lediglich in Form gebrachte Fantasien vermessener Genies? Wohl kaum. Denn die Vollendung von Architektur zu Gesamtkunstwerken hat bis heute ikonische Bauwerke hervorgebracht, die die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) schützen und erhalten möchte. MONUMENTE zeigt Beispiele aus dem DSD-Förderprogramm und verdeutlicht die denkmalpflegerischen Herausforderungen, die mit der Erhaltung und der Pflege einhergehen. Die Stiftung hofft dabei auf Ihre Unterstützung, um unser restaurierungsbedürftiges Kulturgut retten zu können.
Die Liebe zum Gesamtkunstwerk
Die Ideale des erstmals so genannten Gesamtkunstwerks gehen dabei auf den deutschen Komponisten Richard Wagner zurück, der den Begriff 1849 in seiner Schrift „Kunstwerk der Zukunft“ prägte. Seine Konzeption zur Verknüpfung von Oper und Drama entstand in der Zeit des Bürgerlichen Realismus, in der die Menschen nach Ablenkung von sozialen Problemen suchten. Gerade die späteren gestalterischen Reformbewegungen waren durch Wagners Impuls beeinflusst – auch wenn viele Bauwerke in der Architekturgeschichte schon vorher als Gesamtkunstwerke entstanden. Mit der einsetzenden industriellen Revolution eröffneten sich neue technisch orientierte Gestaltungsweisen. Architekten wie der Deutsche Gottfried Semper oder Vertreter der Arts-and-Crafts-Bewegung äußerten sich kritisch: Sie lehnten die Massenproduktion als Ergebnis der Industrialisierung ab und kehrten zu handwerklichen Traditionen zurück. Wichtige Anhänger waren Charles Rennie Mackintosh in Schottland, William Morris in England oder Frank Lloyd Wright in Amerika. Sie integrierten die Essenz des Gesamtkunstwerks in ihr Schaffen. Auch in der Zeit des Jugendstils ist das Konzept anzutreffen, und die Gesamtheit der Gebäude zeichnete sich durch ein harmonisches Design aus.
Medizin, Natur und Architektur
Das Sanatorium Dr. Barner in Braunlage ist ein besonderes Beispiel. Es wurde 1900 als Klinik für Naturheilverfahren und Psychotherapie gegründet. Albin Müller kam 1903 als Patient und entwarf ab 1905 das Sanatorium als Gesamtkunstwerk. Jeder Raum empfängt den Besucher mit einer stimmigen Atmosphäre, die Eleganz, Ruhe und Klarheit ausstrahlt. Zu verdanken ist das der Konsequenz des Gestalters: „Ich möchte Ihnen dringend raten, den Gesellschaftsraum nicht mit Linoleum zu belegen, […] das für die Eleganz des Raumes nicht vornehm genug wirkt. Sie werden sich doch eine Staubsaugmaschine anschaffen müssen; es gibt sehr brauchbare billige transportable Apparate, so dass hygienische Bedenken gar nicht aufkommen können“, schrieb Müller in einem Brief von 1913 an Toni Barner.
In anderen Bereichen empfiehlt er dagegen den damals innovativen Linoleumboden und die aus ähnlichem abwaschbaren Material gefertigten Lincrusta-Tapeten. Fast alle Interieurs sind bis heute erhalten: ein lebendiges Designdenkmal, das seit Jahren federführend von David Chipperfield Architects Berlin restauriert wird. Für die hohe Qualität der Instandsetzung wurde 2018 der Europa Nostra Award vergeben. „Das Sanatorium ist immer noch in Betrieb, und die neuen Ergänzungen sind zeitgemäß und zugleich kompatibel mit der historischen Bausubstanz. […] Es kamen traditionelle, in Deutschland seltene Techniken zum Einsatz. Es wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um Restauratoren mit den dafür notwendigen Fertigkeiten einzubeziehen“, schreibt die Jury über das Restaurierungsprojekt.
Erhalten für die Zukunft
„Der Erhalt der Nutzung ist das A und O“, sagt auch Daniela Lorenz. Sie arbeitet seit 2004 im Sanatorium als Kuratorin der Stiftung Sanatorium Dr. Barner. Gerade bauhistorische Materialien stellen die Denkmalpflege vor Herausforderungen. „Haptik, Oberflächen und Herstellungsverfahren verändern sich schnell. Die Herstellungstechnik des speziellen Inlaid-Linoleums ist beispielsweise unwiederbringlich.“ Trotz rarer Fachkräfte bleibt Lorenz optimistisch und arbeitet derzeit mit 25 Firmen bei Planungsaufgaben, Baumaßnahmen und den Konservierungs- beziehungsweise Restaurierungsvorhaben an denkmalgerechten Lösungen. Dr. Dorothe Trouet, DSD-Referentin im Stifterservice, kennt das Objekt sehr gut: „Wir haben hier ein herausragendes ganzheitlich gestaltetes Denkmal, das nie eine Nutzungsänderung erfuhr, und dennoch den modernen Anforderungen an eine Klinik gerecht wird.“
Bis ins kleinste Detail
Als Albin Müller 1912 mit dem Entwurf für das prächtige Haupthaus des Sanatoriums begann, war er bereits vom hessischen Großherzog an die Darmstädter Mathildenhöhe berufen worden. Mit acht unterschiedlichen Künstlerhäusern wurde dort schon 1901 die Idee des Gesamtkunstwerks mit Liebe zum Detail visualisiert. „Von der städtebaulichen Komposition über die Freiraumgestaltung bis hin zur Kubatur der Gebäude. Auch das eigens entworfene Interieur und kleinste bewegliche Ausstattungen schloss das mit ein“, erzählt Dr. Jennifer Verhoeven, Koordinatorin der UNESCO-Welterbestätten am Landesamt für Denkmalpflege Hessen. Sie arbeitet seit 2011 als Welterbekoordinatorin mit der Stadt Darmstadt an dem Ensemble.
Das Große Haus Glückert, ein aktuell gefördertes Objekt der DSD, ist Teil der 2021 gekürten Welterbestätte Mathildenhöhe Darmstadt (siehe Interview im Kasten am Ende der Seite). Es gehört zu den Häusern der ersten Ausstellung der Künstlerkolonie von 1901 und wurde durch Joseph Maria Olbrich für den Hofmöbelfabrikanten Julius Glückert erbaut. Er nutzte es als Ausstellungshaus für die Produkte seiner Firma. Halbjährlich wurden Räume neu ausgestattet, und es ist noch immer ein reicher Schatz an Stuckdecken vorhanden. Aktuell unterstützt die DSD Vergoldungen der Bauzier am Portal und metallrestauratorische Arbeiten. „Bei den weiteren Maßnahmen an den Stuckdecken verfolgen wir das Ziel, den jeweiligen Zustand von 1901 und 1908 besser lesbar und verständlich zu machen und dabei substanzschonend vorzugehen“, erläutert Verhoeven.
Form follows function
Einige der Künstler, die auf der Mathildenhöhe wirkten, waren auch Mitglieder des Deutschen Werkbundes – gegründet 1907 durch den Designer, Typografen und Architekten Peter Behrens. Im Zusammenspiel von Kunst, Industrie und Handwerk wurden wichtige Impulse für Baukultur, Formgebung und übergreifende gesellschaftliche Prozesse gegeben. Auch wenn mit dem Ersten Weltkrieg die Idee des Gesamtkunstwerks fast verschwand, tauchte sie mit der Bauhausbewegung und mit De Stijl in den frühen 1920er-Jahren wieder auf. Ganzheitlich gestaltete Architektur sind das Bauhausgebäude in Dessau von Walter Gropius oder das Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht von Gerrit Rietveld. Wie bei Bauhaus und De Stijl war bei der Bewegung des Neuen Bauens eine konsequente Auseinandersetzung mit neuen Materialien wie Glas, Stahl und Beton erkennbar.
Zugrunde lag unter anderem der Satz „form follows function“ des amerikanischen Architekten Louis Henry Sullivan von 1890. Im Gegensatz zur Raumkunst des Jugendstils war es aber nicht existenziell, dass alle Räume von einem einzigen Designer gestaltet wurden. Bedeutsam war eine freie Raumaufteilung und Multifunktionalität. Ornament und Zierelemente wurden durch starke Farbigkeit ersetzt, und Chrom und Stahlrohr bestimmten die Konstruktion der Möbel. Die große Bauaufgabe der Zeit war eine ausreichende Versorgung der breiten Bevölkerung mit Wohnungen. So entstanden große Wohnsiedlungen, Bauten für die Gemeinschaft und programmatische Villen für die Bessersituierten. Einer dieser Bauten ist das Berliner Landhaus Am Rupenhorn von 1929. Die DSD unterstützt den Bau seit 1998 kontinuierlich mit Mitteln für die Instandsetzung und Pflege. „Mit dem kubischen Baukörper, der dynamischen Gliederung und sorgfältigen Proportionierung von Flächen und Öffnungen sowie der Stahlskelettbauweise ist das Haus ein Manifest des Neuen Bauens, das wir erhalten wollen“, sagt Dr. Peter Schabe, Referent der DSD. Gerade der Bauerhalt der empfindlichen Materialien im Zusammenspiel mit Witterungseinflüssen ist aufwendig.
Das Keramion in Frechen eröffnete der Steinzeugunternehmer Dr. Gottfried Cremer 1971. In dem futuristischen Bau präsentierte er seine Sammlung zeitgenössischer keramischer Kunst – heute wird dort noch immer moderne und historische Keramik ausgestellt. Mit Entwurf und Bau war der Kölner Architekt Peter Neufert beauftragt. Er arbeitete mit dem Statiker Professor Stefan Polónyi zusammen, der für seine Faltwerk- und Schalenkonstruktionen bekannt war. „Form folgt Funktion“ war das Prinzip: Der Bau perfektioniert das bis ins letzte Detail.
Das Keramion empfindet in seiner Form den keramischen Körper und das Drehen der Töpferscheibe nach. Der Kölner Ortskurator und Architekt Klaus Jürgen Pfeffer hat damals an dieser beeindruckenden Architekturskulptur mitgewirkt. Er erzählt stolz von seiner Zeit im Studium, als er vier Jahre bei Neufert tätig war. „Der Entwurf des Keramions ist 50 Jahre alt. Noch immer unterstreicht er die Genialität des Architekten.“ Seit 2002 steht der Bau unter Denkmalschutz. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz förderte 2018 und 2020 restauratorische Maßnahmen.
Für den Menschen
Design-Highlights, die die technische und gestalterische Entwicklung der Nachkriegszeit zeigen, sind die Bauten des Finnen Alvar Aalto. „Beauty is the harmony of function and form“, sagt er über seine Designs. Das ganzheitlich gestaltete Kulturhaus in Wolfsburg ist als Bau der Gemeinschaft in Material, Form und Gestalt für den Menschen gemacht. Diese Idee des humanen Designs, das die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse des Menschen richtet, überdauert bis heute. Jetzige Designschaffende gehen dabei noch weiter; denn Design durchdringt mittlerweile viele Lebensbereiche, bestimmt Formen der Kommunikation, soziales Verhalten, Lebensstile ebenso wie ökonomische Prozesse oder technologische Neuerungen. Zum Beispiel werden mit Hilfe von Algorithmen aus Bauschutt neue Formen und verwendbare Materialien geschaffen, die als Bau-Ressource genutzt werden können, oder Gebäude aus recycelten Naturfasern konzipiert, die auf den zunehmenden Rohstoffmangel im Städtebau reagieren.
Ähnlich wie beim Sanatorium Dr. Barner ist der denkmalgeschützte Aalto-Bau noch in seiner ursprünglichen Funktion zugänglich und macht Design und Denkmalschutz für jedermann erfahrbar. Die DSD unterstützt gerade die aufwendige Restaurierung des Alvar-Aalto-Mobiliars im Kulturhaus, damit auch hier wieder verweilt werden kann (siehe unseren Beitrag). Nur gemeinsam können wir auch in Zukunft diese bedeutenden Gesamtkunstwerke schützen, die uns vor Augen führen, wie Funktion, Form und Schönheit den Alltag harmonisieren – und wie wichtig die Liebe zu jedem einzelnen Gestaltungsdetail ist. Lassen Sie uns gemeinsam das Bewusstsein für gutes Design schärfen, um diese bedeutenden Gesamtkunstwerke erhalten zu können.
Svenja Brüggemann
Auch kleinste Beträge zählen!
Die treuhänderische Liselotte Lies und Otto Roosen-Stiftung unter dem Dach der DSD setzt sich seit vielen Jahren für den Erhalt von Kulturdenkmalen ein. Renate Lies ist die engagierte Stifterin. 2022 unterstützt sie mit Hilfe ihrer Stiftung das Große Haus Glückert auf der Mathildenhöhe Darmstadt, das dringend restaurierungsbedürftig ist. MONUMENTE hat sie besucht und mehr über ihre Verbindung zum Großen Haus Glückert erfahren.
Welche Rolle spielt der Denkmalschutz in Ihrem Leben?
Ich bin sehr durch meinen Großvater Otto Roosen geprägt. Er war künstlerisch und handwerklich tätig und leitete eine Werkstatt für Malerei. Wo heute mein Haus steht, hatte er früher seine Lagerhallen. Benannt war die Firma nach meinem Urgroßvater Herman Roosen, der auch schon in Offenbach wirkte. Als kleines Mädchen wurde ich überallhin mitgenommen – auch von meinen Eltern. Wir haben uns Schlösser, Gemäldegalerien, Kirchen und Dome angeschaut. Irgendwann habe ich gedacht: Opa, Opa – wie viele Dome noch? Aber mein Interesse kam wieder, und mittlerweile bin ich genauso wie meine Familie und möchte alles besichtigen und vieles erhalten und bewahren.
Wir sitzen in Möbeln von Julius Glückert. Was ist die Geschichte?
Mein Großvater war jung zur Zeit des Jugendstils. Als er heiratete ließ er sich die Wohnung im ersten Stock des Hauses meines Urgroßvaters ausstatten – unter anderem eben mit diesem Esszimmer von dem Hofmöbelfabrikanten Julius Glückert.
Ich erinnere mich noch daran, wie ich an dem schönen Ahorn-Buffet Kopfstand übte. Nicht zur Freude meiner Großmutter, aber sie war großzügig mit mir.
Mittlerweile verstehe ich, warum das für den Erhalt nicht förderlich ist, und pflege die Möbel. Hier steht das Glückert-Esszimmer seit gut 20 Jahren. Damals wurde das Buffet nur mit fünf starken Männern von der Wohnung in mein Haus getragen. Es ist sehr schwer und kann nur in einem Stück transportiert werden, inklusive der samtbeschlagenen Schubladen mit dem Besteck von damals. Es ist eben bis ins kleinste Detail gestaltet.
Wie wichtig ist es, die Kulturvermittlung weiter voranzutreiben?
Ich habe seit Kindheitstagen von Julius Glückert erzählt bekommen und schon damals in den Möbeln gelebt. Zudem war mein Großvater mit den Künstlern der Mathildenhöhe Darmstadt verbunden. Außerdem war ich als kleines Kind vor Ort. Auch wenn wir zu der Zeit die Gebäude größtenteils nicht von innen besichtigen konnten, erinnere ich mich gut und gerne an diesen Ausflug und auch an das Große Haus Glückert. Meine Begeisterung und die Idee der frühen kulturellen Erziehung möchte ich weitergeben. An der Vermittlung müssen wir früh arbeiten. Die große Baukunst und die restauratorischen und handwerklichen Techniken für die Pflege und den Erhalt sind eben bedeutsam. Zum Glück sind unsere Denkmale für die Ewigkeit angelegt. Das soll doch so bleiben, oder?
Mit Bildergalerie: Auf dem Original-Alvar-Aalto-Mobiliar im Wolfsburger Kulturhaus wird gelesen, geschrieben und verweilt. Monumente gibt einen Einblick in die aufwendige Restaurierung der Designikonen.
Er war ein Pionier des ökologischen Bauens: der Architekt und Architekturtheoretiker Frei Otto (1925-2015). Nach dem Prinzip von Spinnennetzen, Seifenblasen und Blattstrukturen entstanden seine Bauwerke - wie die Multihalle von Mannheim.
Das Haus Schminke zählt zu den wichtigsten Privatbauten der Moderne. Nach der umfangreichen Instandsetzung können dort heute sogar wieder Familien übernachten.
Lassen Sie sich per E-Mail informieren,
wenn eine neue Ausgabe von Monumente
Online erscheint.
Auch kleinste Beträge zählen!
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