Denkmalarten Wohnhäuser und Siedlungen Öffentliche Bauten Menschen für Monumente Restaurierungstechniken Ausgabe Nummer Juni Jahr 2022 Denkmale A-Z M
Denkmale und ihre Vergangenheit oder: Wie historische Gebäude immer wieder für eine Überraschung gut sind, zeigen wir Ihnen anhand des Kanzleigebäudes in Torgau und einer Hamburger Villa.
Zwei Orte, zwei Geschichten, eine Gemeinsamkeit: Baumaßnahmen deckten ungeahnte Spuren auf. Spuren, die uns in die Vergangenheit führen. Das Kanzleigebäude in Torgau ist ein wichtiger geschichtlicher Ort, mit Protagonisten wie Martin Luther, Kurfürst Friedrich dem Weisen, später auch Zar Peter I. und Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz. Im Erdgeschoss dieses ehrwürdigen Gebäudes, in einem geheimnisvollen Raum mit Tonnengewölbe, steht Nadja Kühne. Sie ist Diplom-Restauratorin aus Torgau. Um sie herum ranken sich Pflanzen, viele Zweige tragen Blüten in allen Farben, auf einigen sitzen Vögel. Zart sind die Malereien und doch intensiv. Zu sehen sind sie erst seit einiger Zeit, Teile sind noch verborgen. Putz und andere Schichten bedeckten Hunderte von Jahren die dekorativen Motive, erst mit der Technik des 20. Jahrhunderts konnten sie erspürt werden. „Den Umfang dieser reichen Malerei, dass nämlich der gesamte Raum bemalt ist, konnten wir erst unter UV-Licht erkennen“, erzählt die Restauratorin. Mit Hilfe der UV-Fluoreszenzmethode können mit dem Licht spezieller Lampen unter den Farbschichten liegende Malereien sichtbar gemacht werden (siehe Kasten unten). Nadja Kühne erinnert sich: „Am Tag des offenen Denkmals haben wir den Besuchern vorführen können, was sich hier für ein Schatz verbirgt, indem wir das UV-Licht an- und ausknipsten.“ Magische Momente in einem Raum, der sich bei Tageslicht einfarbig weiß und eher unscheinbar zeigte.
Torgau war im Zeitalter der Reformation das politische Zentrum und die Residenz der Kurfürsten von Sachsen, Schloss Hartenfels wurde zwischen 1485 und 1546 zu einer beeindruckenden Renaissanceanlage ausgebaut. Das Kanzleigebäude liegt in unmittelbarer Nähe zum Schloss und dient als authentische Bleibe des Stadt- und Kulturgeschichtlichen Museums in Torgau. Ein Routineauftrag stand 2002 in dem zu DDR-Zeiten als Wohnhaus genutzten Gebäude an: Eine Wandheizung sollte in dem Raum mit dem Tonnengewölbe im Erdgeschoss installiert werden. Der Handwerker stutzte, als er sein Werkzeug ansetzte. Elemente einer Wandmalerei entblätterten sich unter dem Putz. Entblättern im wörtlichen Sinn, wie sich bei Untersuchungen der schnell herbeigeholten Restauratoren herausstellte: Es handelt sich um Grünrankenmalereien, die stilistisch um 1500 eingeordnet werden können. Das jetzige Kanzleigebäude wurde erst nach 1523 errichtet. Den Vorgängerbau, einen Wirtschaftshof des spätmittelalterlichen Zisterzienserinnenklosters Marienthron in Nimbschen, hatte Friedrich der Weise in diesem Jahr erworben, um eine größere Kanzlei für seine Staatsverwaltung schaffen zu können. Was bedeutet, dass dieser Raum wahrscheinlich noch aus dem vormaligen Bau stammt.
Arbeiten im Paradies
Das
Außergewöhnliche an den Malereien: Sie ziehen sich über das gesamte Gewölbe und
alle Wände des Raums. Eine Freilegung der Malereien war außer einer kleinen
Probeachse 2004 viele Jahre wegen fehlender Mittel nicht möglich. Erst als die
Deutsche Stiftung Denkmalschutz 2019 eine Förderung zusagte, konnten Kühne und
ihr Team mit den Arbeiten beginnen: „Durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz
kam hier alles ins Rollen.“ Mit Skalpell, einer ruhigen Hand und Lupenbrille
werden seitdem die aufliegenden Farbschichten gedünnt, Schicht für Schicht.
„Wenn die Malerei instabil ist, festigen wir sie, teilweise durch
Hinterspritzen, teilweise mit schützendem Japanpapier.“ Immer mehr
verschlungene Zweige kommen zutage, Vögel und Blüten, einige menschliche
Gestalten. Im Sockelbereich verstärkt eine illusionistische Vorhangmalerei den
dekorativen Charakter. Wie in einer Laube sollte der Betrachter sich fühlen,
vermutet die Restauratorin.
Hier wird Geschichte freigelegt, wird die 500 Jahre alte Wandgestaltung für eine neue Generation Menschheit ans Tageslicht gebracht. Kühne: „Es ist die erste Fassung auf Putz. Es wurde mit der Kelle in den Putz eine grobe Vorzeichnung geritzt und danach wurden von diesen Hauptstämmen ausgehend die Ranken gemalt.“ Weil Flora und Fauna nicht der irdischen Natur zuzuordnen sind, eher himmlischen Gefilden anzugehören scheinen, und wegen der Lage des Raums neben der Kapelle des ehemaligen Klosterhofs hat sich die Bezeichnung Paradiesgarten etabliert.
Die Arbeiten der Restauratoren sind Teil der gerade stattfindenden Ausstellung im Kanzleigebäude zu den historischen Gärten Torgaus. Die Besucher können den Raum – den ältesten erhaltenen Garten Torgaus, wie ihn Museumsleiterin Cornelia König stolz bezeichnet – betreten, bei den Arbeiten zuschauen und sich die damaligen Künstler und ihre Zeit vorstellen.
Was ist UV-Fluoreszenzfotografie?
Bei der UV-Fluoreszenzmethode macht man sich ultraviolette Strahlen zunutze, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. Sie regen manche Materialien zu Lichtphänomenen (Fluoreszenzen) an, die dann auch für den Menschen erkennbar sind. Die UV-Fluoreszenzfotografie ist das fotografische Verfahren, bei dem die Fluoreszenzen mittels einer Kamera und speziellen Filtern festgehalten werden (Foto). Großer Vorteil der Methode: Sie ist zerstörungsfrei. Neben der Untersuchung von Gemälden und ihrer Entstehung kann man insbesondere bei überdeckten Wandmalereien mit dieser Methode frühere Fassungen sichtbar machen – wie auf dem Foto unten bei den Torgauer Malereien, die zum Zeitpunkt der Aufnahme 2004 teilweise noch unter dicken Überfassungen lagen. Kupferhaltige Pigmente fluoreszierten und zeigten auf den Aufnahmen das reiche Rankenwerk, die orangen Punkte verraten mikrobiellen Befall.
Lust auf mehr Denkmal-Spurensuche? Auf der Webseite zum DSD-Jahresthema "KulturSpur – ein Fall für den Denkmalschutz" finden Sie viele weitere Informationen zu spannenden Themen wie der Dendrochronologie.
Anderes Jahrhundert, gleiches Bild
Eine Villa an der Elbchaussee in Hamburg – massiv und herrschaftlich. Das dreigeschossige Gebäude in bester Lage ließ sich 1905 der aus Haiti stammende Überseekaufmann Timoléon Ludovic Pagenstecher errichten. In den 1930er-Jahren wurde es in sechs Wohneinheiten parzelliert. Die Erdgeschosswohnung kam im letzten Jahr durch Erbschaft an die Alexander und Marieluise Sarry-Stiftung – eine Treuhandstiftung in der DSD, die sich der Erhaltung preußischer Kulturdenkmale widmet. Die künftigen Mieteinnahmen sollen ihrem Satzungszweck dienen. Bevor neue Bewohner für die Wohnung gesucht werden, muss sie jedoch gründlich saniert werden. Was man weiß: Der Hauseingang wurde bei der Parzellierung von der West- an die Nordseite verlegt, und die Räume erhielten neue Funktionen. Die ehemalige Eingangshalle diente jetzt als Küche.
DSD-Mitarbeiterin und Denkmalpflegerin Barbara Wunsch, die die Baumaßnahmen an diesem Gebäude betreut, stellt den früheren Raumeindruck wieder her: „Die vier Eckpilaster ließen auf ein Kreuzgewölbe oberhalb der abgehängten Decke schließen.“ Statt des Gewölbes war hier jahrzehntelang nur eine spröde Flachdecke zu sehen. Als man die Decke im September 2021 entfernte, offenbarte sich das Unerwartete. Das Gewölbe existiert nicht mehr, dafür aber traten Malereien in den ehemaligen Bogenfeldern zutage: gotisches Maßwerk sowie symbolische Darstellungen – zwar nur in Anschnitten, aber inhaltlich beeindruckend! „So etwas haben wir hier nicht erwartet“, sagt Barbara Wunsch. Mehrere Befundschnitte, die Restaurator Marko Götz an verschiedenen Stellen im Raum anlegt, bestätigen mehrfarbige Malereien auch an den Wänden.
Raum für Interpretationen
Die entdeckte Ölmalerei gibt Raum für Interpretationen: Neben floralen Motiven schälen sich unter dem Skalpell des Restaurators figürliche Darstellungen heraus. Heiligenscheine leuchten auf dunkelblauem Grund um die Köpfe der Dargestellten. Kunsthistorikerin Dr. Dorothe Trouet, die die Alexander und Marieluise Sarry-Stiftung in der DSD betreut, stellt Überlegungen an: „Vielleicht diente der Raum als Hauskapelle, denn er birgt viele sakrale Elemente – auch wenn die Figuren mit Nimbus und langen Gewändern noch nicht genau interpretiert werden können. Hier hoffen wir auf Erkenntnisse durch weitere Freilegungen. Vielleicht aber hatten die Bewohner auch etwas mit der Freimaurerei zu tun. Denn in den Malereien finden sich auch das allsehende Auge und ein Kelch. Das sind Symbole der Freimaurer.“
Mit jeder Schicht Tapete und Putz, die abgetragen wird, zeigt sich auch der Wandel im Verständnis von Wohnräumen. In den Häusern der Jahrhundertwende war Farbe Pflicht: Sie verlieh jedem Raum einen eigenen Charakter. Tapeten erzeugten gedämpfte Atmosphäre, Malereien gaben dem Auge Futter. Die weißen Zimmer, in denen wir uns in den letzten Jahrzehnten aufhielten, wären für das Gemüt früherer Generationen schwer zu ertragen gewesen. Die Malereien werden relevanter, charakteristischer Bestandteil der Wohnung werden. Sicher ganz im Sinne des Stifter-Ehepaars, das sich für die DSD mit seinem Lebenswerk eingesetzt hat und diese Wohnung an sie übertrug. Ohne es zu wissen, haben die Sarrys der Nachwelt einen zusätzlichen Schatz geschenkt.
Diese Schätze zu heben – das sind genau die Geschichten, die die Arbeit mit historischen Gebäuden so einzigartig machen. Das Entdecken verborgener Spuren aus der Vergangenheit fasziniert auch Barbara Wunsch: „Das ist für mich einer der schönsten Aspekte unserer Arbeit, wenn sich Dinge offenbaren, die lange Zeit, manchmal jahrhundertelang, verborgen waren. Dass man dabei sein kann, wenn sie wieder zutage kommen, und derjenige sein darf, in dessen Verantwortung der Umgang damit liegt – das empfinde ich als Privileg. Die Arbeit mit Denkmalen ist immer wieder eine spannende Reise.“ Eine Reise, auf die wir uns immer wieder mit Freude begeben.
Beatrice Härig
Die Rankenmalereien sind Bestandteil einer Ausstellung zum Naturforscher Johann Kentmann und den Torgauer Gärten des 16. Jahrhunderts im Rahmen der Landesgartenschau in Torgau 2022. Die fortlaufende Restaurierung kann innerhalb der Ausstellung besichtigt werden.
Termin: noch bis zum 9. Oktober 2022
Ort: Stadt- und Kulturgeschichtliches Museum Torgau, Wintergrüne 5, 04860 Torgau
www.museum-torgau.de/index.php/ausstellungen/sonderausstellungen
Die Kunst des Barock hatte eine besondere Vorliebe, real existierende Räume mit Hilfe illusionistischer Malerei auszuweiten. In der Rotunde des Biebricher Schlosses in Wiesbaden erhielt das steinerne Kuppelgewölbe an der Innenseite eine Scheingliederung aus gemalten Pilastern und Kassetten.
Einer glücklichen Fügung ist es zu verdanken, dass in Görlitz ein großartiger Bilderschatz Schicht für Schicht entblättert werden konnte. Eigentlich sollte in dem rund 500 Jahre alten Schwibbogenhaus am Obermarkt 34 eine Wohnung entstehen.
Gerne hätten wir Ihnen an dieser Stelle eine Geschichte über Schätze hinter Klostermauern erzählt, hätten Ihnen von Bibeln mit feinen Miniaturen vorgeschwärmt, von schöngeistiger französischer Literatur des 17. Jahrhunderts oder von Urkunden und Siegeln aus dem Jahr 1316. All diese Kostbarkeiten birgt das ehemalige Franziskanerkloster St. Johannis in Stralsund, eines der ältesten Bauwerke in Norddeutschland. Voller Überraschungen ist auch das Kloster St. Katharinen ganz in der Nähe. Wir möchten die Tore dieser Klöster für Sie öffnen und Sie in die Kreuzgänge, Dormitorien und Remter hineinblicken lassen.
Lassen Sie sich per E-Mail informieren,
wenn eine neue Ausgabe von Monumente
Online erscheint.
Auch kleinste Beträge zählen!
Antwort auf: Direkt auf das Thema antworten
© 2023 Deutsche Stiftung Denkmalschutz • Monumente Online • Schlegelstraße 1 • 53113 Bonn
Spenden | Kontakt | Impressum | Datenschutz