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Der Altar in der Frauenkirche Grimma ist restauriert.

Mit Geduld und Spucke

Restaurierung abgeschlossen: Nach einem halben Jahrtausend an Krisen und Kriegen erstrahlt im sächsischen Grimma ein spätgotisches Kleinod in altem Glanz.

Wie ein goldbraunes Halleluja thront das kunstvoll geschnitzte Marienretabel über dem Hauptaltar. „Es ist beeindruckend, was da passiert ist“, beschreibt Pfarrer Torsten Merkel die zurückgewonnene Farbigkeit des Altars in der Frauenkirche zu Grimma. Die Zeit hatte dem rund 500 Jahre alten spätgotischen Kleinod der sächsischen Stadt zugesetzt. „Er war relativ grau und düster“, erklärt Merkel, „es fehlte die Lebendigkeit der Gesichter.“ Doch wenn der 60-Jährige heute Besucher durch die Kirche führt, gibt es auch für ihn am Altar noch eine Menge Neues zu bestaunen. „Ich gucke da jetzt bewusster hin und entdecke Details, die ich vorher noch nie gesehen habe.

Der Marienaltar im Chorraum der ebenfalls der Gottesmutter geweihten Frauenkirche.
Grimma, Frauenkirche © Jens Schulze
Der Marienaltar im Chorraum der ebenfalls der Gottesmutter geweihten Frauenkirche.

Bildlich erzählt der Flügelaltar vom Marienleben. Mehrmals wird er im Laufe des Kirchenjahres gewandelt, das heißt geöffnet oder geschlossen, etwa zur Passions-, Buß- und Adventszeit. Obwohl er als Weihnachtsaltar gilt, besitzt er eine ganzjährliche Aktualität, da der unbekannte Künstler geschickt die Leiden Marias mit denen des Heilandes verknüpfte. Dies beschreibt auch Dr. Susanne Kimmig-Völkner, die den Altar für ihre Magisterarbeit eingehend studierte. „Er gehört zu den herausragenden Schnitzretabeln der Gegend“, erklärt die am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt arbeitende 43-jährige Kunsthistorikerin. Sie nimmt an, dass der Altar um 1515–20 in einer Leipziger Werkstatt entstand. Also weniger als 70 Kilometer von Wittenberg entfernt, wo fast zur gleichen Zeit Martin Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche genagelt haben soll.


Der Altar überstand alle Stürme und Kriege und obwohl er im riesigen Chorraum der Frauenkirche etwas zu klein wirkt, wurde er wahrscheinlich zu Ehren der Kirchenpatronin Maria zum Hauptaltar erkoren. „Er gehört zur Stadtgeschichte“, erklärt die Restauratorin May Schoder, die mit ihrem Team im Sommer 2021 den alten Glanz wiederherstellte. Wie wichtig er für die Grimmaer ist, wird daran deutlich, dass Damen aus dem örtlichen Altersheim sogar ihre Bernsteinketten für die Restaurierung der fehlenden Perlenimitationen an den Mantelsäumen spenden wollten.

Auch die Wurmlöcher können einer 500-jährigen Schönheit nichts anhaben: Bei der Restaurierung ging Konservierung vor Rekonstruktion. So zeugen die Verluste vom Lauf der Zeit.
Grimma, Frauenkirche © Jens Schulze
Auch die Wurmlöcher können einer 500-jährigen Schönheit nichts anhaben: Bei der Restaurierung ging Konservierung vor Rekonstruktion. So zeugen die Verluste vom Lauf der Zeit.

Man ließ aber die Verluste, da eine Rekonstruktion ohne Vorlage nicht ratsam schien. Außerdem ging es bei der Arbeit vor allem um die Konservierung und Reinigung des Altars. Bei vorherigen Restaurierungen wurden die Figuren mit einem synthetischen Holzkaltleim behandelt. Eine ölige Schicht zog Staub und Dreck an, sodass der Altar „wie abgesoffen“ aussah, erklärt Schoder. „Normalerweise kann man das feucht abwischen“, doch hier musste die 61-jährige Restauratorin auf die enzymatische Wirkung des eigenen Speichels zurückgreifen. Mit viel Geduld und Spucke verlieh sie dem Altar wieder seine Würde und unterstrich damit die Worte Pfarrer Merkels.


Stephan Kroener


Frauenkirche Grimma

Frauenkirchhof 1

04668 Grimma

Tel. 03437 9415656

Pfarrer Torsten Merkel am restaurierten Altar der Frauenkirche mit geschlossenen Flügeln.
Grimma, Frauenkirche © Jens Schulze
Pfarrer Torsten Merkel am restaurierten Altar der Frauenkirche mit geschlossenen Flügeln.

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