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Künstler Karl Günter Wolf suchte Platz für sein Atelier und fand einen Schatz, ein vergessenes Kloster. Bauforscher Lutz Scherf lüftet dessen Geheimnisse.
So eingebettet es im thüringischen Orlamünde, einem Städtchen auf einem Bergrücken oberhalb der Saale, auch liegt, das leerstehende „Alte Kloster“ ist ein archaisches Bauwerk: Teile seiner Mauern stammen aus einem hier 1331 gegründeten Kloster. Fragmente der einstigen Klosterkirche und Klausurgebäude wurden genutzt, das mittelalterliche Kellergewölbe weiterverwendet. Sein eigentliches Baudatum ist 1544. Das weiß man ganz genau, denn 2020 wurde das Gebäude auf Herz und Nieren geprüft und dabei aus Decken und Dachbalken Bohrkerne entnommen und untersucht.
Nicht nur das Holz verriet sein Alter. Die gesamte Konstruktion erzählt seine Vergangenheit. Dass dem Alten Kloster so auf den Grund gegangen werden konnte, dafür sorgte Glück, Zufall und das Engagement eines Unerschrockenen. Der namhafte Kölner Bildhauer Karl Günter Wolf war bei der Suche nach mehr Platz für seine Kunst auf das verlassene Kloster in Orlamünde gestoßen: groß, unbewohnt und sehr charmant gelegen. Zum ehemaligen Komplex mit Innenhof gehört noch das sogenannte „Neue Kloster“ – früher als Puppenfabrik genutzt – und eine große Scheune. Wolf, der den Wert des Gebäudes spürte, nahm Kontakt zur Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) auf. Als deren Mitarbeiter zur Besichtigung kamen, stockte ihnen der Atem: Ihnen war sofort bewusst, dass sich hier ein Denkmalschatz offenbarte. Auch die Verantwortlichen vom Landesdenkmalamt staunten nicht schlecht. DSD-Kunsthistoriker Guido Siebert: „Es war eine Entdeckung für alle Beteiligten!“ Der erste Schritt zur Rettung und für eine angemessene Zukunft des Gebäudes wurde in Auftrag gegeben, nämlich eine fundierte Bauforschung – womit der erfahrene Spezialist Lutz Scherf ins Spiel kam.
Bauforschung als Spurensuche
Erste Maßnahme einer jeden Bauforschung ist die Sondierung der Quellenlage. In Archiven und Registern wird nach Dokumenten, Abbildungen und Literatur gefragt. In Bezug auf das Alte Kloster war die Suche schnell beendet, denn die Fundlage stellte sich als äußerst mager dar. Erzählt Scherf, schaut auf die Fassade und deutet auf unterschiedliche Fensterrahmungen, den gotisierenden Türbogen, die Strebepfeiler der ehemaligen Kirche und ein Stück Fachwerk: „Dieser Teil des Gebäudes wurde an den mittelalterlichen steinernen Kernbau angesetzt, denn erst ab etwa 1500 wurde es in dieser Region üblich, mit Fachwerk zu bauen.“
Die Arbeit am Objekt selbst beginnt mit der zeichnerischen Erfassung des Gebäudes. Scherf erstellte ein Bestandsaufmaß mit allen Grundrissen, zwei Schnitten, sowie drei Außenansichten. Größte Genauigkeit ist dabei erforderlich. So wurden auch alle erkennbaren Abbundzeichen in die Bestandspläne aufgenommen. Die Markierungen der Zimmerleute verraten anhand ihrer Nummerierung den Bauablauf. Schlussfolgerungen wurden gemacht. „1521 brannten die Kirche und die umliegenden Häuser ab. Als das jetzige Gebäude um 1540 errichtet wurde, verwendete man das alte steinerne Sitznischeneingangsportal einfach wieder“, erläutert Scherf.
Erfahrung und genaue Beobachtung sind die wichtigsten Werkzeuge der Bauforscher. Der gefangene Raum im Erdgeschoss zum Beispiel, über den gruselige Geschichten als Kerker erzählt wurden, scheint Scherf ein Archivraum gewesen zu sein mit der so einfachen wie schlüssigen Erklärung: „Die Tür ging nach innen auf, was man am Gewände und an den Türangeln sieht. Das ist unsinnig für eine Gefängniszelle.“ Geeignete Stellen für Bauteilöffnungen, um Konstruktions- und Schadensanalysen zu ermöglichen, wurden eng mit den Denkmalschutzbehörden abgesprochen. Sie werden, wie auch die der Proben der dendrochronologischen Untersuchungen, in den Grundrissplänen eingetragen. Wichtig schließlich für jede Bauforschung: die fotografische Dokumentation der Räume.
Was genau ist die Dendrochronologie?
Der Begriff Dendrochronologie bezeichnet die Methode für eine Holzaltersbestimmung anhand von Baumjahresringen. Dafür werden Standard-Jahrringchronologien erstellt, die mit Hilfe von Überlappungen, Crossdating genannt, Jahrhunderte in die Vergangenheit führen können. Es gibt Jahrringtabellen für einzelne Regionen, die die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen abbilden, sowie auch für einzelne Baumsorten. Die mitteleuropäische Eichenchronologie reicht zum Beispiel 10.000 Jahre zurück. Computergestützt werden im Labor die Übereinstimmungen von Probe und Chronologien ermittelt. Wenn ein Holz keiner Region zugeordnet werden kann, ist eine Analyse nicht durchführbar. Wichtig zum Abzählen der Jahresringe ist die sogenannte Waldkante, der
zuletzt gebildete Ring des Baumes. Mit Hilfe der Dendrochronologie
können historische Klimaereignisse rekonstruiert und archäologische
Funde zeitlich eingeordnet werden. Gebäude können anhand der verwendeten
Hölzer datiert werden, da die Hölzer in der Regel saftfrisch, also im
Jahr der Fällung, verbaut wurden.
Lust auf mehr Denkmal-Spurensuche? Auf der Webseite zum DSD-Jahresthema "KulturSpur – ein Fall für den Denkmalschutz" finden Sie viele weitere Informationen zu spannenden Themen wie der Dendrochronologie.
Das Ergebnis der Arbeiten ist ein Bericht mit einem Baualtersplan in Farbe und zeichnerischen Rekonstruktionsversuchen. Legt man die Erkenntnisse schließlich mit den bekannten historischen Fakten übereinander, zeigt sich das Alte Kloster als Teil der Weltgeschichte: Orlamünde war ein brisanter Ort der Reformation. Hier predigte ab 1523 der Radikalreformer Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt. Martin Luther versuchte seinen ehemaligen Doktorvater, den Bilderstürmer, zu befrieden, reiste 1524 an den Ort und wurde schmachvoll aus Orlamünde vertrieben. Die unruhigen Zeiten erforderten ihren Tribut. 200 Jahre nach seiner Gründung war das Wilhelmiten- Kloster aufgelöst worden. Als das Gebäude neben der zerstörten Klosterkirche wieder aufgebaut wurde, orientierte es sich nicht mehr zur ehemaligen Klausur, sondern mit Eingangsportal und zentraler Innenstube zum Ort hin. Scherf vermutet eine Funktion als repräsentatives Amtshaus. Eine neue Zeit brach heran.
So wie sich nun eine spannende Zukunft auftut: Kunst und Kultur sollen einmal ins Alte Kloster einziehen. Eigentümer Wolf hat viele Ideen. So will er auch der Klostervergangenheit des Ortes Respekt zollen. Ein kleines Museum soll als Forschungsstätte zum Wilhelmiten-Orden dienen. Dessen 600-jährige Geschichte ist genauso wie ihr Kloster im Nebel der Vergessenheit verschwunden – hoch oben über der Saale. Die DSD begleitet die Arbeiten eng, gespannt auf weitere Erkenntnisse. Es bleibt viel zu tun.
Beatrice Härig
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