Denkmalarten Technische Denkmale Streiflichter Handwerk Ausgabe Nummer Juni Jahr 2022 Denkmale A-Z M
Deutschland ist ein Brotland und Mühlen sind seine identitätsstiftenden Landmarken. Dabei waren Mühle, Müller und Mahlstein immer auch ein Objekt der Fantasie.
Sanssouci, der Ort ohne Sorgen, den sich Friedrich der Große in Potsdam geschaffen hatte, ließ den König nicht zur Ruhe kommen. Er hatte sein preußisches Versailles mitten in einen Mühlenpark gebaut. Gleich sieben der hölzernen Ungetüme erhoben sich mächtig über seine Sommerresidenz. Vier standen rechts auf dem Bornstedter Mühlenberg oberhalb des Weinberges, zwei weitere links zwischen Schloss und der heutigen Orangerie. Doch direkt neben seinem 1745 gebauten Lustschloss stand die Mühle von Johann Wilhelm Grävenitz.
Die
Bockwindmühle war sieben Jahre zuvor auf dem „wüsten Berg“ errichtet worden,
dessen Eichen zur Trockenlegung der sumpfigen Böden im Stadtgebiet genutzt worden
waren. Frei und ungestört konnten ihre Flügel so den Wind nutzen, um Korn zu
mahlen. Dabei richtete sich der Müller Grävenitz wie üblich nicht nach Uhrzeit
oder Wochentag, sondern nach dem Wind und mahlte Tag und Nacht. Das Geklapper
des Nachbarn ging dem neu zugezogenen König bald so auf die adligen Nerven,
dass er dem Müller anbot, die Mühle zu kaufen. Doch dieser lehnte ab, worauf
ihn der König wütend fragte: „Wisst Ihr auch, guter Mann, dass ich gar nicht
nötig habe, viel Worte zu machen? Ich lasse Euere Mühle taxieren und breche sie
ab. Nehmt alsdann das Geld, oder nehmt es nicht!“ Worauf Grävenitz konterte:
„Gut gesagt, allergnädigster Herr, wenn nur das Hofgericht in Berlin nicht
wäre.“
Die Legende des Müllers von Sanssouci hat keine konkrete historische Vorlage, doch lässt sich daran die Achtung vor dem Handwerk des Müllers erkennen, der sich, zumindest in der Legende, sogar einem König entgegenstellen konnte. Sein Beruf hob sich stark von denen der restlichen Mitglieder der ständischen Gesellschaft ab. Müller waren vom Kriegsdienst befreit und durften sogar sonntags und an Feiertagen arbeiten. Der Mühlenfrieden und das Mahlrecht waren heilig.
Schon im Alten Testament steht geschrieben, „man soll nicht pfänden Mühle und Mühlstein, denn damit pfändet man das Leben“ (5. Mose 24,6). Vor etwa 20.000 Jahren begann der Mensch, Getreidekörner auf Reibsteinen zu mahlen, um das Mehl nach dem Backen für seinen Organismus nutzbar zu machen. „Es ist“, wie das Buch „Die Kulturgeschichte der Mühlen“ von Johannes Mager, Günter Meißner und Wolfgang Orf beschreibt, „das Produkt der kollektiven Erfahrung der Menschen der Steinzeit.“ Dass selbst Göttervater Zeus den Beinamen „Myleus“, der Müller, trug, zeigt, wie wichtig diese Arbeit für die Versorgung der Menschen war.
Doch die
äußerst anstrengende Tätigkeit wurde nicht von göttlichen Männerfiguren,
sondern von bodenständigen Frauen ausgeführt. Das Mahlen war Hand- und vor
allem Hausarbeit. Deshalb wurde es, nach der damaligen Arbeitsteilung in der
Antike, oft von Frauen ausgeübt, oft erzwungenermaßen von Sklavinnen.
Seit etwa 300 vor Christus mahlte man an Handdrehmühlen. Dabei war die Technik im Prinzip dieselbe. Der Reibstein wurde zum Läuferstein, der per Hand durch einen eingesetzten Griff über den Bodenstein gedreht wurde. Um den steigenden Nahrungsmittelbedarf zu decken, gab es bald auch sogenannte Glockenmühlen, an denen viele Menschen gemeinsam drehten. Auch Tiere wurden für den Antrieb genutzt. In Göpel- beziehungsweise Rossmühlen drehten sie sich nach dem Willen ihrer Herren. In Tretmühlen mussten Tiere und sogar Häftlinge oft noch bis ins 19. Jahrhundert schuften. Heute kennen wir sie noch als Metapher für einen gleichförmigen, ermüdenden Berufsalltag.
„Prototyp
der Maschinerie“
Wann die Wasserkraft erstmals zum Mahlen verwendet wurde, ist nicht genau bekannt. Der römische Chronist und Architekturtheoretiker Vitruv beschrieb erstmals um 24 vor Christus eine Wassermühle zur Mehlherstellung. Die Idee der Nutzung von Wasserkraft als Antrieb stammt vermutlich aus dem Zweistromland und wurde dort zur künstlichen Bewässerung mit Schöpfrädern verwendet. Einige Molinologen, Wissenschaftler, die sich mit der Geschichte und der Technik der Mühle beschäftigen, bezeichnen die von Vitruv beschriebene Maschine aufgrund der einfachen Dreiteilung zwischen Antrieb, Übertragungsmechanismus und Arbeitsgerät auch als „Prototyp der Maschinerie“.
Durch
die Römer verbreitete sich die Wassermühle auch auf dem heutigen Gebiet
Deutschlands. An Rhein und Mosel konnten Archäologen frühe Wassermühlen
nachweisen. Die Oberflächenbeschaffenheit und Härte des Eifeler Vulkangesteins
wies besonders gute Mahleigenschaften auf, wodurch die Region zum wichtigsten
Abbaugebiet für Mühlsteinmaterial im Römischen Reich wurde. Schon zum Ende des
römischen Imperiums wurden auch Schiffsmühlen eingesetzt. Im Mittelalter gab es
auf dem Rhein bei Köln ganze Kaskaden an Schiffsmühlen.
Wassermühlen waren vor allem in den deutschen Mittelgebirgen weitverbreitet, aber auch an vielen anderen Orten, an denen man Fließgewässer nutzbar machen konnte. Ein besonderes Kleinod ist die von der Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) geförderte Meuschenmühle in Alfdorf. Der aufwendig gestaltete Stein- und Fachwerkbau stammt aus dem Jahr 1787, doch drehte sich an ihrem Standort wohl schon im 13. Jahrhundert ein Mühlrad. Mit einem Durchmesser von rund acht Metern und 70 Schaufeln ist sie das größte Mühlrad im Schwäbischen Wald. Die Wasserkraft des vorbeilaufenden Eisenbaches reicht aus, um über eine Nebenwelle zusätzlich zu den zwei Mahl- und einem Gerbgang noch ein Butterfass betreiben zu können.
Die
Meuschenmühle, die heute regenerativen elektrischen Strom erzeugt, führt das
ganze Jahr Wasser. Viele andere Wassermühlen vereisen allerdings im Winter oder
müssen einen zu starken Wasserdruck bei der Schneeschmelze befürchten. Aus
diesem Grund mahlen sie zu dieser Zeit nur unregelmäßig. Abhilfe schuf die im
12. Jahrhundert erstmals in Erscheinung getretene Windmühle. Heute geht man
davon aus, dass sie im Bereich des Ärmelkanals entwickelt wurde. Ein
Technologietransfer aus anderen Weltregionen ist bisher nicht nachweisbar.
Manche sehr einfallsreiche Mühlenbauer kombinierten dabei Wind und Wasser. Die Hüvener Mühle im Emsland nahe Papenburg existierte als Wassermühle schon seit Anfang des 16. Jahrhunderts. Nach einem Brand und aufgrund des Umstandes, dass das Flüsschen der Mittelradde in regenarmer Zeit zu wenig Wasser führt, setzte man 1851 auf die Wassermühle eine Galerieholländerwindmühle. Durch eine Kupplung kann die Windenergie zugeschaltet werden. Feuchteschäden und Schädlingsbefall gefährdeten die Standsicherheit der Mühle Ende des 20. Jahrhunderts. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz half 2005, die Mühle zu restaurieren, damit dieser selten erhaltene Mühlentyp bestehen bleibt.
„Der Müller ist ein adlig Kind …“
Der Aufstieg der Windmühle in Europa begann mit der Bockwindmühle, deren gesamte Konstruktion sich auf einem Bock in den Wind drehen ließ. Aufgrund ihres hierzulande hohen Verbreitungsgrades wird sie auch als Deutsche Mühle bezeichnet. Andersherum wurde die im 14. Jahrhundert am Niederrhein entwickelte Kappenwindmühle als Holländermühle bekannt, da sie in den Niederlanden bevorzugt als Wasserschöpfmühle genutzt wurde. Die Handhabung erleichtert sich bei diesem Mühlentyp enorm, da, anders als bei der Bockwindmühle, nur die Kappe bewegt werden muss, an der die Flügel befestigt sind. Die Holländermühle wurde zum Erfolgsprodukt. Wichtig war dabei, dass man die Flügel für die Wartung leicht erreichen konnte, entweder direkt vom Boden, einer Erhöhung oder von einer angebauten Galerie aus. Dadurch entstand eine große Bandbreite an Variationen, die sich auch in den DSD-Förderprojekten widerspiegelt, die einen Großteil der technischen Entwicklungsstufen abdecken. So werden unter anderem Durchfahrtsholländer-, Wallholländer-, Kellerholländer-, Erdholländer- und Galerieholländermühlen unterstützt.
Die deutsche Paltrockmühle ähnelt einer gleichnamigen holländischen Erfindung des 17. Jahrhunderts, die aufgrund ihrer weit herabgezogenen Silhouette aussah wie der Mantelrock eines Pfälzer Einwanderers. Unter ihrem „Pfalzrock“ drehte sich die Mühle im späten 19. Jahrhundert auf einem Rollenkranz und ließ sich dadurch sehr viel einfacher in den Wind ausrichten. Viele Bockmühlen wurden in Deutschland zu Paltrockmühlen umgerüstet, so auch die Windmühle Hädicke in Brehna östlich von Halle. Nach Sturmschäden 1946 an der hölzernen Drehvorrichtung erhielt sie ihren „Pfalzrock“.
Seit 1998 fördert die DSD den Erhalt der Windmühle: Zurzeit werden Rute, Rutenkopf, Bremsen und die Jalousieflügel instand gesetzt. Dabei ist die Getreidemühle zwar die häufigste, aber nicht die einzige Anwendungsform für Mühlentechnik. Denn in Mühlen werden die unterschiedlichsten Vorprodukte gemahlen, zerrieben, gestampft, geschliffen, gesägt, gewalkt oder sonst wie bearbeitet. Auch Wasser kann geschöpft oder Energie erzeugt werden. „Die kleine Mühlenkunde“ von Torsten Rüdinger und Philipp Oppermann geht von 180 verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten aus. Die Erhaltung dieses breiten Spektrums hat sich die DSD zur Aufgabe gemacht. So wurde die Papiermühle im bayrischen Homburg am Main genauso unterstützt wie die Gipsmühle bei Stühlungen-Blumegg im Süden Baden- Württembergs, die Pockauer Ölmühle im sächsischen Erzgebirge oder die Mahl- und Sägemühle Blenhorst im niedersächsischen Balge.
Mit der Wassermühle hatte die Windmühle gemeinsam, dass sie dort stand, wo sie ihren Antrieb erhielt. Das heißt möglichst frei und erhöht, was sehr oft dazu führte, dass ihr Standort abgelegen und weiter entfernt von den Siedlungszentren lag. Die für viele Menschen im ausgehenden Mittelalter geheimnisvolle Technik, ihre Räder und Flügel, die knackten und knirschten, verlieh der Mühle etwas Unheimliches.
Auf einer kleinen Anhöhe in Ruchow bei Mustin in Mecklenburg-Vorpommern steht eine Erdholländerwindmühle, deren Flügel bis auf Kniehöhe zum Boden reichen. Früher sagte man sich in der Region, dass in Ruchow „der Teufel über dem Herrgott stehe“, weil „die Mühle höher steigt als die Kirche“. Seit einigen Jahren schon gehört die Kirche aus dem 13. Jahrhundert zu den Förderprojekten der DSD, und auch die Generalsanierung der Mühle aus dem Ende des 19. Jahrhunderts wird seit 2017 unterstützt. Dadurch hilft der Denkmalschutz, das Dorfbild und damit ein Stück regionaler Identität zu erhalten. Der Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU) hat aus diesem Grund historische Mühlen auch zum Kulturdenkmal 2022 gewählt.
Doch der uralte Aberglaube, der in Ruchow überliefert ist, taucht ähnlich in vielen anderen Regionen und Geschichten über Mühlen auf. Dabei wurde die Fantasie der Menschen besonders von der Getreidemühle befeuert. Die Müllersleute, die weit ab von der Dorfgemeinschaft hausten, schienen verdächtig. Das Unverständnis über den technischen Vorgang des Mahlens führte dazu, dass man den Müller im Bunde mit dunklen Mächten sah. So etwa in der Harzer Sage der „Teufelsmühle auf dem Rammberge“ oder auch im Roman „Die schwarze Mühle“ von Jurij Brězan und dem Jugendbuch „Krabat“ von Otfried Preußler, die beide auf einer sorbischen Volkssage beruhen.
„… ihm gehorsam sind Wasser und Wind!“
Dem Müller wurde auch Unredlichkeit vorgeworfen. Grund war hierfür das Gewerbebannrecht, das die Bauern verpflichtete, bei einer bestimmten Mühle zu mahlen. Der Mühlenzwang oder auch Mühlenbann sprach dem jeweiligen Grundherren seit dem 12. Jahrhundert das alleinige Recht zum Bau und Betrieb einer Mühle zu. Dieses verpachtete er an einen Mühlenbauer beziehungsweise Müller, der dadurch dem Grundherren verpflichtet blieb und für diesen auch den Zehnten eintreiben musste.
Dem Bauern erschien es deswegen oft, dass er für sein Korn zu wenig Mehl erhalte. „Neben jeder Mühle steht ein Sandberg“ heißt ein Sprichwort. Der diebische Müller, der das Mehl streckte und dessen Mühlräder mit „allen Wassern gewaschen“ seien, wurde lange Zeit als nicht zunftfähig angesehen. Diese Standesvorurteile gingen so weit, dass bis ins 17. Jahrhundert sogar ihren Söhnen aufgrund der ihnen angedichteten „unehrlichen“ Herkunft die Aufnahme in andere Zünfte verweigert wurde. Hans Sachs, aktives Zunftmitglied der Schuhmacher und Nürnberger Meistersinger, nahm gleich in mehreren Spruchgedichten den Müller auf die Schippe.
In der Historischen Mühle in Sanssouci wird immer noch fleißig gemahlen, pro Tag gut eine Tonne biozertifiziertes Mehl. Man sei ein „produzierendes Mühlenmuseum“, erklärt Leiter und Molinologe Torsten Rüdinger. Als Nachfolger des legendären Müller Grävenitz will sich Rüdinger aber nicht bezeichnen, er sei eher der „Hilfsmüller“.
Doch stammt auch Rüdinger aus einer alten Müllerfamilie und ist selbst am Rande eines Mühlenhofes im brandenburgischen Neuzelle groß geworden. Gelernt hat er das Mühlenhandwerk „learning by doing“. Auch weil jede Mühle anders ist. Um sie wirklich zu verstehen, braucht man ein „Leben lang“, erklärt er. „Früher ging die Ausbildung drei Jahre, damit man alle Jahreszeiten mehrfach durchläuft. Speziell bei einer Windmühle ist das wichtig, um die Mühle mit ihren Geräuschen und ihren Eigenheiten zu kennen.“
Die Mühlenvereinigung Niedersachsen-Bremen bietet eine einjährige Wochenendausbildung zum Freiwilligen Müller an, die Britzer Mühle in Berlin- Neukölln einen Hobbymüllerkurs. Beide vermitteln Grundlagen, sind also nicht mit dem Ausbildungsberuf eines Müllers zu verwechseln.
Vielmehr geht
es darum, einerseits das Kaputtstehen historischer Mühlen zu verhindern,
andererseits lebendiges Handwerk zu erhalten. Diese Handwerksmüllerei wurde
2018 von der UNESCO zum Immateriellen Kulturerbe erhoben. Auch die DSD ist
aktiv: Seit 2016 fördert die Stiftung Historische Mühlen die „Bewahrung ihrer
regionalen und technischen Vielfalt“. Interessierte können sich an die
Landesverbände der Deutschen Gesellschaft für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung (DGM)
wenden. Zu Pfingsten laden diese zum bundesweiten Deutschen Mühlentag ein. Na
dann, „Glück zu“, wie der Müller sagt.
Der Müllerin erging es dabei nicht viel besser als ihrem Mann. Als buhlerische Gattin hörnte sie ihren als einfältig dargestellten Ehemann in Lied- und Dichtkunst. Auch hier spielte der Standort der Mühle außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung eine Rolle. Die abgelegene Mühle bot Raum für Fantasie und Schwänke über die „schöne Müllerin“. Schon seit dem 15. Jahrhundert ist das Volkslied der „stolzen Müllerin“ bekannt, die die ganze Nacht mit einem „Reutersknaben“ gemahlen hat. Dabei ist die Mühle der Ort der Verwandlung von Korn zu Mehl und damit, ähnlich einem sakralen Reinigungsakt, Teil des ewigen Kreislaufes von Geburt und Tod. Die Mechanik der Räder gehört ebenfalls zur Fruchtbarkeitssymbolik der Mühle. Heute werden viele romantische Mühlen für Hochzeiten und „Vermehlungen“ genutzt.
Auch in einigen Förderprojekten der DSD wie der Brettacher Wassermühle im Landkreis Heilbronn geben sich Paare das Jawort. Die von der DSD geförderte Windmühle Aurora im dithmarsischen Weddingstedt wirbt sogar ganz ausdrücklich als „Hochzeitsmühle“. Traditionell stehen die Windmühlenflügel bei einer Hochzeit dann leicht schräg. Denn früher nutzten die Müller ihre weithin sichtbaren Mühlen, um über Distanzen zu kommunizieren. Man unterschied zwischen vier arretierten Stellungen: der langen oder kurzen Arbeitspause sowie der Freuden- und Trauerschere.
Im 18. Jahrhundert veränderte sich das Bild des Müllers. Dazu beigetragen hat die Bildung von Müllerinnungen, die eigene Traditionen und Bräuche förderten. Seine für die Versorgung der Gesellschaft so wichtige Arbeit wurde dadurch besser verstanden. Die von Johann Peter Hebel in seinem „Rheinischen Schatzkästlein“ wiedergegebene „Legende des Müllers von Sanssouci“ zeigt einen bodenständigen, fleißigen und rechtschaffenen Bürger.
Die nun umgekehrt einsetzende Verklärung des Müllers betraf auch seine Frau, die von der „buhlerischen“ zur „artigen“ Müllerin wurde. Diese Mühlenromantik erfasste auch Johann Wolfgang von Goethe, der auf Reisen durch Süddeutschland vom lyrischen Klang der Wassermühlen erfasst wurde. Doch es war der Text des Schulmeisters Ernst Anschütz, der das Klappern der „Mühle am rauschenden Bach“ in Tausenden Schülerkehlen ertönen ließ.
Das „Moulin Rouge“ in Paris spielte weniger jugendfrei mit der Mühle als Ort des Kennenlernens und Amüsements. Obwohl es sich bei der „Roten Mühle“ nur um eine Nachbildung handelt, ist der Montmartre als höchste natürliche Erhebung der französischen Hauptstadt ein bekannter historischer Mühlenberg. In Deutschland sind uns ebenfalls viele alte Mühlenstandorte aufgrund der Namensgebung erhalten geblieben: Mühlhausen, Mühlacker, Mühlheim, Mühldorf, Mühlberg, Mühlbach sind nur einige, die man aufzählen könnte.
Schlesien ist aus mehreren Gründen ein Mühlenland, einerseits wurde hier Anfang des 19. Jahrhunderts die erste Dampfmühle Deutschlands errichtet, andererseits lebte hier einer der größten Mühlenlyriker. Joseph von Eichendorff hörte das „Mühlrad gehen“ und erneuerte das uralte Mühlenmotiv des „Todes im Mühlbach“. Sein Zeitgenosse Carl Friedrich Zöllner verewigte 1844 weit fröhlicher den arbeitsamen Müller, der das Wandern als „Müllers Lust“ vom Wasser selbst gelernt habe. Der Text basiert dabei auf der Gedichtsammlung „Die schöne Müllerin“ von Wilhelm Müller, dessen Name auch darauf verweist, dass Müller der häufigste Nachname in Deutschland ist.
„… Denn nun geht es nach der Mühle.“
Bei Max und Moritz gibt es ebenfalls einen Meister Müller, dem das Dorf sogar applaudiert, als er die Lausbuben „rickeracke, rickeracke“ zu Gänsefutter zermahlt. Nur wenige Jahre zuvor hatte Autor Wilhelm Busch allerdings noch einen „bösen Müller“ gezeichnet, der den Esel des braven Bauersmannes an den Windmühlenflügeln erhängte und dafür von diesem die Bockmühle umgesägt bekam. Zumindest die Wilhelm-Busch-Wassermühle in Ebergötzen in der Nähe von Göttingen kann heute noch besichtigt werden.
Doch auch außerhalb der Lyrik und der Legende war die Mühle und vor allem die Windmühle auch immer ein Ort des Konfliktes. Der strategisch günstige Mühlenberg wurde von vielen Heerführern im Krieg als Beobachtungspunkt genutzt. So auch von Napoleon Bonaparte, der etwa bei der Völkerschlacht von Leipzig seinen Befehlsstand bei der Quandtschen Tabaksmühle auf der Marienhöhe aufschlug. Wie in vielen Kriegen wurde auch diese Mühle bei der Schlacht zerstört. Bei Beschuss, aber auch durch Brandschatzung, um dem Gegner und der lokalen Bevölkerung die Nahrungsgrundlage zu entziehen, standen Mühlen im Kreuzfeuer. Am Ort der Mühle in Leipzig erinnert heute der „Napoleonstein“ daran, dass der Korse hier den Rückzugsbefehl gegeben haben soll.
Doch führten Kriege auch zu einer weiteren Entwicklung der Mühlen. Schon früh wurden Windmühlen in die Stadtbefestigung integriert, um sie einerseits im Krieg als Wehrturm zu nutzen und andererseits in Friedenszeiten die erhöhten Mauern zur Getreideversorgung zu nutzen. Die Stadt Köln besaß gleich mehrere Windmühlen. Unter ihnen auch die Pantaleonsmühle, die 1730 auf das Bachtor gebaut wurde und mit 30 Metern die höchste Windmühle Deutschlands war. Sie brannte 1880 ab und wurde abgetragen. Auch die von der DSD geförderte Ulrepforte, in der heute der Karnevalsverein „Rote Funken“ sein Hauptquartier hat, war bis ins 19. Jahrhundert ein Windmühlenturm.
In Emden nutzte man ebenfalls die Wallbefestigungsanlagen als
Windmühlenstandort. 1804 erbaute man dort die Mühle „De Vrouw Johanna“. Obwohl
Mühlen meistens nach dem Ort oder dem Besitzer benannt wurden, blühte in Deutschland
auch die Tradition, sie mit weiblichen Namen oder guten Wünschen zu versehen.
Ebenfalls in Ostfriesland, bei Neuharlingersiel, steht die im selben Jahr wie „Die
Frau Johanna“ erbaute Seriemer Holländermühle „De Goede Verwagting“. Beide
gehören zu DSD-Förderprojekten und werden heute touristisch genutzt. „Die gute
Erwartung“ war eine Mühle, die durch einen Erlass Friedrich Wilhelms III.
erbaut wurde. Denn die Mühlenwirtschaft wurde von den Preußenkönigen durchaus
gefördert.
Der Alte Fritz war ein moderner Mensch und störte sich ganz und gar nicht an den Mühlen in Sanssouci. Er bezeichnete sie sogar als „Zierde seines Schlosses“. Eher war das Schloss selbst Grund für einen Nachbarschaftszwist. Denn die Gartengestaltung und vor allem die schon bald wieder hoch gewachsenen Bäume des Schlossparks nahmen dem Müller Grävenitz den Wind aus den Mühlenflügeln. Doch bald schon bauten holländische Einwanderer eine höhere Galerieholländerwindmühle. 1861 wurde sie unter Denkmalschutz gestellt, brannte allerdings in den letzten Kriegstagen 1945 ab. Schon zu DDR-Zeiten engagierten sich Potsdamer Bürger, ihre „Historische Mühle“ wiederaufzubauen. Kurz nach der Wiedervereinigung drehten sich ihre Flügel wie zu Friedrichs Zeiten.
Viele andere Mühlen überlebten das mit der Industrialisierung einsetzende „Mühlensterben“ nicht. Einige Müller versuchten noch, mit der technischen Entwicklung mitzuhalten und Dampfmaschinen oder Elektromotoren einzubauen. Die Mühlenanlage Menke im münsterländischen Südlohn baute 1876 neben ihre Holländerwindmühle eine Dampfmühle und rüstete 1951 auch noch auf einen Dieselmotor um. Das Ensemble wird ebenso von der DSD gefördert wie die Turmwindmühle von Stommeln nordwestlich von Köln. Dort zeigte man sich besonders erfindungsreich und montierte 1937 Aluminiumflügel an die über achtzigjährige Windmühle. Diese Bilau-Flügel-Konstruktion – benannt nach dem Flugzeugtechniker, der sie entwickelt hat – bewegt je nach Windlage die Klappen, um die Drehgeschwindigkeit zu regeln.
Doch nach einem kurzen Aufflackern der Notmüllerei in der Nachkriegszeit erlosch das Licht in vielen Mühlen. Das Mühlengesetz von 1957 förderte in Westdeutschland mit Prämien die Aufgabe vieler Kleinmüller. In der DDR arbeiteten sie noch etwas länger. Nach der Wiedervereinigung setzte aber auch hier ein drittes Mühlensterben ein. Denn sobald die Räder stillstanden, begann der Verfall. Um ihn aufzuhalten, schlossen sich in vielen Regionen in Ost und West Menschen zusammen, um ihre Mühle zu retten, die nicht nur ein technisches Denkmal, sondern auch ein landschaftsprägendes und identitätsstiftendes Zeugnis vergangener Mühlenkultur ist.
Stephan Kroener
Alte Mühlen beeindrucken, als technische Meisterleistungen oder prägende Landmarken. Wenn Wind und Wasser die Mühlenräder und Mühlenflügel in Bewegung setzen und sich die tonnenschweren Mahlsteine zu drehen beginnen, ziehen einen diese Bauwerke in den Bann.
Die einsturzgefährdete Wassermühle im Dorf Roidin bei Demmin ist eines der wenigen technischen Denkmale in Vorpommern. Wesentliche Teile der Mühlentechnik haben sich erhalten.
Historische Windmühlen in Deutschland – früher Wahrzeichen, technische Wunder und Lebensmittellieferanten. Welche Rolle spielen sie heute?
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