Denkmalarten Kleine und große Kirchen Kurioses Streiflichter Handwerk Menschen für Monumente Ausgabe Nummer Februar Jahr 2022 Denkmale A-Z D
Wo andere nur eine Mauer sehen, sieht er eine ganze Geschichte: André Lutze, Bauhistoriker. In unserer neuen Serie stellen wir Ihnen Menschen und Methoden vor, mit denen Denkmale wieder lebendig werden.
Wie die oftmals unbekannte Geschichte historischer Gebäude aufgedeckt wird, ist das Thema unserer neuen Monumente-Serie „Kulturspur – Ein Fall für den Denkmalschutz“. Sie begleitet das Jahresmotto der DSD 2022.
Eine Ruine, Mauern – viele Mauern – und Tausende von Steinen: Das mecklenburgische Dargun ist berühmt für seine Klosteranlage aus dem 12. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert zum Schloss für die Herzöge von Mecklenburg-Güstrow umgebaut, ist sie seit 1945 nur noch in Teilen und ohne Dächer erhalten – und dennoch so eindrucksvoll.
Sogar an einem nieselregnerischen Wintertag. André Lutze, Bauhistoriker aus Greifswald, steht inmitten der Anlage und blickt sich um. So wie er es vor jeder Untersuchung macht. Er müsse das gesamte Bauwerk spüren, das sei ihm wichtig. Kontakt aufnehmen. Häufig wiederkommen und sich Zeit nehmen. Auch mal vor Ort übernachten. Wenn er die Punkte gefunden hat, die Spannung verursachen, nähert er sich mit Stift, Pantograph und Zeichenblock. „Beim Zeichnen komme ich mit den Mauern in Berührung“, sagt der 53-Jährige. Bei der maßstabsgerechten Kartierungsgrundlage unterstützt ein Computerprogramm am heimischen Schreibtisch, die bauhistorischen Befunde werden jedoch direkt vor Ort, sozusagen Auge in Auge mit dem Denkmal notiert.
Baugeschichte neu denken
Was kann uns ein Denkmal erzählen? Welche Spuren hat menschliches Handeln über die Jahrhunderte hinweg hinterlassen? Um ein Denkmal systematisch untersuchen zu können, bedarf es – ähnlich wie bei der Verbrechensaufklärung – Experten, die Spuren sicherstellen und Sachverhalte aufdecken.Wir zeigen in unserer diesjährigen Serie „KulturSpur“ verschiedene Herangehensweisen (siehe Kasten Seite 31). Dem Denkmal auf der Spur ist auch „Mauerflüsterer“ André Lutze, wenn er Architektur analysiert. Mauerverbünde, Mörtelreste, Wandanschlüsse und vor allem die Backsteine selbst, insbesondere die Formsteine, sprechen zu ihm.
Er nimmt einen dieser Steine in die Hand, und fängt an zu erzählen: „Dieser Stein gehört zur Mauer dort drüben.“ Er zeigt auf ein Mauerstück, halb eingestürzt, Steine, die in scheinbar heillosem Durcheinander liegen: „Es ist ein Formstein. Es war sofort klar, dass er Hinweise auf die Architektur geben kann. Und siehe da: Er war Teil eines Stabprofils von einem Fenster.“ Um ehrlich zu sein: Von einem Fenster ist nicht viel zu sehen, von Profilbögen auch nicht. Da muss schon das verstehende Auge des Fachmanns im Geiste einiges ergänzen. „Die Mauer ist gerade einer meiner Lieblingsorte in Dargun. Sie gibt wahnsinnig viele Rätsel auf. Man sieht am Maueranstoß“, er zeigt auf die Kirchenwestfassade, „dass diese Mauer gar nicht vorgesehen war. Das ist außergewöhnlich, denn warum verdeckt man eine fertige Kirchenmauer in Teilen?“ Lutze begeistert sich: „Wenn meine Überlegungen stimmen, ist hier in Dargun der Klosterbereich vielleicht sogar schon vor der Beendigung der Klosterkirche errichtet worden. Man müsste vielleicht die Baugeschichte neu denken.“
Während André Lutze erzählt, mit dem 800-jährigen Stein in seiner Hand, wird Geschichte plötzlich zu Geheimnis und Verstehen gleichzeitig, werden aus halb abgebrochenen Backsteinmauern Indizien für das Leben in einem Zisterzienser- kloster des 12. Jahrhunderts. Er lässt den Westflügel des Klosters vor seinem inneren Auge wieder erstehen und fragt sich, warum ihn jene rätselhafte Wand mit den schönen Fensterbögen teilte. Er zeigt auf unscheinbare, aber aufschlussreiche mittelalterliche Mörtelreste und quergestellte Backsteine in einem Pfeiler, die ihm einen einstigen Bogenansatz verraten. Er vergleicht mit erhaltenen Wänden und rekonstruiert so ganze Gebäudeteile. Das Fehlen von Glasur auf den Steinen bestätigt seine Vermutung: Es ist ein früher Bauteil, aus Zeiten, in denen die Zisterzienser nach ihren Statuten keinerlei Verzierung zuließen.
Dem Denkmal auf der Spur
Auftraggeber für den freiberuflichen Bauhistoriker ist die Stadt Dargun. Denn als nächstes bei den Erhaltungsmaßnahmen an der Ruine müssen zerklüftete Mauerkronen abgedeckt und Mauerkanten vor einem weiteren Zerbröseln geschützt werden. Arbeiten, bei denen immer ein wenig Originalsubstanz verloren geht. Lutze: „In Zukunft nach der Sicherung der Mauer durch eine Schutzschicht wird die Lage dort so nicht mehr sichtbar sein. Aber nur eine Alterskartierung zu machen, reicht nicht. Man muss die Zusammenhänge sehen, das ist für die Zisterzienserforschung wichtig.“
Bent Russow (62) vom Darguner Bauamt ist auch gekommen. Seit vielen Jahrzehnten beschäftigt er sich mit der Ruinenanlage. Nach dem Brand 1945 Jahrzehnte vernachlässigt, wird sie seit 1991 gesichert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Innenhof finden Veranstaltungen statt, die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern machen hier regelmäßig Station. Russow schätzt die Arbeit Lutzes sehr. Auch er würde gerne wissen, warum ausgerechnet an „seinem“ Kloster nicht nach dem üblichen zisterziensischen Klosteridealplan gebaut wurde. Das nämlich konnte auch Christine Kratzke nicht beantworten: 2004 gab die Kunsthistorikerin ein gewichtiges Werk über die Ruine Dargun heraus. 528 Seiten schwer, kaum zu heben, dem Ort mit seiner langen Geschichte mehr als angemessen. Die Drucklegung wurde von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) unterstützt. Seit 1991 fördert die DSD – und mittlerweile zusätzlich gleich zwei ihrer treuhänderischen Stiftungen – kontinuierlich die Arbeiten an dem imposanten Denkmalkomplex. Dargun ist das beste Beispiel dafür, dass auch – oder gerade – Ruinen pflegebedürftig sind.
Das Werk von Kratzke ist eine akribische Betrachtung mit viel Quellenarbeit und stilistischen Vergleichen. André Lutze, der Bauhistoriker, findet sie wichtig, nähert sich aber von einer anderen Seite dem Ort. Er möchte wissen, was wie warum und in welcher Reihenfolge erbaut wurde. Er geht vom Vorhandenen aus und denkt sich rückwärts in die Geschichte hinein. Im Gegensatz zu den Historischen Bauforschern nutzt Lutze kein technischem Gerät. Er betreibt keine Materialforschung, hierfür gibt es hochspezialisierte Institute. Als Bauhistoriker beschäftigt er sich mit der Geschichte eines Bauwerks, meist nicht über die Schriftquellen, sondern in der Auseinandersetzung mit der Substanz. Das Detail untersucht er, das große Ganze hat er im Sinn.
Das Formsteinkataster
Lutze hat in den 1990er-Jahren in Greifswald Archäologie und Kunstgeschichte studiert. Die Zeiten kurz nach dem Mauerfall mit den vielen Sanierungsarbeiten gaben ihm die Chance, an Dutzenden Stadtteilgrabungen teilzunehmen. Er spezialisierte sich auf Mauerwerksbefunde. Als 1999 in einem Gebäude, Teil des ehemaligen Greifswalder Franziskanerklosters, der Fußboden ausgehoben wurde, bestand der Bauschutt zu großen Teilen aus zerkleinerten Formsteinen. „Der baukulturelle Wert von Formsteinen wird meist stark unterschätzt. Mich aber haben sie sehr interessiert. Ich habe mich auf den Hänger gestellt, wenn der Schutt mit dem Kipplader rausgefahren wurde, und habe die Steinstücke herausgesammelt.“ Tausende von Formsteinfragmenten kamen zusammen. Sie wurden inventarisiert, gezeichnet und katalogisiert. Ein Formsteinkataster entstand – unterstützt auch von der DSD.
„Das Ergebnis war,“, erzählt Lutze, „dass wir Formsteintypen herausfinden und die mit erhaltenen Bauten vergleichen konnten. Und wir konnten eine Baugeschichte der Franziskanerklosterkirche erstellen. Denn, wenn wir anhand des Formsteins und seiner Profilierung wissen, wann das Rippengewölbe eines Bauteils gebaut wurde, wissen wir natürlich auch, dass die Umfassungsmauern schon davor errichtet worden sein müssen.“ Viele historische Gebäude in Greifswald – darunter von der DSD geförderte Denkmale – wurden von ihm intensiv betrachtet. Nicht ohne Stolz erzählt er, dass tatsächlich die Baugeschichte der Marienkirche in Greifswald, älteste der gotischen Backsteinkirchen der Hansestadt, korrigiert werden musste. Denn nach dem Vergleich mit den gesammelten Backsteinen und ihrer erarbeiteten Chronologie stimmten Literatur und Steine nicht mehr überein.
Dem Denkmal auf der Spur
Die Geheimnisse von Bauwerken zu ergründen – das ist das Thema, mit dem wir uns dieses Jahr auf vielfältige Art beschäftigen wollen. Unterschiedlichste Ansätze und Methoden eint das Ziel, unser Kulturerbe besser verstehen lernen, die Geschehnisse der Vergangenheit aufdecken zu wollen. Spannung ist vorprogrammiert.
Architektur- und Kunsthistoriker leisten detektivische Quellen- und Archivarbeit, stöbern Zusammenhänge auf und ordnen Bauwerke stilistisch ein. Hausforscher beschäftigen sich mit regionaltypischen Hausarten, verfolgen ihre Konstruktionsentwicklungen und schauen auf die sozialen Rahmenbedingungen verschiedener Gebäudetypen.
Die Historischen Bauforscher wiederum sind die Forensiker der Denkmalpfleger. Um den alten Gebäuden ihre Vergangenheit zu entlocken, nutzen sie zusätzlich verschiedene technische Methoden. Sie erforschen die Ursprünge und die Veränderungen eines Bauwerks und seine technischen Aspekte. Der genauen Bestandsaufnahme, der Dokumentation und dem Aufmaß – manchmal mit Hilfe von Fotogrammetrie oder Laserscanning – folgen je nach Objekt naturwissenschaftliche Untersuchungen. Um nur einige zu nennen: Altersbestimmung durch Verfahren wie Dendrochronologie, C14-Methode, Thermolumineszenzdatierung sowie Materialanalysen und Stratigrafien, um die Malabfolge zu erkennen. Vermehrt werden digitale Mittel in der Bauforschung eingesetzt. Im Ergebnis zeigen Alterskartierungen und Bauphasenpläne die Geschichte des Hauses. Alle Methoden arbeiten Hand ín Hand. Gemeinsam bringen sie den Kulturwert des Denkmals ans Licht.
Geschichte fühlen können
Wird Ähnliches bei der Ruine von Dargun passieren? Bent Russow vom Bauamt jedenfalls würde sich sehr freuen, wenn die ihn seit 30 Jahren umtreibende Frage einmal beantwortet werden könnte: Warum wurde in Dargun damals von den Zisterziensern die Klausur im Norden und nicht wie üblich im Süden der Kirche errichtet? In der Südwestecke der ehemaligen Kirche kann der Besucher bis zur Mauerkrone hochsteigen und von einer Aussichtsplattform über die Ruinenanlage schauen. Der Blick geht über 17 Hektar ehemalige Klosteranlage, über den Schlosshof, die gewaltigen Chorpfeiler bis zu den Resten des rätselhaften Klosterflügels zu Füßen der Plattform. Hier muss man kein ausgewiesener Bauhistoriker sein, um Geschichte sehen zu können, hier breitet sie sich von ganz alleine und opulent aus. Nah- und fühlbar aber wird das Bauwerk durch seine Geheimnisse. Geheimnisse, die – vielleicht – in Zukunft aufgespürt werden.
Beatrice Härig
"Die paar Schritte zwischen St. Marien und St. Jürgen in Wismar (...) Wo noch sind auf zweihundert Meter so gewaltige Dome zusammengedrängt, Zeugnisse überquellender bürgerlicher Kraft und stolzer Frömmigkeit, in rascher Folge aufgestellt und schließlich am zu großen Wollen ermattend (...)"Theodor Heuss, 1920
Im Sommer Strohhut, im Winter Fellmütze - die Kopfbedeckung ist längst zu einem Markenzeichen von Prior Bruder Jens geworden. Allerdings kombiniert er sie weit seltener mit der braunen Kutte als mit dem grauen Arbeitskittel. Denn anzupacken gibt es genug im Kloster Dambeck. Ausgesandt von der Lukas-Communität in Hannover, zogen vor zwanzig Jahren vier Mönche in die Altmark. Seither setzt die Evangelisch-benediktinische Joseph-Bruderschaft alles daran, die verfallene mittelalterliche Anlage Stück für Stück wieder aufzubauen und mit klösterlichem Leben zu erfüllen.
Als ehedem mächtige Hansestadt am Strelasund verfügt das vorpommersche Stralsund über so manches bauliche Zeichen seiner einstigen Bedeutung. Stolze Kirchtürme prägen die Silhouette von See aus, mächtig aufragende Speichergebäude integrieren sich ins Bild, und für den Näherkommenden vervollständigen die reichen bürgerlichen Giebelhäuser den selbstbewussten Drang nach Höherem.
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Kann ich nachvollziehen. Steine erzählen immer eine Geschichte. Liebe Grüße aus Köln.
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