Denkmalarten Öffentliche Bauten Stile und Epochen 1925 Denkmale in Gefahr Ausgabe Nummer Februar Jahr 2022 Denkmale A-Z K
Die ehemalige Kinderheilstätte Harzgerode zählt zu den wichtigsten Krankenhausbauten des Neuen Bauens. Jahrzehntelanger Leerstand ließen das Denkmalensemble in Vergessenheit geraten. Heute engagiert sich eine Gruppe junger Menschen für seine Erhaltung.
Sie steht auf einer großen Lichtung, mitten im Harz. Die ehemalige Kinderheilstätte Harzgerode galt als einer der modernsten Krankenhausbauten seiner Zeit. Heute ist die Anlage in einem äußerst schlechten Zustand: zersplitterte Glasscheiben, Fehlstellen im Putz, rostende Stahlelemente zeugen von langer Vernachlässigung. Aber das soll sich jetzt ändern, wenn es nach Julia Pleintinger (28) und ihren Mitstreitern geht. Sie haben eine genaue Vorstellung davon, wie die Zukunft der Gebäude aussehen soll: „Wir möchten das Denkmal dem Vergessen entreißen, es bewahren und für die Öffentlichkeit zugänglich machen.“ Die junge Frau ist Mitglied der „Genossenschaft in der Heilstätte Harzgerode“, der das Ensemble seit 2019 gehört: 15 engagierte Leute im Alter zwischen 22 und 55 Jahren aus ganz Deutschland bewohnen und kümmern sich um die 21 Hektar große Anlage. Sie sind in den Harz gezogen, nicht um auszusteigen, sondern um einzusteigen: in eine Gemeinschaft und in die Geschichte eines Baukomplexes, für den sie vorbildhaft Verantwortung übernehmen.
Vernachlässigtes Vorbild
Keine leichte Aufgabe – ist doch die Erhaltung des vernachlässigten Denkmalkomplexes ein Mammutprojekt. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) möchte die jungen Menschen dabei unterstützen. Dr. Eckhard Wegner, Projekreferent von der DSD: „Die Anlage muss Schritt für Schritt restauriert werden. Wir stellen dafür finanzielle Mittel zur Verfügung und stehen der Genossenschaft beratend zur Seite. Die Reparatur von Denkmalen des Neuen Bauens kann mit ihren manchmal schlecht alternden Baustoffen und experimentellen Techniken eine Herausforderung darstellen.“
So zum Beispiel bei der Sanierung der zentralen Treppenanlage. Der Zustand der Treppe zum Ostflügel ist alarmierend. Die einst repräsentative Anlage wird bereits abgestützt, weil eindringendes Wasser das Mauerwerk stark geschädigt hat. „Risse in der Natursteinverkleidung und fehlende Platten sind nur die oberflächlichen Schäden“, sagt Wegner. Ihre Standsicherheit muss gewährleistet sein, denn sie bildet den aktuellen Hauptzugang und ist ein notwendiger Rettungsweg aus allen Etagen.
Der bedauernswerte Zustand der Heilstätte – das war nicht immer so. Als der Komplex von 1929–31 erbaut wurde, galt er als hochmodern und bauliches Vorbild im Kampf gegen Tuberkulose-Erkrankungen. Architekt war der damals erst 30-jährige Godehard Schwethelm, der sich mit diesem Werk als ausgewiesener Experte für Krankenhausbauten etablierte.
Ende des 19. Jahrhunderts starb etwa jeder siebte Mensch in Europa an Tuberkulose, einer bakteriellen Infektionskrankheit, die vor allem die Lunge schädigt. Des guten Klimas und der Ruhe wegen war das Fleckchen Erde nahe der Kleinstadt Harzgerode ein idealer Ort, um zu gesunden und sich zu erholen. Das erkannte die Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt in den 1920er-Jahren und errichtete hier eine Heilstätte für tuberkulosekranke Kinder. In Abstimmung mit dem ersten Chefarzt Dr. Hans Heinrich Knüsli entwarf Architekt Godehard Schwethelm (1899–1992) einen Krankenhausbau auf damals modernstem technischem Niveau. Dabei hatten beide das physische und psychische Wohl der geschwächten Kinder stets vor Augen. Dank bodentiefer Schiebefenster drang nicht nur viel Licht und Luft in das Gebäudeinnere, sondern die bettlägerigen Kinder konnten nach draußen auf überdachte Terrassen geschoben werden. Ein großes Wasserbassin vor dem Südflügel reflektierte das helle Sonnenlicht, das bis weit in die Zimmer strahlte.
Gute Ideen weiterdenken
Bis heute hat sich dieses erste Soloprojekt von Schwethelm nahezu unverändert erhalten. Studieren lässt es sich in den allwöchentlichen Führungen, die auch von den Genossenschaftsmitgliedern Julia Pleintinger (28), Steffen Emrich (32) und Lisanne Menzel (27) angeboten werden. Steffen Emrich erklärt: „Schwethelm gelang es mit seinem Bauwerk auf geschickte Weise, die genesende Wirkung von sauberer Luft und Sonne perfekt auszunutzen.“ Dafür macht er sich die Formensprache der Moderne zunutze.
Die Gebäudeflügel des Baukomplexes, errichtet über asymmetrischem Grundriss, greifen in den Freiraum der Parkanlage. Im Ost- und Südflügel befanden sich hinter der durchfensterten Fassade die Krankenzimmer. Alle Patientenräume waren im Sinne der Hygiene schlicht gehalten: die Spinde auf dem Flur, moderner Linoleumboden überall. Bei aller Funktionalität sollte die Architektur dabei helfen, dass sich die Kinder wohl fühlen: Doppelte Handläufe für kleine und große Patienten gehörten ebenso dazu wie eine freundlich helle Farbgestaltung, die sich zur Orientierung für jede Etage unterscheidet. Spielzimmer, Schulraum und Theatersaal dienten zu ihrer Unterhaltung.
Durch den medizinischen Fortschritt – ab den 1940er-Jahren wurden die ersten Antibiotika gegen Tuberkulose entwickelt – verlor die Heilstätte wie andere Sanatorien an Bedeutung und wurde 1998 geschlossen. Fast 20 Jahre lang blieb das weitläufige Bauensemble sich selbst überlassen. Heute steht das Hauptgebäude wieder Gästen offen. „Es kommen viele Menschen aus der Umgebung, ehemalige Angestellte und Patienten, um das Denkmal zu besichtigen“, so berichtet Lisanne Menzel. Was man ihnen über die alten Zeiten der Klinik erzählt, versuchen die neuen Bewohner als Zeitzeugenberichte für die Nachwelt zu sammeln. Aber sie verstehen sich nicht allein als Bewahrer des Vergangenen.
Erste Erfolge gibt es schon
Julia Pleintinger erklärt: „Wir möchten nicht nur statisch bleiben an dem, was war, sondern die guten Ideen aus der damaligen Zeit weiterdenken.“ Einst war die Heilstätte als weitgehend autarkes System geplant worden. So gehörten zur Anlage eine Gärtnerei und eine Kläranlage. Letztere hat die Gemeinschaft nun repariert und um eine Pflanzenkläranlage erweitert. Im Gewächshaus gedeihen Kräuter und Pflanzen zur Selbstversorgung. Hier einen lebendigen Ort zu schaffen mit Lernräumen, offenen Werkstätten, für Übernachtungsgäste und Veranstaltungen, das ist die Vision der Genossenschaft. Und wer die positive Energie der Gruppe zu spüren bekommt, der traut ihr zu, dass sie etwas erschaffen können.
In Deutschland gibt es mittlerweile ein großes Netzwerk von Gemeinschaften, die nachhaltig und naturnah leben. Zur Verwirklichung ihrer Ideale wählen sie oft historische Bauten auf dem Lande, an die sich lange Zeit keiner heranwagte, um sie wiederzubeleben. Eine Entwicklung, die auch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt wahrnimmt und auch für Harzgerode gutheißt, wie Gebietsreferent Dr. Volker Seifert (55) erklärt: „Besonders freuen wir uns, dass in die ehemalige Heilanstalt Harzgerode mit den jungen Menschen und ihren Ideen wieder neues Leben eingezogen ist. Dass sich die Deutsche Stiftung Denkmalschutz mit ihrer Expertise an dem Projekt beteiligt, ist ein hoffnungsvolles Signal.“
Die Anlage ist gewaltig groß, und die Instandsetzung bedeutet für die 15 Menschen eine immense Herausforderung. Daher würde sich die Gruppe freuen, wenn die Gemeinschaft weiter wächst mit Gleichgesinnten und Unterstützern. Steffen Emrich: „Wir kommen nur Schritt für Schritt voran, langsam und behutsam.“ Dabei sind sie gut organisiert und engagieren sich tatkräftig. Für die Erhaltung des Ensembles gibt es eine eigene Arbeitsgruppe. Sie machen sehr viel in Eigenleistung, aber ohne Handwerker, die sich in der Denkmalpflege auskennen, geht es nicht. Als dringendste Aufgabe steht nun die Sanierung der wichtigen Außentreppe an, danach soll der Theatersaal folgen.
Die DSD möchte der Genossenschaft bei diesen konkreten Maßnahmen helfen. Die ehemalige Heilstätte ist ein herausragendes Zeugnis des Neuen Bauens und der Krankenhausgeschichte, das die jungen Leute in Harzgerode mit Leib und Seele behüten und bewahren. Die Wiederherstellung der Treppenanlage wäre für die Menschen wie das Denkmal von buchstäblich aufbauender Wirkung! Bitte unterstützen Sie uns dabei!
Amelie Seck
Ehem. Kinderheilstätte
Harzgerode
Freie Feldlage 9
06493 Harzgerode
Tel. 039484 743334
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Hallo aus Irland, ich bin geschockt ueber den Zustand des Krankenhauses. Ich war selber dort dreimal als Patient (1981, 1985 und 1987) und fand es immer sehr schoen dort. Ich finde es klasse, dass es Menschen gibt, denen dieses Zeugnis der Vergangenheit nicht egal ist und die sich um den Erhalt des Gelaendes verdient machen. Dafuer meinen herzlichsten Dank.
Mit freundlichen Gruessen
Rene Balthasar, Strokestown, Irland
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