Denkmalarten Kleine und große Kirchen Stile und Epochen 1700 Denkmale in Gefahr Ausgabe Nummer Juni Jahr 2022 Denkmale A-Z G
Die 1.320 Pfeifen der Michael-Hartung-Orgel im thüringischen Gebesee sind stumm: Seit über 41 Jahren geht kein Lüftchen mehr durch Orgelwerk und Pfeifen. Die Restaurierung soll der barocken Rarität und der Gemeinde wieder eine volle Stimme schenken.
Bereits der Musikwissenschaftler und Organist Albert Schweitzer wusste: „Eine Kirche ohne Orgel ist wie ein Körper ohne Seele.“ Anna-Maria Heinke kann dem nur beipflichten. Die studierte Kirchenmusikerin weiß, wie es ist, wenn die Orgel der Gemeinde nicht mehr spielt. Seit 2015 arbeitet sie als Kantorin und Organistin in der Stadt Gebesee und würde liebend gerne in die Tasten der Michael-Hartung-Orgel von 1728 greifen. Gottesdienste, Feste und Chorproben begleitet sie aber nicht mit der weißgoldenen Barockorgel, sondern mit einem elektronischen Exemplar. „Der Anschlag der Tasten, das Ansprechen der Pfeifen und der einnehmende Klang einer historischen Orgel sind viel intensiver. Auch für das Publikum“, erzählt die 64-Jährige. Sie wünscht sich für die Gemeinde den barocken Schwung und den vollen Klang der Orgel zurück. Das prachtvolle Musikdenkmal der Sankt-Laurentius-Kirche ist aber seit über 41 Jahren verstummt. „Dabei haben Kirchen- und Orgelmusik hier einen hohen Stellenwert.“
Die zweimanualige Orgel mit 21 klingenden Registern leidet: Die
mächtige Balganlage ist ausgebaut, die Windlade hat massive Risse, große Teile
des Metallpfeifenwerkes sind an Füßen und Mündern eingerissen und eingeknickt, die Klaviatur
hängt und die Farbfassung des Orgelprospektes blättert. Schon die Kirche, die
im 16. Jahrhundert zu ihrer jetzigen Größe umgebaut wurde, musste vor dem Verfall gerettet
werden. Ein Großteil der Balken und Sparren im Dachstuhl faulte. Im Dezember
1980 wurde der Bau wegen akuter Einsturzgefährdung gesperrt. Dank großer Eigeninitiative der
Gemeinde konnte das Gotteshaus vor dem drohenden Abriss gerettet werden. Im
Laufe der Jahre wurden denkmalgerechte Umbauten vorgenommen, die teilweise auch die
Orgel betrafen. Eine unzureichende Dachsanierung in DDR-Zeiten führte dazu,
dass 2017 unter anderem das
Dachtragewerk erneut saniert wurde.
Wenn die Orgel Luft braucht
Nachdem das Dach nun fertig ist, wollen wir endlich die Orgel
retten!“, erzählt Georg Steiger (74). Ein Besuch bei den engagierten Orgelhelfern
ist ein Crashkurs in Sachen Orgelbau und -rettung. Steiger kennt das Instrument
sein Leben lang und weiß sogar noch, wie es klingt. Als Orgelbub und Sohn des
damaligen Pfarrers und der früheren Organistin trat er selbst die Bälge. Früher
gewährleisteten diese Helfer die Luftversorgung des Instrumentes. Die Hartung-Orgel
verfügte über drei große Keilbälge, die noch immer im Original erhalten sind.
Damals waren sie in einem Balghaus installiert, heute lagern alle drei in einem
der hinteren Kirchenräume, da das Balghaus abgerissen wurde. Im Laufe der Zeit
hat das Material sehr gelitten: Die rissigen Bälge können nicht mehr „atmen“
und keine Luft mehr speichern.
Geplant ist, dass einer von ihnen komplett zerlegt und mit historischen Arbeitsweisen und traditionellen Materialien restauriert wird. Die aufwendige Verleimung und neue Belederung soll dem originalen Zustand entsprechen. „Bälge sind die Lunge der Orgel. Und wer schließt schon dauerhaft eine Herz-Lungen-Maschine an, wenn das Organ selbst wieder funktioniert“, erklärt der Orgelbaumeister Joachim Stade (61) der Firma Orgelbau Waltershausen GmbH. Bei der Hartung-Orgel wird der historische Balg zur Druckregulierung eingesetzt und ein Schleudergebläse erzeugt den Wind. Aber was tun, wenn neben der Lunge auch das Herz des Instrumentes nicht mehr funktioniert?
Auch die Windlade ist noch im Original erhalten. Sie ist das Herzstück
dieser Orgel: große, über Kreuz verleimte und in Kanzellen eingeteilte
Holzteile, auf denen die Pfeifen des Instrumentes stehen. Durch Ventile wird die Luft genau zur gewünschten
Pfeife geführt. Bei der Hartung-Orgel funktioniert das nicht mehr. „Im
momentanen Zustand würden die Pfeifen nur noch fauchen, heulen und jaulen“,
sagt Stade. Denn das Holz hat massive Risse. Der Orgelbauer spricht von
Schwundrissen, die im Laufe der Jahrhunderte entstehen und nur repariert und
nicht fachgerecht restauriert wurden. Das Material soll wieder dicht und
störunanfälliger werden. Denn trockene, heiße Sommer und nasse, kalte Winter
setzen dem Holz, aber auch Leder-, Metall- und Drahtteilen des Instrumentes zu.
Die Restaurierung am Herzen der Orgel ist aufwendig, anspruchsvoll und zeitintensiv. Vor
allem jedoch wichtig für einen reibungslosen technischen Ablauf und zuträglich
für eine zukünftige lange Lebensdauer des Denkmals.
Eingeknickte Füße und rissige Münder
Damit die Orgel wieder rundläuft, müssen aber auch die insgesamt 1.320 Pfeifen wieder funktionieren. Gut 1.000 Stück sind noch im Original erhalten. Leider größtenteils in einem schlechten Zustand. Gerade das weiche und relativ dünne Material der Metallpfeifen ist durch unfachmännische Stimmungen geknickt und gerissen. Der Restaurierungsbedarf ist erheblich: Die empfindlichen Pfeifen müssen nachgerundet, stabilisiert und die Stimmeinrichtungen repariert werden. Im Zuge dessen werden auch verlorene oder nicht mehr verwendbare Pfeifen neu angefertigt. Gereinigt werden sie alle – auch die Holzpfeifen.
Ihnen hat vor allem die Zeit zugesetzt: Unter anderem haben sich Würmer durch das Holz gefressen. Damit die Pfeifen wieder Dichtigkeit und den vollen Klang erlangen, müssen sie ausgespänt, nachgeleimt und ausgestrichen werden. Ein kleiner Teil der schon gekröpften Pfeifen muss zudem noch mal umgearbeitet werden. Die Kirchendecke hängt durch Baumaßnahmen etwas tiefer, und diese 15 Zentimeter fehlen den Pfeifen. Als Restaurierungsziel wird der Zustand vor 1869 angestrebt. Die damalige Dispositionsumgestaltung soll beibehalten werden. Dafür sprechen sich auch das Thüringische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie sowie der Orgelsachverständige Albrecht Lobenstein aus, die das Projekt fachlich unterstützen.
Selbst bei Traktur und Spieltisch ist der Verschleiß erkennbar. Die Tontrakturen müssen gänzlich überarbeitet werden, weil unter anderem die Drahtwaren korrodieren. „Die Tastatur ist mit Abstand das Traurigste, was ich bisher gesehen habe“, kommentiert Pfarrerin Anika Scheinemann (47). Sie ist seit über einem Jahr Teil der Gemeinde und engagiert sich für die Erhaltung der Orgel. Dennoch betont sie, dass Georg Steiger die treibende Kraft für die Rettung sei. „Ganz ohne einen Förderverein haben wir seit 2016 knapp 30.000 Euro gesammelt“, erzählt die Pfarrerin voller Bewunderung für den Einsatz. Sie ergänzt, dass der Erfolg der Spendenaktion auch eindrucksvoll beweise, wie wichtig die Orgel für die Einwohner sei.
Langer Atem
Für die aufwendige Restaurierung des Orgelwerkes werden über 190.000 Euro benötigt: Ob ein Registerzug für 90 Euro oder kleine und große Metallpfeifen für 200 und 350 Euro. Alle schadhaften Teile müssen ausgebaut und in die Werkstatt gebracht werden. „Für die Orgel wäre es ideal, wenn parallel die Restaurierung des Gehäuses erfolgt“, sagt der Orgelbauer. Zusammen mit dem Altar- und Kanzelprospekt bildet das reich verzierte Orgelprospekt eine bemerkenswerte künstlerische Einheit. Die Restaurierung würde weitere 91.000 Euro kosten. Das gesamte Denkmal ist ein wichtiger Bestandteil der bedeutenden Thüringer Orgellandschaft. Vermutlich ist es die erste Orgel von Johann Michael Hartung. Er war beeinflusst von den Barockorgelbauern Johann Georg Schröter und Franciscus Volckland. Zudem handelt es sich um das einzige fast vollständig erhaltene und eingebaute Instrument von ihm: bis auf Verluste im Pfeifenbestand und bei der Windanlage sowie eine Dispositionsumgestaltung und spätere Trakturumhängung.
Die Anstrengungen der Gemeinde, diese einmalige Orgel vor weiteren Schäden und Eingriffen zu schützen, ist für die lokale Orgellandschaft und Bautradition bedeutsam. Allerdings ist es unmöglich, die Restaurierung vollständig aus eigenen Mitteln zu schultern. Georg Steiger zeigt sich zuversichtlich: „Jetzt bewegt sich etwas. Das ist wunderbar. Damit rückt unser Ziel näher, die Orgel bis zum 300-jährigen Jubiläum 2028 wieder zum Klingen zu bringen.“
Unterstützen Sie die musische Gemeinde, ihre barocke Orgel in alter „Bach-Tradition“ wieder als Kircheninstrument nutzen zu können. Denn nur so kann Anna-Maria Heinke das prächtige Instrument mit Herz, Lunge und ganz viel Stimme endlich wieder spielen.
Svenja Brüggemann
St. Laurentius
Marktplatz 17
99189 Gebesee
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Man könnte ihn für ein Pseudonym halten, so wie Novalis oder Le Corbusier, aber der Name ist zutiefst bürgerlich. Er wurzelt fest und bodenständig im Handwerk. Der Orgelbauer Arp Schnitger (1648-1719) entstammt einer angesehenen Tischlerfamilie aus Schmalenfleth im niedersächsischen Landkreis Wesermarsch.
Die größte Barockorgel zwischen Weser und Elbe muss dringend restauriert werden. Dafür wird das hochkomplexe Instrument aus dem kleinen Städtchen Otterndorf in Tausende Einzelteile zerlegt, auch die 2.676 Pfeifen müssen ausgebaut werden.
Nach ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr bei der Orgelmanufaktur Klais macht Judith Macherey dort die Ausbildung zur Orgelbauerin.
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